Teil 2, Ein kurzer Besuch

© Shihya Kowatari

Mona lebte, seitdem sie ihren Job verloren hatte, wieder in Hamburg. Das war jetzt drei Monate her. Sie hatte eine kleine Ein-Zimmer-Wohnung gemietet, in der sie sich mehr als unwohl fühlte. Ihr fehlte die Freiheit und die Weite, des Ozeans. Hier in der Stadt und in der winzigen Wohnung kam es ihr vor als wäre sie eingesperrt. Ein kurzer Blick auf ihr Handy zeigte ihr, dass sie noch knapp zwei Stunden Zeit hatte, bis sie bei ihrem Job sein musste. Um die Miete bezahlen zu können, arbeitete sie, seit kurzem, als Kellnerin. Nach Hause zu fahren lohnte sich nicht, sie würde fast eine halbe Stunde brauchen. Also beschloss sie ihren Vater zu besuchen. Mit der U-Bahn konnte sie in etwa 10 Minuten da sein.

Als sie das kleine Gebäude betrat, spürte sie wie ihr das Herz schwer wurde. Geschäftige Pflegekräfte eilten an Mona vorbei und lächelten ihr freundlich zu. Sie fand ihren Vater im Aufenthaltsraum. Er saß auf einem großen Altmodischen Sessel, indem er fast zu verschwinden schien. Sein Blick war ins Nichts gerichtet und er bewegte sich nicht. Mit einem unguten Gefühl ging Mona auf ihn zu. Sie zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben ihn. „Hallo Papa“. Mit aller Kraft versuchte Mona ihre Stimme fest klingen zu lassen. Ihr Vater reagierte nicht. Sie legte ihm behutsam eine Hand auf die Schulter. Er war so alt geworden, so zerbrechlich. Tiefe Furchen durchzogen sein Gesicht. Hätte sie doch nur mehr Zeit mit ihm verbracht. Sich nicht ganz so sehr in ihren Job gestürzt und ihn öfter besucht. Ihr Vater sah sie an, Unverständnis in seinen Augen. Er erkannte sie nicht. Das kam noch nicht so oft vor, aber es passierte gelegentlich. Mona konnte diese Tage kaum ertragen. „Ich bin es doch, deine kleine Moni“. Ihre Stimme zitterte.

Ihr Vater hatte es gut verheimlicht. All die paar Monate die sie ihn besucht hatte, war ihr nie etwas aufgefallen. Erst als sie ihren Job verloren hatten und zu ihm nach Hause kam, hatte sie festgestellt dass er mehr als nur ein bisschen verwirrt war. Er war nicht mehr in der Lage sich selbst zu versorgen. Es war schnell schlimmer geworden seitdem. Mona konnte sich nicht um ihren Vater kümmern. Er konnte nie allein zu Hause bleiben. Ihr Vater, Bruno hatte sein Leben lang als Bäcker gearbeitet. Seine Krankenversicherung und seine geringe Rente reichten nicht aus, um für die Unterbringung im Seniorenhaus aufzukommen. Für die restlichen Kosten musste Mona aufkommen, doch dafür brauchte sie einen guten Job, denn sonst konnte sie es sich nicht leisten. Genau aus diesem Grund musste sie den Job, für den sie sich beworben hatte, unbedingt bekommen.

Sie nahm die Hand ihres Vaters. „Na du bist mir ja eine“. Er lachte freundlich. Es hatte immer nur sie beide gegeben. Monas Mutter war gestorben als sie vier Jahre alt gewesen war. Sie hatte trotzdem eine schöne Kindheit gehabt. Ihr Vater und sie hatten immer zusammen gehalten. „Ach Papa“. Sie lehnte sich an ihn und versuchte den dicken Kloß in ihrem Hals runterzuschlucken. Er kicherte über ihre Reaktion. „Du bist ja genauso frech wie früher Mechtild“. Er lächelte zufrieden. Mechtild war seine Frau, Monas Mutter.
Eine Pflegerin kam zu ihnen.
„Hallo Frau Hild“.
Mona zwang sich mühsam zu einem Lächeln.
„Ich wollte ihnen nur sagen, dass sich ihr Vater sehr gut bei uns eingelebt hat, er blüht richtig auf in den letzten Tagen.“
Mona nickte knapp, mehr brachte sie nicht zustande.
„Es ist zwar sehr schön hier Mechtild, aber wir sollten jetzt nach Hause gehen“.
„Lass uns noch ein bisschen bleiben, dann gehen wir Bruno“.
„Natürlich wenn du das willst“.
Eine Weile blieben sie so sitzen, dann spürte sie, dass sie die Tränen nicht mehr zurück halten konnte. „Bis bald“, flüsterte sie ihrem Vater ins Ohr.
Sein Blick war bereits weit weg. Fast fluchtartig verließ sie das Gebäude, während ihr die Tränen die Wangen herunter liefen.


© Johanna Gramüsch


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Beschreibung des Autors zu "Teil 2, Ein kurzer Besuch"

Teil 2, einer etwas längeren Geschichte.

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Kommentare zu "Teil 2, Ein kurzer Besuch"

Re: Teil 2, Ein kurzer Besuch

Autor: axel c. englert   Datum: 29.01.2015 23:04 Uhr

Kommentar: Direkt ins Leben kurz geblickt -
Und der Blick ist gut geglückt!

LG Axel

Re: Teil 2, Ein kurzer Besuch

Autor: Ralf Risse   Datum: 30.01.2015 19:09 Uhr

Kommentar: Du nimmst einen mit deinen Zeilen mit . . . gern gelesen.

LG Ralf

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