Einen Gegenstand vierdimensional betrachten zu können ist für Götter, die eine Schöpfung im Sinn haben, unbedingt notwendig. So können Fehler erst gar nicht entstehen, sondern noch vor ihrer Entstehung, durch die Betrachtung und Prüfung des Endprodukts verhindert werden. Dabei ersetzt das Spiel mit der „Realität“ den Improvisations-Imaginator, auf den intelligente Wesen angewiesen sind, die sich in einem natürlichen Zeitablauf befinden. Götter dürfen dem jedoch nicht unterworfen sein. Sie stellen das Schicksal für alle Lebensformen dar und wachen akribisch darüber was entsteht und was mit dem Entstandenen geschieht.

So war’s jedenfalls geplant, doch die warnenden Stimmen wollten nicht komplett verstummen. Aber zunächst war die überragende Technik der Götter damit beschäftigt möglichst viele Eismeteoriten auf die Erde zu lenken, damit Ozeane entstehen konnten. Durch ihren Einsatz wurde der Zeitraum enorm verkürzt, der normalerweise zur Entstehung von Leben führt, doch man gedachte ja ohnehin alle Zeiträume sehr zu verkürzen, damit, quasi auf kürzestem Weg, ein bisher im Universum weder mach- noch denkbares Wesen zu erschaffen…eines, das dann einmal ein fleischliches „Ebenbild“ des Universums sein sollte. Wie genau würde es aussehen?

Inzwischen wimmelten die Holodecks geradezu von haarsträubenden Phantasie-Kreaturen, von denen eine wilder und unberechenbarer wirkte als das andere. „Wenn dasss intelligente Wesen sein sollen, dann gnade uns Gott“ dachten viele, doch die Spitzen der Wissenschaft bestanden auf der Fortführung des Experiments! Die Erde wurde langsam kälter. Ihre Vulkane spien weniger Asche in die junge Atmosphäre, die hauptsächlich aus Wasserstoff und Helium bestand und endlich, endlich ließen die ersten Molekül-Gruppen auf ein baldiges Auftreten von Bakterien schließen. Der Sturm des Lebens begann…in den Urozeanen. Und noch griffen die Götter nicht ein! Sie warteten auf komplexere Lebensformen. Wie überall im Universum nahm zunächst alles einen logischen Verlauf: Der Weg zum Wirbeltier bot 2 Alternativen…

Wieder bildeten sich 2 philosophische Lager heraus, die unterschiedliche Weg vorschlugen. Das Team um 5JLL-DDS schlug vor, den frühesten Vorfahren der Götter für das Projekt herzunehmen und leicht abzuwandeln, da es sich ja, in seinem Werdegang, als beinahe fehlerlos gezeigt habe. Doch der Vordenker VR-00-00-69 schlug einen gänzlich neuen, vom Universum noch niemals erprobten Ansatz zur Entstehung lebensfähiger Intelligenzen vor. Und der lautete: „Wir müssen unsere ‚Quasi-Vorfahren‘ total auslöschen, damit sich etwas absolut Neues breitmachen kann!“ Die ihm entgegengehaltenen Einwände wie „Das wird eben nicht lebensfähig sein!“, oder „Du provozierst geradezu die Geburt geistesverwirrter Individuen!“ ließ er nicht gelten, indem er immer wieder auf die fehlende Individualität unter den Göttern verwies.

So kam es, daß, als ein wunderbar tüchtiger, insektoid anmutender Verwandter der Vorfahren der Götter, auf der Erde auftrat und sie zu beherrschen begann – während eine winzige Meeresschnecke, die zur gleichen Zeit lebte, seine Hauptnahrung bildete – plötzlich riesige Raumschiffe aus dem All kamen. Sie hatten zuvor die Zeitmauer zum virtuellen Teilchenmeer durchbrochen, das entsprechende Raum-Zeit-Kontinuum gewählt, um dann in den Urozean einzutauchen. Dort erfassten ihre Mikro-Detektoren das vorhandene Leben und sonderten es, nach seinen Arten aus. Die daraufhin ausgesandten Todesstrahlen vernichteten die tüchtigen, insektoiden Quasi-Vorfahren der Götter restlos! Von ihnen durfte nichts übrigbleiben – sie hätten sich immer wieder rasend schnell vermehrt und erneut alles andere dominiert und aufgefressen.

„Ein Sakrileg!“ protestierte das Team um 77-OLKTG, aber der Vordenker VR-00-00-69 triumphierte, zusammen mit seinen Helfern, die allesamt auf seine große Kompetenz vertrauten…war er doch nachgewiesenermaßen der hellste Kopf des Heimatplaneten. „Wir müssen das Unmögliche wagen um es möglich zu machen“, argumentierte er, „wir dürfen nicht glauben, daß die kosmische Gesamt-Seele ebenso denkt wie wir, oder so aussehen möchte wie wir aussehen. Alles deutet auf etwas ganz Anderes hin: auf etwas immerfort Überraschendes, auf etwas Irres vielleicht auch – auf ein Wesen, dessen Ultima Ratio in seiner unendlichen Wandlungsfähigkeit besteht. Es will Fehler machen, leiden und leidenschaftlich sein, ohne seine Fähigkeiten genau begründen zu können.

Auf der anderen Seite des Universums, weit vor dem Teilchenmeer, breitet sich inzwischen der Unmut unter der Bevölkerung aus. „Wir initiieren das größte Vorhaben, das jemals erdacht und ausgeführt worden ist, zu dem man vergleichsweise die gesamte, vorhandene Energie aufwenden muss – und alles nur um selbst in Zweifel zu ziehen?!“, skandierten in Gedanken die Massen der Bürger. Und Angst machte sich breit…ein Gefühl, das den Göttern nun seit Millionen Jahren unbekannt gewesen war. Aber immer mehr Götter meldeten sich (aus allen Geistesschichten), um bei diesem „Laborversuch“ mitarbeiten zu dürfen. Noch niemals zuvor hatten die Raum-Bahnhöfe einen solchen Boom erlebt.

Tausende Teams schifften sich ein um in den einzelnen Sektoren eingesetzt werden zu können. Die einen forcierten die Entstehung neuer Arten aus dem schneckenartigen Kleinlebewesen mit der Andeutung einer Wirbelsäule, die anderen töteten misslungene Nachfahren ab und berichteten ihre Arbeitsresultate und Analysen in die Zentrale. So langsam schien kein Weiterkommen mehr möglich: alle Versuche der Natur erwiesen sich als unbrauchbar! Doch, kurz vor der Einstellung des Projekts erreichte eine positive Meldung das Hauptquartier auf dem Götterstern. „Es hat sich weiterentwickelt! Wir sind jetzt drauf und dran eine Art Fisch vor uns zu haben!“ Jubel und Erleichterung machte sich breit.

„Wenn das so kompliziert weitergeht können wir vergessen jemals etwas anderes, ebenso Göttliches wie wir selbst sind, in Aussicht zu haben“, fabulierte der Wissenschaftsrat aller bisher im Universum etablierter Mächte, aber er ließ sich vertrösten, denn der Improvisations-Imaginator hatte, anhand neuer Daten, ein etwas harmloser aussehendes Zukunftsbild von einer neuen intelligenten Lebensform auf die Holodecks projiziert. Dort tummelte sich jetzt, in Paaren angeordnet, eine, leider immer noch verrückt anmutende Spezies, die aber inzwischen etwas friedlicher wirkte. „Ob wir uns damit abfinden können, bzw. uns damit zufriedengeben sollten, sei dahingestellt, meinten die Abordnungen der Verantwortlichen…doch irgendwo, im Zusammenspiel ihrer universellen Gedankenverbindungen hatte sich eine Idee gemeldet, die von niemandem kam.

Sie lautete: „Weitermachen, ich bin wie ich bin!“ Unverstanden, wie die Botschaft auch war, drang sie unaufhaltsam durch alle Dimensionen, bis zu den Schöpfungsbeteiligten hinter der Zeitmauer, auf der anderen Seite des Teilchenmeers vor, um dort die entsprechende Wirkung zu zeitigen – und wie durch ein Wunder berichteten auf einmal die Beobachter in der Zukunft des fischigen Kleinwesens von einem Schlammspringer, der sich anschickte den festen Teil des Versuchsplaneten „Erde“ zu besiedeln. Ein Staunen ging durch die Welten der Götter – und sie fassten Mut (nicht ohne weiterhin Furcht zu empfinden) optimistisch voranzuschreiten. Was würden die Versuchsreihen noch alles bringen?


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Als die Götter noch vierbeinige Ameisen waren -7- Die unwirkliche Wirklichkeit"

Re: Als die Götter noch vierbeinige Ameisen waren -7- Die unwirkliche Wirklichkeit

Autor: possum   Datum: 07.08.2020 1:29 Uhr

Kommentar: Also wie du nur immerzu solch unwirkliche ... wirkliche Werke formulierst lieber Alf, faszinierend,

lieben Gruß!

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