Nebeneinander saßen sie auf den Felsen und sahen aufs Meer hinaus. Die Sonne ging langsam unter und tauchte alles um sie herum in glühendrotes Licht. Die Wellen schlugen sanft gegen das Ufer und die Möwen kreisten über der Bucht. Sie wollte die Zeit anhalten und diesen Moment für immer festhalten, doch das funktionierte nicht, wie sie sehr wohl wusste. Die Zeit rann dahin wie Sand durch die Finger eines spielenden Kindes. Sie schaute ihn vorsichtig von der Seite an, auch sein Blick ging sehnsüchtig in die Ferne. Ob er an zuhause dachte, an seine Frau und sein Kind?
Es war ihr letzter Abend und er neigte sich dem Ende zu, bald hieß es Abschied nehmen und diesmal wohl für immer… 18 Jahre hatte Charlotte sich danach gesehnt ihn wieder zu treffen und als es tatsächlich passierte, wünschte sie, es wäre ein Traum geblieben. Nichts erschien ihr jetzt schlimmer, als ihn noch mal gehen lassen zu müssen.
Er ahnte nichts von ihren Gefühlen, davon das sie ihn immer noch liebte, nach 18 Jahren hatte sich nichts, aber auch gar nichts an ihren Gefühlen geändert.
Er war schlauer als sie gewesen, er hatte sein Leben weitergelebt, Karriere gemacht, geheiratet und Kinder bekommen… sehr vernünftig! Sie hingegen war in der Vergangenheit hängen geblieben, nach aussen hin war sie eine Power-Frau, hatte einen tollen Job, spielte in einer Band Gitarre und stand mit beiden Beinen fest im Leben, doch der Gedanke an ihn brachte sie immer und immer wieder aus der Bahn… täglich dachte sie an ihn. Fast unmerklich schüttelte sie den Kopf, wie konnte das sein, nach so langer Zeit? Ein leiser Seufzer entglitt ihr und er schaute sie an.
“Es war eine tolle Woche, “ begann er, “schade das ich morgen abreisen muss. Ich hätte nie gedacht, das wir immer noch soviel gemeinsam haben.” er grinste sie schief an. Charly lächelte gequält zurück. Ja, das hatten sie wirklich! Sie liebten immer noch die gleichen Bücher, hörten die gleiche Musik, mochten südafrikanische Rotweine, das Meer und lange Spaziergänge am Strand. Das war früher schon so gewesen, warum war sie damals nur so dumm gewesen, warum hatte sie ihn gehen lassen? Ein dummer Fehler, der sie ihr ganzes Leben verfolgte und nicht losließ.
Jetzt war es zu spät.
Seine stahlblauen Augen schafften es immer noch sie zum zittern zu bringen, sie wollte am liebsten in ihnen versinken wenn er sie so intensiv ansah, wenn seine Hand sie zufällig berührte, hatte sie das Gefühl ihre Haut würde in Flammen stehen, sie wünschte sich nichts mehr, als von ihm gehalten zu werden, stellte sich vor, wie es wäre wenn sie sich lieben würden, wie würde sich sein Körper anfühlen? Wie seine Hände auf ihrer Haut, seine Lippen, die ihren Leib über und über mit Küssen bedecken würden, wie wäre es wenn er langsam zu ihr kam und sich in ihr bewegen würde, wenn sie Eins würden… bei dem Gedanken daran breitete sich eine wohlige Wärme in ihrem Bauch aus… doch das waren nur Fantasien, sie würde es nie erfahren. Damals waren sie einfach noch zu jung gewesen, da gab es nicht mehr als Händchen halten und heimliche Küsse in seinem Auto, doch nun verzehrte sie sich nach ihm.
Julian nahm ihre Hand.
“Es wird Zeit.” sagte er leise, seine kinnlangen dunkelblonden Haare wurden vom Wind zerzaust und seine blauen Augen schauten tief in ihre. Warum musste er nach der langen Zeit immer noch so gut aussehen, fragte sie sich.
Charly nickte, sie brachte jetzt kein Wort heraus. Es wurde dunkel, die Nacht brach herein und es wurde kühl. Charly fröstelte und er legte, wie selbstverständlich einen Arm um sie und sie zuckte unwillkürlich zusammen, für ihn war es eine freundschaftliche Geste, doch für sie war es soviel mehr. Charly schloss für einen Moment die Augen.
“Okay, dann heisst es jetzt “leb wohl”. Sie würde nicht “auf wiedersehen” sagen, denn ein Wiedersehen würde es nicht geben. Es war schon ein riesiger Zufall, das er bei ihrem Auftritt am letzten Wochenende auftauchte und sie ihn in der Menge entdeckt hatte. Zufall? Oder doch Schicksal? Nein, an Schicksal glaubte sie nicht. Gott hatte einfach einen merkwürdigen Sinn für Humor, er ließ sie den ganzen Schmerz noch einmal durchmachen, wahrscheinlich war das nun die gerechte Strafe für das, was sie Julian vor so vielen Jahren angetan hatte. Sie kämpfte mit den Tränen.
“Es war wunderschön dich wieder zu sehen.” brachte sie leise raus.
Julian nickte, “Das fand ich auch… machs gut Charlotte McCluskey und bleib so wie du bist…” er umarmte sie und drückte sie fest an sich. Charly spürte bei dieser Umarmung überdeutlich seinen muskulösen Oberkörper, sie musste hart schlucken und löste sich ein wenig von ihm.
“Ich muss gehen, mein Flug geht schon um 5.00 Uhr morgen früh und ich brauche noch ein wenig Schlaf.”
Er strich ihr noch ein letztes Mal über die Wange… sah sie so etwas wie Sehnsucht in seinen Augen? Nein, das bildete sie sich nur ein. Wunschdenken, mehr nicht!
Er machte drei Schritte rückwärts, vergrub die Hände tief in den Taschen seiner Jeans, drehte sich um und ging davon.
Da stand sie nun… allein, die ersten Tränen bahnten sich den Weg aus ihren Augenwinkeln, sie sank zurück auf den Felsen, auf dem sie eben noch zu zweit gesessen hatten, sein Platz war noch warm, doch bald schon würde die Wärme verschwunden sein, so als wäre er nie hier gewesen.
Sie schaute in den Himmel, die Nacht war klar und Millionen und Abermillionen Sterne funkelten auf sie herab, doch sie konnte sie durch den Tränenschleier, der ihren Blick trübte, nicht sehen. Die Sterne waren ihr momentan auch egal… sie dachte nur an Julian! Sie wollte ihn zurück! Doch er war nicht mehr frei… sie hatte zu lange gewartet. Charly vergrub den Kopf in ihren Händen und schluchzte hemmungslos. Warum nur tat es so weh?
Als sie ihn wiedersah vor einer Woche, da war sie sich sicher das es Schicksal sein musste, da sie ihn genau bei diesem Song in der Menge entdeckte… ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen als sie daran dachte:


- Es war ein Samstag und Charly stand, wie fast jedes Wochenende, auf der Bühne. Sie liebte es Musik zu machen, sie war eins mit ihrer Gitarre. Sobald sie auf der Bühne stand fühlte sie nur noch die Musik, alles andere war aus ihrem Kopf verschwunden, jeglicher Ärger oder Streß fiel von ihr ab, sie fühlte sich leicht. In Ihrem Job als Geschäftsführerin einer Werbeagentur musste sie täglich im Hosenanzug erscheinen, hier trug sie ihre geliebte Lederhose und ein weites, weißes Piratenhemd, im Job waren die Haare streng hochgesteckt, oder brav frisiert und jetzt wehten ihre blonden Locken wild um ihre Schultern. Sie lachte, als sie vorn am Bühnenrand, Rücken an Rücken mit dem Leadsänger stand und ein lautes “Like the way I do” ins Mikro schmetterte. Ihre Finger flogen über die Saiten der Gitarre, sie ging völlig aus sich heraus, rockte und tanzte über die Bühne, das war ihr Gefühl von Freiheit, so wie andere mit dem Boot aufs Meer fuhren, Drachen flogen oder mit dem Motorrad über die Straßen rasten, so brauchte sie die Musik um sich frei zu fühlen, um einfach glücklich zu sein.
Die Musik war schon immer ihr Ventil gewesen, schon als Jugendliche lernte sie Gitarre zu spielen und als sie sich damals von Julian trennte, wurde es der wichtigste Ausgleich für sie, sie konnte ihren Schmerz und den Kummer nur mit Hilfe ihrer Musik durchstehen. Marc war schon in der Schulzeit ihr bester Freund gewesen, er spielte Piano und sie hatten oft zusammen Musik gemacht, Marc hatte eine tolle Stimme und so kam es das sie häufig auf Schulveranstaltungen und Partys auftraten, sie coverten Songs aus allen Musikrichtungen und mehreren Jahrzehnten. Irgendwann lernten sie Mike und Rob kennen, die Schlagzeug und Baßgitarre spielten und schon war ihre Band entstanden, seit 15 langen Jahren machten sie gemeinsam Musik. Inzwischen waren sie in ihrer Region sehr bekannt, sie wurden für alle möglichen Veranstaltungen gebucht, so auch heute auf dem jährlichen Stadtfest ihrer Heimatstadt. Eine große Bühne war aufgebaut und der große Platz war voll mit Leuten, an den Seiten standen Bierpilze und Bratwurstbuden. Es war Abend geworden und die Dämmerung brach herein.
Charly schlug die letzten Akkorde des gerade gespielten Songs an und das Publikum applaudierte, Pfiffe und “Zugabe”-Rufe waren zu hören. Das Publikum war heute super, sie gingen toll mit, sangen fast alle Songs mit und die Stimmung war sehr gelöst.
Doch jetzt war wieder ihr Moment! Seit 15 Jahren spielten sie an dieser Stelle denselben Song… immer und immer wieder! Charly liebte diesen Song, er machte sie allerdings immer wieder traurig, als sie 2 Jahre nach der Trennung von Julian erfuhr das er sich verlobt hatte, war sie furchtbar eifersüchtig gewesen, sie fragte sich immer wieder warum er ihr keine zweite Chance gegeben hatte, sondern sich in eine neue Beziehung gestürzt hatte… da hörte sie damals diesen Song “what´s she like” hieß er und er wurde ihr Song. Die Ballade, die sie immer an das erinnern sollte was sie verloren hatte.
Marc hielt sie damals für verrückt, das sie wegen “diesem Typen” wie er Julian gern nannte, diesen Song singen wollte, vor allem, da sie sich auf der Bühne lieber im Hintergrund hielt, sie sang gern im Background, doch Leadgesang war nichts für sie, wie sie immer betonte. Doch darauf bestand sie und sie ließ sich nicht abbringen. Sie wollte diesen Song singen und sie hatte sich durchgesetzt.
Nun war es also wieder soweit..
“Seid ihr gut drauf?” hörte sie Marc ins Mikro rufen. Jubelrufe und Applaus drangen zu ihnen auf die Bühne und Charly lächelte.
“Okay… dann jetzt, wie jedes Mal an dieser Stelle, für euch… unsere “Balladen-Queen!” er überließ ihr das Mikrofon und grinste sie frech an… sie hasste es wenn er sie “Balladen-Queen” nannte und warf ihm einen entsprechenden Blick zu, Marc grinste nur noch breiter, er stellte sich hinter sein Keyboard, während Charly das Mikro ergriff, sie schloß für einen Moment die Augen und atmete tief durch.
“Whats she like…” begann sie zu singen, sie fühlte sich in die Zeit von damals versetzt und legte all ihre Emotionen in dieses Lied… “when she turns around to kiss you goodnight… when she wakes up in the morning by your side…”
Es war wie jedes Mal… ihr Song, traurig, langsam und voller alter Gefühle, die auch nach Jahren noch die Oberhand gewannen… der Zwischenteil begann und sie griff zu ihrer Gitarre, ein Blick ins Publikum und es war geschehen… sie verspielte sich und sie vergaß ihren Text, das war in 15 Jahren noch nie passiert, Marc sah sie verdutzt an, zum Glück reagierte er sofort, er übernahm den Zwischenteil und sang einfach für sie weiter.
Das alles passierte im Bruchteil einer Sekunde, doch ihr kam es wie eine kleine Ewigkeit vor.
Sie hatte ihn gesehen, in der Menge stehend. Sie war sich sicher, dieses Gesicht würde sie unter tausenden sofort erkennen… oder spielten ihre Nerven ihr einen Streich? Aber warum? Sie hatte dieses Lied doch schon so oft gespielt und sich noch nie eingebildet ihn zu sehen… doch das war gar nicht möglich, das er es war. Er lebte 500 Kilometer von ihrer Heimat entfernt, soviel wusste sie. Was machte er hier… Charly versuchte sich wieder zu fangen und konzentrierte sich wieder auf die Musik, sie setzte nach dem Zwischenteil wieder ein.
“I´ve been holding on much too long…” noch einmal sah sie in die Menge, doch er war verschwunden, sie suchte nach seinem Gesicht, doch sie konnte es nirgends mehr entdecken. Ihre Augen hatten ihr einen Streich gespielt… zum Glück, oder war sie tatsächlich etwas enttäuscht? Momentan war sie reichlich durcheinander und konnte ihre Gefühle kaum definieren…
Wie durch einen Nebel spielte sie sich durch die letzten Songs und ein paar Zugaben, tapfer verbeugte sie sich, lachte und winkte ins Publikum, bis sie endlich die Bühne verlassen durfte.
“Was zum Teufel war da vorhin mit dir los?” Marc packte sie am Arm, als sie die Stufen von der Bühne runtergingen.
“Ich hab keine Ahnung…” begann sie stotternd, “ich hab mir eingebildet, ich hätte Julian in der Menge gesehen…” sie zuckte die Schultern…
“Charly… also ganz ehrlich, das ist doch nicht mehr gesund! Seit 18 Jahren trauerst du diesem Mann hinterher, wir müssen seit ewigen Zeiten diesen Song spielen, du solltest das langsam mal hinter dir lassen.” Marc war wütend, hätte er nicht so schnell reagiert, hätte das Ganze ziemlich peinlich werden können. Charly schluckte, sie wusste das er recht hatte, wenn sie Julian doch nur endlich vergessen konnte, es war eine halbe Ewigkeit her… normal war das wohl wirklich nicht.
“Du hast recht, tut mir leid, es wird nicht wieder vorkommen” sagte sie ausweichend.
Charly saß noch einen Moment mit ihren Band-Kollegen zusammen, gemeinsam tranken sie noch ein Bier zusammen, das war so was wie eine Tradition, nach einem erfolgreichen Gig wurde der Auftritt noch mal bei einem Glas Bier in Ruhe besprochen, was konnte man beim nächsten Mal besser machen, was war gut und was war komplett überflüssig.
Charly war aber heute nicht richtig bei der Sache, weshalb sie sich auch schon recht bald verabschiedete.
“Machts gut Leute!” winkte sie noch, bevor sie aus dem Hintereingang verschwand. Draussen blieb sie einen Moment stehen, schloß die Augen und atmete tief die kalte, erfrischende Nachtluft ein. Sie schüttelte den Kopf und musste sogar ein wenig lachen.
“Lächerlich” sagte sie leise zu sich selbst.Doch als sie die Augen öffnete stand er da, einfach so, ganz lässig gegen eine Straßenlaterne gelehnt, er hatte sich kaum verändert, ja er war älter geworden, aber er hatte noch die gleiche Frisur, die kinnlangen, dunkelblonden Haare, die er sich jetzt hinter die Ohren gesteckt hatte, das markante Kinn, die tiefblauen Augen, strahlend weiße Zähne grinsten sie an.
Charly wusste nicht ob sie lachen oder weinen sollte… 18 lange Jahre hatte sie auf so einen Moment gewartet, jetzt hatte sie das Gefühl ihr Kopf wäre blutleer und sie würde gleich einfach mit dem Schädel auf das Kopfsteinpflaster prallen, - so fühlt es sich also an, wenn man ohnmächtig wird - dachte sie, doch leider, wie sie fand, blieb sie bei Bewusstsein und der Boden wollte sich auch nicht unter ihr auftun… warum konnte sie sich dann nicht wenigstens in eine Maus verwandeln?
“Julian…” brachte sie ein schwaches Flüstern hervor, lächelnd kam er auf sie zu.
“Charlotte McCluskey… wow, das war ein toller Auftritt” sagte er, bevor er sie umarmte. Sie schob ihn von sich und sah in ungläubig an.
“Was… was tust du hier?” stotterte sie ungläubig. Er grinste breit.
“Ich hab beruflich in Brighton zu tun, ich bleibe die ganze nächste Woche. Naja, im Internet hab ich gelesen das du hier einen Auftritt hast und das konnte ich mir natürlich nicht entgehen lassen, daher bin ich schon etwas früher angereist. Wahnsinn, dich nach so langer Zeit wieder zu sehen. Gut siehst du aus.” schmeichelte er ihr. Er griff nach ihren Händen und hielt sie fest, Charly entzog sie ihm, als hätte sie sich an glühenden Kohlen verbrannt.
“Ich…” begann sie, doch ihr fehlten die Worte. Sie träumte, das musste ein Traum sein. Er hatte Brighton vor einer kleinen Ewigkeit verlassen und nun stand er plötzlich einfach so vor ihr? Das konnte doch nicht real sein, sie hatte doch nur ein Bier getrunken, sie nahm weder Drogen oder Medikamente noch sonst irgendwelche Halluzinogene… wie war das also möglich?
“Julian?” fragend sah sie ihn an und er lachte leise.
“Ja, ich bins wirklich. ist ja auch schon irre lange her, da kann ich ja nicht erwarten das du mich gleich wieder erkennst.” er zwinkerte ihr belustigt zu.
“Ich…” begann Charly erneut, “ich weiß gar nicht was ich sagen soll!” hilflos zuckte sie mit den Schultern. “Ich hatte eben einen Auftritt, ich… ich wollte gerade Heim gehen und nun…” sie starrte ihn immer noch an, als hätte sie einen Geist gesehen.
Julian lachte wieder.
“Wow, das ich dich immer noch so aus der Fassung bringen kann, hätte ich nicht gedacht” wieder griff er nach ihrer Hand und diesmal entzog sie sie ihm nicht. Er scherzte, dass wusste sie, doch er hatte so recht mit seinen Worten, er hatte sie wirklich aus der Fassung gebracht, momentan wusste sie gar nicht wie ihr geschah. War der Himmel noch blau und die Erde eine Kugel?
Sie lachte gequält.
“Wie wärs hast du Lust und Zeit ein Glas Wein trinken zu gehen und über alte Zeiten zu quatschen?” fragte er sie lächelnd.
“Du und ich? Wein trinken?” krächzte sie, ungläubig starrte sie ihn an.
“Es sei denn du hast was anderes vor, oder deine Familie wartet auf dich…”
“Nein, keine Familie… ich meine ja, wir können gern etwas trinken gehen.” stotterte sie vor sich hin - Himmel noch mal! Reiß dich zusammen! - schimpfte sie mit sich selbst. Julian lachte wieder dieses melodische Lachen, an das sie sich noch viel zu gut erinnern konnte, ihr Magen krampfte sich zusammen. Wie sollte sie das jetzt überstehen? Der Mann, den sie über alles liebte, kam nach 18 Jahren einfach so vorbei um mit ihr über alte Zeiten zu plaudern und Wein zu trinken… irgendwas stimmte hier ganz gewaltig nicht!
“Okay! Dann lass uns gehen.” wie selbstverständlich legte er einen Arm um ihre Schultern, Charly erstarrte, doch er schien das gar nicht zu merken
“Gibt es diesen kleinen Italiener noch? Den am Hove Park?” fragte er beiläufig.
“Ja…” sagte sie leise “Den gibt es noch.” sie wäre am liebsten weggerannt, sie waren früher oft bei “Gino´s” gewesen , dort hatte er sie das erste Mal geküsst, das würde sie nie vergessen.
Sie schielte ihn vorsichtig von der Seite an, sie musste sich noch mal vergewissern, war das tatsächlich Julian Chastain, der da neben ihr ging? Es war unfassbar!
“Charly?!” hörte sie ihn plötzlich ihren Namen sagen. Sie schrak auf, sie war so in Gedanken versunken gewesen das sie gar nicht gehört hatte was er sagte.
“Entschuldige, was sagtest du?”
“Ich fand deinen Auftritt wirklich toll! Du hast ja schon immer gut Gitarre gespielt, aber was du da auf der Bühne machst ist einfach genial!”
Sie lächelte schüchtern.
“Was hast du hier in Brighton zu tun? Ich dachte du wolltest nie wieder zurückkommen?” fragte sie ihn dann.
“Naja, ist was berufliches. Am Hafen wird doch das neue Einkaufscenter gebaut, unsere Firma hat den Auftrag und der Bauleiter ist krank geworden, da bin ich für ein paar Tage für ihn eingesprungen, nichts aufregendes also.”
“Oh.” sagte Charly nur. Natürlich war er nicht ihretwegen hier, allein der Gedanke war absurd, trotzdem gab es ihr einen leichten Stich, das er das so leichthin sagte.
“Wir sind da.” sagte sie, als sie vor der kleinen Pizzeria standen.
“Hier hat sich in den ganzen Jahren aber wirklich nichts verändert.” sagte er grinsend. Er nahm ihre Hand und zog sie in das Lokal.
“Sieh mal, da hinten, das ist doch die Nische, in der wir immer gesessen haben.” Er steuerte den Tisch an und rutschte auf die Bank, Charly zog er einfach neben sich.
- Das wird immer verrückter - dachte Charly, ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen, hier hatten sie immer gesessen, hier hatte er das erste Mal ihre Hand genommen und sie geküsst… wenn sie die Augen schloss spürte sie immer noch seine warmen, sanften Lippen auf den ihren, verträumt legte sie einen Finger auf ihre Lippen und zuckte zusammen, als sie merkte was sie da tat.
“Tja, Charly, nun sitzen wir wieder hier, als wir uns das letzte Mal sahen, waren wir noch halbe Kinder und nun sieh uns an… ich hab neulich bei mir das erste graue Haar entdeckt” er grinste schelmisch.
- Als wüsstest du nicht, wie gut du aussiehst - dachte sie. Der Kellner kam und sie bestellten eine Karaffe südafrikanischen Rotwein.
Mit zitternden Fingern nahm Charly ihr Glas und trank es in einem Zug leer, sie kniff die Augen zusammen, doch als sie sie wieder öffnete saß Julian immer noch neben ihr. - Verrückt - war alles was ihr dazu noch einfiel.
“Wow, du hast aber durst.” grinste er und schenkte ihr nach.
“Erzähl mal, was hast du ganzen Jahre gemacht!” forderte er sie auf.
“Was ich gemacht habe?” sie räusperte sich, was sollte sie ihm erzählen, das sie immer noch morgens als erstes und abends als letztes an ihn dachte, das sie unzählige Tränen seinetwegen vergossen hatte, das sie seit 15 Jahren ein und denselben Song spielte, weil der sie an ihn erinnerte?
“Oh, soviel gibt’s da gar nicht zu erzählen” begann sie zögernd, “Ich arbeite in einer Werbeagentur hier in Brighton, das ich immer noch Musik mache weißt du ja bereits, naja und 2 x die Woche gebe ich Kindern Gitarrenunterricht… sonst plätschert mein Leben so vor sich hin, nichts aufregendes.” sie lächelte ihn kurz an und nahm noch einen großen Schluck aus ihrem Weinglas.
“Das ist alles?” hakte er nach, “wir haben uns fast 18 Jahre nicht gesehen… was ist mit Familie? Bist du inzwischen verheiratet? Hast du Kinder? Laß dir nicht alles aus der Nase ziehen.” er knuffte ihr freundschaftlich in die Schulter.
“Ich… ich hab keine Familie, ich hab nie geheiratet. Du weißt ja… ich liebe meine Freiheit, das ist noch immer so.” sie schaute ihn nicht an bei diesen Worten, er würde sofort merken das sie log. Sie hatte ihn damals verlassen, weil sie sich noch nicht bereit fühlte für eine feste Beziehung, sie wollte ihre Freiheit geniessen, erstmal erwachsen werden, sie war erst 17 Jahre damals und die Welt stand ihr offen, sie wollte reisen, feiern gehen, Karriere machen, musikalisch voll durchstarten, sie liebte Julian schon damals, doch fest binden wollte sie sich nicht. Julian hatte das hart getroffen, er war 3 Jahre älter als sie und er wäre für sie über glühende Kohlen gelaufen, doch damals war Charly nicht bewusst wie stark ihre Gefühle für ihn wirklich waren, das wurde ihr erst klar als es zu spät war. Jetzt würde sie alles dafür geben um mit ihm noch mal neu anfangen zu können, doch sie wusste das er inzwischen verheiratet war und Kinder hatte, und sie würde sich nie in eine Ehe drängen, wahrscheinlich würde sie sich da auch mehr als lächerlich machen, Julian würde nie die Frau hintergehen die er liebte.
“Hm, das find ich schade. Eine eigene Familie zu haben ist wirklich wundervoll, wenn du deine Kinder aufwachsen siehst… das gibt einem soviel.” er lächelte glücklich und Charly hatte das Gefühl sich jeden Moment übergeben zu müssen, es war schon schlimm genug gewesen von anderen zu erfahren das er geheiratet hatte, es von ihm selbst zu hören verursachte ihr echte Übelkeit.
“Es freut mich für dich, das du so glücklich bist.” sagte sie leise und mehr zu ihrem Weinglas, als zu ihm.
“Glücklich bist du hoffentlich auch.” sagte er und strich ihr über die Wange. Charly hielt den Atem an, sie schloß für eine Sekunde die Augen und genoss seine Haut auf ihrer.
- Bitte tu das nicht - dachte sie, “Ich bin glücklich.” war das was sie laut sagte und es war schon wieder eine Lüge.
“Wie geht es eigentlich Marc?” fragte er dann und die Situation entspannte sich. Sie redeten eine ganze Weile über alte Bekannte aus ihrer Schulzeit und was aus ihnen geworden war. Charly wurde langsam lockerer, sie genoss das Gespräch mit ihm und die Vertrautheit die noch immer zwischen ihnen herrschte, obwohl sie sich fast 2 Jahrzehnte nicht gesehen hatten.
“Julian, sei mir nicht böse, aber ich glaube, so langsam sollte ich Heim gehen.” Charly schaute auf die Uhr und sie war überrascht das es schon weit nach Mitternacht war. Julian nickte.
“Okay, ich begleite dich noch.” er zahlte die Rechnung und zusammen verließen sie das Restaurant.
Schweigend liefen sie nebeneinander her, doch dieses Schweigen war nicht bedrückend, jeder genoss die Gegenwart des anderen.
“Wir sind da.” sagte Charly, als sie vor dem kleinen Häuschen standen in dem sie lebte, vor der kleinen Veranda blieben sie stehen.
“Julian, ich weiß nicht was ich sagen soll, es war unglaublich dich nach so langer Zeit wieder zu sehen.” sie lächelte ihn an. Er nahm ihr Hände in die Seinen.
“Ich hatte gehofft wir könnten uns morgen noch mal sehen, ich bin ja die ganze Woche hier und ich würd gern ein wenig Zeit mit dir verbringen… wenn das ok für dich ist?” er sah sie an und Charly musste schon wieder schlucken, am liebsten hätte sie sich jetzt in seine Arme geworfen und ihn geküsst, doch alles was sie sagte war “klar… warum nicht, ich hab morgen Zeit.” Sie würde 3 Termine, davon 2 wichtige, verschieben müssen, aber das war ihr egal, sie würde jede Sekunde mit ihm auskosten, das würde alles sein was sie für den Rest ihres Lebens von ihm bekommen würde und das würde sie sich nicht nehmen lassen.
“Super!” freute er sich, “dann hole ich dich morgen Vormittag ab.” er gab ihr einen Kuß auf die Stirn, drehte sich um und ging.
Charly stand da, sie starrte ihm nach, sie hatte immer noch das Gefühl in einem Traum gefangen zu sein, was war da überhaupt passiert? War überhaupt irgendwas passiert?
Sie musste schlafen, morgen würde die Welt wieder anders aussehen, das war alles so irreal. Langsam setzte sie sich in Bewegung, stieg die 2 Stufen zur Veranda hoch und schloß die Haustür auf. Sie ging ohne Umwege in ihr Wohnzimmer, legte sich, so wie sie war auf die Couch, zog sich die Wolldecke über den Kopf und wartete auf den erlösenden Schlaf, der sich lange Zeit nicht einstellen wollte.
Nach einer scheinbar nie enden wollenden Nacht, mit kurzen von Alpträumen geplagten Schlafphasen erhob Charly sich von ihrem Nachtlager. Sie rieb sich den schmerzenden Nacken, der auf der unbequemen Couch ziemlich gelitten hatte.
- Erstmal einen Kaffee - dachte sie und machte sich auf den Weg in ihre kleine, aber gemütliche Küche. Gedankenverloren füllte sie Wasser und Kaffeepulver in die Maschine, ihr Blick wanderte aus dem Fenster, die Sonne strahlte und die Vögel sangen um die Wette. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen. Julian war wieder da… in wenigen Stunden würde sie ihn wieder sehen, auch wenn sie nur Freunde sein konnten, wollte sie diese Zeit mit ihm in vollen Zügen auskosten.
Sie seufzte und griff zum Telefon, sie hatte noch einige Termine zu verschieben.
“Wer ist wieder da?” fragte Marc irritiert
“Julian ist in der Stadt, ich hatte mich gestern nicht geirrt, er stand tatsächlich in der Menge und wir werden uns heute sehen.” erzählte sie ihrem besten Freund freudig am Telefon.
“Was? Charly bist du verrückt?! Tu dir das nicht an, du weißt doch das er eine Familie hat, er ist nicht mehr frei! Ich hör doch, das du dir völlig sinnlos Hoffnungen machst.” sagte er warnend zu ihr.
“Ich dachte du würdest dich für mich freuen.” erwiderte sie enttäuscht.
“Freuen? Charly ganz ehrlich, du bist meine beste Freundin und ich kann dir jetzt schon voraussagen wie das enden wird. Du wirst wieder ein Häufchen Elend sein und es wird wahrscheinlich noch mal 18 Jahre dauern bis du darüber hinweg bist… das machen MEINE Nerven nicht mit. Charly komm endlich über diesen Typen hinweg!” Marc klang wütend, er machte sich ernsthafte Sorgen um sie.
“So ein Quatsch, ich weiß doch ganz genau das er nicht meinetwegen hier ist und wir nur Freunde sein können, ich mach mir da nichts vor.” konterte sie, doch irgendwo tief in ihr drin, war ein kleines Flämmchen entzündet das sich Hoffnung nannte, noch war es nur ein Glimmen, doch es konnte schnell ein Feuer daraus werden, das sie verbrennen könnte.
“Ich hoffe es! Ich hoffe es wirklich!” seufzte Marc, sie plauderten noch eine Weile über Belanglosigkeiten und besprachen in welchem Hotel sie einchecken sollten, wenn sie in 2 Wochen ihren Auftritt in York hatten.
Charly war nachdenklich nachdem sie aufgelegt hatte. War es wirklich eine gute Idee, die Zeit mit ihm zu verbringen? Verrannte sie sich nicht in etwas? Sie schüttelte energisch ihren Kopf, es war Zeit sich zurechtzumachen, sie wusste schon was sie tat. Charly duschte heiß und lange, sie genoss es wie das heisse Wasser über ihren Körper prasselte, es war als wenn alle Sorgen weggespült würden, sie bekam wieder einen klaren Kopf und die Verwirrung wich so langsam. Sie hüllte sich in ein kuscheliges Badelaken und machte sich daran ein passendes Outfit auszusuchen. Kurze Zeit später betrachtete sie ihr Werk im Spiegel und sie war durchaus zufrieden mit sich. Sie trug ein weites, weißes Sommerkleid, was ihre weiblichen Formen gut zur Geltung brachte, ihr Make up war dezent, betonte aber trotzdem die braunen Augen und die vollen Lippen, die langen blonden Locken hatte sie zu einem lockeren Zopf zusammengebunden, ein paar Strähnen fielen ihr ins Gesicht. - Meine Güte - dachte sie plötzlich - Julian wäre es vermutlich total egal was sie trug, sie hätte auch in Jeans und T-Shirt erscheinen können, es war nur eine Verabredung unter Freunden, anscheinend fiel es ihr doch schwerer das zu akzeptieren, als sie dachte.
Es läutete und Charly verwarf all diese Gedanken, in ihrem Magen flatterten plötzlich 1000 Schmetterlinge, alle guten Vorsätze waren mit einem Schlag vergessen. Langsam zählte sie bis 10, er sollte auf keinen Fall denken, das sie schon hinter der Tür gestanden und gewartet hatte.
Sie öffnete, Julian sah mal wieder perfekt aus, er trug eine helle, weite Leinenhose, ein weißes, ziemlich enges, Shirt, durch das sie viel zu gut seinen gut gebauten Oberkörper erahnen konnte, die Haare hatte er mit einer Sonnenbrille zurückgeschoben. Charly wurde schwindelig als er sie zur Begrüßung umarmte und sie den herben Duft seines After Shaves roch.
Julian drückte sie kurz an sich, er nahm ihre Hand uns sah sie an.
“Gut siehst du aus” sagte er mit einem lächeln im Gesicht. - Viel zu gut… - dachte er bei sich.
So langsam zweifelte er daran, das es eine gute Idee war sie in Brighton zu besuchen. Er wollte eine alte Freundin besuchen, doch als sie gestern vor ihm stand, noch in ihrem Bühnenoutfit, war er sofort wieder fasziniert von ihr, das war schon vor fast 18 Jahren so gewesen, sie hatte ihn damals nur angesehen, auf dieser Party seines Kumpels, und schon war es um ihn geschehen gewesen, damals wusste er sofort, das Charly die Eine für ihn war. Ihre Augen nahmen ihn sofort gefangen und er konnte den ganzen Abend den Blick nicht von ihr wenden. Es hatte eine Weile gedauert bis sie seine Blicke spürte und erwiderte, sie lächelte ihn offen an und ging auf ihn zu. Sie unterhielten sich den Rest des Abends angeregt, und stellten soviele Gemeinsamkeiten fest, für den nächsten Tag lud er sie zum Eis essen ein und seitdem waren sie unzertrennlich, zumindest für ein Jahr. Plötzlich distanzierte sie sich aber immer mehr von ihm, kurze Zeit später beendete sie die Beziehung, da sie, ihrer Aussage nach, mehr Freiheit brauchte und nicht bereit für eine feste Beziehung war.
Es brach ihm damals das Herz und es ging ihm hundeelend, kurze Zeit später verließ er Brighton und setzte sein Studium in York fort, dort lernte er Sue kennen, er verliebte sich und schon kurze Zeit später war er verlobt und verheiratet, er bekam in Leeds Arbeit in einer großes Baufirma und war dort bis heute tätig.
Er hatte sich geschworen nie wieder nach Brighton zurückzukehren und hatte sich bis heute daran gehalten, leider blieb ihm nun keine Wahl, da es keinen anderen Ersatz für den kranken Mitarbeiter gab. Er hatte lange hin- und her überlegt ob er Charly besuchen sollte, es war fast zwei Jahrzehnte her das sie sich das letzte Mal gesehen hatten, er wusste nicht was aus ihr geworden war und ob es ihr überhaupt recht war, wenn er plötzlich, wie aus dem Nichts, wieder in ihrem Leben auftauchte. In Zeiten des Internets war es dann ein leichtes herauszufinden, wie er sie finden konnte. Sie machte immer noch Musik, sogar recht erfolgreich, das sie ausgerechnet an diesem Abend einen Auftritt in ihrer Heimatstadt hatte, war mehr als ein glücklicher Zufall für ihn. Er konnte sie erstmal aus der Ferne beobachten und dann spontan entscheiden ob er sie ansprechen würde. Als er sie dann sah, wie sie auf der Bühne stand, konnte er gar nicht mehr anders. Er wollte mit ihr reden, hören wie es ihr ging, was sie machte. Sie sah immer noch so wunderschön aus wie damals, sie war älter geworden, dabei aber noch schöner. Sie war kein niedliches Mädchen mehr, sondern eine erwachsene, sehr sexy aussehende Frau. Die blonden Locken, die heute viel länger waren als damals, wirbelten ihr um die Schultern als sie über die Bühne tanzte. Wahrscheinlich wusste sie gar nicht mehr wer er überhaupt war und würde ihn für einen irren Stalker halten, doch zu seiner Überraschung, erkannte sie ihn sofort wieder, sie schien allerdings ziemlich fassungslos ihn wieder zu sehen, aber bei der langen Zeit war das auch nicht anders zu erwarten gewesen.
Wie sie jetzt so vor ihm stand in diesem atemberaubenden Kleid, das ihre weiblichen Kurven sehr betonte, kostete es ihn seine ganze Kraft auf Abstand zu bleiben. Es durfte nicht mehr als Freundschaft zwischen ihnen sein, das war ihm von Anfang an klar gewesen, aber das er nach so langer Zeit noch so extrem auf sie reagierte hätte er nicht gedacht, am liebsten hätte er sie in seine Arme genommen, sie wild geküsste und den Rest des Tages mit ihr in ihrem Schlafzimmer verbracht. Er schüttelte den Kopf, so was würde nie passieren, er würde konsequent bleiben, auch wenn es ihn seine ganze Kraft kostete. Er atmete tief ein und versuchte seine Gedanken wieder in dir richtige Richtung zu lenken.
“Wie wäre es mit einem Tag am Brighton Pier?” fragte er sie.
“Gern!” nickte sie. Sie stiegen in seinen Wagen und fuhren los.
Charly wollte sich heute keine Gedanken machen über das was richtig war und was nicht, sie wollte nur die Zeit mit ihm auskosten.
Nachdem sie eine Weile herumgelaufen waren und das bunte Treiben beobachtet hatten, nahmen sie sich 2 Liegestühle und machten es sich dicht nebeneinander gemütlich.
Sie hatten eine Weile einfach nur dagelegen und geschwiegen, als Charly sich etwas zur Seite drehte und ihn ansah. Er hatte die Augen geschlossen und genoss die Sonne. Charly hätte ihn am liebsten zärtlich mit den Fingerspitzen an der Wange berührt, vorsichtig streckte sie die Hand aus, zog sie dann jedoch schnell wieder zurück.
“Julian.” begann sie leise.
“Hmmm.” murmelte er schläfrig.
“Hast du dich jemals gefragt, was aus uns geworden wäre, wenn alles anders gekommen wäre… ich meine wenn ich nicht… wenn ich.” sie brach ab und merkte wie sie rot wurde. Julian öffnete die Augen und drehte sich zu ihr.
“Ja.” sagte er und lächelte sie an, “das hab ich, sogar öfter als gut für mich war…” er drückte ihre Hand und sah sie offen an, “aber das ist nun alles schon so lange her, wir haben beide unsere Leben weitergelebt und ich finde es schön, das wir jetzt einfach Freunde sein können.”
“Ja.” antwortete sie nur, sie schluckte - Freunde - dachte sie, schmerzlich holte er sie mit diesen Worten wieder in die Realität zurück.
Julian sah auf die Uhr, es war früher Abend geworden.
“Sag mal wie wäre es wenn wir noch ein wenig übers Stadtfest bummeln, dort eine Kleinigkeit essen und in einem der Festzelte vielleicht noch einen Wein trinken?” fragte er lächelnd. Charly schluckte den Kloß, der ihr gerade im Hals zu stecken schien tapfer herunter. Sie nickte zustimmend.
Die Stadt war brechend voll, sie wühlten sich durch die Menschenmengen und waren reichlich erschöpft als sie in eins der Festzelte gelangten.
“Dort drüben ist noch ein Platz frei.” Julian zeigte auf einen langen Tisch an dem Bänke standen, Charly setzte sich, während Julian sie mit Getränken versorgte. Eine Band spielte und es wurde auf der kleinen Tanzfläche ordentlich getanzt.
“Na, was hälst du als Fachfrau von der Band?” fragte er grinsend.
“Die sind gut.” sagte Charly lachend, “der Gitarrist ist zwar lange nicht so gut wie ich, aber ansonsten sind sie ganz ok…” sie zwinkerte ihm zu.
“Aha… an Selbstbewusstsein scheint es dir ja nicht zu mangeln.” Julian musste lachen. Einen Moment schwiegen sie und tranken ihren Wein.
“Hast du Lust zu tanzen?” fragte er dann. Er hatte eine Weile überlegt ob er es wagen sollte sie aufzufordern, sie so nah bei sich zu haben, könnte seine guten Vorsätze stark ins wanken bringen, doch die Band schien ausschließlich schnelle Stücke zu spielen, also bestand keine Gefahr das sie sich zu nah kamen.
Charly wollte gerade einen Schluck aus ihrem Glas nehmen als er sie fragte und sie hielt mitten in der Bewegung inne.
“Tanzen?” fragte sie zweifelnd. Das würde nie gut gehen! Julian nickte, er wartete nicht auf eine Antwort, sondern griff nach ihrer Hand und zog sie einfach mit sich. Charly wusste gar nicht wie ihr geschah und war so schnell zu keiner Reaktion fähig, ehe sie sich versah stand sie schon auf der Tanzfläche und wurde von ihm herumgewirbelt. Sie schnappte nach Luft und wollte schon protestieren, als sie nach der Drehung wieder sicher in seinen Armen landete. Er lachte und schon wurde sie wieder herumgewirbelt. Sie entspannte sich und ließ sich von ihm führen, sie harmonierten immer noch wunderbar und es war als würden sie schon seit Jahren miteinander tanzen. Sie lachten, waren ausgelassen und wild. Für diesen Moment waren sie einfach nur sie selbst, Charly und Julian und nichts stand zwischen ihnen.
Einen Moment später spielte die Band plötzlich doch ein langsames Lied, Charly schrak auf, sie spürte wie Julian zögerte und sie wollte die Tanzfläche schnurstracks verlassen - Bitte nicht, das wird die Hölle für mich - dachte sie, als er sie wieder in seine Arme zog. Sie wollte das nicht, das war einfach zuviel, wie sollte sie denn da stark bleiben, tanzten gute Freunde denn wirklich so miteinander, auf diese Art? Sie glaubte eher nicht. Doch seine Arme hielten sie fest, er drückte sie dicht an sich, Charlys Körper versteifte sich, doch als sie seinen Duft so intensiv einatmete, seine Hände auf ihrem Rücken und seinen Atem an ihrem Haar spürte, gab sie auf. Es hatte keinen Zweck sich dagegen zu wehren, sie war verloren. Sie spürte Tränen aufsteigen, es war ihr nicht möglich ihm nur eine gute Freundin zu sein, dafür liebte sie ihn viel zu sehr. Sie durften sich nicht mehr sehen, sonst würden sie auf eine Katastrophe zusteuern, die Charly nicht unbeschadet überstehen würde, er würde in ein paar Tagen wieder Heim fahren zu seiner Familie und sie würde zurückbleiben, allein. Julians Hände glitten zärtlich über ihren Rücken, sie schmiegte sich an ihn, ihre Hände lagen auf seiner Brust und sie spürte wie durchtrainiert er war, ein kleiner Seufzer entglitt ihr. Wie es sich wohl anfühlen würde wenn er kein Shirt tragen würde, wenn keine störenden Stoffschichten zwischen ihnen wären. Julians Hand war inzwischen an ihrem Haaransatz angekommen, sie spürte wie er sich noch dichter an sie drängte, konnte das sein? Das war Einbildung! Wahrscheinlich war sie es selber, die sich gerade furchtbar aufdringlich benahm. Egal, nur noch einen Augenblick seinen Duft und seine Berührungen geniessen.
Sie spürte seine Lippen auf ihrem Haar und sie merkte das sie sich beide nicht mehr bewegten, sie standen einfach nur da und hielten sich. Verwirrt hob Charly den Kopf und sah ihn an, ihre Blicke trafen sich und sie schauten sich tief in die Augen. Charly wollte weglaufen, doch sie konnte nicht, sie starrte ihn an und sah wie seine Lippen sich den ihren näherten. Ganz leicht war sein Kuß, sie spürte seine Lippen sanft auf ihrem Mund, es fühlte sich so gut und so richtig an, doch sie wusste das es falsch war, mehr als falsch. Sie wusste nicht wo sie soviel Willenskraft hernahm, alles was sie wollte war, das er nie aufhörte, doch sie drückte ihre Hände gegen seine Schultern und schob ihn von sich. Wortlos drehte sie sich um und ging. Sie verließ das Zelt und als sie draußen war fing sie an zu rennen, nur weg von ihm. Das funktionierte so nicht. Sie konnten nicht einfach nur Freunde sein. Was hatte das zu bedeuten, was war sie für ihn? Ein schnelles Abenteuer auf einer Geschäftsreise? Zuhause warteten Frau und Kinder auf ihn und er wollte sich hier mit seiner Jugendliebe amüsieren. Da würde sie nicht mitspielen, für so etwas war sie sich zu schade. Sie wollte ihn, mit jeder Faser ihres Körpers sehnte sie sich nach ihm, sie wollte mit ihm Zusammensein, aber nicht auf diese Art. Tränen rannen über ihr Gesicht, es war so ein schöner Tag gewesen, warum musste er so enden?

Julian sah ihr nach. Herrje, was hatte er sich dabei gedacht? Es hatte ihn einfach überwältigt sie in seinen Armen zu halten. Es fühlte sich so vertraut und doch völlig neu an. Ihr Körper hatte sich an seinen geschmiegt und er hatte einfach reagiert. Er war einfach nicht mehr er selbst wenn er mit ihr zusammen war. So etwas hätte nie passieren dürfen, das wusste er sehr genau. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und seufzte tief. Nie hätte er gedacht, das das Ganze so schwierig werden würde. Inzwischen gehörte er nach Leeds und Charly liebte immer noch ihre Freiheit… aus ihnen konnte nichts werden. Er merkte wie Trauer und Wut sich in ihm breit machten, warum musste denn nur alles so kompliziert sein?
Er würde Charly morgen aufsuchen und sich bei ihr für sein unmögliches Verhalten entschuldigen, aber heute abend wollte er sich nur noch betrinken! Er schob sich durch die Menschenmenge Richtung Tresen und bestellte ein Bier.


© Kimsophie74


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