Als Lisa die Augen aufschlägt, kann sie kaum sehen. Die Sonne hat sich voller Tatenkraft durch die Lücken der Rollos gekämpft und kitzelt nun in ihrem Gesicht. Sie freut sich und springt in einem Satz aus ihrem Bett. Es ist der erste Ferientag und heute geht es zu Opa Heinrich. Endlich ist die doofe Schule zu Ende. Und dann solch ein wunderbares Wetter! Ihren Vater begrüßt sie mit einem breiten Lächeln, der ganz entzückt von der Freude seiner kleinen Prinzessin ist. „Lisa, warum strahlst du mit dem Sonnenschein um die Wette?“ „Gleich holt mich Opa Heinrich ab, dann fahren wir zu ihm und ich darf drei Tage bleiben. Ich darf reiten gehen und Lilia und Johnny treffen!“ Als Lisa noch nicht zur Schule ging, hatte sie viel Zeit bei Opa Heinrich und Oma Gerda verbracht. Ihre Eltern mussten viel arbeiten und Lisa hatte es geliebt, im Gras zu liegen und den Vögeln beim Singen zuzuhören. Inzwischen haben sich die Zeiten geändert. Oma Gerda ist vor zwei Jahren gestorben und Lisa geht schon ein Jahr lang in die Schule. Sie muss Schreiben und Rechnen lernen, dabei würde sie immer noch am liebsten den ganzen Tag lang mit Hund Ronja von Opa Heinrich spielen. Das geht wegen der Schule leider nicht mehr. Umso mehr freut sie sich nun, dass es zu Opa auf das Land geht.
Um 10 Uhr war es dann so weit. Zusammen mit Mama hatte Lisa alle Sachen zusammengepackt und los ging es in den Urlaub. Als sie Opas Bauernhof erreichten, wartete dieser schon ungeduldig. „Opa!“ rief Lisa, als sie ihren Großvater sah und rannte ihm in seine Arme. Er nahm seine Enkeltochter zu sich hoch und drückte sie so doll, dass Lia fast keine Luft mehr bekam. „Mensch Opa, ich bekomme doch keine Luft, wenn du mich immer so fest an dich drückst.“ Opa gab ihr noch einen Kuss auf die Stirn und ließ sie zu den Pferden laufen. Es dauerte gar nicht lange, da kommen schon Lilia und Johnny auf den Hof gelaufen. „Da bist du ja, Lisa. Wir haben schon gewartet.“ rief Johnny ihr zu. Dabei ist er es sonst selbst, der immer zu spät kommt. Er vergisst immer die Zeit, wenn er zuhause am Fußball spielen ist. Denn das ist seine Lieblingsbeschäftigung: Immer wieder den Ball ins Tor schießen und wie die Großen jubeln. Die Drei unterhielten sich über die Schule, ihre Freizeit und wie sehr sie die gemeinsame Zeit von früher in letzter Zeit vermisst haben. Das Gefühl, nun drei Tage zusammen verbringen zu können, ist einfach herrlich.
Die Sonne brannte auf ihre Haut. Es war wahnsinnig warm. Aber es ist auch Juli, da ist es immer so heiß, wie Opa Heinrich den Kindern erklärt. „Sag mal ihr Drei, was habt ihr eigentlich vor zu unternehmen?“ fragt Opa sie. „Lass uns zu den Fischteichen gehen. Papa hat neue Fische bekommen, die sind alle ganz bunt. Das müsst ihr euch unbedingt angucken. Und groß sind die, viel größer als seine alten Fische, die ihr auch noch kennt.“Lilia ist immer noch ganz aufgeregt, wenn sie von den Fischen ihres Vaters erzählt. Sie hat vom ihrer Mutter die Freude geerbt, einfach dazusitzen und den kleinen Tieren beim Schwimmen zuzusehen. Ihren Vorschlag fanden Lisa und Johnny gut und es dauerte keine fünf Minuten, bis sie einige Getränke, Obst und Schokolade eingepackt hatten und sich auf den Weg zu den Teichen machten.
Lisa genießt den Weg durch die Felder. Überall blühen wunderschöne Blumen. In rot, gelb, orange oder lila: Alle Farben waren zu sehen. Ihre Lieblingsblume war immer noch die Sonnenblume. Diese erinnert sie an Oma Gerda, die in ihrer Küche immer mindestens zwei ganz große Sonnenblumen stehen hatte. Jedes Mal, wenn Oma neue von ihnen brauchte, ging Lisa mit ihr los und suchte die Schönsten für Oma heraus. Auch Lilia und Johnny lieben die Natur. Der Junge sammelte verschiedene Äste. Aus diesen wollte er ein Baumhaus für die Drei bauen, wenn sie von ihrer kleinen Reise wieder zurück sind. Und Lilia schaut nach den Vögeln, die am Himmel kreisten. „Die sind so weit weg“, dachte sie, „ich möchte auch einmal da oben fliegen. Dann kann ich alles sehen.“
Nach einer halben Stunde erreichten sie die Fischteiche. Voller Bewunderung schauten Lisa und Johnny auf die Fische. Lilia hatte nicht zu viel versprochen. Solch herrliche Tiere hatten sie noch nie gesehen. Lisa würde am liebsten einen mit zu sich nach Hause nehmen und in ihr Aquarium zu den anderen Fischen legen. Und Johnny hätte auch gerne einen ganz großen Fisch mitgenommen, zum Grillen. Er ist ein etwas dickerer Junge, obwohl er die ganze Zeit außerhalb der Schule mit Fußball spielen verbringt. Und wenn möglich, auch noch in den Schulpausen. Lilia musste die beiden allerdings enttäuschen. Ihr Vater hatte gesagt, sie dürften die Fische gerne angucken, aber nicht aus dem Wasser herausnehmen. Stattdessen breiteten sie ihre Decke im Schatten aus und bedienten sich an den Getränken und Essenssachen, die sie mitgebracht hatten. Lisa und Lilia nahmen die Erdbeeren. Opa Heinrich baute selbst Erdbeeren an und es war gerade Erntezeit. Herrlich, wir gut die schmecken. Johnny hingegen griff direkt zur Schokolade und grinste. „Es ist so heiß, die Schokolade schmilzt nur dahin, wenn ich sie jetzt nicht esse.“ Lisa blicke ihn an und musste lachen. „Mensch Johnny, du bist ganz schön dick geworden. Beim letzten Mal sahst du noch viel dünner aus. Du kannst doch gar nicht mehr richtig hinter einem Ball hinterherlaufen.“ Lilia stimmte im Lachen ein und nicket zustimmend. Johnnys Grinsen hingegen war vergangen. Er ärgerte sich über das, was Lisa gesagt hatte. „Ich kann noch viel weiter und schneller laufen als ihr beiden. Ich kann so viel Schokolade essen, wie ich will, beim Laufen werdet ihr mich nie schlagen!“ Lilia schlug vor, einen Wettlauf zu machen. Johnny war sofort einverstanden. Aber auch Lisa hatte nichts dagegen einzuwenden.
Sie suchten sich einen geraden Weg und steckten Äste als Markierungen in den Boden. Direkt neben dem Teich gab es ein Stück, auf dem keine Steine waren, worüber man hätte fallen können. Sie vereinbarten, dass alle die Strecke laufen müssen. Gleichzeitig und ohne zu Schummeln. Wer nach drei Läufen die meisten gewonnen hat, ist der Sieger. Als Gewinn hatten sie ein Eis festgelegt, was ihnen Opa Heinrich gehen sollte. Da Johnny so gerne isst, war er ganz vernarrt darin, das Rennen für sich zu entscheiden. Doch Lisa ist seit vier Monaten in einem Turnverein, wodurch sie sehr viel Ausdauer gewonnen hat. Bei den Trainingseinheiten hatte sie bereits alle anderen immer besiegt. Das wusste Johnny jedoch nicht, weshalb er siegessicher blieb. Lilia dagegen hatte sie es bei einem Telefongespräch vor einigen Tagen erzählt, weil sie so stolz darauf war. Sie stellten sich an die Startlinie. Jeder wollte das Spiel für sich entscheiden und den ersten Platz einnehmen. Lilia zählte bis drei und schon waren sie unterwegs. Die erste Runde ergab ein klares Ergebnis. Johnny konnte ihnen davon laufen. Lisa war nur etwas langsamer, aber Lilia war weit abgeschlagen. Obwohl sie nur einen Lauf gemacht hatten, war Johnny schon schwer am atmen. Sie starteten die zweite Runde. Wiederum konnte Johnny diese für sich entscheiden, aber nur mit einem ganz kleinen Vorsprung vor Lisa. Lilia war einfach zu langsam. Johnny musste wiederum tief durchatmen und bekam einen ganz roten Kopf. Scheinbar war seine Fitness doch nicht so gut, wie er gesagt hatte. Doch er war sich sicher, dass er die nächste Runde gewinnt und dann das heiß ersehnte Eis bekommt. Doch die nächsten beiden Runden brachten ein anderes Ergebnis: Lisa konnte Johnny beide Male knapp schlagen. Dieser war sehr überrascht und er wurde wütend. „Du betrügst. Du läufst eher los als ich.“ Lilia erwiderte ihm, dass sein Vorwurf an Lisa nicht stimmen würde, woraufhin dieser erst einmal nichts mehr sagte. Nun stand der entscheidende Lauf an, denn Lilia hatte sowieso keine Chance, was sie auch wusste. Das störte sie aber nicht sonderlich. Sie war schon immer Tagträumerin, der es genügte, die Sonne auf ihrer Haut zu spüren. Johnny und Lisa gaben alles. Auf den ersten Metern konnte sich der Junge einen kleinen Vorteil verschaffen. Auf seinem Gesicht war schon ein Lächeln zu sehen, als Lisa sich doch noch an ihm vorbeibewegte und ihn von dem sicher geglaubten Sieg abhielt. Vor Freude über den Gewinn schrie Lisa laut auf und streckte ihre Arme in die Luft. Johnnys Kopf wurde immer rötlicher und er platzte vor Neid. „Das kann nicht sein. Ich bin viel, viel schneller als du. „Du bist doch nur viel dicker““, grinste Lisa. Dieser Satz verärgerte Johnny so doll, dass er wortlos von den Teichen wegging und einfach nur traurig und enttäuscht war. „Lisa, du hättest Johnny vorher auch erzählen können, dass du jetzt im Turnverein bist und da die anderen alle schlägst. Das war nicht gerecht von dir.“ So stritten die beiden über diese Sache, bis jeder von den beiden alleine nach Hause ging.
Aus dem herrlichen Tag war ein ganz schrecklicher geworden. Lisa hatte sich sehr auf alles gefreut und weinte nun, weil sie sich so gestritten hatten. Dabei ist es bei Opa Heinrich doch immer so schön. Nie hatte es Ärger unter den drei Kindern gegeben. Sonst haben sie immer zusammen gelacht und miteinander gespielt. Johnny aß den ganzen Abend nichts mehr. Seine Mutter fragte ihn, ob er krank sei, doch er antwortete ihr nicht und ging auf sein Zimmer. Auch er musste weinen. Lilia kam bereits mit Tränen zu ihren Eltern zurück. „Kind, was ist passiert? Habt ihr was mit den Fischen gemacht? Habt ihr sie rausgenommen?“ Sie erklärte, dass es den Fischen gut gehen würde. Und dann erzählte sie noch die ganze Geschichte. Dass Lisa Johnny geärgert hatte. Und dass es dann zum Wettstreit kam, den Johnny verlor und sie sich danach alle zerstritten hatten. Mama nahm sie in den Arm und tröstete sie. Am Abend lagen sie alle drei in ihrem Bett und dachten zurück an die schönen Stunden, die sie sonst miteinander verbracht haben. Auch wenn sie noch sauer auf sich gegenseitig waren, spürten sie doch, dass sie die anderen vermissten. Früher haben sie an solchen heißen Sommertagen zusammen gezeltet und die Sterne angeschaut, weil sie so hell glänzten. Es dauerte lange, bis sie, jeder allein in dem eigenen Bett, einschlafen konnten.
Der nächste Tag kam und das Wetter hatte sich geändert. Statt Sonnenschein hingen nun dunkle Wolken am Himmel und es regnete. Keiner der Drei wusste so recht, was er machen sollte. Doch die anderen zu besuchen traute sich keiner, schließlich hatten sie sich am Vortag gestritten. Nachdem auch Johnny seiner Mutter erzählte, was gestern geschehen war, versprach sie ihm, zusammen in den Supermarkt zu fahren und ein Eis auszugeben, was er gestern nicht bekommen hatte, weil er das Spiel nicht gewann. Auch Lilia musste mit ihrem Vater in den Supermarkt fahren und beim Einkaufen helfen. Ihr Vater hatte zwar die Fische als sein Hobby, doch bei dem Wetter konnte er nicht zu ihnen gehen. Er hatte aber viel Zeit, weil er Lehrer ist und auch die haben in den Ferien frei. Und weil ihr Vater das Einkaufen nicht mag und langweilig findet, musste Lilia mit, um ihn zu unterhalten. „So kommst du auf andere Gedanken“, sagte der Fisch-Freund zu ihr. Und da Lisa aus Frust über den Streit von gestern das ganze Eis aufgegessen hatte, musste Opa Heinrich nun Neues besorgen. Weil er so alt ist und nicht mehr so viel tragen kann, ist er froh, wenn ihn Lisa beim Einkaufen begleitet. So machte auch sie sich mit ihrem Opa auf den Weg zum Supermarkt.
Und so kam es, dass sich die Drei im Supermarkt begegneten. Jeder von ihnen war unsicher, wie er sich verhalten soll. Doch sie spürten alle, dass sie sich vermissen. Sehr vermissen. Wie gern würden sie jetzt einfach mit den anderen zusammen spielen und glücklich sein. Dann kam Opa Heinrich auf eine Idee. Er sagte Lisa, dass sie Johnny ein Eis geben solle und sich für gestern entschuldigen müsse. Sie fand die Idee spitze und versuchte ihr Glück. Johnny musste lachen und sagte, er wolle das Eis nicht. Lisa hat zuerst nicht verstanden, warum er das Eis nicht essen wollte. Doch dann musste auch sie lachen. Und Lilia grinste auch von ganzem Herzen. Na klar, das Eis konnte Johnny nicht mögen: Es war Erdbeer-Eis und Johnny hasst Erdbeeren. Doch Johnny begriff, was sie ihm damit sagen wollte. Und so wie sich Lisa daran zurückerinnerte, dass Johnny kein Erdbeer-Eis mag, erinnerten sich alle daran zurück, warum sie befreundet sind: Weil sie sich sehr gern haben und sich nichts schöneres vorstellen können, als zusammen zu spielen und die wenigen Tage, die sie gemeinsam haben, zu genießen. Wer ein Laufrennen gewinnt, ist plötzlich unwichtig geworden. Sie wollten alle den ersten Platz beim Laufen gewinnen. Den ersten Platz haben sie alle auf einmal und zusammen gewonnen: Sie haben erkannt, dass ihnen ihre Freundschaft am allerwichtigsten ist. Gegen den Freundschaftsbund kommt kein Streit an. So nahmen sich Lisa, Johnny und Lilia an die Hand und gingen aus dem Supermarkt und hüpften vor Freude in den Pfützen. Auch der Regen zog weiter und zwischen den dunklen Wolken lugte die Sonne hervor.


© fk


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Kommentare zu "Wahre Freundschaft ist das richtige Eis"

Re: Wahre Freundschaft ist das richtige Eis

Autor: Picolo   Datum: 23.01.2014 21:52 Uhr

Kommentar: Hallo Felix, kennen wir uns nicht? Fängt Dein Vorname nicht anders an?
LG Picolo

Re: Wahre Freundschaft ist das richtige Eis

Autor: noé   Datum: 24.01.2014 0:21 Uhr

Kommentar: Schöne Geschichte, Felix oder nicht.
noé

Re: Wahre Freundschaft ist das richtige Eis

Autor: felix   Datum: 24.01.2014 8:33 Uhr

Kommentar: Danke Noé.
Picolo, ich bin ganz neu hier, so dass wir uns eigentlich nicht kennen können.
Felix

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