Schaja und Lola ( eine Pferdegeschichte )


Der Lange, sein Name lautet Jürgen Kursch, hatte schon einige Wochen als Lehrling auf dem Gut Aga gearbeitet. Die Guts Arbeiter nannten ihn so, weil er von deneinjährigen Lehrlingen der Längste war.
Nach Feierabend und manchmal auch an den Wochenenden, stand er oft vor dem Guts Büro am Eingangstor. Von dort aus beobachtete er die ein – und ausfahrenden Pferdegespanne.
Eines Tages sprach ihn der Guts- Inspektor Stehfest an und fragte, ob er Freude und Interesse an Pferden habe? Der Lange sagte: „ Herr Stehfest, wir hatten zu Hause keine Pferde, und ich habe von Pferden keine Ahnung. Wir hatten nur Ziegen, Gänse und Kleintiere. Ich würde sehr gern mit Pferden arbeiten!“ Der Inspektor hörte sich das Gesagte an und erwiderte: „ Den Umgang mit Pferden kann man bei genügend Interesse erlernen.“
Stehfest ging mit dem Langen zu dem unteren Pferdestall. Das Gut hatte nämlich zwei Pferdeställe. Der untere Pferdestall befand sich in einem Scheunenkomplex.
Im Scheunenkomplex befanden sich drei Tore, wobei das mittlere, zweiflüglige Tor zum Pferdestall führte. Im Stall befanden sich zwei Abfohlboxen und zwei Langstände, für je ein Pferd.
Der Guts -Inspektor zeigte dem Lehrling die darin stehenden Pferde. Es stand dort eine Schimmelstute, die auf den Namen „Schaja“hörte, und „Lola“ die Fuchsstute.
Bei den Stuten handelte es sich um zwei Hannoveraner, am Flankenbrand, dem „H“und der Krone erkennbar.
Nun zeigte Stehfest dem Langen die Kumte und die Rückgeschirre.
Von Stund an gehörte der Lange nun zur Gilde der „Selbständigen“ und er wurde dadurch auch zu einer geachteten Person.
Jürgen führte mit seinen Stuten nur leichte Zug- und Pflegearbeiten durch. So z.B. eggen von gedrillten Getreide, Dünger streuen auf Koppeln mit anschließenden striegeln oder hacken von Rapsbeständen.
Der Guts- Inspektor achtete bei allen Pferden darauf, dass die Zugleistungen dem Zuchtprogramm sowie der Rasse angepasst waren.
Der Lehrling dachte, dass er mit den ihm anvertrauten Pferden keine Schwierigkeiten haben würde, aber weit gefehlt…
Die Pferde mochten ihren neuen Gespannführer nicht. Ein Beispiel dafür:Das Dorf Kleinaga lag in einer Senke. Nach Norden war ein Anstieg zu den Feldern.Beide Pferde blieben immer in diese Richtung nach dem halben Anstieg stehen.Es half einfach nichts, und mit der Peitsche wollte Jürgen sie nicht schlagen.
Nach 10 – 15 Minuten verging ihr „Rappel“ und sie zogen den Wagen wieder.
Der Lehrling hatte nach einigen Tagen eine innere Eingebung. Beim nächsten „Rappel“ der Pferde zog er Jacke und seinen Pullover aus, und befestigte diese Kleidungsstücke unter den Halftern der Stuten. Im „Blindflug“ zogen die Stuten den Wagen an Von nun an brauchte Jürgen nur zur Jacke zu greifen und die Post ging ab. Nach zwei Monaten hatten sich die Pferde an ihren Gespannführer gewöhnt, und es gab keinerlei Probleme mehr.
Als der Lange einmal krank war, sollte ein anderer Lehrling die Pferde übernehmen,jedoch sie blieben stehen und zogen nicht.
Da zog der Inspektor die Konsequenz und befahl, dass die Stuten auf die Koppel kommen bis der Lange wieder gesund ist.
Der Lange hütete das Geheimnis seiner Stuten und er war sogar stolz auf seinen Umgang mit Pferden. Die beiden Pferde folgten ihm aufs Wort, und er konnte oft mit den Beiden ohne Leine arbeiten.
Jürgen hatte zur Fuchsstute Lola einen besseren Kontakt als zu Schaja. Vielleicht lag es daran, dass Lola das Sattelpferd war und er generell neben ihr lief. Schaja war das Handpferd und sie wurde rechts angespannt.
Nun war der Herbst fast vorbei und die ersten Winterboten kündigten sich an.Die Mittagspause betrug jetzt für alle Guts Arbeiter eine Stunde. Die Lehrlinge bekamen ihr Mittagessen nicht auf dem Gut, sondern im Lehrlingswohnheim. Vom Gut bis zum Lehrlingswohnheim war es ein guter Kilometer Fußmarsch. Zu dieser Jahreszeit war die Straße gefroren, vereinzelt lag auch Schnee und es wurde selten einmal gestreut.
Jürgen hatte wieder einmal einen Einfall, den er aber niemanden sagte. Zum Frühstück machte er sich ein großes Stullenpaket, dass auch zu Mittag reichte. Er ging nicht zum Mittagessen und es fiel keinem auf!
Wenn die Pferde abgespannt und abgeschirrt waren zog der Lange an der Deckenluke und ein Bund Stroh fiel in die linke Abfohlbox. Jürgen nahm das Strohbund, schnitt es auf und verteilte es im Langstand von Lola.Er legte sich auf das saubere Stroh neben Lola, die fleißig Quetschhafer kaute.
Es ergab sich, dass der Lange auf dem Stroh einschlief. Wie ein Wunder, er wurde von Lola geweckt. Punkt ein Uhr weckte sie den Langen,indem sie mit ihren Oberlippen sein Gesicht berührte und dabei manchmal auch schnaubte. Wie ist ein solches Verhalten eines Pferdes bloß möglich? Auf dem rechten Gutscheunendach war ein kleines Türmchen indem sich eine große Uhr befand. Diese Guts-Uhr schlug zu jeder vollen Stunde, und sie wurde täglich vom Hufschmied aufgezogen. Lola hörte die Uhr schlagen und sie reagierte so, denn um ein Uhr wurde wieder angespannt. Man kann mit Fug und Recht sagen, es war eine reife Zirkusnummer.
Falls der Lehrling mal Zeit und Lust zum Ausreiten hatte nahm er Schaja. Erstens erwartete Lola ein Fohlen und selbst wenn sie nicht tragend war, man hatte kein Reitvergnügen mit ihr. Lola fiel immer vom Trab in den Schritt und zum Galopp konnte man sie nur sehr schwer bewegen.
Schaja war ganz anders. Sie lief große Strecken Galopp und traben konnte sie ausgezeichnet.
Nun war wieder Frühjahr und Lola hatte ein kleines Hengstfohlen abgefohlt. Das Hengstfohlen bekam noch keinen Namen und auch keinen Flankenbrand. Es sollte erst mit einem Jahr eine Vorbewertung bekommen. In dieser Mutterphase von Lola, hatte Jürgen eine weniger schöne Begebenheit:
Er hatte den Auftrag, mit seinen Pferden die sich schließenden Gemüseflächen, nahe des Sees, zu hacken. Jürgen nahm einen „Igel“, eine Hackmaschine. Mit derselbigen konnte nur einspännig gearbeitet werden.
Da Lola besser zwischen dem Salat und den Gurken lief und auch nicht anruckte,nahm der Lange sie zum hacken.
Schaja strengte er einseitig aus, und den Tafelwagen bremste er noch an. Die Arbeit ging flott voran. Es waren schon einige Stunden vergangen, und es ging auf Mittag zu. Lola blieb jetzt öfter stehen, sie wurde unruhig, und aus ihrem Euter tropfte schon die erste Milch. Zur Mittagszeit säugte immer ihr Fohlen. Der Lange hatte die Leine an der Kummetspitze befestigt, da sie auf jedes Kommando hörte.
Der Lehrling ging nicht auf ihre Situation ein, er wollte noch den Rest der Fläche bearbeiten.
Er war sehr unvernünftig. Als die Stute erneut stehen blieb, nahm er einen Erdklumpen und warf ihn auf ihre Kruppe. Lola erschrak sich und die „Post ging ab.“ Im Galopp mit umgeworfener Hackmaschine ging es bis hoch zur Straße. An der Straße, am Wagen, stand Schaja und wartete schon auf ihre Gefährtin. Der Lange war nicht in der Lage, den „Igel“ zu halten.
Das Ergebnis, eine Schneise der Verwüstung. Salatköpfe, Gurkenranken und Gurkenblätter lagen zerschlagen und zertrampelt auf diesem Streifen.
Der Lehrling versuchte Lola zu beruhigen, aber es gelang ihm nicht so richtig. Sie war unruhig, und sie wollte sich nicht anspannen lassen. Er rieb sie trocken und es ging danach zum Gut, wo schon ihr Fohlen wartete.
Jürgen ließ sie in die Box in der ihr Fohlen ungeduldig wartete. Der Lange ging nicht zum Mittagessen, denn er hatte gegenüber der Stute etwas gut zumachen. Er redete auf die Stute ein, aber sie ignorierte ihn.
Plötzlich und unerwartet kam sie an die Gitterstäbe und rieb mit ihrer Stirn an ihnen. Sie hatte ihrem Gespannführer vergeben. Diese Begebenheit nahm sich Jürgen sehr zu Herzen. Ihm fiel eine schwere Last von seinem Herzen und er war glücklich.
Einige Tage später fragte der Inspektor den Langen, ob es beim Hacken der Gemüseflächen etwas besonderes gegeben habe.
Der Lange berichtete von diesem Vorfall, denn der Inspektor hatte schon Kenntnis davon. Stehfest schimpfte nicht mit dem Langen, er bestieg seine „Puch“ und fuhr wieder von dannen.
Jürgen hatte noch andere Erlebnisse mit seinen getreuen Pferden. In seinen Erinnerungen haben sie einen bleibenden Platz gefunden…


© Jürgen


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Kommentare zu "Schaja und Lola"

Re: Schaja und Lola

Autor: Uwe   Datum: 22.01.2015 15:09 Uhr

Kommentar: Jürgen, deine Kenntnisse und genauen Schilderungen dieser Dinge (im Verbund mit deinem gutem Schreiben) sind mir sehr lieb und ungemein wert!
LG Uwe

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