Der junge erfolgreiche Wirtschaftsberater, Mr. Mason aus London verbrachte seinen wohl verdienten Jahresurlaub in der Toscana abseits von jeglicher Zivilisation. Das Jahr war anstrengend gewesen und entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten wollte er diesen Urlaub fernab von allem Trubel verbringen.

Das gemietete Bauernhaus, umgebaut zu einer Villa, stand einsam und bot den Komfort, den ein erfolgreicher Geschäftsmann gewohnt war.

Es war bereits Ende Oktober und die wunder-schöne schon ein wenig herbstlich gefärbte Landschaft lud ein zu langen erholsamen Spaziergängen und die immer noch warme Sonne machte das Baden im Pool zu einer genüsslichen Erfrisschung. Seine Einkäufe konnte Mason in einem kleinen Laden eines nahe gelegenen Dorfes erledigen, das er bequem zu Fuß erreichen konnte. In diesem kleinen Laden bekam er alles, was er zum täglichen Leben benötigte und sämtliche Lebensmittel wurden direkt in der Region hergestellt, wie beispielsweise der typische Chianti Wein oder das besonders wertvolle Olivenöl der Toscana.

Als Mason wieder einmal auf einem seiner langen Spaziergänge bei blauem Himmel durch die malerische Landschaft unterwegs war, kam er an einem alten Bauernhaus mit einer kleinen Olivenplantage vorbei.

Mason blieb stehen und erblickte einen Mann, der Oliven pflückte. Ihm fiel auf, dass der Mann nur geringfügig älter war als er selbst und dass er jede einzelne Olive sorgfältig prüfte, um sie dann entweder abzupflücken oder doch am Baum zu lassen.

Nach einer ganzen Weile der Beobachtung fragte Mr. Mason den Olivenpflücker: „Bist Du hier angestellt?“„Nein, das ist meine Olivenplantage, klein aber fein, mit feinsten Oliven“, antwortete dieser, ohne seinen Blick von den Oliven abzuwenden.

„Ist aber eine mühsame Arbeit, jede einzelne Olive von Hand abzupflücken“, bemerkte Mr. Mason. „Ja, aber das macht nichts, ich habe ja den ganzen Tag Zeit“, gab ihm der Plantagenbesitzer zu verstehen, „außerdem dauert die Erntezeit maximal drei Monate und dann ist die meiste Arbeit getan.“

„Was passiert dann mit den Oliven?“ fragte Mason erneut.

„Sie sind ganz schön neugierig“, wies ihn der Plantagenbesitzer vorsichtig zurecht. „Sie wissen doch sicher, wie Olivenöl entsteht?!“

„Ja, im Großen und Ganzen schon, aber jetzt wo ich Sie hier so beobachte, interessieren mich doch die Einzelheiten. Übrigens, Mason ist mein Name“, – fast hätte der Wirtschaftsberater vor lauter Neugier seine guten Manieren vergessen.

Der Plantagenbesitzer drehte sich um, um zu sehen, wer ihn da eigentlich gestört hatte, putzte seine rechte Hand an seiner Arbeitshose ab und streckte sie Mason entgegen: „Luigi, willkommen Mr. Mason! Also, die abgepflückten Oliven werden in eine Sammelstelle, die es seit einiger Zeit hier in der Nähe gibt, gebracht, dort gepresst und das fertige Olivenöl wird dann vornehmlich an Geschäfte und kleine Supermärkte hier in der Gegend verkauft.

„Das heißt, Du verkaufst lediglich die Oliven an die Ölpresse und an dem fertigen Olivenöl verdienst Du nichts?“ fragte Mason erstaunt.

„Nein, das Geld vom Verkauf der Oliven reicht, um meine Familie das ganze Jahr über zu versor-gen. Ich könnte die Oliven auch selbst pressen, da in der Scheune steht eine kleine Ölmühle noch von meinem Vater, aber seit wir die Sammelstelle haben, bringe ich meine Oliven dorthin wie die meisten anderen, so habe ich mehr Zeit und das Geld wie gesagt reicht.“ Luigi hatte sich inzwischen wieder seinen Oliven zugewendet.

„Was machst Du dann den Rest des Jahres? Die Olivenernte, sagtest Du, dauert nur drei Monate.“ fragte Mr. Mason nun noch erstaunter.

Luigi drehte sich erneut um, lächelte und erklärte Mr. Mason ganz selbstverständlich: „Ich schlafe morgens lange aus, mache nach dem Frühstück einen langen Spaziergang, nach dem Mittagessen sitze ich gemütlich mit meiner Frau Anna zusammen, am Nachmittag spiele ich mit den Kindern und am Abend treffe ich meine Freunde im Dorf, trinke ein Gläschen Wein mit ihnen und plaudere über Gott und die Welt. Sie sehen, mein Leben ist ausgefüllt.“


„Ja schon, aber weißt Du, ich bin ein erfolgreicher Wirtschaftsberater, ich könnte Dich zu einem reichen Mann machen.“ erklärte ihm Mr. Mason jetzt.

„Wenn Du Deine Oliven wieder selber pressen würdest, was natürlich ein bisschen mehr Zeit kostet, könntest Du das fertige Olivenöl verkaufen, was Dir viel mehr einbringen würde. Von dem Mehrerlös könntest Du die Größe Deiner Plantage verdoppeln. Mit dem Erlös der größeren Plantage könntest Du Maschinen anschaffen, die Deine Oliven pflücken …“

„Stopp, stopp, stopp!“ unterbrach Luigi den Vortrag seines Gegenübers, „Maschinen zum Oliven pflücken? Das vergiss direkt wieder!

Meine Oliven werden von Hand gepflückt, nur das sichert die wertvolle Qualität. Keine Maschine der Welt kann erkennen, welche Oliven reif sind und welche nicht!“

„Okay, okay!“ beruhigte Mason Luigi, „dann stellst Du Arbeiter ein für den Mehrerlös und kaufst eine mechanische Presse und verdoppelst Deine Plantage erneut. Du richtest eine eigene Sammelstelle ein und verdienst an den anderen Olivenbauern mit. Statt das Öl an kleine Läden zu verkaufen, verkaufst Du es direkt an die großen Supermarktketten – weltweit. Du vergrößerst Deine Plantage erneut, indem Du den anderen Olivenbauern ihre Plantagen abkaufst. Dein Olivenöl verkaufst Du dann auch an die Schönheitsindustrie für Hautpflegemittel.
Und schließlich kannst Du eine eigene Fabrik eröffnen mit einer eigenen Hautpflegeserie, wo ausschließlich Dein Olivenöl verarbeitet wird.“

Luigi hatte Mason aufmerksam zugehört: Spannend klingt das schon, wie lange wird das alles dauern?“

„Na ja, so fünfzehn bis zwanzig Jahre musst Du schon rechnen, bis alles aufgebaut ist.“

„Fünzehn bis zwanzig Jahre?“ Luigi schaute Mason mit großen Augen an.

„In der Schönheitsindustrie verdient man Millionen und Produkte mit Olivenöl sind hoch aktuell heutzutage. Die Menschen sind dem Schönheits- und Jugendwahn verfallen, die werden Dir Deine Produkte aus den Händen reißen. Du wirst sehen, Du wirst berühmt und reich.“ Mason war total begeistert von seiner Idee.
„Und was dann?“ fragte Luigi jetzt.

Mason lächelte und sagte: „Dann kommt das Beste, Du verkaufst Dein Unternehmen an einen großen Investor und kassierst Millionen dafür.“

„Millionen? Und dann?“ unterbrach Luigi ihn erneut
und Mason erklärte begeistert: „Dann kannst Du aufhören zu arbeiten, kaufst Dir ein Bauernhaus in der Toscana mit einer kleinen Olivenplantage, von Oktober bis Dezember pflückst Du täglich ganz in Ruhe Deine Oliven, denn Du hast ja Zeit, und den Rest des Jahres schläfst Du morgens lange aus, nach dem Mittagessen sitzt Du gemütlich mit Deiner Frau Anna zusammen, am Nachmittag spielst Du mit den Kindern und am Abend triffst Du Deine Freunde im Dorf, trinkst ein Gläschen Wein mit ihnen und plauderst über Gott und die Welt.“


© Ulrike Vornweg-Elzner


0 Lesern gefällt dieser Text.

Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Worauf kommt es an im Leben?"

Es sind noch keine Kommentare vorhanden

Kommentar schreiben zu "Worauf kommt es an im Leben?"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.