Der Stift geht wie von selbst über’s weiße Papier. Schon verziert er mit - vermutlich von niemandem sonst als von mir entzifferbaren – Arabesken das Blatt. Es ist ein Geheimdokument!

Die Gesandten der Nacht beobachten mich genau! Draußen, vor meiner Haut, haben die Jäger das Wild gestellt. Lang war die Jagd und ereignisreich!

„Komm, begib dich ins Nichts“ ruft ein Lautsprecher in meinen Gehörgang – aber noch läuft der Stift. Noch zeichnet er seine Arabesken in die Zeit.

Aber so langsam kann ich nicht mehr verstehen, was da auf dem Blatt vor sich geht. Überall bilden sich gedankliche Gespenster ab.

Ich verliere die Besinnung – der Stift wandert weiter. Ich schreie in mich hinein – der Stift wandert. Er antwortet mir nicht!

Er steht außerhalb meines Lebens für etwas bereit, das in mir selbst ständig vorwärts schreitet. Vorwärts in meine Vergangenheit.
Und ich staune!

Ein „Landstrich“ taucht vor meinem geistigen Auge auf, der alles an Unglaubwürdigkeit noch übertrifft, was ich je von irgendwoher gehört oder gesehen habe.

Sturm kommt auf! Doch meine Vergangenheit, die es vielleicht ebenso wenig gegeben hat, wie es mich jetzt gibt, bleibt davon verschont.

Dann finde ich (in der Vergangenheit) mein Gesicht. Es ist noch weitgehend unverletzt und es besteht darauf eine Identität zu haben.

Der Vergleich mit dem transparenten Anschein, den ich jetzt auf dem Hals habe fällt erschütternd aus: meine Identität befindet sich im Unrecht. Sie stellt keinen relevanten Faktor im Universum dar.

Doch mein jetziger Anschein ist völlig real. So habe ich vermutlich immer ausgesehen. Ich habe es nur nicht bemerkt.

Beim genauen Studium meiner Selbst, stelle ich fest, daß mein Ich (was immer das sein mag, oder zu sein vorgibt) ein Wanderer ist.

Wie ein Impuls, wie eine Zuckung im lebendigen Augenblick, habe ich mich durch Billionen Figuren bewegt. Jede davon ist eine andere gewesen. Jede Identität war ein winziges bisschen zu der vorausgehenden verändert, jede hatte ihre Täuschungen - von innen und von außen – parat. Nur meine letztendliche – diese – Identität verändert sich nicht mehr. Das hat sie nicht nötig. Sie ist keine!

Sie hält sich nur bereit um ihre Arabesken auf weiße Blätter zu zeichnen, Arabesken, die niemand außer mir lesen kann.

Nur die Gesandten der Nacht warten auf die fertiggestellten Geheimdokumente um sie in den unendlichen Weiten des Weltraums verschwinden zu lassen.


© Sur_real


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