Auf dem Weg in die eigene Seele begegne ich mir im Schlaf als einem Fremden, der sich Ereignissen ausgesetzt sieht, die irgendwer in mir tagsüber nur erahnen kann. Doch dieses Können ist ein Muss!

Verzweifelt gehe ich in der Trance am Ariadne Faden ins Labyrinth der Hölle um etwas vorauszufühlen, das ich im „richtigen Leben“ aus Hoffnungsgründen verdrängt hatte. Ein jemand, der ich nicht wirklich bin, übernimmt die Verantwortung für mein Selbst. So werde ich allnächtlich neu erschaffen.

Abstrakte Formen kommen auf mich zu, deren Anblicke aus der Realität des Diesseits entliehen sind – und ich gerate z.B. ins Schwimmen… Ich treibe in einem Fluss. Seine Strömung ist träge. Als ich die Augen öffne erkenne ich fast nichts. Nur das Vorbeiziehen eines Geschehens kann ich wahrnehmen, aber ich werde das Gefühl nicht los, daß ich mich inmitten einer Absicht befinde. Nein – nicht nur das. Jetzt sind auch konkrete Figuren bei mir. Ich kann Gesichter ausmachen. Mehr oder weniger vertraut sind sie mir. Manche entstammen meinem direkten Lebens-Umfeld, andere wiederum dem Fernsehapparat. Bei ihnen handelt es sich um bekannte Politiker.

Diese Brühe, von der ich nunmehr annehme, daß es sich hierbei um den Zeitstrom handelt, ist schmutzig. Bald bekomme ich keine Luft mehr. Das Aufatmen wird schwierig! Jetzt ist Eile geboten… Mühevoll bekomme ich meine Nase über das „Wasser“, dann den ganzen Kopf. Doch als ich das Medium „Zeitstrom“ verlassen habe, sehe ich mich selber von weiter oben, als Seifenblase über dem Unrat schweben. Ich erkenne: das Fließen da unten, mit der komischen Blase darüber, ist eingebettet in eine graue Landschaft aus virtuellen, halb durchsichtigen Gebäuden, in denen stumme Wächter hausen. Die Schleusenwärter des Jenseits, hinter Mauern, die den Zeitstrom in seinem, fast betoniert erscheinenden Bett, wie einen Industriekanal aussehen lassen.

Ich beginne zu zittern. Die Blase schwebt zu einem schmalen Steg am Ufer – und platzt! Ich betrete „festes“ Land – der Tod haftet an meinen Sohlen. Es ist das Land der Besorgnis, das ich betrete, in dem auch die Tagträume zuhause sind. Ich träume in meiner Trance von vergangenen Zeiten und die Räume der Wächter, in die ich mittlerweile eingedrungen bin weiten sich zu Hallen. Graue Gestalten wimmeln nebelhaft um mich herum. Es sind Verstorbene. Sie erzählen mir von ihren Gedanken, als seien sie noch am Leben, aber ich weiß, daß ich im Schattenreich bin.
Der Tod haftet nicht mehr an meinen Füßen, er ist überall! Aber er spricht mitten ins Leben hinein. Sein Hauch erreicht meinen Leib, der nicht mein Leib ist, sondern aus dem besteht das mein verselbständigtes Innerstes aus sich geboren hat.

Ich verstehe die Sprache der Toten. Sie laden mich ein: „komm über die Brücke“. Ich weiche nicht von der Stelle! Mein Sandpunkt ist eine Art Einstein-Rosen-Brücke aus virtuellem Licht. Er kann nicht zerstört werden von diesem Schwarzen Loch der Visionen, die teils aus der Zukunft zu mir herüberschleiern und teilweise auch aus den Informationen der anderen Seite entstanden sind.

Meine Seele vibriert als der Sturm aufkommt – der heftige Sturm der Verzweiflung. Er droht mich mitzureißen. Verliere ich den Boden unter den Füßen? Hilflos folge ich der gewaltigen Macht mich umfließender Bilder und finde mich verloren in einem Gebäude, dessen Ausmaße unendlich sind, dessen Flure immer nur weitergehen in ein heimatloses Nichts. Imaginäre Tränen steigen in mir auf. Als ich zurückweiche wird es noch turbulenter um mich herum. Überall schreiende Menschen! Sie deuten auf eine Himmelerscheinung.

Plötzlich ist heller, blauer Tag. Eigentlich müsste die Sonne scheinen. An ihrer Stelle hat sich jedoch etwas Großes, Rotierendes aufgetan. Etwas, das sich langsam um sich selber bewegt und auf einmal beginnt es eine magmaähnliche Masse zu entwickeln. – die sich auf die Welt zu ergießen droht. Alles flieht, nur eine Gruppe Weltuntergangsfanatiker hat sich in einer riesigen Ruine zur Anbetung des „Wunders“ versammelt. Die Ruine besteht aus uralten Gewölben und von Dunkelheit erfüllt!

Ihr Ende, die, durch den Einsturz einer Mauer vor 1000 Jahren frei gewordene, Öffnung, weist genau auf die erwähnte Himmelserscheinung. Die Magmamasse wird zum brodelnden Mittelpunkt, zum vielbestaunten Herzen der Ruine… und meine Seele ist hin- und hergerissen von dem Zauber dieser ungeheuren Vernichtungsmaschine, die uns da vor den Augen steht.

Aus den Nischen überall befreien sich die Toten von ihrem Bann. Sie eilen hinzu um die noch lebenden Todgeweihten zu bergen – mit Rat und Tat. Doch sie wissen nichts Brauchbares. Sie berichten nur aus ihrem vergangenen Dasein, sie zerren an meiner Kleidung, versuchen sich anzubiedern, mich zu beschützen, wo kein Schutz mehr nötig ist. Ihr Engagement wäre viele Jahre vorher als dringend benötigte Hilfe die einzige und alleinige Rettung gewesen. Doch nun hat der Alptraum seine eigenen Gesetze. Das nie zu Erwartende wird erwartet. Das als „unmöglich“ Apostrophierte wird in Bälde möglich.

Diese Gewissheit hat nun auch die unerschütterlichen Zweck-Optimisten erreicht. Sie haben einen kleinen, igluartigen Bunker gebaut. Meine Seele erblickt ihn und flieht aus dem Reich der Toten und Untoten, um dem Leben eine letzte Chance einzuräumen. Aber die Zweck-Optimisten haben sich eingemauert. Es ist nur noch ein Spalt zum Iglu frei. Eine Hand winkt mich herein. Ich stecke den Kopf durch die Öffnung und versuche meinen, auf einmal immer korpulenter werdenden Leib nachzuziehen. Ich mühe mich vergeblich. Der Spalt weist mich zurück, die Einstein-Rosen-Brücke bricht zusammen, ich stürze klatschend in den Zeitstrom – und erwache schweißgebadet im 21. Jahrhundert. Was auf mich zukommt bleibt vorläufig noch scheinbar offen…


© Alf Glocker


3 Lesern gefällt dieser Text.




Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Was auf mich zukommt"

Re: Was auf mich zukommt

Autor: noé   Datum: 30.01.2014 11:59 Uhr

Kommentar: Gut, dass Du noch hier bist. Stell' Dir vor, Du wärest in das Wurmloch gestürzt und weit entfernt von hier wieder 'rausgekommen...Wer weiß, was Dich "dort" erwartet hätte...Wer weiß, ob wir Dich jemals wiedergesehen hätten...Das wäre ein herber Verlust gewesen für uns alle...Womöglich hättest Du auch UNS vermisst?
Big Sis

Re: Was auf mich zukommt

Autor: Alf Glocker   Datum: 30.01.2014 14:19 Uhr

Kommentar: Gaaanz Bestiemmmmmt. Spaß beiseite: natürlich!
Craz Bro

Kommentar schreiben zu "Was auf mich zukommt"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.