Musik im Regen


Wir verlieren jeden Tag Menschen. Bei jedem Buchstaben, den ich gerade eintippe, stirbt ein Mensch, Ist das nicht grausam? Menschen kommen und gehen. Sie verlassen dein Leben auf verschiedenste Weise. Sie sterben, sie streiten sich mit dir, man macht Fehler, lässt sie gehen, sie ziehen weg, haben andere Freunde und das war's. Wie lange man mit ihnen befreundet war, wie intensiv, wie viel man zusammen durchgemacht hat, das ist dann alles egal.War das schon immer so? Dass man Freunde so leicht verliert, Familienmitglieder, Verwandte. Dass man einfach den Kontakt grundlos abbricht und sich keinen Kopf mehr drüber macht? Jeder lebt sein eigenes Leben. Aber, wenn man das Leben zusammen durchlebt, ist es doch viel spannender, gemütlicher und interessanter, aber jeder Mensch geht seine Egotrips und verliert Freunde.
Aber dieses Mädchen hat man nicht verloren. Es geht um Luna. Sie hat man einfach weggeschmissen. Zusammengeknüllt wie ein falsch beschriebenes Blatt Papier und in den Mülleimer geworfen. Doch verfehlt. Sie liegt noch neben dem Mülleimer. Man kann sie noch aufheben, wenn man will. Aber ihr Vertrauen, wurde in dieser kurzen Zeit, in der sie auf dem Boden lag, zerknittert und eingestaubt. Sie, also das Blatt und Luna, haben Falten vom Zusammenknüllen. Leider endet hier der Vergleich. Denn Papier kann man glatt bügeln, das Mädchen jedoch nicht. Ihr Vertrauen hat einen Riss. Wegen ihm. Leon. Und wenn er das je lesen wird, dann würde er die Augen verdrehen. Sie weiß: „Er fängt nicht an wegen ihr zu weinen, nicht an zu trauern, noch nicht mal an nachzudenken, ob er eventuell was falsch gemacht hat“. Sie weint, sie trauert, sie kann ihre Gefühle zeigen. Doch die Kraft stark zu bleiben, die hat sie nicht. Denn ihr Herz ist nicht aus Stein. Möglich, dass sie manchmal so tut, als ob. Aber es ist nicht so. Sie bricht immer mehr in sich zusammen. Ist sie ihm wirklich so egal? Er schmeißt alles weg. Er schmeißt sie weg. Denkt er je an ihre gemeinsame Zeit? Sie kann nicht mehr kämpfen. Sie will den Grund wissen, für sein Verhalten, doch sie hat ihn nie erfahren. Sie war am Ende allein. Ihr Vater war an Krebs gestorben und ihre Mutter hatte daraufhin versucht sich umzubringen, da sie mit dem Tod ihres Mannes nicht zurecht kam. Nur ihre beste Freundin Hannah blieb ihr! Hannah, die alles mit ihr durchstand. Und eine depressive Mutter....

Leon hat ihr Herz gebrochen. Er weiß gar nicht wie sehr er ihr weh getan hat. Wenn er nur einen Tag den Schmerz, den sie täglich hat, haben würde, würde er unter Tränen zusammenbrechen. Viele sagen ihr Schmerz ist doch nicht stark, wenn sie nie mit diesem Jungen zusammen war! Aber Luna antwortet darauf nur:“Wer so was sagt, ist dumm, nur weil man nicht mit der Person, die man liebt, zusammen war hat man doch trotzdem Schmerzen wegen ihr“. Und viele sagen und denken, es geht ihr gut, nur weil sie lache, aber das ist kein echtes Lachen, denn echt lachen kann sie schon lange nicht mehr. Sie sagen sie kennen sie! Sie täuschen sich. Keiner kennt sie wirklich. Sie kennen nur die eine, etwas traurige, aber auch unechte fröhliche Seite von ihr! Denn keiner weiß was los ist, wenn sie alleine bin. Sie kann so langsam sagen, ihr Herz wurde wirklich gebrochen. Er weiß gar nicht, was er in ihr angerichtet hat, als er sagte:“Ich hasse dich“. Wenn er wüsste, wie sehr sie ihn liebt und was sie wegen ihm durchmacht, hätte er sich anders verhalten und würde es jetzt auch tun. Viele denken, wenn sie schlecht über ihn rede, dass es ihr vielleicht besser geht, aber das ist noch einer der Punkte, worin sie sich täuschen. Luna hofft weder, dass Leon genauso wie ihr das Herz gebrochen wird, noch dass er stirbt, denn sie liebt ihn von ganzem Herzen und sie will, dass es ihm gut geht, auch wenn sie daran noch mehr kaputt geht! Ihre Freunde sagen, sie müsse was ändern! Sie müsse wieder lachen, essen, mal etwas unternehmen, nicht nur daheim herum sitzen und im Selbstmitleid versinken, diese graue Maus hinter sich lassen!!

Kennst du das Gefühl, wenn du nicht mehr atmen kannst und dir die Luft wegbleibt? Dein Herz vor Sehnsucht und Verliebtheit scheinbar aufhört zu schlagen? Kennst du das? Dieses Gefühl bekommt sie, wenn sie an ihn denkt. Wenn sie sich vorstellt, durch sein Haar zu streicheln und daran zu riechen, wenn sie sich an seine wunderschönen und leuchtenden Augen erinnert, wenn sie sich vorstellt, seine Lippen zu küssen und wenn sie sich wünscht, seine samtweiche und duftende Haut zu berühren. Sag mir, kennst du das Gefühl? Nein anscheinend nicht. Anscheinend bist du gefühlskalt! Genauso wie er! Sie hätte es früher bemerken sollen!

Luna kommt sich manchmal vor wie ein Klotz an seinem Bein. Sie weiß nicht, was er fühlt. Er zeigt es ihr nicht. Er hat direkt gemerkt, wie sehr er sie damit verletzt hat. Ungewollt. Sie kennt ihn ja. Glaubt sie. Dachte sie. Er würde ihr nie absichtlich weh tun wollen?!?! Trotz des Schmerzes hat sie noch immer dieses Gefühl in ihrem Bauch, wenn sie an ihn denkt. Es fliegen immer noch ganze Schwärme von Schmetterlingen durch ihre Magengrube, wenn sie die Erinnerungen zurückholt, in denen er sie küsst und sie berührt. Das Gefühl, wenn er seine Arme um sie legtest. Das Gefühl, wenn er sie am Hals küsst. Dieses Gefühl ist immer noch da. Und diese Gänsehaut auch. Sie hat oft unzählige Nächte ihr Kopfkissen nass geweint, die Wände angeschrien, ihr Spiegelbild beschimpft und vollgeheult. Nur wegen ihm.

Es regnet fürchterlich, sie ist komplett durchnässt und zieht ihre Kopfhörer aus den Ohren. Zitternd steht sie vor Leons Haustür. „Grenade“ von Bruno Mars noch in den Ohren. Sie kann sich die Frage nicht beantworten, warum sie jetzt dort steht. Mit Angst in den Augen. Nach dem großen Streit. Wie wird sie reagieren, wie er? Die Tür geht auf. Da stehen sie nun beide. Von der Liebe verflucht, vom Zorn heimgesucht.Blicke führen sie in die Wohnung. Es ist noch alles gleich. Doch irgendwie anders. Die Leere seiner Worte hat den Raum gefüllt. Seine Blicke ziehen sie näher zu ihm. Ihre Hand in seiner Hand, Leon ist nervös, das spürt Luna. Nur stellt sich die Frage, weshalb? Sie küsst ihn und sagt:“ Ich liebe dich“! So sollte Versöhnung immer sein. Doch es war keine Versöhnung, es roch mehr nach Abschied. Sie spürte, wie ihr kalte nasse Tränen die Wange runterliefen, als er mit verschlossenem Blick sagte:„Luna, ich liebe dich nicht. Ich habe dich nie geliebt!“ Das war der Tag an dem sie ihn verlor. Der Tag, an dem sie sich morgens um 5:00 Uhr aufmachte, im strömenden Regen, zu ihm, um noch vor der Schule Versöhnung zu finden. Sie denkt an das eben gehörte Lied zurück und ihr schießen tausende von Gedanken durch den Kopf, wie wahr der Text doch ist. Sie würde alles für ihn tun. Doch er nichts für sie.

Luna erinnert sich an einen Tag mit Leon. Sie standen gemeinsam im Regen, eng umschlungen, seine Hände waren überall, sein Atem an ihrer Wange. Die Zentimeter zwischen ihren Gesichtern wurden immer weniger. Es war toll. Ein Kuss. Im Regen. Genau so, wie sie es liebte. Dann saßen sie sich gegenüber. Eine Kerze flackert zwischen ihnen auf dem Tisch.Romantische Musik lief. Er sagt zu Luna: „You must remember this, a kiss is just a kiss.“. Sie wollte ihn von seinem Stuhl reißen und ihn anschreien: „Was zum Teufel ist es denn dann mit mir? Mit uns? Herrgott!“ Ihre Hände fingen an zu schwitzen und ihre Lippen lächelten zitternd. Doch Luna schwieg. Wartete. Und Leon fiel nichts anderes ein, als sie schon wieder zu küssen. Dieses Mal macht sie einfach die Augen zu und schaut nicht hin. Merkt nur, wie seine Hände über ihren Rücken wandern, über die Schultern, ihre Haare durchwühlen und schließlich ihr Gesicht festhalten. Ihr Gehirn ist ruhig und ihre Lippen sind beschäftigt. „Ich liebe dich“ kommt zwischen ein paar Küssen aus Leons Mund. Sie glaubte es. Woher sollte sie denn wissen dass es nicht ernst gemeint war? Sie hatte ihm vertraut. Ihr ganzes Leben anvertraut.

„Die Sanduhr läuft nach oben. Du läufst zurück in die Zukunft, wirfst deinen Blick zurück nach vorne, stolperst über Stunden, Minuten und Sekunden. Die Uhr steht still, während die Zeit weiter rennt. Hastig. Verwirrt. Unruhig. Suchst nach dem ruhigen Punkt im Karussell des Lebens. Findest Halt am Zeiger deiner Uhr, drehst dich im Kreis, immerzu, drehst dich um dich selbst. Quälend langsam rennt dir die Zeit davon und du zählst die Sekunden, die an dir vorbeiziehen, ohne zu vergehen. Sehnst dich nach dem einfach sein. Einfach sein. Halt die Welt an. Für dich. Lass dich deine Runden drehen in deinem Tempo.“. Das dachte das junge Mädchen, als sie am Ende war. Am Ende wegen ihm. Sie war verwirrt in ihrem Kopf. Wusste nichts mehr mit der Zeit anzufangen. Wusste nicht ihre Gedanken zu ordnen.
Doch dann kam die gute Zeit. Sie denkt, sie ist über ihn hinweg. Ja, das glaubt sie wirklich. Sie genießt ihr Leben wieder Sie lacht und läuft fröhlich durch die Gegend. Die Menschen in ihrer Umgebung sagen ihr, dass sie wieder gut aussieht. Sie macht etwas aus sich. Zieht sich wieder bewusst an. Schminkt sich und isst wieder anständig. Geht mit Männern aus und ist jedes Wochenende unterwegs. Aber es gibt immer noch diese Momente. An Orten, an denen sie so oft gemeinsam waren. Haltestellen, an denen er ein- oder ausgestiegen ist. Ihr Computer, auf dem seine wunderbaren Mails gespeichert sind. Wie oft hat sie sie markiert, um sie zu löschen. Sie bringt es einfach nicht übers Herz. Oft genug erwischt sie sich dabei, doch ein paar davon zu lesen. Nur um nicht zu vergessen, wie es damals war und wie witzig und süß er war. Ab und an klickt sie auch noch seine Bilder an. Vergrößert sie, bis sein Gesicht den Bildschirm ausfüllt und dann küsst sie ihn schnell und heimlich. Sie stellt sich dabei vor, wie sich seine Lippen angefühlt haben und wie er geschmeckt hat. Fährt in Gedanken mit ihrer Zunge über seine Zähne. Kann die kleinen Rillen darauf fühlen. Neulich ist sie aufgewacht. Hatte einen Traum. Sie hatte im Bad die Dusche gehört und gehofft, dass er danach noch einmal zu ihr ins Bett kommt.Das Mädchen ist wieder eingedöst und hat gespürt, wie er sich an sie kuschelt. Aber er war es nicht. Sie konnte nicht weinen und nicht schreien, obwohl ihr danach war. Jetzt weint sie. Die letzte Träne, die sie wegen ihm vergießt. Das hat sie sich geschworen. Weil sie über ihn hinweg ist.

Die Sonne scheint und Luna rennt auf Hannah zu. Kindlicher Übermut hat sie erfasst. Die beste Freundin steht kaum einhundert Meter entfernt. Sie lächelt. Dieses Lächeln tat ihr gut nach dieser schrecklichen Zeit. Endlich wieder ein Mensch, der dem verzweifelten Mädchen zulächelte. Ein Lächeln, das ihr Herz berührt. Sie hatte es vermisst. Sie hatten sich viel zu erzählen. Luna lauscht den Worten ihrer Freundin aufmerksam, als ob sie so ihr Überleben sichern wollte. Sie sind wie Schwestern. Gleich. Nur Älter. Ganz anders. Aber wie Schwestern. Unzertrennlich. Sie toben und rennen. Luna erzählt Hannah dann auch alles. Alles von Leon. Ernst und übertrieben. Sie hatte Angst vor der Reaktion von ihrem Gegenüber. Doch die Freundin grinst nur und fängt an sie zu kitzeln. Dankeschön für das Vertrauen. Sie sind Schwestern. Sie sehen sich wieder öfter. Sie reden und trinken. Lachen und gackern wie junge Hühner. Doch da ist noch etwas, was Luna loswerden muss. Sie muss ihrer besten Freundin sagen, dass sie umziehen wird. Weiter weg. Sie hat Angst vor dieser Beichte. Doch es muss sein. Hannah hört zu. Ist still. Sieht traurig aus und sagt mit Tränen in den Augen, jedoch gelassen:“ Hey, wir sind beste Freunde. Nichts kann uns trennen. Und drei Stunden mit dem Zug, die können wir jedes Wochenende meistern! Und sieh es mal positiv. Du und deine Mutter fangt ein neues Leben an! Und das finde ich gut. Ich habe dir gesagt ich werde dir dabei helfen! Also ich bin dir nicht sauer, wenn ihr wegzieht. Wozu gibt es denn noch Telefone und Skype? Und you know. Facebook lebt.“ Nach diesen Worte mussten beide wie verabredet grinsen und rannten los. Die bleibende gemeinsame Zeit genießen...

Die letzten Worte von Luna zu ihrer Cousine Jacky waren:“Fick dich!“. „Du dich auch!“ und damit wurde der Schlussstrich gezogen. Die Grenze, die schon längst überfällig war! Es war die Art von Linie, die niemals überschritten werden durfte, aber es getan wurde. Das Ergebnis: Beleidigungen, Tränen, Wut. Nein, hier lag nichts in Scherben, sondern es brannte alles lichterloh und die Hitze des Zorns verbreitete sich so schnell, dass jedes positive Gefühl verdampfte. Hier war nichts Angenehmes mehr zu holen und jeder von ihnen wusste es. Sich in die Augen schauen war zwecklos und wenn es doch passieren würde, hätte der Kampf aufs Neue begonnen. Dies war eine Schlacht, die jeder für sich kämpfte und Regeln gab es keine. Jeder würde bis zum letzten Moment sich verteidigen und eher die Schwachstelle des anderen ausnutzen, anstatt Gnade zu empfinden. Nein, keiner von ihnen wollte weichen. Keinen Schritt Links oder Rechts gehen, sondern genau an diesem Punkt stehen bleiben, ihren persönlichen Punkt, den sie als ihren persönlichen Besitz ansahen. Vermittlung ausgeschlossen, an Friedensgespräche nicht zu denken. Fronten verhärtet, kein vorwärts aber auch kein Wille zum Rückzug. Es war wie mit dem Winter zu vergleichen. Jede Schneeflocke ein Gefühl des Hasses, jede Böe eine neue Aussprache von Wut und jeder Sturm das Ergebnis, wenn beide ihre gegenseitige Geduld in Stücke zerfetzten. Ein Ende, nicht in Sicht! Nicht Heute, nicht morgen, nicht in ein paar Jahren. Wie konnte sie das ihrer Cousine bloß antun? Wie konnte sie etwas mit ihrem Leon anfangen? Nach allem, was Luna Jacky erzählt hat, hat sie es doch gewagt. Sie wusste ganz genau, wie sehr sie ihn liebt. Und doch hintergeht sie Luna. Sie kann gar nicht fassen, dass ihre Cousine so eine Schlampe ist. Denn sie war gerade erst einen Tag zuvor von ihrem Freund verlassen worden.

Der Himmel weint, als Luna und Leon sich zufällig auf der Straße wieder treffen. Gerade schallt „Die Mother fucker die“ durch Lunas Ipod-Stöpsel. Ihr Puls steigt. Es scheint so, als würden sie sich nicht kennen. Sie hat Liebeskummer und wurde die vergangenen Tage von ihm auf richtig harte Art und Weise ignoriert. Sie ist ein großes Nichts im Universum, ihre Blicke sind leer und gleichzeitig viel zu voll, ihre Augen brennen und ihr ganzer Körper verliert den Halt. Den Halt am Leben. Leon lachend Arm in Arm mit Jacky. Lunas Herz brennt. Als wäre es so einfach, alles zu vergessen. Sie ist nervös. Und will zu ihm rübergehen, ihn umarmen. Doch Jacky guckt komisch. Sie will ihn nicht mit ihr sehen. Luna sieht noch ein Mal hin, zu ihrer Liebe die einst mal ihr gehörte. Sie schüttlet den Kopf, er ist so schwer, ohne Kraft. Einer dieser Momente, in denen sie nicht mehr kann, in denen alles verloren scheint. Sie hat das Wichtigste in ihrem Leben verloren. Oder war es das nie? Ihr kommen Zweifel. Es war doch alles so perfekt, sie schließt die Augen, es regnet. Der Himmel weint, mit ihr. Ein letzter Blick und sie läuft ignorant und mit Tränen in den Augen weiter. Manchmal wünscht sie sich, Tränen wären bunt, dann könnte sie ihr schwarzes Loch wenigstens damit anmalen. Die Musik ist laut, die ganze Welt wird von ihr umfasst, umhüllt und hypnotisiert, sie macht Luna wütend, sie macht sie aggressiv. Sie spürt, wie sehr sie Jacky hasst. Sie hasst alles hier. Sie will zurück zu den Nächten , zu den Tagen, an denen alles so gut war. Sie schüttelt wieder den Kopf. Es tut verdammt weh und die Bässe lassen ihr Herz noch schneller schlagen.

Abends schreibt das Mädchen ihre Gedanken auf:„Schau mich an! Ich schreie dich an, doch du bleibst still. Wie gern würde ich dir die Augen auskratzen, doch etwas steht zwischen uns. Regungslos stehst du da, verziehst keine Miene. Ich steh vor dir, versuch dir zu erklären, wieso diese Tränen fließen, wieso dieses Gefühl in mir ist. Doch du zeigst dich kalt und abweisend. Ich rede auf dich ein, doch ich spüre, du willst meine Worte nicht hören. Erneut flehe ich dich an. Doch dein Blick weicht mir aus. Deine Worte sind keine Erklärung für mich. Ich schau dich an und neben dir steht dieses schwarzhaarige Mädchen. Das Mädchen, das meine Cousine ist und mit dir zusammen ist! Ich will dir eine Sträne aus dem Gesicht streichen, doch sie guckt mich zu Böse an. Warum hast du das getan? Wie konntest du mir das alles antun? Ich habe dich geliebt. Über alles.Wie konntest du mich so verarschen und ausnutzen?“...Sie denkt daran, wie sie zusammen in der Karaokebar „Wenn ein Leid“ von Xavier Naidoo gesungen haben. Ob er sich noch daran erinnert?

Luna läuft die Straße entlang. Der Regen prasselt auf ihre Haut. Wie oft sie in dem vergangenen Jahr diese Straße entlanggegangen war. Eine schöne Straße. Helle Häuser, große Bäume. Sie blickt um sich. Regenschirme. Schwarze, graue, rote, blaue. Ihr Regenschirm bleibt da, wo er ist. In ihrer Tasche. Sie mag den Regen. Er wäscht alles rein, macht den Kopf frei. Sie dreht die Musik auf. „Got 2 Luv U“ von Sean Paul...
Drei Wochen noch, dann ist sie weg. Lässt 6 Jahre ihres Lebens hinter sich. 6 gute Jahre, 6 schlechte Jahre, 6 verrückte Jahre. Jahre, in denen sie erwachsen geworden ist. Mit ihr. Ihrer besten Freundin, die sie nicht hinter sich lässt. Sie nimmt Hannah mit. Sie wird immer Teil dieses Erwachsen-Werdens bleiben. Und damit auch ein Teil von ihr. Was sie alles gemeinsam erlebt haben. Durchgemacht. Überlebt. Haben gestritten, einander angeschwiegen und sich dann doch wieder vertragen. Beim Suizidversuch ihrer Mutter hat sie sie gehalten. Doch nun ist es an der Zeit, zu gehen. An der Zeit, die schweren Zeiten zu vergessen. An der Zeit, ihn zu vergessen. Einfach alles. An der Zeit, wieder glücklich zu sein.
Die Leute ziehen an ihr vorbei, sind in Eile. Wollen raus aus dem Regen. Sie hat Zeit. Bleibt kurz stehen, schaut in den Himmel, schließt die Augen und atmet tief ein. „Danza Koduro“. Sie geht weiter...
Sie ist jetzt wo ganz anders. Sie ist anders. Hat sich verändert in letzter Zeit. Hat etwas gefunden, von dem sie weder wusste, dass sie es suchte, noch, dass es überhaupt existiert. Ein anders Ich. Ein freies Ich. Dieses neue Ich wohnt in einer anderen Stadt. Ihr Körper muss ihrem Geist folgen und weiterziehen. Loslassen...
Verabschiedet hat sie sich schon. Sie war ein letztes mal mit ihren Freunden zusammen weg. In dem Club, wo sie vor fast 3 Jahren das erste Mal zusammen weg waren. Reloaded sozusagen. Die alten Zeiten noch einmal würdigen. Noch einen Abend voller guter Erinnerungen schaffen.
Langsam sieht sie ihr Ziel näher kommen Die Ampel schaltet auf grün. „Loca People“ von Sak Noel....
Sie biegt in die nächste Straße ein, läuft die wenigen Stufen hoch, kramt kurz in ihrer Tasche nach ihrem Schlüssel, öffnet die Tür. Bevor sie reingeht, streift sie ihre nassen Schuhe ab und blickt sich noch einmal um. Wie oft sie in den vergangenen Jahren diese Straße entlanggegangen ist. Eine schöne Straße. Helle Häuser, große Bäume. Die Sonne scheint. Sie holt ihre Sachen und schließt die Tür wieder hinter sich. Ein letztes Mal....
Zeit, ihr Leben zu ändern, neu anzufangen, von vorne....


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