Der alte Mann sitzt am Fenster, schaut durch das hohe Zyperngras auf die schnee - behäufelten Zweige. Da draußen, genau wie in ihm, ist so viel ruhiger Fluss, so viel trostvolle Ruhe. Obwohl seine Gedanken heute scheinbar keine Besonderheiten bieten, die Bewegungen im Kopf gleichen mehr einem ziellosen, lässigen Schleichen oder Schlendern, ist der Bauch damit einverstanden. Alles in und um ihn ist erfreuliche Natur, selbst das leise Schnarchen des Hundes, im Hintergrund.
Ja, ihm ist froh und leicht bei dem Gedanken, dass da nichts Göttliches sein muss. Es ist schon in Ordnung, denkt er, wenn Menschen in schweren Lebenslagen, aus Gewohnheit oder Überzeugung ihren Gott zu Hilfe holen. Ich brauche das nicht. Mir reicht dieses gelebte Leben, das will ich auskosten im Schlechten wie im Guten. Es geht mir gar nicht darum, das Gott unbeweisbar ist, eher darum, dass Gott so viel Böses, Dummes, Grausames zulässt. Aber entscheidend ist für mich: Gott oder Jesus konnten, trotz aller ehrlicher Bemühungen, nie in mein Inneres dringen.
Es war eine Befreiung damals, als sein Gewissen die Überzeugung zuließ: Ob es einen Gott gibt oder nicht, ist mir egal. Ich glaube nicht daran. Aber ich glaube ganz fest an die Werte, die Menschen im Namen Jesus verbreitet haben. Das Gute am Atheismus ist, ich kann versuchen die christlichen Normen zu leben, und wenn´s mal klappt, den Christen ein lustiges -Ätsch- entgegen grienen.
Zuvor dachte er: Christsein ohne Glauben geht nicht. Dann kam die Erinnerung an einen alten Kommunisten der ihm ganz viel menschliches gezeigt hatte. Der redete nicht viel darüber, der tat es. Hilfsbereitschaft, Anteilnahme, Mitgefühl also Nächstenliebe erkannte der Mann daraus.
Und dann hatte er Menschen kennengelernt, die sprachen unentwegt über das Gute ihres Tuns im Namen Jesu. Die taten auch viel, aber er hatte immer das Gefühl, die forderten eine Gegenleistung, ein Bekenntnis zu Gott als Schöpfer und Jesus seinen Sohn, sonst würden sie über kurz oder lang ihre Zuwendung einstellen. Er tat sich schwer, wollte ehrlich sein. Er beschäftigte sich viel mit der Bibel. Aber es blieb wie es war. Das Gute, das Wertvolle, die Weisheiten nahm die Seele auf und gab sie gegebenenfalls ans Gewissen weiter. Aber Jesus blieb ein Mensch, ein besonders kluger, beispielhafter zwar, aber ein Mensch und mit Gott wollte seine Seele gar nichts zu tun haben, ignorierte ihn einfach, machte ihn also auch nicht mit dem Gewissen bekannt. Das blieb den Anderen nicht verborgen, sie wurden immer freundlicher, so freundlich wie die Kassiererin im Supermarkt.
Der Alte lebt jetzt gut mit seiner Gottlosigkeit. Wahrscheinlich weil er die Dunkelkammer seiner Seele immer weiter aufräumt. Dabei hat er nämlich gemerkt, die ach-so-wichtige Vergebung für seine Schandtaten bekommt er nicht von oben. Wenn er´s schafft, sich selbst zu vergeben und vielleicht noch denen, die es betrifft, zu sagen: Verzeih mir bitte, wenn du kannst, breitet sich dieser ersehnte Frieden in ihm aus. Den wenigen Menschen, die zu ihm kommen und auch Hilfe suchen, kann er sagen, wie Mitgefühl, Herzlichkeit, Nachsicht geht, wie man im Dunklen das Licht erwarten lernt. Und das ist garantiert im Sinne von Jesus Christus, aber auch im Sinne von Nelson Mandela, Mutter Theresa, Mahatma Gandhi. Wenn Schmunzeln das Lächeln der Seele ist, denkt er, kichert sie sicher bei dem Gedanken: Ein Vorzug des Alters ist, sich wie eine Kuh verhalten zu dürfen. Ruhig hinlegen und die Vergangenheit genüsslich wiederkäuen.


© grauschimmel


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Kommentare zu "Bekenntnis"

Re: Bekenntnis

Autor: Kathrin Bärbock   Datum: 14.04.2014 9:27 Uhr

Kommentar: Ich finde den Text sehr gut, wäre vielleicht durchgehend in der dritten Person geblieben...liebe Grüße...Kathrin

Re: Bekenntnis

Autor: grauschimmel   Datum: 14.04.2014 11:34 Uhr

Kommentar: Danke, hätte vielleicht das "wörtliche Denken" besser hervorheben sollen?
Bis bald GS.

Re: Bekenntnis

Autor: alphanostrum   Datum: 18.04.2014 13:45 Uhr

Kommentar: Ich denke, über Gott muss man nicht diskutieren. Entweder glaubt man daran, oder eben nicht. Wissenschaftlich kann man sich diesem Thema auch nur schwer nähern. Ich selbst glaube an einen Schöpfer, aber nicht an einen Gott, im Sinne einer Religion. Warum ich an einen Schöpfer glaube, leite ich allerdings auch wissenschaftlich her. Die Quantenphysik beschäftigt sich mit Wahrscheinlichkeiten. Ich halte es mathematisch für unwahrscheinlich, dass so komplexe Dinge, wie denkende Menschen, durch Zufall entstehen. Deswegen glaube ich an einen Schöpfer.

Stellen Sie sich vor, sie liegen im Grass und der Wind säuselt durch die Bäume. Wie wahrscheinlich ist es, dass der Wind Beethovens 9. Sinfonie säuselt? Die Menschwerdung ist noch 10 hoch 23 mal unwahrscheinlicher :-).

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