Wenn ein Wunsch in Erfüllung geht

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Es ist Heiligabend Nachmittag und es fängt ganz sachte an zu schneien. Die hereinbrechende Dämmerung spielt zart mit den Konturen der Landschaft. Es hat so lange nicht geschneit und die kleine Berta ist so glücklich, dass sie sich vor Freude im frisch gefallenen Schnee wälzt. Schnell schaut sie zu den Fenstern ihres Hauses, ob sie auch nicht von ihren Eltern beobachtet wird, denn es besteht ja die Gefahr, dass sie sich schmutzig machen könnte. Aber die Eltern sind froh, dass ihre Tochter draußen beschäftigt ist, damit sie die letzten Vorbereitungen für die Bescherung erledigen können. Diese findet nämlich vor dem Abendessen statt. Das hat sich so ergeben, weil Berta vor lauter Vorfreude beim Essen nie einen Bissen runter bekommen hat.
Wie alt Berta ist? Naja, das verrät man bei einer Dame nicht. Sie hat eben dieses Alter, wo man noch an das Gute in der Welt und an den Weihnachtsmann glaubt. Geschwister hat sie nicht, aber eine Katze, Morle.

Mittlerweile ist es dunkel geworden. Die Zeit vergeht wie im Flug … für Berta nicht. Sie hat schon gefühlte hundertmal zur Haustür geschaut, dass ihre Eltern endlich das erlösende Wort „Bescherung“ rufen. Berta hat angefangen einen Schneemann zu bauen, aber das wird nichts, denn der alte Schnee ist zu hart und der neue packt noch nicht.
Dann geht endlich die Haustür auf und Bertas Mutter ruft:
„Hey, Kleines, es ist soweit. Komm rein, Bescherung!“
Vor Freude rennt Berta los und übersieht die kleine Bauchkugel des angefangenen Schneemanns … und legt sich lang. Die Mutter lacht und mahnt zur Vorsicht und dass sie doch alle Zeit der Welt haben und nimmt ihre Tochter an die Hand. Im Haus noch schnell Jacke und Mütze aufhängen und in die Hausschuhe schlüpfen. Nun führt die Mutter das vor Aufregung zitternde Mädchen ins Wohnzimmer. Dort wartet der Vater. Er hat die echten Kerzen am Baum angezündet und für dezente Weihnachtsmusik gesorgt. Mit glänzenden Augen steht Berta vor dem mächtigen und wunderschönen Weihnachtsbaum. Mutter, Vater und Tochter umarmen sich und wünschen sich „Frohe Weihnachten“. Sogar Morle hat man eine rote Schleife mit einem Glöckchen umgebunden. Die Katze muss mit der ungewohnten Situation erst mal klar kommen. Dann sieht Berta vor dem Baum ihr Weihnachtsgeschenk: Einen großen Schlitten mit sechs Rentieren davor. Auf dem Schlitten sitzt ein Plüschweihnachtsmann, hinter ihm Attrappen der Geschenkkartons. Berta schaut etwas enttäuscht, denn sie hat sich auf ihrem Wunschzettel, den sie zum Weihnachtsmann schickte, eine Schlittenfahrt mit ihm gewünscht. Aber sie denkt sich, dass der Weihnachtsmann so viel zu tun hat, dass er nicht mit einem kleinen Mädchen in der Gegend herum fahren kann. Also ist dieser Spielzeugschlitten besser als nichts.

Nachdem alle Geschenke ausgepackt und getestet sind, wird es Zeit für das Festessen. Die Familie genießt es in friedlicher Ruhe. Auch Morle hat zur Feier des Tages ein besonderes Leckerli: Geflügel.

Heiligmorgen, Heiligmittag und Heiligabend, es war ein schöner, aber auch anstrengender Tag. Es wird für alle Zeit ins Bett zu gehen. Morle liegt schon in ihrem Körbchen in Bertas Zimmer und döst vollgefressen vor sich hin. Auch Berta fällt müde in ihr Bett und schläft schnell ein.

Es ist eine dieser Nächte, wo man Mäuschen sein möchte. Die Atmosphäre ist zum Zerbersten gespannt schön. Katze und Menschen schlafen fest. Die Schneeflocken klopfen zärtlich an die Fensterscheiben, um ja niemanden zu wecken, aber um zu sagen: Es ist Winter und wir verzaubern die Landschaft.

Doch plötzlich muss Berta unfreiwillig ihren Schlaf unterbrechen. Sie spürt im rechten Arm Schmerzen, so als wenn sie eine Katze kratzt. Als Berta endlich ihre Augen öffnet, sitzt Morle neben ihr auf dem Bett und kratzt mit ausgefahrenen Krallen an ihrem Arm entlang.
„Sag mal, hast du sie noch alle mich zu wecken und mich auch noch zu kratzen?“, fragt Berta ärgerlich ihre Katze.
„Es tut mir Leid“, spricht Morle, „ich hätte dich sonst nicht wach gekriegt und draußen steht der Weihnachtsmann und wartet auf dich mit seinem Schlitten.“ …
Berta ist so überrascht, dass sie sich gar keine Gedanken macht, warum Morle plötzlich sprechen kann. In ihrem Kopf ist nur dieses: Er hat meinen Wunschzettel bekommen, wouhh, er hat ihn doch bekommen.
Hastig zieht Berta sich wintermäßig an. Sie macht ganz leise, damit ihre Eltern nicht wach werden. Bevor sie die Haustür öffnet, nimmt sie Morle noch einmal ganz fest in den Arm, küsst sie auf den Kopf und sagt:
„Du musst leider hier bleiben, und danke.“
„Kein Problem … und viel Spaß“, antwortet Morle.
Dann öffnet Berta erwartungsvoll die Haustür und schließt sie leise hinter sich. Und da steht er nun, riesig, unglaublich, ein echter Weihnachtsschlitten, und das vor ihrem Haus. Davor sechs Rentiere, die bei der Kälte schnaufen und dampfen. Vorne auf dem Schlitten sitzt ein älterer Herr mit langem, weißen Bart und einem roten Mantel. Mit tiefer Stimme fragt er:
„Hallo kleines Fräulein, wohnt hier die Berta?“
Berta bekommt vor lauter Aufregung keinen Ton heraus. Nach einer Weile piepst sie:
„Ja, das bin ich.“
„Hoho, das passt ja gut. Ich bin der Weihnachtsmann und möchte dich zu einer Rundfahrt einladen, genau, wie du es dir auf deinem Wunschzettel gewünscht hast.“
Berta ist jetzt so aufgeregt, dass sie aufpassen muss, dass ihr Herz weiter schlägt.
„Komm, steig auf den Schlitten, such dir hinten einen Sitzplatz zwischen den Geschenken und halt dich gut fest, damit du nicht rausfällst“, sagt der Weihnachtsmann.
Um Berta etwas von ihrer Aufregung abzulenken, spricht er weiter und fragt folgendes:
„Weißt du denn, warum ich ausgerechnet dir deinen Wunsch erfülle?“
Berta verneint stumm durch Kopf schütteln.
„Nun, du bist das einzige Kind hier in der Gegend, dass noch an mich glaubt. Ja, und die Erwachsenen kann man sowieso vergessen.“
Dieser Satz macht Berta sehr stolz.
„So, junge Dame, gut festhalten, es geht los.“
Der Weihnachtsmann sagt zu seinen Rentieren ein paar Worte in einer Sprache, die Berta nicht versteht. Dann geht ein starker Ruck durch den Schlitten und sie fahren. Unter ihnen das Fauchen der Kufen im Schnee, über ihnen der Fahrtwind, den Berta aber gar nicht als kalt empfindet. Nach einer Weile verstummen die Fahrgeräusche der Kufen. Nanu, halten wir an? Vorsichtig schaut Berta seitlich aus dem Schlitten und sieht ganz weit unten die vielen kleinen Lichter der Stadt. Wir fliegen und der Schlitten steigt steil in den Himmel. Berta ist einfach nur glücklich und genießt die Fahrt, nein den Flug, wie die Häuser und Autos klein wie bei einer Modelleisenbahn sind, wie das Nordlicht am Himmel den Weg zeigt und dass sie mit niemandem auf der ganzen Welt tauschen möchte.
„Wir fliegen, das ist ja unglaublich, wir fliegen“, ruft sie in den Fahrtwind.
„Du kannst ja wieder sprechen“, sagt der Weihnachtsmann schmunzelnd, „halt dich gut fest, wir landen gleich um Geschenke abzugeben.“
Geschickt setzt der Weihnachtsmann das schwere Gefährt zur Landung an. Eine lange gerade Dorfstraße, die aber stellenweise keinen Schneebelag hat. Der Schlitten verzögert so stark, dass Berta nach vorn geschleudert wird und mit dem Kopf an das Geländer des Schlittens knallt. Oh, oh, das gibt eine mächtige Beule, denkt sie, aber ist zu stolz und zu beschäftigt zu jammern und zum Glück hat es der Weihnachtsmann nicht gesehen.

So langsam nähert sich die Rundreise dem Ende. Der Weihnachtsmann landet vor Bertas Haus und bedankt sich für die nette Gesellschaft und für ihre Hilfe beim Geschenkpakete verteilen. Berta spricht zum Abschied ganz mutig zum Weihnachtsmann:
„Danke für das unvergessliche Erlebnis. Sehen wir uns wieder?“
„Ich weiß es nicht“, erwidert der Weihnachtsmann, „das hängt von dir ab. Es kommt die Zeit, da wirst du mich vergessen haben, aber dieses Erlebnis heute wird immer in deinem Gedächtnis sein. Mach's gut, bleib gesund, und leg dir einen kalten Lappen auf deine Beule.“
Oh ja, der Weihnachtsmann sieht und weiß alles. Berta schmunzelte und schaut glücklich, aber auch traurig, hinter dem startenden Schlitten her.
Es ist noch dunkel, aber Berta friert immer noch nicht, und die Haustür lässt sich ohne Schlüssel öffnen. Das ist schon eine besondere Nacht. Berta schleicht ganz leise durchs Haus, um niemanden aufzuwecken. Sie zieht die Sachen von ihrem Außendienst aus und geht in ihr Zimmer. Dort liegt Morle tief schlafend in ihrem Körbchen. Auch Berta fällt total erschöpft in ihr Bett und schläft sofort ein.

Am Morgen wacht Berta auf und ist sehr glücklich. Sie weckt voller Freude ihre Katze.
„Du, Morle, ich hatte einen tollen Traum“, will Berta ihrer Katze erzählen.
Aber die dreht sich desinteressiert um und schläft weiter. Ärgerlich legt Berta sich wieder ins Bett, als ihr rechter Arm schmerzt und juckt. Sie schiebt das Nachthemd hoch und sieht Kratzwunden einer Katze auf ihrem Arm. Vor Schreck traut sie sich nicht sich zu bewegen, denn sie kann jetzt eins und eins zusammen zählen. Sie nimmt ihren ganzen Mut zusammen und greift sich auf den Kopf. Autsch, eine Beule ... d i e Beule? ...
Dann war das Erlebte letzte Nacht gar kein Traum?! Mit einem Satz springt Berta aus ihrem Bett, packt Morle, die vor Schreck hellwach ist, und wirft sie bei sich aufs Bett.
„So, was war los heute Nacht?“, schreit sie ihre Katze an, „und komm mir nicht mit Ausreden, ich weiß genau, dass du sprechen kannst!“
Morle schaut Berta gelangweilt an und springt mit einem langgezogenen „Miiauu“ vom Bett und legt sich wieder in ihren Korb.

Berta sitzt vor ihrem Spiegel und betrachtet die Kratzer am Arm und die Beule am Kopf und hat keine Erklärung. Aber ihre Eltern dürfen das auf keinen Fall sehen. Sie zieht sich einen langärmeligen Pulli an und kämmt ihre langen schwarzen Haare in die richtige Position.

Dann klopft es an ihrer Tür. Die Mutter tritt ein und wundert sich, dass Berta schon aufgestanden und sogar schon angezogen ist.
„Guten Morgen, Kleines. du siehst ja so glücklich aus. Du hast doch bestimmt was schönes geträumt?“
„Ja, Mama, ich weiß nur nicht ob es ein Traum war oder ob ich es tatsächlich erlebt habe.“
„Oh, dann war es ein guter Traum“, spricht die Mutter und geht lachend aus dem Zimmer.
So sind die Erwachsenen, die Wahrheit glauben sie nicht.

Ich brauche einen Zeugen von dieser nächtlichen Aktion, denkt sich Berta und sieht Morle bohrend in die Augen. Diese wiederum schaut Berta mit einem hämischen Grinsen an, fährt ihre Krallen aus und macht mit ihrer rechten vorderen Pfote eindeutige Kratzbewegungen ...


© Wolfgang Sonntag


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Beschreibung des Autors zu "Wenn ein Wunsch in Erfüllung geht"

Eine Weihnachtsgeschichte aus meinem Herzen. Jedoch mit einem Open End und der Frage: Traum oder Wirklichkeit? ... Aber liegt das bei uns Schreiberlingen nicht oft dicht zusammen?
Ich wünsche euch allen ein frohes Fest, einen guten Rutsch ins neue Jahr und ein gesundes Zweitausendeinundzwanzig.
Euer Wolfgang

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Kommentare zu "Wenn ein Wunsch in Erfüllung geht"

Re: Wenn ein Wunsch in Erfüllung geht

Autor: ulli nass   Datum: 24.12.2020 15:18 Uhr

Kommentar: Eine schöne Weihnachtsgeschichte Wolfgang. Hoffentlich ist noch ein bischen Berta in uns
allen. Das könnte helfen.
Ich hab in meinem Leben nur einmal vor Jahren eine Weihnachtsgeschichte geschrieben.
Sie findet sich noch auf dieser Plattform. 'Lucy . . . '
Unsere Berta ist übrigens schon da. Sie ist 32.

liebe Weihnachtsgrüße
ulli

Re: Wenn ein Wunsch in Erfüllung geht

Autor: Eleonore Görges   Datum: 24.12.2020 16:33 Uhr

Kommentar: Eine ganz süße Weihnachtsgeschichte lieber Wolfgang... ich mag solche Geschichten für das Kind in mir :-)

Frohe Weihnachten wünsch ich dir!

LG, Eleonore

Re: Wenn ein Wunsch in Erfüllung geht

Autor: Bluepen   Datum: 25.12.2020 5:32 Uhr

Kommentar: Lieber Wolfgang,

diese Weihnachtsgeschichte hat mir gut gefallen, weil sie Träume und Hoffnungen verbindet und nebenbei an unsere Kindheit erinnert.

Frohe Festtage - Bluepen

Re: Wenn ein Wunsch in Erfüllung geht

Autor: Alf Glocker   Datum: 25.12.2020 9:38 Uhr

Kommentar: Feine Geschcihte!

LG Alf

Re: Wenn ein Wunsch in Erfüllung geht

Autor: agnes29   Datum: 25.12.2020 12:52 Uhr

Kommentar: Lieber Wolfgang,
eine sehr schöne Geschichte, wenn ein Wunsch in Erfüllung geht.
So kann nur jemand schreiben der noch fühlt wie ein Kind.
Das Bild dazu finde ich schön und passend.

Frohe Weihnachten wünsche ich dir und einen guten Rutsch
ins neue Jahr. Liebe Grüße Agnes

Re: Wenn ein Wunsch in Erfüllung geht

Autor: Wolfgang Sonntag   Datum: 28.12.2020 11:11 Uhr

Kommentar: Hallo meine Lieben,
vielen Dank für eure gefühlvollen Kommentare zu meiner Weihnachtsgeschichte. Ich mache mir aber Gedanken, warum sich plötzlich so viele unregistrierte Besucher für diese Geschichte interessieren; da gibt es wohl anonyme Fans.
Dank auch an die bekannten Knöpfer und an jene, die noch in meinen Zeilen verweilen werden.
Bis zu meinem nächsten Werk.
Euer Wolfgang

Re: Wenn ein Wunsch in Erfüllung geht

Autor: Dieter Geißler   Datum: 28.12.2020 16:36 Uhr

Kommentar: Eine süße Geschichte. Man merkt das sie mit viel Liebe geschrieben wurde.
Toll.

LG Dieter

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