Gierig schling ich meinen Reis und das Hähnchen hinunter, dazu trinke ich meinen Protein Shake. Den dritten heute. Angeblich sollte das Eiweißgetränk nach Vanille schmecken, für mich schmeckt es nur nach purer Chemie. Meine Muskeln pochen noch immer, auch noch Stunden nach dem Training. Heute war ein gutes Training, ich kam wieder mal an meine Grenzen, viele schauten anerkennend zu, als ich die Gewichte an und über mich hinaus hob, Zentimeter um Zentimeter. Ich fühle mich jedes mal wie Hercules selbst, Kraftsport ist meine Passion. Daraus beziehe ich den größten Teil meines Selbstbewusstseins, oberflächlich und selbstdarstellerisch.
Ich lade Bilder meines gestählten Körpers auf Internetforen hoch und lernte Lob und Neid der Männer, Interesse und Begierde der Frauen. Manchmal frage ich mich, ob mich nur das ausmacht. Was habe ich denn anderes? Ich bin noch Schüler und habe nicht viel Geld, meine Zukunftspläne sind noch recht ungewiss. Ich will zur Polizei, soviel steht fest. Doch was, wenn das nicht klappt? Ich habe keinen Plan B. Immer die gleichen Gedanken, jeden Tag, jede Woche, jeder Monat, jedes Jahr. Manchmal wünsche ich mir, ich wäre wieder fünf Jahre alt. Keine Sorgen, keine Pflichten. Manchmal habe ich Angst vor dem was noch kommen mag. Das ist vielleicht nichts ungewöhnliches, Menschen haben von Natur aus Angst vor dem Unbekannten. Ich habe Angst vor den Dingen, die ich nicht in die Luft stemmen kann, vor den Dingen, die nicht schwer auf meinen Muskeln, sondern auf meiner Psyche und dem Herzen lasten. Pflichten und Verantwortung, denen ich nicht gerecht werden könnte. Ich will mein Leben einmal anders Leben, als ich es jetzt lebe: ohne viel Geld, oftmals nichts zu essen, mein jüngerer Bruder macht meiner Mutter sorgen. Ich muss allmählich anfangen, nicht nur physisch fit zu sein, sondern auch meinen Geist zu stählen. Verantwortungsbewusst bin ich, doch ich will meine Ängste verlieren. Ich scheiterte doch schon so oft, jedes mal stand ich wieder auf. Warum habe ich noch diese Angst? Diese Frage werde ich mir vermutlich jeden weiteren Tag stellen. Vielleicht erfüllt sich mein Traum zur Polizei zu gehen übernächstes Jahr. Das sollte mir die Zukunftsängste nehmen. Aber wer weiß, was noch kommt. Zum Glück weiß ich eines: Ich bin ein guter Mensch mit einem guten Herzen. Ich mag oft als oberflächlich gesehen werden, jedoch wissen meine wundervolle Freundin, mein bester Freund und meine Familie, dass in meinem Inneren mehr steckt als nur Muskeln, welche sich nach außen wölben. Diese Gewissheit erleichtert mich jeden Tag und zaubert mir in den schlimmsten Zeiten jedes mal ein Lächeln auf mein Gesicht.


© Marc DocMorris


1 Lesern gefällt dieser Text.


Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Gedanken eines jugendlichen Bodybuilders"

Es sind noch keine Kommentare vorhanden

Kommentar schreiben zu "Gedanken eines jugendlichen Bodybuilders"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.