Das ewig freundliche Lächeln
oder: Bloody Canvas

Ein weiches Oval für das Kinn, zwei dunkle, eingelassene Kristalle für die Augen- die Leinwand füllte sich Detail für Detail mit einem Gesicht. Es verlor an Leere und Neutralität, gewann immer mehr an Tiefe und Charakter. Das Gesicht war perfekt, es war schön, erhoben, gleichmäßig. Die Haare flossen wie tiefschwarzes Wasser an ihren zarten Wangenknochen hinab, die hervorstanden, genau wie ihr ständig freundlicher Blick.
Ein Blick, den der Zeichner nie einzufangen geglaubt hatte, einer den er ebenso gut kannte, wie er ihn verabscheute. Dieses Werk war sein letzter Beweis.

Als der Zeichner noch jung war, er hatte wenig Geld, stellte er sich mit seinen Staffeleien in den Park und malte. Einerseits, weil er keine andere Beschäftigung fand und andererseits, weil er die Gemälde immerhin für ein wenig Bares verkaufen konnte. Es hatte ihm immer viel Spaß bereitet, die frischgrüne Wiese an seinen Füßen zu spüren, zu tun was ihm gefiel und zu malen was ihm in den Sinn kam. Nach einiger Zeit kannte man ihn gut im Park. Man unterhielt sich und manchmal, wenn er Glück hatte, teilte jemand sein Essen mit ihm. Es war eine fröhliche Zeit für den Zeichner.
Eines Tages schien es ihm, als wäre sein Glück komplett geworden. Eine junge Dame, wohlhabend und schön, ging im Park spazieren. Viele guckten ihr nach, ohne dass sie Notiz davon nahm. Sie schritt elegant und zielstrebig voran, ohne eilig zu wirken. Der Zeichner stand vor seiner weißen Leinwand und betrachtete das wundervolle und harmonische Bild, das sich ihm bot, als er merkte, dass die Dame an ihn herantrat und lächelte.
Ob er viel zeichne, wollte die Dame mit lieblicher Stimme wissen.
Jeden Tag, antwortete er wahrheitsgemäß.
Ob er viele Käufer hatte, fragte sie weiter.
Genug, um nicht zu verhungern, sagte er.
Sie wolle ihm das Angebot unterbreiten, für reichere Kundschaft zu zeichnen, da seine Bilder gut und beliebt waren. Stimme er zu, so würde er ab sofort am Hofe der Dame angestellt sein und Aufträge des Adels annehmen.
Der Zeichner ließ sich begeistert auf den Handel ein, denn er konnte das Geld gebrauchen. Doch hauptsächlich gefiel ihm die Aussicht, dieser bezaubernden Dame ein weiteres Mal zu begegnen.

Nach diesem Tage verließ der Zeichner seinen geliebten Park und malte nur noch, was ihm aufgetragen wurde. Oft waren seine Kunden unverschämt und arrogant, doch sie bezahlten gut. Mit der Zeit wurde er verbittert und hatte selten einen Tag, an dem er lachte. Seine einzige Freude bestand darin, mit der Dame zu sprechen, die seiner Meinung nach immer schöner wurde, je öfter er sie sah. Sie erzählte nicht viel von sich, doch war sie immer freundlich und verzauberte den Zeichner mit ihrem Charme. Es dauerte nicht lange, da hatte er sich in sie verliebt. Er suchte ihre Aufmerksamkeit und wollte ihre Gunst mit Geschenken und Komplimenten gewinnen. Doch damit erreichte er nichts als ihren Dank, denn sie verhielt sich wie zuvor auch schon. An dem Tag an dem er ihr wortreich und verzweifelt seine Liebe gestand, gab sie ihm keine Antwort, als ihr ewig freundliches Lächeln. Es sagte ihm weder Ja noch Nein, also fuhr der Zeichner fort. Er nahm das zarte Gesicht der Dame in die Hand und küsste sie. Wieder kam keine Reaktion. Nur ihr ständiges Lächeln.
Mit der Zeit wurde es zur Gewohnheit, dass er sie küsste und sich tröstend an ihre Brust presste. Seine Liebe zu ihr wuchs mit jeder Berührung und wurde gleichermaßen verzweifelt wie intensiv. Er wünschte sich nichts sehnlicher als ihre Gegenliebe. Der Zeichner war bald so sehr mit seiner Sucht nach ihr beschäftigt, dass er seine Aufträge unordentlich oder gar nicht ausführte und sich einen schlechten Ruf geschaffen hatte. Das war ihm egal, solange er seine Liebe weiterhin berühren durfte. Die Dame wies ihn nie zurück. Als der Zeichner allerdings vom Hofe geschickt wurde, wegen seiner schlechten Arbeit, konnten sie sich nicht mehr treffen. Im Park tauchte sie nicht mehr auf und der Zeichner schließlich auch nicht. Mit dem Geld, das er noch hatte, brauchte er sich selbst auf, indem er davon nur trank und spielte. Er fühlte sich erbärmlich und verfluchte die Dame für alles was sie war.
Nicht lange Zeit später wurde in der Stadt groß und prunkvoll eine Hochzeit gefeiert. Die der Dame und ihres nicht länger Verlobten.


Der Pinsel war weg, die Farbe war weg, alles war weg, nur noch der Zeichner und das Gemälde. Das verhasste Gesicht, die nach Abscheu schreienden Haare, der verlogene Hals. Er schnitt mit einem Messer aus Wut durch die blütenreine Kehle. Blut quoll aus der Leinwand hervor, vorwurfsvoll und zäh, ergoss sich am Boden zu einem leuchtend roten Sonnenuntergang, gleißend und vernichtend. Die Füße des Zeichners versanken, zusammen mit seinen Beinen in der Flüssigkeit. Sie kroch über seinen Rücken und Bauch, die Arme hinunter, wob sich um jeden einzelnen Finger. Zog sich quälend langsam rings um den Hals, das Kinn entlang ertränkte den Mund, verstopfte die Nase, verklebte die Augen, goss sich über die Haare,
verschluckte den Zeichner in seiner eigenen Emotion.


© Melchior


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Beschreibung des Autors zu "Das ewig freundliche Lächeln"

Ein Zeichner und das Hauptmerkmal seines Lebens, eingebettet in einen Ausfluss von Lyrik, den ich einfach loswerden wollte.

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