Jopi, der Feldhase

Jopi war ein alter Feldhase. Er hatte schon viele Sommer und Monde überlebt.
Trotz seines Alters war er noch ein großer, kräftiger Rammler, der immer noch alle Paarungskämpfe im Frühjahr gewann. Die Treibjagden im Herbst überstand Jopi auch jedes Jahr unbeschadet.
Seine Taktik bestand darin, dass er sich fest in die Furche drückte und leblos verharrte, bis die Jagd beendet war.
Seine Artgenossen, die jungen Hasen, sprangen immer auf und wurden dadurch
leichte Beute der Jäger.
Der Feldhase hatte auch ein besonders Merkmal. Seine beiden Ohren hatten einen
schwarzen Außenrand. Die Zeichnung der Natur war einmalig, und bei anderen Hasen nicht vorhanden. Diese Säumung der Ohren löste bei seinen Artgenossen Respekt und eine gewisse Angst aus.
Jopi bewohnte einen Heckenstreifen, in dem Feldahorn, Schlehen, Holunder,
Brombeeren und Heckenrosen wuchsen.
Dort hatte er auch seine Sasse bzw. sein Lager.
Schräg über seinem Lager in einem Schlehenbusch hatte ein Zilpzalp sein Nest
errichtet.Im späten Herbst bekam der Hase immer Besuch von Fasanen, die sich die Beeren schmecken ließen.
Nun war der Winter schon einige Wochen im Land. Er hatte die Feldflur reichlich
mit Schnee und Eis bedeckt.
In seinem Heckenstreifen fand der Hase nichts fressbares mehr, und die Baumrinde
vom Feldahorn und Holunder war für Hasen nicht genießbar.
Zur Futtersuche musste Jopi den sicheren Heckenstreifen verlassen und weit auf
die Feldflur hoppeln.
Seine Futterstelle war ein Feld mit Winterroggen und blauen Wicken. Die Saat war
durch die Schneelast an den Boden gedrückt und manche Roggenbüschel waren angefroren. Der Hase musste mühselig den Schnee wegkratzen, um an die junge Saat zu gelangen.
Er machte beim Kratzen öfter Pausen, und sein Atem war weithin sichtbar.
Plötzlich und unerwartet landete eine schwarze Krähe neben ihm auf der
Schneedecke. Die Krähe bewegte im Rhythmus ihre Flügel und rief hörbar
„Krah, Krah“. Der Hase war so mit seiner Arbeit beschäftigt, dass er die Krähe gar nicht bemerkte. Seine sonst vorhandene Wachsamkeit und Vorsicht ließ er ganz außer Acht. Im Nu kamen weitere Schwarzröcke angeflogen. Erst jetzt erkannte der Hase die große Gefahr.
Er sprang auf und rannte, so gut es ging, über die weite, weiße Schneefläche.
Die Krähen flogen in einem Pulk hinter ihm her, und hatten ihn schnell erreicht.
Einige Krähen hackten dem Hasen Fellstücke aus seinem Rücken und andere
versuchten seine Augen auszuhacken.
Meister Lampe wäre ohne Augen total hilflos und seinem Schicksal ausgeliefert.
Der Hase machte den Versuch, den Angriff der Krähen abzuwehren, indem er sich auf die Hinterläufe setzte und mit den Vorderläufen um sich schlug.
Jedoch der Versuch missglückte, und er rannte weiter um sein Leben.
Es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, bis das die Krähen den Hasen überwältigt hätten.
Plötzlich und unerwartet ertönte ein lauter Schuss. Die Krähen stoben wild krächzend in alle Himmelsrichtungen davon.
Der Jagdpächter Wendt, der in unmittelbaren Nähe war, wurde Zeuge des ungleichen Kampfes. Ihm tat der Hase irgendwie leid und deshalb handelte er.
Die Schrotladung hatte die gewünschte Wirkung.
Wendt war gerade auf dem Weg zur Futterstelle, um den Schwarzkitteln und dem Damwild Heu und Kastanien zu bringen.
Jopi hatte Glück im Unglück, und er erreichte völlig geschwächt und zitternd seine vertraute Sasse.

Ich hoffe liebe Leser, dass Jopi im nächsten Jahr wieder gesund und munter durch die grüne Feldmark hoppelt!


© Jürgen


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Kommentare zu "Jopi, der Feldhase"

Re: Jopi, der Feldhase

Autor: Uwe   Datum: 18.10.2014 22:20 Uhr

Kommentar: Ich hatte nicht gewusst, dass Krähen so etwas tun (füttere immer auf meinem Dach zwei von ihnen, sie können so toll fliegen, bringen ihre "Kinder" mit, die hatten einen roten Schlund und waren noch tapsig.)
Deine Kenntnis und besonders deine Schilderung der Natur und Beobachtung der Umstände (z.B. Feldahorn, Schlehen, Holunder, Brombeeren und Heckenrosen) veranlasst mich zu der Frage: Bist dieser Jagdpächter?
Hat mir sehr gefallen!
u.

Re: Jopi, der Feldhase

Autor: noé   Datum: 18.10.2014 23:01 Uhr

Kommentar: Deinem Wunsch schließe ich mich an, Jürgen, damit Du weiter über ihn berichten kannst.
noé

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