Liege in meinem Zimmer mit meiner Gitarre in der Hängematte, schwinge langsam von rechts nach links und klimpere leise vor mich hin. Gerade als ich mich beschäftige mir meines Glückes gewahr zu werden, wird meine meditative Ruhe jäh gestört, als da der Klang der Türklingel durch die Wohnung schallt.
Überlege wer es sein könnte. – Ist sicher unwichtig. Spiele weiter.
Es klingelt noch mal. Klingt sehr aggressiv.
Höre, wie Heinrich zur Tür geht. Gut.
Nach ein paar Minuten unverständlichem Genuschel, schlägt die Tür ins Schloss. Einen Augenblick später, steht er in der Zage und lauscht meinem Gedudel.

„Wer war das?“
„Die Nachbarin.“
„Was wollte die denn jetzt wieder?“, frage ich und höre auf zu schaukeln.
„Die Müllsäcke die du offenbar gestern an die Straße gestellt hast, sind umgekippt. Darüber hinaus kommt die Müllabfuhr erst Mittwoch. Sie sachte, dass wir sie wieder reinholen sollen. Und du sollst da draußen fegen.“
„Wieso soll ausgerechnet 'ich' fegen?“
„Du seiest immer hier und hättest nichts zu tun.“
„Was?“, frage ich leise, mit gespielter Überraschung, „Das wusste ich ja gar nicht. – Wie gut, dass eine alte Frau, die ich nur sporadisch beim Wischen sehe, mich auf diesen wichtigen Fakt meines Lebens hinweist. – Wie bin ich bloß ohne sie ausgekommen?“
"Wer bei mir am Sonntachmorgen klingelt, hat so wie so schon verloren." Er lächelt, „Sie sachte mir neulich, ich soll meine Joghurtdeckel nech’ ablecken. Sie habe 'nur' abgeleckte Joghurtdeckel in meinem Müll gefunden.“
Ich muss bitter lachen, „Dieser Runnig-Gag wurde ihnen präsentiert von Ernst&Flach-Entertainment. – Das ist Krank.“
„Wieso soll ich mir die Zeit nehmen zu analysieren, warum diese Frau nech’ ausgelastet is’?“, fragt er und setzt sich auf einen Sessel den ich aus Jaffakisten gebastelt habe. Zu seiner Überraschung stellt er fest, dass man darauf ganz gut sitzen kann.

„Sie ist genau wie meine Schwester.“, sage ich, „Die kann es auch nicht ertragen, wenn jemand nichts macht.“
Er überlegt. „Wie heißt deine Schwester noch mal?“
Ich muss schmunzeln. „Hauke.“, sage ich, „Mir fällt ein Satz aus meiner Kindheit ein: ‚Hör auf die Hauke zu hauen!’“
Ich sehe meine Gitarre an und trete in eine Pfütze aus Lethargie.
„Es verletzt mich manchmal, dass die Menschen meine Arbeit nicht als solche anerkennen. – Meine Schwester hat mich deshalb rausgeschmissen. – Dabei könnte mein Dasein ein Kunstwerk werden. Ja, sogar ein Vorbild für Menschen wie sie. – Sie fürchtet die Lücke im Lebenslauf mehr als den eigenen Tod. – Sie fürchtete, mein beispiellos schlechtes Verhalten könnte auf sie abfärben. – Ich kann nicht glauben, dass sie das wirklich gesagt hat. Diese Workload-Junkies sind wie Sektenmitglieder. – Seither ist es mein Anliegen, jenseits aller industrialisierter Wellness, die Individualendspannung zu kultivieren.“
„Deshalb hat se dich rausgeworfen?“
„Während ich ruhig und friedlich ein Butterbrot gegessen habe, hat sie sich pausenlos über ihre mangelnde Omnilokationsfähigkeit beschwert. Wenn ich mich genau so verhalten hätte, hätte ich ihren Stresshunger nur legitimiert.“

„Passiver Widerstand.“
„Soll ich mich zum Werkzeug schädlicher Absichten machen lassen? – Meine Schwester ist fünf Jahre jünger als ich. Wo will die denn hin? –
Sie wird weder getrieben von Glück noch Ehrgeiz, sondern von Angst und Zweifel. – Sie bereut jetzt schon, dass sie in Zukunft etwas bereuen könnte. Sie ist eine eiserne Verfechterin der neuen Wirtschaftskampagne ‚Sag nein zu dir selbst’.
Etwas zu bereuen gehört zum Leben, wie etwas Verdorbenes zu essen: Man weiß, es ist nicht gut, man macht es nicht freiwillig, aber es passiert trotzdem. Und danach geht das Leben meistens weiter. – Oder um es auf die Kerninformation zu reduzieren: ‚Das Leben ist kein Ponyhof’.“
„Hast du mit ihr gesprochen?“
„Ich glaub nach dem Burn-Out wird sie die Welt anders sehen. – Sie würde sich Vorwürfe machen, in der Hängematte zu liegen und die Nachbarin abblitzen zu lassen.“
Ich streiche mit der Hand über den Korpus der Gitarre, „Dass manche Menschen immer einen Legitimationsgrund brauchen, um nichts zu machen. – Rousseau erhob den Müßiggang zu einer seltenen Tugend, der man sich am besten allein widmet.“

„Wann wird Müßichgang zur Bequemlichkeit?“, fragt er, wie ich mein behäbiges Schaukeln wieder aufnehme.
„Selbst Nichtstun erfordert Disziplin: 'Halte stehts diejenige Pause von der du wollen kannst, dass sie zugleich eine allgemeine Ruhezeit werde'."
„Wie oft gedenkst du den kategorischen Imperativ noch durch den Fleischwolf zu drehen?“
„Das Leben verlangt nach Ordnung und Struktur. – Warum soll ich nach den Gesetzen Kants leben, wo er doch selbst aufforderte den 'eigenen' Verstand zu benutzen?“
„Mit ein bisschen Philosophie kann man sich die Umwelt nech’ wechwünschen.“
„Aber dann sag mir, was macht den Imperativ kategorisch?“
„Was macht den Imperativ kategorisch?“
Nachdenklich lässt er den Blick über den Boden schweifen, schlägt mit den Händen auf seine Knie und blickt zur Decke, „Weiß ich nech’.“

„Es ist ein Imperativ, will ich nach einem Döner nicht nach Zwiebeln riechen, muss ich zumindest ein Kaugummi kauen. Aber das macht den Imperativ noch nicht kategorisch. – Es besteht weder eine Pflicht noch eine Notwenigkeit, nicht das Zwiebeln zu riechen.“
„Das seh’ ich anders.“
Ich winke ab. „Will man jedoch produktiv und ausgelastet sein, muss man zusätzlich zu Schlaf und Essen den Mut besitzen, einfach rum zu liegen. – damit ist man nicht faul, sondern erkennt im Gegenteil sogar die Notwenigkeit an, produktiv zu sein.“

Er kneift die Mundwinkel zusammen, „Hm. Hört sich jut an.“ Er streckt sich auf meinem Sessel aus, zündet sich eine Zigarette an und guckt an die Decke.
Ich spiele ein paar Akkorde.
"Was ist Endspannung?“, frage ich, „Endspannung ist der Ausgang aus dem fremdverschuldeten Zeitdruck. Zeitdruck ist die Unfähigkeit sich ohne die Hilfe anderer seiner eigenen Muse zu bedienen. – Habe den Mut dich deiner eigenen Muse zu bedienen."


© Hiram Abif


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Beschreibung des Autors zu "Friedrich Chiller - Ein Dialog"

Eine weitere Geschichte aus dem Leben des hanseatischen Rechtsanwaltes Heinrich Kesselers und des namenlosen Chronisten.




Kommentare zu "Friedrich Chiller - Ein Dialog"

Re: Friedrich Chiller - Ein Dialog

Autor: Uwe   Datum: 30.10.2014 20:46 Uhr

Kommentar: Danke für das mir unbekannte Wort "Omnilokationsfähigkeit"!
Und heißen Dank, dass du mich so zum Lachen bringst!
Auf manchen Speditionsfahrzeugen steht als Werbetext: "Wir bringen es!"
Hiram, du bringst´s wirklich!
Uwe
(Ärgere dich nicht, nur 38 Leute haben deinen Text gelesen, davon nur zwei "gefällt" angeklickt? Auf DIE kam es wahrscheinlich an.)

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