Ein Meister sagte einmal zu seinem Schüler:

Es lebte einmal ein König, der hatte Nichts.
Der König hatte so ein großes Reich, das, wenn man dort ein Meer gebaut hätte, eintausend Blauwalle schwimmen und leben hätten können. Aber der König brauchte sein Land, weil er lange Spaziergänge liebte und dabei lieber alleine war.

Aber, er hatte Nichts.

Sein Schloss war so groß, die arme Frau, die die Zimmer reinigen mußte, hatte dafür nur eine Woche Zeit; und da diese Zeit nicht reichte, all die vielen Zimmer zu reinigen, schrieb der König einen Erlass, und verlängerte die Woche von sieben Tage auf einundzwanzig. Selbstverständlich wurde die arme Frau nach der alten Woche bezahlt.

Aber, er hatte Nichts.

Er hatte ein Harem, das wog so viele Frauen in sich wie das Jahr Tage zählt. Und jeden Tag war er mit einer anderen zusammen, und jede Frau kam einmal im Jahr an die Reihe. Da der König sich nicht all die Namen merken wollte, nannte er sie alle Frau.

Aber, er hatte Nichts.

Er hatte viele Dutzende Kinder, Mädchen und Jungs, die sein Aussehen geerbt hatten. Aber Keines dieser Kinder wollte er sehen, da sie ihn zu sehr an seine Vergänglichkeit erinnerten.

Aber, er hatte Nichts.

Und dann kam ein solcher Sturm, tausend mal stärker als den übelsten Sturm, den du dir vorstellen kannst, der nahm Alles mit was dem König gehörte, Land, Schloss, die Reinemachefrau, sein Harem und alle Kinder. Nur der König blieb unversehrt. Er sass pitschnass auf einen Stein und wiegte seinen Kopf hin und her, und weil er sich schämte, weinte er, ihm ging nicht in den Kopf, warum gerade er es war, der als Einzigster überlebt hatte. Da schien ihm die aufkommende Sonne ins Gesicht und trocknete seine Tränen.
Er war plötzlich mit Ehrfurcht erfüllt und sein Herz öffnete sich ihm weit. Er weinte wieder, aber nicht mehr um sich, sondern um seineFrauen und Kinder, er empfand Mitgefühl für sie, auch für seine Reinemachefrau.
Er besorgte sich eine Schaufel und begann ein Meer auszuheben, und er dachte, hier werden es die Blauwale gut haben.

Und er hatte Alles


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Kommentare zu "Ein Meer für die Liebe"

Re: Ein Meer für die Liebe

Autor: Mark Gosdek   Datum: 14.06.2015 8:02 Uhr

Kommentar: Sehr schlicht, sehr gut! LG Mark

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