In der schlechten Zeit, nach 1945, musste jeder sehen, wie er etwas Essbares auftreiben konnte. Viele Vorstadtbewohner gingen stoppeln, und das Gestoppelte verfütterten sie an ihre Tiere. Sie hielten sich hauptsächlich Kaninchen, Hühner, Enten und Gänse.
Es war an einem Karfreitag, und Jürgens Mutter kam mit einem Karton vom Friseur Braun zurück. Beim Friseur Braun wurde getauscht, gekauft, geschoben und verhökert. Der
„ Schwarzmarkt“ in Erfurt, auf dem Domplatz, war gar nichts dagegen!
Im Karton befanden sich fünf kleine Gössel der Rasse „Diepholzer. Es ist eine kleine Gänserasse, und die Tiere dieser Rasse sind sehr beweglich.
Die Gössel wurden nun in der Wohnküche gehalten. Sie befanden sich in einer großen Holzkiste, die vorn Holzstäbe und einen Trog hatte. Die Holzkiste stand unter dem Herd auf dem Ofenblech.
Die Einstreu, feine Siede sowie Ölpapier wurden Tag für Tag erneuert. Unter dem Herd, der gusseiserne Beine hatte, befand sich noch das Körbchen von Minka, der Katze. Trotz alledem wurde auf allen vier Feuerstellen des Herdes gekocht.
Für Jürgen war auch nun die wenige Freizeit futsch! Er musste zusätzlich zu den täglichen Arbeiten noch früh und abends Brennnesseln sammeln.
Als die Gössel das Alter von sechs Wochen hatten, kamen sie in den Hausgarten unter ein Drahtgestell. Zur Nacht kamen sie in den Hühnerstall.
Nun begann für Jürgen die Zeit des „Gänsehütens.“
Bis zu den ersten Feldern und Wiesen waren es 1,5 km. Es ging durch das Dorf, und ein
Stück der Bahnstrecke entlang. Jürgen sah wie ein Musketier aus.
Auf seinem Rücken trug er einen Schulranzen mit einer Regenpelerine. In der linken Hand trug er einen Reifeisensack, in dem sich ein Unkrautstecher befand, und in der rechten Hand hatte er einen Weidenstock.
Seine Aufgaben bestanden darin, die Junggänse zu hüten, Ziegen- und Kaninchenfutter zu suchen und die Schularbeiten zu erledigen. Nach kurzer Zeit bekam er alles in den Griff.
Am meisten Angst hatte er davor, dass ihm jemand die Gänse wegnehmen könnte.
Seine Mutter hatte zu ihm gesagt: „Komme mir ja nicht ohne Gänse nach Haus.“
Nach einigen Wochen durfte er nun Prinz zum Hüten mitnehmen. Dieser war zwar nur ein Mittelschnauzer, aber Fremden gegenüber konnte er ein Giftzwerg sein. Jürgen fühlte sich nun von Stund an sicherer.
Die Junggänse gewöhnten sich schnell an ihren Hirten. Jede Gans hatte ihre Marschordnung bzw. ihren Platz im „Gänsemarsch.“ Falls eine Gans nicht an ihrem Stammplatz marschierte, wurde sie weg gebissen.
Zum Hüteplatz ging es immer im „Gänsemarsch“ und Felix, der Ganter, führte immer die Gänsekolonne an.
Mit Felix gab es als Gössel einige Probleme. Er war der Kleinste, und er wurde von den anderen Gösseln vom Futter verdrängt.
Felix wurde besonders gefüttert bzw. es erfolgte eine Handaufzucht.
Der Umgang mit uns hatte zur Folge, dass Felix sehr zahm wurde. Man konnte ihn am Kopf und am langen Hals streicheln. Falls man sich hinkauerte, knabberte er mit seinem Schnabel alles an.
Die Gänse machten ihm alles nach. Wenn der Ganter mit den Flügeln schlug und trompetete,
schlugen die Gänse auch mit ihren Flügeln. Setzte er sich nach dem Grasen, setzten sich seine Frauen auch.
Die Gänse setzten sich immer im Halbkreis, um ihren Hüter, und lauschten den Mundharmonikaklängen.
Einige Male hütete Jürgen seine Gänse auf dem Dorfanger. Dort waren in der Regel acht bis zehn Gänsetrupps. Felix vertrieb die fremden Gänse von seinen Frauen, und oft legte er sich mit fremden Gantern an. Bei diesen Rangkämpfen blieb er fast immer der Sieger.
Die anderen Gänsebesitzer waren verärgert, und so blieb Jürgen dem Dorfanger fern.
Felix konnte sich auch sehr freuen. Das kann darin zum Ausdruck, dass er seinen Kopf hob und diesen im Rhythmus bewegte. Dabei umkreiste er laut schnatternd seinen Hüter.
Nun war der Herbst gekommen, und die erste Gans sollte geschlachtet werden. Jürgen fragte seine Mutter, ob er Felix behalten dürfe, und sie willigte ein. Eine Gans nach der Anderen wurde geschlachtet, und Felix blieb übrig.
Jetzt, wo er keine Gänse mehr hatte, war er wieder stark auf Jürgen und Prinz geprägt.
Er ging mit zum Ziegen füttern, in den Hühnerauslauf, und wenn Jürgen Heu aus dem Schuppen im großen Garten holte, war er ebenfalls dabei.
Bis zum Garten waren es immerhin zwei km, und Felix watschelte neben dem Schlitten her.
Oft blieb Felix hinter dem Schlitten zurück, denn Jürgen und Prinz liefen forsch, dann rannte der Ganter flügelschlagend hinterher, bis er die Beiden wieder erreicht hatte.
Sein Verhalten glich eher einem Hund, als dass einem Ganter.
Nun war es schon Ende Januar. Jürgen fütterte jeden Tag, vor der Schule, alle Tiere.
Doch wo war Felix an diesem Tag? Aus dem Stall konnte er nicht weglaufen, wurde er gestohlen?
Jürgen ließ das Füttern sein und lief zu seiner Mutter. Sie kam ihm zuvor und sagte:
„Felix wurde vom Nachbarn Wachenbrunner geschlachtet.“
Seine Mutter hatte einfach ihr gegebenes Versprechen nicht eingehalten. Der Junge dachte danach noch viele Tage an seinen Felix, und ihn überfiel eine große Traurigkeit.
Der Ganter war für Jürgen ein richtiger, guter Kamerad und ein amüsanter Spielgefährte gewesen. Er hinterließ eine große Lücke, trotz aller anderen Tiere…
Kommentar:Lieber Jürgen so allerliebste Zeilen ... Sie können wahrhaftig sich zu einem sehr treuen Partner entwickeln, zog auch hier mal einen groß, er ging überall mit uns spazieren und unser Hund war sein bester Freund ... ich kann deinen Schmerz nachfühlen! LG!
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