Die Nacht bricht herein. Es leuchten vereinzelte Sterne in dem ewigen, dunklen Nichts des finsteren Himmels. Schwarzer Regen durchströmt die modrige Luft, durchdrängt von tödlichen, grellen Blitzen. Donnergrollen durchdringt die bedrückende Stille. Die Straßen der Stadt werden beherrscht vom Geruch des Todes. Der Gestank von verrottetem Fleisch verpestet die Gegend. Nichts als dunkle Gestalten, die sich im Licht der Dunkelheit sonnen, wandeln umher. Aus einem fernen Stall dringt Helligkeit. Eine Frauenstimme erhebt sich und ist durchdrungen von freudigem Schluchzen. Ich wurde geboren. Ich wurde geboren, auf einer roten Decke in meinem eigenen Sarg gebettet. Als einzigartiges Wesen, voller Freude und Hoffnung, wurde ich in meinem Sarg geboren.
Um mich herum stehen viele Leute – Freunde, Verwandte, ein Priester. Sie legen mir einige Dinge in meinen Sarg. Da war ein zerbrochenes Kreuz, verwelkte Blumen und ein staubiges, zerrissenes Buch. Ohne ein Wort zu mir zu sagen oder mich anzusehen, verschließen sie langsam den knarzenden Deckel meines Sarges. Ich höre wie sie einen letzten, rostigen Nagel in das morsche Holz schlagen.
Gesichtslose Körper tragen meinen Sarg auf den Schultern in Richtung Friedhof. Sie marschieren im Gleichschritt und murmeln sich monoton und ohne ihr Haupt zu erheben unverständliche Floskeln zu. Ich werde durch ihren strammen, schnellen Schritt in meinem Sarg umher geworfen. Das Kreuz rammt sich in mein Bein, die Blumen peitschen in mein Gesicht und der Staub des Buches erschwert mir das Atmen. Keinen kümmert es. Nach einer Zeit wird mein Sarg unsanft auf den Boden geworfen und in meinem Körper fühlt es sich an, als würde er zerbrechen.
Ich höre das Geräusch von stählernen Ketten die an den Kanten meines Sarges entlang schrammen. Mein Sarg wird langsam in die Erde gelassen, ohne auch nur eines Blickes der Gesichtslosen gewürdigt zu werden. Der Pfarrer spuckt auf meinen Sarg und verschwindet, nachdem er eilig die weihenden Worte des Herren über mich gebracht hatte. Im vorbeigehen stoßen meine Freunde und Verwandte die modrige Erde, die neben meinem Grab auf einem Haufen bereitgelegt wurde, auf meinen Sarg. Der Druck der Erde auf meinem Sarg wird immer größer und die Einsamkeit nimmt mit jedem Erdstoß der auf meinen blutenden, schmerzenden Sarg donnert zu. Mein Atem wird immer schwerer und langsam erlöst mich der Tod von dem Fluch, der mir im Laufe meines Daseins von außerhalb meines Sarges auferlegt wurde.
Aber mein Geist bleibt gefangen, in dem von ihnen geformten Sarg – meinem Körper, meinem Leben...


© JH


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Beschreibung des Autors zu "Der Besondere"

Der Sarg ist eine bewusst gewählte Metapher für den Körper, der Körper steht für die Seele

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