Josef Molatta stand in seinem Garten, stützte sich mit dem Unterarm auf den Spatengriff und verschnaufte. Das Umgraben der Erde bereitete ihm mittlerweile immer mehr Mühe, und er spürte, dass er nicht mehr der Jüngste war. Er nahm den alten verknautschten Kordhut vom Kopf und strich sich mit den leicht gespreizten Fingern durch die verschwitzten Haare. Bis zum Nachmittag wollte er mit dem kleinen Acker fertig sein und dann noch die Kartoffeln legen. Er setzte den Hut wieder auf, spuckte in die Hände und setzte seine Arbeit mit dem Spaten fort.

“Hallo Sepp”, rief ihn plötzlich eine Männerstimme an, die er nur zu gut kannte. Er schaute auf und sah, wie sein alter Schulfreund und Weggenosse Werner Kotowski das Gartentor hinter sich schloss. Dann stiefelte er auf ihn zu. “Na, mal wieder fleißig? Was soll´s denn diesmal werden?” Josef Molatta freute sich über die Gesellschaft. “Kartoffeln, Werner, Kartoffeln. Muss doch im Winter was zu beißen haben.” Werner Kotowski stand jetzt neben dem kleinen Acker und grinste. “Na, wirst schon nicht verhungern, Sepp. Bis jetzt war der Teller doch noch immer voll, oder?” Josef Molatta schaute betreten drein. “Naja, voll schon”, antwortete er. “Aber so gut wie bei meiner Karin schmeckts halt nicht mehr. Muss ja jetzt immer selber kochen.” “Wirst schon drüber wegkommen, Sepp.” Werner Kotowski machte eine Pause, bevor er weitersprach. “Mensch, ist ja auch `ne verdammt blöde Geschichte. Hast du mal was von ihr gehört?” Der andere schüttelte kaum merklich den Kopf. “Wirst es schon schaffen, Josef.”

Molatta zuckte innerlich zusammen. So nannte ihn sein Freund nur selten, doch seine Frau hatte ihn immer Josef gerufen. Sie hatte sich nie an Sepp gewöhnen können, und außerdem fand sie es zu affig. Er nahm erneut seinen Hut vom Kopf und betrachtete gedankenverloren die verbogene Krempe. Seine besten Jahre waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Dass er früher einmal geboxt hatte, stand ihm sozusagen ins Gesicht geschrieben. Aber die Erfolge von damals waren lange vorbei. Er war längst in die Jahre gekommen und bewohnte nun allein ein kleines Einfamilienhaus mit Garten, das er sich noch während seiner großen Zeit gemeinsam mit seiner Frau von dem Preisgeld gekauft hatte. Lange waren sie darin glücklich gewesen, bis zu diesem verfluchten Tag. Wenn er daran dachte, wurde er noch immer zornig.

Wie von fern hörte er die Stimme seines Freundes. “Anni meinte, ich sollte dich für heute abend einladen, hast du Lust zu kommen?” Josef Molatta brummte eine kurze Zustimmung. “Naja, du musst nicht. Wir dachten bloß...” Die beiden Männer, die sich schon von Kindesbeinen an kannten, standen sich eine ganze Weile wortlos gegenüber. Schließlich versuchte Kotowski es noch einmal. “Sag mal, Sepp, was ich dich noch fragen wollte...wann ist die Karin eigentlich abgehauen?” Er wartete auf eine Antwort, aber es kam keine. “Weißt du, die alte Grothmann von gegenüber, die hängt doch den ganzen Tag am Fenster, und die erzählte gestern, sie hätte diesen Typen, mit dem Karin...na du weißt schon...sie hat ihn also öfter hier gesehen. Aber an diesem Tag, da hätte sie rein gar nichts mitbekommen. Die hat Karin noch ganz normal wie jeden Tag vom Einkaufen zurückkommen sehen, aber danach...Und komischerweise ist ja auch ihr Typ nicht mehr wiedergekommen...”

Josef Molatta schaute seinem alten Freund ins Gesicht. “Ach Werner, lass doch diese Geschichte. Sie ist abgehauen und Schluss. Ich weiß nicht, wohin, ich weiß nicht, mit wem, und ich weiß erst recht nicht, wann. Sie ist weg, das ist alles.” “Aber hat sie nicht wenigstens eine Notiz hinterlassen, warum sie geht?” bohrte Kotowski nach. “Nee, nichts. Die Frau ist für mich gestorben, das kannst du mir glauben!” Er setzte den Hut wieder auf, als würde er mit dieser Geste das Gesagte unterstreichen. “Ist schon `ne komische Geschichte”, begann sein Gegenüber erneut. “Mensch, an einem Tag ist sie noch bei meiner Emmi zum Wäschelegen, und am anderen Tag verschwindet sie einfach spurlos. Ich dachte immer, ich kenn deine Frau.” “Hab ich auch gedacht, Werner, hab ich auch gedacht. Aber so kann man sich täuschen.” Josef Molatta nahm den Spaten in die Hand. “So, Werner, jetzt muss ich noch was schaffen, sonst wird der Acker bis heut abend nicht fertig.” Er spuckte in die trockenen Hände. Werner Kotowski schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. “Wirst es schon schaffen, Sepp. Und bis heut abend, ja?” Er wandte sich ab und ging auf das Gartentor zu. Dann drehte er sich noch einmal um. “Sag mal, Josef...was hast du eigentlich mit den ganzen Erdbeeren gemacht, die auf dem Acker standen? War doch ne herrliche Sorte!” Der Mann mit dem Spaten fing sich schnell. “Von Erdbeeren wirst du nicht satt, Werner.”

Kotowski gab sich zufrieden und machte sich auf den Heimweg, und Josef Molatta setzte seine Arbeit fort.


© Ulrich Kusenberg


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