Ich musste über den schwarzen Humor des Namens lächeln,
trotz der Enttäuschung, die sich mir in den Magen grub,
wie das beklemmende Gefühl damals, vor meiner
Liebe unverstanden und verkannt zu weichen,
die sich ein sich'res Leben mit einem Beamten versprach.

Doch bevor ich als Verstopfung im Büro ende und den
trockenen Druck anderen aufoktroyiere, ließ sich dieses
Gefühl wie Vergissmeinnicht am Rande meiner Träume nieder.
Wo wäre ich denn, wenn ich ständig die Welt selbstgerecht
anprangern würde, aber in Büros diesem vernichtenden System
diente, mit jener Doppelmoral, die in Wirklichkeit für
das eigene Wohlergehen jede Schuld und jede Zivilcourage
von sich weißt?
Denn gut verkaufen heißt immer noch in Fachkreisen,
sich selbst gut verkaufen zu können.

Mythen! Der Ort hieß Mythen... Woher ich das weiß?
Die Ansage im Zug hatte es mir verraten, doch bislang war ich immer durch
seine ausgedehnten alten Straßen und Parks mit zerfallenen
schicken Häusern hindurchgerast.
Dort fotografieren wäre ein Traum!
Die staubigen verlassenen Aleen, die menschenleeren Viertel;
wieviel alte Möbel und Andenken-, ja verwaiste weise Bücher
hofften dort auf einen verwegenen Einbrecher, der Plastikmöbel
und all den Erdölschund verachtete!
Doch stets hatte ich Mythen verschlafen und diesmal fuhr ich
gerade in Mythen ein.
Sah die alten Hotels im düsteren Lichtschatten, mit ihren weißen
langen Balkons, rund, geschwungen, voller Putten und Blumenranken.
Die verwitterten Pforten, halb aufgebrochen, die großen hohen und kühlen
Zimmer, erwartungsvoll und nicht abgerissen wie allerorten,
wobei sich die Bagger anstrengen mussten, diese Qualität von einer
Bausubstanz überhaupt zum Stürzen zu bringen.

Pflanzen hatten sich zu kleinen Wäldern dazwischen eingefunden.
Hunde bellten aus Höfen, deren Reich ihrer Verantwortung allein oblag
und Katzen maunzten auf den alten Dächern und Schornsteinen,
wie schweigende Burgen im milden Sommerabend.
Mythen ist meine Stadt, soviel steht sicher und die alten Menschen
werden daraus abtransportiert.
Irgendwo in der Eifel gelegen, mit einem überhohen Anteil an
ergreister Bevölkerung, die nach und nach gegen ihren Willen in
ultraredundante Serviceheime abgeschoben wird.
Bloß, das die jetzt zu Seniorenresidenzen umgedeutet werden.

Der Bahnhof von Mythen war langgezogen und mit alten Bänken garniert.
Die Eisengitter verschlungen unter den Säulen, welche das lange
Efeudach hielten, dessen Gemäuer massiv wie eine Trutzburg-, kühle
dunkle Nischen offenbarte, mit geschlossenen grünen Läden und
zahlreichen Tauben unter den Eichenbalken.

Der Zug hielt, nachdem ich wieder in Gedanken versunken wertvolle
Erklärungen versäumte, welche der Schaffner stets beim Einfahren
über diesen Ort kundtat, der nur zu bestimmten Uhrzeiten als Haltestelle
wahrgenommen wurde.

Auf der Gegenseite wieder paar Pfleger mit einer Menge Gepäck in schönen
alten Koffern und verkniffene alte Damen im Rollstuhl.
Kein Mann unter ihnen, denn Frauen besitzen ein doppelt so gutes
Regenerationssystem.

Mythens Straßen waren oft an den Enden von Rondellen gesäumt,
in denen sich überlange Gassen voller dunkler-, langgezogener Bauten
mit hohem Gartengemäuer zogen.
In sonnige und ferne Flecken, die voller schöner, verborgener Villen
zu sein schienen.
Allein, was auf den Straßen für alte Dinge herumlagen, die niemand aufhob
oder einer Betrachtung wert hielt!

Die kybernetischen Städte hingegen: zum Überlaufen voll
und unter Schutzglocken vor der verstrahlten Atmosphäre,
waren eine einzige erinnerungslose Recyclingfabrik unter dem politischen Terror korrupter Künstler und Humana=Designer, deren Arbeitswut selbst jetzt nicht nachließ, wo dieser Planet nur unter Schutzglocken zu ertragen war, langfristig.
Doch ich wollte nicht mehr zurück.
Ich wollte Mythen sehen und träumen...
Das leichte Kratzen im Halse ignorierte ich geflissentlich.

Stille... Sich selbst hören lernen, sich selbst distanzlos wahrzunehmen
im Meer natürlicher Töne und Geräusche,
des lauen Windes, welcher wie zärtliche Hände über Hals, Antlitz und Brust fährt.
Ein ungeahntes Glücksgefühl ließ dieses Schweigen zur Stimme werden,
als feine Klänge und der unendliche Raum für das eigene Wesen die Seele
atmen ließen, ohne überschrien-, ja totgeschwiegen zu werden.
Stille ist nicht still, wenn man seine Sinne auf Reisen schickt und so
wie Mythen nicht ganz wesensleer ist und lebendiger, als all die unnatürlichen
Wohntrakte aggressiver Primatenstöcke, erzählt jeder Fleck endlose Geschichten.
Blätter die niemand aufkehrte, tanzten im Winde und stolperten übereinander.
Am Rande des alten Brunnens trank ich kühles Wasser.
Hier gab es noch Brunnen, freies Anrecht auf das Wasser der Erde, welches uns
allen gehörte.
Ein Hund knurrte mich böse an, doch ich beachtete ihn nicht, bis er es langweilig
fand und sich davontrollte, nicht ohne mir warnend immer wieder nachzubellen.

Ich brach in die nächstbeste edle Wohnung ein und stellte verwundert fest,
das der altmodische Lichtschalter noch funktionierte.
Ein moderner Kühlschrank harrte in der Küche auf einen hungrigen Pilger.
Na ja, modern in meinen Augen.
Die Konserven und Verpackungen waren bis zu hundert Jahre alt, aber dennoch
essbar, wie ich glücklich feststellte.
Das alte Sofa war weich und breit und ich warf mich hinein, ohne Rücksicht
auf die Architektur, denn es hielt stand, soviel war sicher.
Von der Wand lächelte mir ein freundliches Ehepaar entgegen.
Glück war hier im Haus gewesen und hatte die Wände mit Träumen erfüllt,
die alles-, bloß nicht das kalte Vergessen im Sinn trugen.
Glück, bevor die industrielle Wirtschaft ein Großteil der Bevölkerung
schleichend vergiftet hatte.
Wieder dieses verfluchte Halsbrennen! Einfach nicht daran denken...
Du bist in Mythen, nichts hat dich mehr zu kümmern...

Die Fotos waren schön, natürlich, verblichen, nicht fotomanipuliert, von kleinen
Möchtegerns, die ihr mangelndes Talent mit Spezialeffekte aufpolierten und
bloß virtuelle Werte und Schönheit kannten.
Nein, die Ehrlichkeit jedes einzelnen Details in diesem Raum ließ mich weinen.
Handgearbeitete Teppiche, Briefe auf dem Schreibtisch, Poesiebände von Byron,
Werke von Wilhelm Hauff und Kinderbücher von Tove Jansson.
Nicht im PDF-Format, sondern in dicken Deckeln mit wunderschönen Illustrationen
und in der ungekürzten früheren Sprache, die noch durch mehrgliedrigen
Satzbau den menschlichen Geist feinsinnig stimmte und für Nuancen
empfindlich hielt.
Facettenreichtum, welcher heutzutage einer kalten, angeblich frechen
und frischen Sprache gewichen ist, in der die Dinge auf den Punkt
gebracht werden, wie es die Trippel-Whopper-Rapper gerne formulierten,
wenn sie mit Belllauten, heiser keifend, die neuesten Wagenmodelle präsentierten
oder Dinge trugen, die das Management für Productplacing eben so vorgab,
für die neue Modewelle.

Das Dämmerlicht durch die Rollläden streifte das dunkle Ehebett
mit den schön verrankten Überzügen und den naiven Bildern von Maria und Jesus über den Kopfkissen.
Beider Herzen in Flammen, leuchteten in der Dunkelheit wie magische Spiegel
zu anderen Welten.
Hier gab es tatsächlich CDs mit Cover, keine Holowürfel oder Speichermedien.
Ich ließ Marylin Monroe "Happy Birthday, Mr. President" hauchen
und löschte meinen Durst mit einem Erfrischungsgetränk.
Unglaublich, dieser unverfälschte Geschmack!
Dasselbe hundert Jahre später, industriell immer weiter verwässert wie alle
Produkte, mutete im Vergleich wie Spülwasser.
Die Irrtümer der Industrie und ihre Verkaufsstrategien waren nach und nach
aus den Suchmaschinen verschwunden.
Doch ich besaß ein Buch darüber und wusste, wie schädlich Margarine war und das
Getreideprodukte Herzinfarkte beschleunigten, nicht der Konsum von Fleisch.
All diese Erziehung auf's Körnerpicken, hin zur Repliziernahrung und synthetischen
Imitaten, angeblich, um die Pflanzen zu retten.
Ja, die Pflanzen, die es fast nirgendwo mehr wegen den Jahrhunderten demographischer Vermehrung gab, durch Kondomverbot unverhütet,
angetrieben von Interessen, die den Islam, das Christentum oder sonstwas
zur Weltreligion werden ließen.
Es gab keinen Platz mehr, weder für Tiere, noch für Pflanzen, der zu schützen gewesen wäre.

Leben ernährt sich von Leben oder es pervertiert zur künstlicher Imitation.

Veganer und Vegetarier, die neue radikale Welle,
welche militant andere bedrohten.
Die Industrie freute sich, ihren neuen Dreck den Leuten unterzuschieben,
die nun aus ethischen Gründen auf jeglichen Genuss
einer gesunden Lebensweise verzichteten.
Die Freude und Lust wich aus ihren Sinnen, die Gier, die Geltungssucht,
das Prüfen, Anzeigen und Kontrollieren anderer wurde zum Ersatz.

Ich schlief gut und fest, doch gegen Morgen kamen arge Kopfschmerzen dazu.
Ich nahm mir etwas Proviant mit und entstieg dem alten Hause.
Die Morgensonne ließ das alte verlassene Viertel wie ein Monument ertrahlen.
Ich liebte die Löcher in den Rolläden, alles Schiefe, Zufällige, halb Verwitterte,
welches Spuren wahren Lebens offenbarte.
Das altmodische Design der Geschäfte und die harmlosen Verkaufssprüche an den
Vitrinen belustigten in ihrer Offensichtlichkeit.
Keine psychoaktive Stimulation, gar verfolgende Werbeholos, keine Fangfragen
und lästiges Aufklären von oben herab.
All dies bewirkte ein massives Desinteresse der Bevölkerung, was genau in der
Absicht der Mächtigen lag.

Ich war alleine hier, so wie ich immer alleine gewesen war
und es machte mir nichts aus.
Die Mädchen mit den schönen blauen Augen, in denen meine Liebe
einst vergeblich ertrank!
Mögen sie von Robotern gepflegt niemals eine Talkshow verpassen oder
die neuesten Kreationen schwuler Knabenmodelle!
Ich schämte mich, wie sehr ich mich beschmutzt hatte, diesem Gesindel
Gedichte zu schreiben, bis es sich anmaßte, eine Seele zu besitzen
und ihr ewiges Unzufrieden-Sein steigerte sich dabei ins Maßlose.
- Bis sie vor eitler Coolness jegliche Wärme vergaßen und ihre größten Ängste
der Pflege ihrer Leiber opferten.
Im Verhalten wie Konsumprodukte, im Konsum wie Werbeschleifen,
im Leben unwirklich wie alles was schlichtem Zwecke dient.



*
Please do not USE
anything of my work


© j.w.waldeck 2009


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Kommentare zu "MYTHEN"

Re: MYTHEN

Autor:   Datum: 05.02.2015 21:54 Uhr

Kommentar: Es tut mir leid, doch ich empfinde dich als nicht ausgeglichen genug,
falls ich doch nicht irgendwelchen Vorstellungen entspreche.

Zudem bin ich in zwei Ländern tätig und schon oft angegriffen worden.
Teils von Vetretern organisierter Religion sowie von Nationalisten.

Ich pflege daher niemals die virtuelle Grenze zu überschreiten.
Wir leben in Zeiten, wo freie Autoren angegangen werden,
aus verschiedenen Gründen.

Re: MYTHEN

Autor: Evia   Datum: 03.08.2015 21:12 Uhr

Kommentar: Huu ... DAS war jetzt wirklich eine Bereicherung!
Vielen Dank ...
MYTHEN - ich kann es vor mir sehen ...
Hat mich gefreut ..
Herzliche Grüsse , Eva

Re: MYTHEN

Autor:   Datum: 06.08.2015 17:40 Uhr

Kommentar: Du hast dir eine solche Mühe gemacht, dich durch viele Gedichte zu lesen...

Alles ist eine Bereicherung, wenn man wissensdurstig ist. Und ich bin immer durstig
und auch dankbar für jeden Augenblick, der meiner Innenwerlt gewidmet wird.
Dies ist reine Lebenszeit und Leben ... ist mehr als teuer.

Aufrichtige Grüße zurück!

Waldeck

Re: MYTHEN

Autor: Evia   Datum: 06.08.2015 22:28 Uhr

Kommentar: :-) keine Mühe ! Vergnügen!
LGE

Re: MYTHEN

Autor:   Datum: 07.08.2015 18:49 Uhr

Kommentar: Hier ist natürlich nur ein kleiner Teil meiner Gedichte.
Doch wenn es dich mal langweilt, kann ich dir noch einen Link senden.

Ich veröffentliche nur Gedichte von denen ich denke, dass sie einigermaßen verstanden
werden. Meine kosmischen "Lindwürmer" halte ich hinter Gittern.

Weiterhin frohes Schaffen!

Waldeck

Re: MYTHEN

Autor: Evia   Datum: 07.08.2015 19:19 Uhr

Kommentar: .. und damit machst du mich neugierig.
Kosmische >Lindwürmer < vielleicht brechen sie irgendwann aus ?
Ich bin weder sehr belesen , noch der Dichter Kunst mächtig . Es ist wie das Malen,
es war einfach plötzlich da und es wollte raus ...
So ist aus Evi immer mehr Eva geworden und manchmal Evia.
Danke für Zeit und Aufmerksamkeit und ja , Link willkommen !

Schönen Sommerabend
Evia

Re: MYTHEN

Autor:   Datum: 07.08.2015 19:52 Uhr

Kommentar: Ich bin zum Dichten gekommen, weil ich in der Schule die Propagandadichter
des Volksstolzes aufs Korn nahm und meine Verse konnten die Schüler so gut,
dass sie sich versprachen, beim rezitieren und dann wanderten Blicke zu mir,
aber niemand hat mir je solche Gedanken zugetraut.
Ich hatte stets eine Höchstnote in Betragen.

Link steht quasi neben dem Titel des Bildes welches dir gefiel...



Die LIndwürmer sind noch nicht veröffentlicht und wenn, würde es dich langweilen.
Ich habe paar Bücher draußen, doch die will ich alle überabeiten.
Ich komme gar nicht dazu, all die Skizzen und Ideen zu vollenden, weil ich dann immer
schon weiter bin. So gelingt mir nur wenig, zu veröffentlichen.
Ist auch egal. Gedichte lesen fast nur Leute dich auch welche schreiben.


Du wirst bestimmt gleich wieder etwas schreiben.
Deine Schreibenszeit geht mit dem Zwielicht einher...
Und sowas mag ich. Wesen die mehr als einseitig sind.!

LG: Waldeck

Re: MYTHEN

Autor: Evia   Datum: 07.08.2015 20:16 Uhr

Kommentar: Danke
Habe den link gesehen, gleich :-)

Es hat gerade so ein schönes Licht , ich hoffe auch dein Himmel ...

Alles Liebe
Eva

Re: MYTHEN

Autor:   Datum: 08.08.2015 21:58 Uhr

Kommentar: Ich liebe den Himmel nur ohne Sonne. Bewölkt, regnerisch, voller Wolkenpaläste...
Und als Sernenhimmel.
Sie Sonne im Herzen will nicht von oben geblendet werden...


Schönes Wochenende!

Waldeck

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