Ein paar Tage später besuche ich Mika erneut in der Klinik und bin erstaunt wie fit er ist. Seine Omi ist zu Besuch, sein Onkel und seine Tante .....Papa und Stiefmama sind auch da. Er hat gute Laune und amüsiert sich königlich über die Geschichten die sein Onkel über ihn zum Besten gibt.. Vom Tischtennis spielen erzähl sein Onkel, vom Fußballspielen und vom Basketball .Vor noch nicht mal einem Jahr war Mika noch sehr sportlich ,war bei nix zu bremsen und immer und überall in Bewegung .

Er wirft Küsschen zu seiner Omi, drückt meine Hand immer wieder mal , man spürt ganz deutlich das er den Nachmittag in vollen Zügen genießt.
Wir machen Fotos und er lässt ein Bild nur für Sandra machen , er schenkt ihr sein entwaffnendes Lächeln .

Als ich mich verabschiede ,war mir nicht bewusst das dies der endgültige Abschied sein wird .

Oft bin ich von ihm weggegangen und hatte Angst ihn nicht mehr lebend zu sehen , nur an diesem Tag hatte ich das Gefühl nicht. Er war mein kleiner Held ,der sich nicht unterkriegen lassen wollte und immer weiter kämpfte. Ich wollte ihn am Ende der Woche noch mal besuchen um ein paar Stunden mit ihm zu verbringen .

3 Tage später ,ich war auf dem Weg ins Büro ,ereicht mich DER Anruf ...unter weinen teilt sein Papa mir mit das Mikail am frühen Morgen um 6 Uhr gestorben ist. Ich sage ihm das ich mich sofort auf den Weg mache .Als ich in der Klinik ankomme ,ist eine Hospizkollegin und Mikas Mama in seinem Zimmer .Mika liegt in seinem Bett , er ist zugedeckt bis über sein Gesicht. Seine Mama fällt mir in die Arme und weint...ich tröste sie und frage ob ich Mika berühren darf. sie sagt ja und ich gehe zu seinem Bett und mache vorsichtig sein Gesicht frei . Er sieht aus als wenn er schläft , sein Gesicht ist blass und gelöst . Er hatte in den letzten Tagen manchmal eine kleines Fältchen auf der Stirn...das Fältchen ist nicht mehr zu sehen . Er sieht friedlich und entspannt aus . Ich berühre ihn ganz vorsichtig und sanft , er fühlt sich kalt an ,ich küsse ihn auf die Stirn und kann es nicht fassen . Leise sage ich ihm: Ich hab mein Versprechen gehalten, jetzt ist alles gut !

Mika erbrach sich am Tag zuvor öfters ,die Ärzte gaben im ein Medikament dagegen und es brachte Linderung. Er wurde aber immer schwächer und später kamen noch mehrere epileptische Anfälle hinzu und dann hörte Mika gegen 6 Uhr einfach zu atmen auf . Er kämpfte nicht und hatte keine Luftnot, er atmete einfach nicht mehr .

Vielleicht hat der kleine , junge Mann einfach beschlossen das es jetzt an der Zeit ist zu gehen . Vielleicht war er einfach bereit , und ist darum so ruhig eingeschlafen .

Irgendwann kam dann sein Papa und seine Frau ins Zimmer und er war in seinem Schmerz nicht zu trösten.

Irgendwann wird Mika dann abgeholt und zur Pathologie gebracht. Auch sein Papa und seine Frau verlassen wieder das Zimmer

Er hinterlässt eine grauenhafte Leere im Zimmer zurück. Seine Mama ist nicht mehr zu halten in ihrem Schmerz ,sie sinkt zu Boden und lässt sich in ihren Schmerz fallen . Meine Hospizkollegin und ich setzten uns zu ihr auf den Boden und nehmen sie in den Arm und versuchen sie zu beruhigen .

Irgendwann kommt Fred ,ein lieber Nachbar von Mikails Familie. Er liebt Mika sehr und wir gehen in die Küche trinken Kaffee und reden....ich muss einfach aus diesem Zimmer raus....der leere Platz an dem Mikas Bett stand....ich kann da nicht mehr bleiben. Meine Kollegin kümmert sich weiterhin liebevoll um Mikas Mama.

Als Fred sich verabschiedet....treffe ich mich mit Mika's Mama und meiner Kollegin vorm Klinikum ...wir sitzen in der Sonne und reden.

Irgendwann kommt auch Beate ....und alle zusammen gehen wir zur Pathologie.

Die kommenden Stunden sind von Aktionismus geprägt. Mika wird vom Imam gewaschen und vorbereitet für die Reise in die Türkei. Die Familie kann sich noch von Mika verabschieden,es wird gebetet und zum Schluss können auch Beate und ich noch mal kurz zu Mika. Mika liegt in Tücher gehüllt in seinem Sarg. Der Sarg wird verschlossen und Mika geht auf seine Reise in die Türkei. Er wird zuerst nach Frankfurt gefahren und von dort geht dann sein Flug am nächsten Morgen in die Türkei.

 

 

Es ist soviel passiert nachdem ich mich für das Ehrenamt im Kinderhospiz entschlossen habe. Ich wollte mich beim Schicksal bedanken...wollte etwas zurückgeben...mein Michael ist gesund...steht mitten im Leben und ich bin so unsagbar stolz auf ihn und so glücklich ihn zu haben.

Ich kann mein Kind in den Arm nehmen ,kann seine Stimme hören ,kann ihn riechen ,kann ihn küssen, kann mit ihm streiten !

Es gibt Eltern....die würden ihr eigenes Leben geben...für einen solchen Moment noch mal mit ihrem Kind erleben zu dürfen .

Mein Glaube ist sehr stark, ich bin wahrlich gefestigt in meinem Glauben. Jedoch wurde ich das ein oder andere Mal auf die Probe gestellt .

Man sucht Erklärungen und findet keine !

Ich wollte "Profi" sein ! Ich wollte perfekt sein !

Ich habe aber lernen dürfen das auch ich als "Ehrenamtliche " traurig sein darf, ich darf mitleiden ,ich darf auch mal wütend sein auf das Schicksal ,darf hadern mit Gott weil es eben nicht rational zu erklären ist warum so ein junger Mensch so früh aus dem Leben gerissen wird. Solche Schmerzen erleiden muss , als junger Mensch in seinen letzten Wochen an Rollstuhl und Bett gefesselt sein muss und eben kein Arzt der Welt ihn retten kann und man ihm mit allem Geld sein Leben nicht erkaufen kann. Man muss es einfach so akzeptieren und zulassen das er gehen muss .Kein Bitten und kein Flehen hält diesen Lauf auf .Man schöpft aus kleinen Erfolgen wieder Hoffnung die alsbald dann doch wieder zerschlagen wird.

Auch Mika hat mich viel gelehrt ! Mein kleiner Freund hat mir viel mitgegeben auf unserer gemeinsamen Reise.

Er war so unglaublich tapfer , mutig und stark ! Er hat sein Lachen bis zum Schluss nicht verloren ,gewiss es wurde seltener aber hin und wieder verzauberte er uns selbst die letzten Tage noch mit seinem umwerfenden Charme und seinem Humor .Mein "Monchichi " hat meine Sorgen oft einfach nur weggelächelt und weg gezwinkert mit seinen Augen .Er wusste in den letzten Wochen sehr wohl was mit ihm passiert , er hat nicht geklagt ,niemals gejammert er hat es "er-tragen " Er ist mein ganz persönlicher Held !

Es waren nur 5 Monate , aber sie waren geprägt von Lachen , Spaß , Sorge , Angst ,Vertrauen ,Fürsorge , Liebe ,Hoffnung und letzten Endes von tiefer Trauer und dem unglaublichen Verlust .

Ich habe mir in den Monaten manchmal die Frage gestellt ,ob ich etwas mehr Distanz hätte halten sollen. Mittlerweile glaube ich aber, das es genauso hat sein müssen , wie es dann kam .In der Theorie nimmt man sich viele Dinge vor ,die dann in der Praxis nicht umsetzbar sind . Ich hätte ihm ja nicht so nah kommen können , wenn er es nicht so gewollt hätte . Er hat diese Nähe und Liebe auch eingefordert .Ich würde keinen Tag missen wollen....keine Stunde .keine Minute ..keine Sekunde.

Beate meinte gestern...es ist nur die Hülle die in die Türkei reist. Mika bleibt in unseren Herzen .

Das sehe ich genauso...

Wir werden von ihm reden , er wird uns zum schmunzeln bringen und uns wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubern wenn wir uns an seinen Schabernack und an seinen Humor erinnern.. Er wird unsere Herzen wärmen wenn wir an seine bedingungslose Liebe und Freundschaft denken... durch all das und vieles mehr bleibt er uns nah und im Herzen.

Ich bin stolz und würde es immer wieder tun...!

 


© Stefanie Dörr


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