Prolog


"Komm...Komm mit. Folge mir ins Licht, und lasse all die Finsternis zurück, die stets wie ein Schatten über dich schwebt, und nur darauf wartet ihren eiskalten, dunklen Mantel um dich zu schlingen. Bitte, zögere nicht."


* * * *



Eine mir unbekannte jedoch wohlklingende, engelsgleiche Stimme hallte wieder und wieder durch meine Ohren; und durch meinen Kopf. Ich kannte sie nicht, aber das störte mich nicht im geringsten. So, wie andere an meiner Stelle bestimmt stutzig oder leicht erschrocken die Augen aufgerissen hätten, so blieb ich ruhig und gelassen. Dieser entspannte Ton, mit dem die weiblich klingende Stimme - da war ich mir absolut sicher - zu mir sprach beruhigte mich irgendwie auf eine seltsame Art und Weise. Völlig entspannt lächelte ich in mich hinein. Ich hatte meine Augen vor Gelassenheit und innerer Ruhe geschlossen. Ich wollte einfach nur abschalten und die funkelnden Lichtpunkte vor meinen geschlossenen Lidern beobachten, wie sie wie wild miteinander und mit dem schwarzen Band, welches sich immer wieder zwischen sie zu drängen schien, tanzten. Aber es gelang ihm nicht. Licht war stärker als Schatten, dachte ich so bei mir und zog fragend meine Augenbrauen nach oben, da ich die Stimme nicht mehr hören konnte.
Sie war plötzlich verstummt. Um mich herum herrschte eine tiefe Stille, bis sie von einigen flüsternden Stimmen durchbrochen wurde. Zuerst hörte ich sie nur ganz leise, so als wären sie noch in weiter Ferne. Doch Sekunden später hörte ich lauter Menschenstimmen, die wie verrückt durcheinander aufeinander einredeten. Ich hörte Gejubel und Gepfeife, welches mir fast schon in den Ohren weh tat. Und ich hörte unwahrscheinlich laute Musik.
Hastig schlug ich die Augen auf und fand mich inmitten einer riesigen Menschenmasse wieder, welche alle grinsend und grölend in eine Richtung sahen, in die ich dann ebenfalls aus Neugier blickte. Vor mir sah ich eine große Bühne mit vielen bunten aufblinkenden Lichtern und einer Band, deren Musik ich aber nicht kannte. War ich etwa auf einem Open-Air-Konzert?
Verwirrt und ein wenig panisch drehte sich mein Kopf herum, wie eine rundum-Leuchte, in der Hoffnung zwischen all den vielen fremden Gesichtern eines zu entdecken, welches ich eventuell kannte. Doch dieses Glück wurde mir in diesem Moment nicht vergönnt. Ich kannte zwischen der schreienden, vor Freude aufgebrachten Menschenmeute niemanden. nicht eine Menschenseele. zudem engten mich einige, die unmittelbar um mich herumstanden ziemlich in meiner Beweglichkeit und meinem Bedürfnis ab und zu Luft zu holen, ein. Abwertend hob ich meine Hände vor meine Brust, da ich auf keinen Fall wollte, das mir einer zu nahe kam. Ich wollte unbedingt eine bestimmte Grenze zwischen mir und den Personen um mich herum einhalten, welche auf keinen Fall überschritten werden durfte. Ich hasste solche Veranstaltungen, wo Menschen wie ein einziger Fleischklumpen aufeinander waren. Da bekam ich Platzangst und Panik stieg in mir hoch, da ich wusste, wenn diese Menschenmasse einmal außer Kontrolle geriet, so würde sie nichts und niemand mehr aufhalten können.
Ich schluckte schwer und mühselig den dicken Kloß in meinem Hals, welcher sich allmählich vor Angst gebildet hatte, hinunter, da ich mich innerlich schon zerquetscht unter einer Schicht von Leuten irgendwo rumliegen sah. Ängstlich blickte ich zwischen den vielen Köpfen, mir unbekannten Köpfen umher und suchte verzweifelt einen Ausweg aus dieser Hölle. Kurzum entschloss ich mich, meinen gut gebauten, jedoch nicht Modell-reifen Körper durch die Massen zu quetschen und zu schieben. Dies war keine leichte Angelegenheit, da einige Personen nicht einmal registrierten, das ich an ihnen vorbei wollte - zu sehr waren sie anscheinend der Euphorie für dieses Rockkonzert verfallen, welches da vorne stattfand. Es erschwerte es zusehends meinen Weg hinaus aus dieser tödlichen Falle. "Jetzt .. macht doch mal ein bisschen platz!", fauchte ich genervt, während ich mich weiter durch die Masse von Menschen schob und drängelte.
Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, presste ich mich endlich aus der Masse heraus und stolperte gleich darauf erst einmal zu Boden. Ich rang nach Luft und atmete tief ein und aus, um meine Atmung wieder etwas zu beruhigen. Und nicht nur da,s auch mein rasendes Herz könnte etwas von dieser Ruhe vertragen, denn es schlug ziemlich heftig gegen meine Rippen. Oh man, ich hab's geschafft! Endlich!
Noch etwas benommen, jedoch viel ruhiger und mit normal schlagenden Herzen in der Brust, richtete ich mich langsam von dem leicht feuchten grünen Gras auf und sah mich irritiert um. Wo war ich hier bloß hingeraten und vor allem: mit wem? Oder war ich hier ganz alleine? Ungläubisch zog sich meine flache Stirn in Falten und ich schüttelte abfällig lachend den Kopf. Ganz bestimmt war ich hier nicht Mutterseelenallein hergestiefelt, und das, obwohl ich Orte, an denen so viele Menschen auf einem Haufen standen, nicht ausstehen konnte bzw. sie nicht vertrug. Genauso wenig wie ich eine gewisse Höhe nicht ab konnte oder Fahrstühle mich einzuengen drohten.
"Da bist du ja, Kimberly!", rief jemand meinem Namen, worauf ich sofort erschrocken herumwirbelte, und ein gleichgroßes Mädchen mit pinken Haaren und einem breiten Grinsen auf dem Gesicht erblickte. Sie trug zwei Plastikbecher, jeweils eine in der linken und einen in der rechten Hand, die anscheinend voll mit irgend so einem alkoholischem Mixgetränk gefüllt waren.
"Hier, ich hab uns was zu trinken geholt. Barcardi - Cola, das trinkst du doch, oder?", fragte das Mädchen mich und hielt mir lächelnd einen Becher hin, den ich Sekunden später erst zögernd und leicht verwirrt an mich nahm. "Danke.", hauchte ich beinahe leise und blickte verlegen in den Bechers hinein, in der Hoffnung, dessen Inhalt würde mir irgendeine plausible Erklärung liefern können, weshalb ich eigentlich hier war und warum? Denn zuletzt hatte ich noch frisch gebadet und entspannt in mein Bett gelegen und jetzt, ein paar Herzschläge später, befand ich mich in einer kreischenden tobenden Menschenmenge wieder, aus der ich nur mit Not und Mühe wieder rausgefunden hatte.
"Warum hast du nicht hinter mir in der Schlange gewartet? nachdem ich die Getränke geholt hatte, warst du plötzlich weg. Ich dachte du hasst so ein Menschengetümmel.", fragte mich das pinkhaarige Mädchen, ihr Name war Monique, und nippte anschließend an ihrem Plastikbecher. Ich sah monique, meine beste Freundin seit meiner erfolgreich beendeten ausbildung zur Floristin, fragend an und wurde leicht unsicher. Ich hatte also mit ihr zusammen in einer Menschenschlange angestanden, da wir uns was zu trinken holen wollten? Aber warum war ich dann inmitten dieser höllischen Menschmenmeute aufgewacht? "Ich weiß nicht. Ich ...", stammelte ich benommen vor mich hin und sah etwas beschämt, da ich Monique keine spimple Erklärung abgeben konnte - weil ich es selbst nicht wusste, wieso ich mich auf einmal zwischen all den vielen Menschen und nicht bei ihr in der Warteschlange wiedergefunden hatte-, zu Boden.
Das war alles so misteriös. Und irgendwie unheimlich ...
"Na ist jetzt auch egal, wir haben uns ja wiedergefunden.", entgegnete Monique erleichtert und strahlte dabei über das ganze Gesicht. Ich nickte stumm und nahm einen kräftigen Schluck aus meinem Plastikbecher. Anschließend verzog ich angewidert das Gesicht, da dieses Getränk ziemlich eklig nach Alkohol schmeckte. Wiederlich!
"Komm, wir gehen noch ein Stückchen wieter ran. Ich meine jetzt nicht in die Masse rein, sondern etwas näher ran. Nur ein bisschen.", entgegnete Monique kichernd, als sie sah, wie mein Gesicht vor Entsetzen entgleiste. Keine zehn Pferde bringen mich wieder da hinein! Dachte ich so bei mir, als ich - mit immer stärker werdenden, klopfenden Herzen in der Brust - und Monique uns dem riesigen Fleichklops aus Menschen etwas annäherten. Nur ein paar Millimeter, näher würde ich mich nicht ran trauen. Doch das schien Monique zu reichen, denn sie blieb ruhig neben mir stehen und stierte grinsend nach vorne. Sie wusste in welche Zustände es mich brachte, hier zwischen all diesen vielen Leuten sein zu müssen, und respektierte es stumm und mit einem Lächeln auf den Lippen, wenn ich mich nicht weiter vor traute.
"Tolle Musik, oder?", fragte sie an mich gewandt, worauf ich etwas zusammenzuckte, da sie mir die Wörter richtig ins Ohr reinbrüllte, weil die Musik, die uns umgab, eine ziemlich enrome Lautstärke hatte. Man konnte sich nicht mal normal unterhalten. ich antwortete ihr nicht, weil es bei diesem Lärm, verursacht von der laut gröhlenden Menschemmasse und der ebenfalls lauten, schrillen Musik, womöglich unmöglich war etwas zu verstehen. Oder verständlich rüberzubringen. Also nickte ich Monique nur wissend zu und nippte weiter an meinem Plastikbecher herum, auch wenn sich durch dessen Inhalt in mir alles sträubte. Ich bekam davon sogar Gänsehaut. Oder lag das an dem seltsamen Gefühl von Angst, welches plötzlich und ganz langsam wie eine Schange in mir hochkroch. Mir wurde schlecht, als sich dieses furchteinflößende Gefühl immer weiter in mir ausbreitete, während ich meinen Plastikbecher geistesabwesend in der Hand, zusammen mit dem noch nicht vollends geleerten Inhalts Barcardi - Cola, fest zusammendrückte.
"Mensch Kim, alles in Ordnung? Hey, hallo, ist jemand da?" Ich hörte Monique nach mir rufen und vernahm auch ihren panisch gewordenen Klang in ihrer Stimme, welcher mich wieder in die Realität zurückholte. Verwundert blinzelte ich ein paar Mal mit meinen grün - braunen Augen auf und sah in Monique besorgtes Gesicht. Was war passiert?Fragte ich mich, als ich erst jetzt erschrocken realisierte, das mein Becher zusammengedrückt in meiner Faust lag, und der Rest Barcardi - Cola sich über meine Hand ergoss. "Ist alles okay mit dir? Du wirkst irgendwie nicht so.", hauchte Monique mir besorgt klingend ins ohr, worauf ich sofort heftig den Kopf schüttelte und den zerdrückten Becher zu Boden fallen ließ, da ich auf keinen Fall wollte das sie sich sorgen machte. Doch da war es schon zu spät.
"Ich glaube aber das es besser ist wenn wir nach Hause gehen. Du siehst nicht gut aus. Du bist kreidebleich.", erklärte sie mir ernst, weshalb ich sie leicht verängstigt ansah und mir mit einem Taschentuch, das ich mir zuvor aus meiner linken Hosentasche herausgezogen hatte, hastig die Hand reinigte, welche nun wiederlich nach Barcardi - Cola roch. "Mir ... geht es gut, wirklich.", log ich sie an, doch in wahrheitz ging es mir misserabel. Dieses beklemmende gefühl der Angst war zwar genauso schnell verschwunden, wie es gekommen war, allerdings hallte etwas davon noch ein wenig in mir wieder und ließ mich am ganzen Körper zittern. Ich versuchte mir in diesem Moment nichts anmerken zu lassen und lächelte gezwungen, während Monique mich eingehend musterte. Plötzlich spürte ich wie etwas in meiner rechten Hosentasche unglaublich stark vibrierte. Mein Handy. Ich zuckte erschrocken zusammen und kramte es aus der engen Jeanstasche hervor. Fragend und ein wenig skeptisch blickte ich auf das immer wieder auflechtende Display.
"Wer ist es?", fragte Monique mich neugierig und ich zuckte anschließend mit den Schultern. "Ich weiß es nicht. Da steht unbekannter Anrufer.", erklärte ich ihr und sah unsicher dreinschauend zu ihr auf. "Soll ich da rangehen? Ich gehe eigentlich ungern ran, wenn ich die Nummer nicht kenne oder wie in dem Fall, wenn da gar keine Nummer steht."
"Es könnte doch jemand wichtiges sein, der seine Nummer abgestellt hat, weil er einfach vergessen hat, sie wieder sichtbar zu machen. Bestimmt hat er vorher mit jemandem telefoniert, der seine Nummer nicht haben sollte.Los, geh ran!", drängelte sie mich, worauf ich auch sogleich den Hörer abnahm und ein gedrücktes "Hallo" über die Lippen presste. Mein Puls raste bis zum Himmel hinauf, während sich ein dicker fetter Kloß in meinem Hals auszubreiten schien, der mich daran hinderte ordentlich Luft zu holen oder gar zu schlucken.
>>Hallo....K...im....bi...st......du...das?<< Die Stimme am anderen Ende der Leitung kam ziemlich abgehackt rüber, war jedoch eindeutig Männlich und ich kannte sie nur zu gut, auch wenn ich sie das letzte mal vor Jahren gehört hatte. Ich wusste wer sich dort am anderen Ende des Telefonats befand und riss fassungslos die Augen weit auf.
"Martin..!", hauchte ich entsetzt über meine Lippen,während mein kleines Herz immer stärker gegen meinen Brustkorb schlug. Seine Stimme versetzte mich in einen Zustand, wo ich überglücklich, verlegen und sprachlos zugleich wurde. Viele Emotionen kochten mit einem Mal in mir hoch, sie schienen mich förmlich zu übermannen. "Martin was...woher...hast du meine Nummer?", fragte ich ihn leicht perplex und vor Nervosität stotternd. "Was...ist denn passiert? Du atmest ja so schwer."
Monique stand reglos vor mir, wie zur Salzsäule erstarrt und lauschte meinen aufgeregten Worten, während ich eigentlich gar nicht wusste, wie ich jetzt empfinden sollte. Auf jeden Fall spürte ich, das Martin etwas zugestoßen sein musste, denn seine Atmung ging ziemlich schwerfällig und man hörte heraus, das er sich arg anstrengen musste, überhaupt Luft durch seine Lungen zu bekommen.
"Wo...wo bist du denn, Martin, keine Angst ich komme zu dir und helfe.", wisperte ich aufgebracht und hielt drückte meine andere Hand panisch gegen meine Wange. Ich wartete ungeduldig auf eine Antwort von ihm, doch alles was ich zu hören bekam, waren seine schweren Atemzüge. "Martin? Martin!!", kreischte ich verzweifelt in den Hörer meines Handys, bis auf einmal blitzschnell ein Bild vor meinen Augen auftauchte. Ich sah Martin wie er erschöpft und am Kopf schwer blutend an einer Mauer anlehnte und schließlich kraftlos an ihr zu Boden ging. Er blickte zu mir auf und ich sah sein blutüberströmtes Gesicht und seine schwach leuchtenden, rehbraunen Augen. Er lächelte mich an. Trotz der Schmerzen die er anscheinend durchlitt lächelte er mich an. Noch ein wenig irritiert schaute ich mich um, nachdem das Bild von Martin vor meinen tränen erfüllten Augen verschwunden war. Dann lauschte ich in den Hörer meines Handys und hörte ... nichts. Weder sein rasselnder, schwerer Atem noch seine abgehackte, kraftlose Stimme. Die Verbindung war unterbrochen.
"Kim, was ist los? Was ist passiert?", fragte Monique mich mit fester Stimme und sah mich besorgt an, während ich sie nur gedankenverloren anstarren konnte, das Handy immer noch am Ohr haltend. Langsam glitt meine Hand mit dem Handy nach unten, während in meinen Augen immer noch das blanke Entsetzen zu sehen war. Ich rührte mich nicht, ich traute mich einfach nicht, mich zu bewegen. Was war bloß geschehen?
Plötzlich tauchte vor mir das Bild eines vorbeifahrenden Zuges auf, welcher in den Bahnhof unserer Stadt mit einem lauten Quietschen einfuhr. Wie aus einer Kamera schwenkte das Bild hin und her, bis zu der großen Eingangshalle des Bahnhofes, zu den großen elektronischen Schiebetüren, die hinaus ins Freue führten. Nun befand sich das Bild genau am Eingang des Bahnhofes. Ruckartig schwenkte es zur Seite und ich erblickte zu meiner Freude eine zusammengekauerte Gestalt, die an der Hauswand anlehnte. Es war Martin. Er atmete immer noch schwer. Mit gesenktem Kopf saß er da, die Beine leicht zu seinem Körper herangezogen. Seine Kleidung war blutverschmiert. War das etwa alles sein Blut? Dachte ich entsetzt und konzentrierte mich auf sein dunkelblaues T-Shirt, welches ebenfalls von Blutflecken übersät war. und dann sah ich es: unter seiner linken Brust, dort wo sein Herz vor Aufregung immer noch heftig zu schlagen schien, war ein ziemlich großer Riss, welcher von Blut nur so umrandet und durchtränkt war. Das war eine Einstichsloch, jemand hat ihn mit dem Messer niederstechen wollen! Überkam mich diese schreckliche Erkenntnis, worauf sich ein eiskalter Schauer auf meine Haut legte. Jemand hatte versucht, ihn umzubringen. Bestimmt irgendwelche Verbrecher, die ihn ausgeraubt und dann versucht hatten ihn anschließend zum Schweigen zu bringen. Doch anscheinend hatte er sich wehemend dagegen wehren können. Wenn auch nicht unverletzt.
"Martin!", keuchte ich entsetzt auf, nachdem die Bilder sich vor meinen Augen wieder in Luft aufgelöst hatten. Monique stand immer noch vor mir, nachdenklich und mit ängstlichem Blick. "Ich muss Martin helfen. Er ist am Bahnhof .. und schwer verletzt. wenn ich ihm jetzt nicht bald zur Hilfe eile, stirbt er vielleicht!" Ohne eine Antwort von Monique abzuwarten, welche bedrückt und geschockt zugleich dastand, spurtete ich los, in Richtung Ausgang. Sie rief mir noch ein paar Mal hinterher, doch ich ignorierte es, denn alles was für mich jetzt zählte war Martin noch rechtzeitig zu erreichen ehe es zu spät war. Doch wie sollte ich schnellstmöglich dort hingelangen, wo ich mich wahrscheinlich am anderen Ende der Stadt befand, ziemlich weit außerhalb. Ein Taxi konnte ich nirgendwo ausmachen und auch die Nummer der Taxizentrale war mir leider nicht bekannt. Verdammt!
Was hätte ich jetzt dafür gegeben, wenn das mit dem irgendwohin beamen schon geklappt hätte. Doch so war es leider nicht. Mist! Wie soll ich jetzt zu ihm gelangen? Wie nur?
Vollkommen verzweifelt lief ich vor dem Eingang zu dem Konzert auf und ab. ich überlegte fieberhaft was ich jetzt am besten tun könnte, um schnellstmöglich zum Bahnhof zu gelangen.

"Denke nicht groß nach. Die Antwort steckt in dir.", erklärte mir eine engelsgleiche Stimme, die gleiche, die mich vorhin schon einmal in ihren Bann gezogen hatte. Und, genau wie beim letzten Mal wirkten ihre Worte ziemlich friedlich auf mich, so dass sich mein verkrampfter Körper sofort ein wenig löste. Lächelnd lauschte ich weiterhin ihrer Stimme und entspannte mich immer mehr.
"Finde deinen inneren Frieden und wünsche dir von ganzem Herzen, wo du jetzt hin möchtest. Das Licht in dir wird dich dorthin führen."

Meinen inneren Frieden finden? Dachte ich belustigt, doch im selben Moment tat ich das, zu dem mir geraten wurde, und ich gab meine innere Angespanntheit frei. Ich löste sie von mir ab, wie eine zweite Hautschicht oder wie ein Stück nerviger Kleidung. Ich schloss die Augen und presste meine Hände auf meine Brust, wo mein Herz ganz rhythmisch schlug, als mich ein sanftes, helles Licht umhüllte, wie eine schützende warme Decke. Als ich die Augen lächelnd wieder aufschlug befand ich mich überraschend vor den Eingangstüren des Bahnhofes wieder.
"Wie...wie bin ich...hierher gekommen?", nuschelte ich verwirrt und blickte mich fragend um, bis ich die zusammengekrümmte Gestalt an der Mauer sitzend erblickte. Ohne groß weiter darüber nachzudenken, wie ich überhaupt so schnell hier hergelangt war, stürmte ich auf den am Boden kauernden Martin zu, welcher den Kopf zwischen seinen angewinkelten Beinen vergraben hatte. Voller Entsetzen sah ich die riesige Blutlache, in der er saß und musste schluckten. Hatte er wirklich schon so viel Blut verloren?
Vorsichtig hockte ich mich vor ihn hin und zögerte erst damit ihn zu berühren, doch schließlich überwand ich diese Scheu und legte meine zittrige Hand behutsam auf seinen dunkelbraunen Haarschopf. "Hey, Martin, ich bin's: Kim. Ich bin hier.",stammelte ich nervös und leicht verängstigt,worauf Martin seinen Kopf sachte aufrichtete und ich erschrocken die Hand von ihm nahm. "Kim...du....du bist...da.", hauchte er erleichtert und zwang sich ein Lächeln auf sein blutverschmiertes Gesicht. Mit der linken Hand drückte er gegen die Wunde unter seiner Brust, aus der immer noch unaufhörlich Blut floss. Die andere, rechte Hand hob er vorsichtig und mühselig nach oben, zu mir ins Gesicht. Zuerst wollte ich aus Angst zurückschrecken, als er zärtlich über meine Wange streichelte, doch schließlich entschied ich mich dafür meine Furcht zu überwinden und es zu zulassen. Martin lächelte mich liebevoll an, so dass mir richtig warm ums Herz wurde. Dennoch ließ mich der Anblick über seinen katastrophalen Zustand wieder ernst werden und das Lächeln verschwand sogleich.
"Was ist passiert?",fragte ich ihn mit besorgter Stimme, doch er ging nicht auf meine Frage ein. Er zuckte nur leicht mit seinen Schultern,woraufhin ich ihn ratlos anblinzelte. Einen Moment später nahm ich seine Hand, welche eben noch behutsam meine Wange gestreichelt hatte, und hielt sie zwischen meine eiskalten Hände. Seine war wunderbar warm. Er ließ es geschehen und sah mich nur durchdringend an. So, wie ich ihn eingehend und sehnsuchtsvoll anstarrte. In diesem Augenblick war mir alles egal, irgendwie. Mir war es egal, wer ihn so zugerichtet und dann wie ein Stück Müll hier liegen lassen hatte. Und mir war es auch egal, das er womöglich schwer verletzt war und einen Arzt brauchte. Ihn schien es genauso wenig auszumachen, denn er sagte gar nichts und machte auch sonst keine Anstalten, das es ihm schlecht ging, außer seine schwer fällige Atmung. Wir sahen einander nur an, tief und eingehend. Meine grün-braunen Augen schrien förmlich nach ihm. Nach dem Tätscheln an meiner Wange, seiner lieblichen Stimme, nach seinem Lachen, so wie damals, als wir noch zusammen zur Schule gingen.
"Du..hast mir sehr gefehlt.", flüsterte ich zu ihm und sah ab und an verlegen weg, da ich seinem festen Blick nicht so ohne weiteres standhalten konnte. Er verunsicherte mich, je länger er auf mich wirkte.
"Du...du hast-" plötzlich brach Martins erstickende Stimme ab, als aus seinem Mund ein Schwall roter Flüssigkeit hervorkam. Blut. Martin spuckte Blut.
Panisch hockte ich mich neben ihm, als er sich vornüber beugte und alles aus sich herauswürgte, was nicht länger im Magen bleiben wollte. Dann, nachdem es vorbei war, fühlte ich wie er heftig zu zittern begann, und zur Seite wegkippte, wie eine leere Glasflasche, die man aus versehen angestoßen hatte. Und die nun zur Seite umfiel, ehe man sie davon abhalten konnte.
"Martin!!! Martin!!!", schrie ich hysterisch und rüttelte verzweifelt an seinem Oberarm, doch er gab keinen Laut von sich. Selbst das Zittern an seinem Körper hatte aufgehört.
Nein....Nein!!!!
Verzweifelt schüttelte ich weiter an ihm, doch er regte sich nicht. Ängstlich schob ich einige der dunkelbraunen Haarsträhnen die durch den Schweiß auf seiner Stirn klebten mit zitternder Hand beiseite, um sein Gesicht besser sehen zu können. Und da sah ich seine rehbraunen Augen, aus denen der Silber funkelnde Glanz, der ihn so etwas magisches verliehen hatte, verschwunden war. Dort in seiner Iris sah ich nur Leere und ewige Dunkelheit.
Nein, bitte nicht! Ich...ich habe dich doch erst wiedergefunden! dachte ich verzweifelt und gab dem starken Drang nach, meinen Tränen, welche unentwegt gegen meine gereizten Augenhöhlen drückten, freien Lauf zu lassen. Ungebremst flossen sie in kleinen silbrigen Bächen meine geröteten Wangen hinab und tropften schlussendlich auf den harten, kalten Boden des Gehsteigs. Während Martin da leblos vor mir lag ließ ich hemmungslos meinem Kampf mit den Tränen und dem Schmerz über den Verlust eines Menschen, der mir so wichtig war, zu. Warum war das leben nur so grausam? Warum kreuzten sich Wege, wenn sie dann wieder abrupt endeten? Warum?


* * *

Zufrieden verschränkte er mit dem pechschwarzen Umhang die Arme vor seine muskulöse Brust, als er sie weinend auf dem Boden herumkriechen sah. Er grinste breit, was man natürlich unter der weißen Maske nicht sehen konnte, während er beobachtete, wie sie vor Verzweiflung schreiend am Boden kniete, vor dem Mann, den ihr junges Herz damals erwählt hatte. Und es schlug nach all der Zeit immer noch für ihn. Seinen Tod würde sie auf keinen Fall verschmerzen und einfach so wegstecken können. Sie würde daran zerbrechen, und genau das war sein Plan.
Er wollte sie vernichten, um jeden Preis, und besonders das helle, lilafarbene Licht, welches sie umgab.
Nun sah er triumphierend dabei zu, wie dieses Licht langsam schwächer wurde. Und bald würde es sicher ganz sein leuchten verlieren.


© Kristin Rahnfeld


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Beschreibung des Autors zu "Wo Licht ist, da ist auch Dunkelheit Prolog"

Hallo, ich heiße Kimberly und bin 21 Jahre alt. Ich arbeite in einem Floristikfachgeschäft, da ich den Duft von Blumen über alles liebe und lebe allein in eine Ein-raum-Wohnung in einem Plattenbaugebiet. Eigentlich führe ich ein ganz normales Leben, bis zu der Nacht, wo mich ein grauenhafter Alptraum heimsucht, indem meine Jugendliebe vor meinen Augen stirbt...

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