Sommer in New York

© Maid Marion

Im Sommer 1983 war ich bei einem Studentenaustauch während der Semesterferien unter anderem auch in New York. Ich schlenderte durch den Central Park, und traf auf einen Mann, der künstliche Blumen zu verkaufen hatte, blau-weiße. Sie gefielen mir sofort, und ich kaufte gleich mehrere davon.

100 Meter weiter, kam ich an einer Bank vorbei, auf der eine junge Frau von vielleicht 30 Jahren saß. Ich merkte sofort, dass irgendetwas nicht in Ordnung war, weil ihr Gesichtsausdruck sehr traurig aussah. Ich ging zu ihr, und sprach sie auf Englisch an. Ich sagte: Ist alles okay? Geht es Ihnen gut? Sie antwortete: Nein, Nein, es ist alles okay. Aber ich sehe es doch Ihrem Gesicht an, dass da was nicht stimmt, sagte ich. Dann schüttete sie mir ihr Herz aus und erzählte mir, dass ihr Chef ihr nach 15 Jahren Mitarbeit gekündigt hatte.
Ich konnte nicht mehr tun, als mir ihren Kummer anzuhören, und ihr eine von meinen Blumen schenken, und man sah es ihr an, dass sie gerührt war.
Das Alles ist jetzt zwar schon lange her, aber trotzdem kommt mir diese Frau noch mal in den Sinn.

An einem Tag hatte sie Lust, einfach mal kreuz und quer durch New York zu fahren. Sie durchquerte ein vornehmes Wohngebiet mit prachtvollen Residenzen, in denen sicherlich sehr reiche New Yorker lebten, und eine vierspurige Straße mit vielen Geschäften, auf der es von Menschen nur so wimmelte. Sie fuhr auch die Fifth Avenue herunter, und bestaunte das vornehme Waldorf-Hotel, mit seinen vielen internationalen Fahnen. Nach ca. einer halben Stunde des Herumfahrens wurde ihr bewusst, dass die Umgebung sich nach und nach veränderte. Die Gegend wurde immer ärmlicher, alte Zeitungspapier-Fetzen wurden über die Straße geweht, überquellende Mülltonnen begannen sich zu häufen, es gab jede Menge streunende Katzen und Hunde – und sie sah nur noch schwarze Menschen! Spätestens da wurde ihr bewusst, dass sie mitten in Haarlem gelandet war. Und plötzlich fing der Motor an zu stottern und zu spucken, und gab dann ganz den Geist auf.

Sie saß bibbernd im Wagen und dachte: Oh Gott, ich werde erschlagen, ich werde erstochen, ich werde erschossen! Dann kam ein Mann auf sie zu und fragte auf Englisch: Was ist los? Ich antwortete: der Motor tut es nicht mehr. Der Mann sagte: Machen Sie mal die Haube auf. Sie tat es, er machte eine kurze Handbewegung, und sagte dann: Probieren sie es jetzt noch mal. Sie versuchte den Motor zu starten – und es funktionierte! Der Mann beugte sich zum Fenster herunter uns sagte: Sehen Sie zu, dass Sie hier nie wieder stecken bleiben.

Immer noch am ganzen Leibe zitternd, fur sie, zunächst etwas langsam, um sich erst mal von diesem Schreck zu erholen, dann zügiger, bis sie aus der Gefahrenzone gekommen war. Sie atmete tief ein und sagte: Uff! Das ist ja gerade noch mal gut gegangen.

Ich denke, dass es in New York nur sehr selten geschieht, dass Menschen sich um andere Menschen sorgen.
Und darum bin ich froh, das ich nicht in New York wohne, sondern in einer mittelgroßen, sehr schönen Stadt in Deutschland...


© Maid Marion


2 Lesern gefällt dieser Text.

Unregistrierter Besucher


Beschreibung des Autors zu "Sommer in New York"

Ein kleiner Reisebericht aus einer Zeit, in der das Leben noch sorgenfrei war. Ich war damals 23 Jahre alt.

Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Sommer in New York"

Re: Sommer in New York

Autor: possum   Datum: 18.12.2019 0:29 Uhr

Kommentar: Der liebe Jörg hat es oben schon so schön ausgedrückt,
ich schließe mich gerne an,
lieben Gruß!

Kommentar schreiben zu "Sommer in New York"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.