Einst gab es ein Mädchen, sie war 16. Sie fand sich nicht besonders schön und war sehr schüchtern. Doch sie war verliebt. Wenn sie aus ihrem Fenster sah, konnte sie in seinen Garten sehen. Und wenn sie ihn sah, machte ihr Herz einen Hüpfer. Sie sah ihn beim Spielen mit seinen kleinen Geschwistern, sah ihn beim Grillen mit den Eltern. Sie sah wie seine Freunde ihn besuchten. Sie sah ihn im Frühling mit seiner Mutter Blumen Pflanzen, im Sommer mit den Geschwistern im Pool baden, im Herbst Laub fegen mit dem Vater und im Winter Schnee schieben. Irgendwann meldete sie sich aus Langeweile in einem Chatroom an. Es dauerte ein paar Tage, dann bekam sie eine Nachricht von einem Jungen. Im Chat hieß er Josch. Ein Nachname stand bei ihm nicht,eben so wenig wie es ein Foto gab und auch sein Vorname sagte ihr nichts, aber sie hatte einige gemeinsame Freunde mit ihm. Aber weil sie so schüchtern war, fragte sie niemanden von ihren Freunden wer er denn war.Sie schrieb mit ihm den ganzen Nachmittag. Und auch am nächsten Tag schrieben sie bis spät abends. Von da an schrieben sie jeden Tag miteinander. Der Frühling kam, und dann der Sommer.Noch immer schrieb sie mit Josch jeden Tag. Den Jungen von nebenan hatte sie längst vergessen. Josch gab ihr seine Telefonnummer. Und nun schrieben sie nicht mehr nur, sondern verbrachten auch Stunden damit, zu telefonieren. Der Sommer verging und es wurde Herbst. Inzwischen war ihr klar geworden, das sie sich langsam und kaum merklich immer mehr in ihn verliebt hatte. Doch sie traute sich nicht, es ihm zu sagen. Oder ihn zu fragen ob sie sich treffen wollten. Ihre Angst davor, dass er sie hässlich finden konnte war immens.
Sie schriebensich übers Handy den ganzen Vormittag in der Schule, und am Abend telefonierten sie lange. Jeden Tag. Doch eines Tages schrieb er ihr Vormittags nicht mehr. Und er rief sie auch nicht an. Sie dachte erst, sie hätte etwas falsch gemacht und sprach ihm auf die Mailbox. Dann schrieb sie ihm Nachrichten. Irgendwann, ein paar Tage später, fasste sie sich ein Herz. Ganz vorsichtig, so nebenbei, erwähnte sie Josch, und fragte ihre Schulfreundin wer er sei. Ihre Freundin war verwirrt, aber das ist doch dein Nachbar, sagte sie. Das Mädchen war geschockt, aber nun konnte sie zu ihm nach Hause, und ihn fragen was los war. Und das tat sie auch direkt nach
der Schule. Seine Mutter öffnete die Tür. Sie sah anders aus, ihre Augen waren rot. Das Mädchen fragte nach Josch. Da fing die Mutter an zu weinen. Das Mädchen war verwirrt. Was ist los, fragte sie. Die Mutter bat sie hinein und setzte sich mit dem Mädchen in die Küche. Josch, sagte sie, war krank. Er hatte Krebs. Er ist tot.
Das Mädchen war geschockt. Sie saß noch ein bisschen mit ihr da. Dann fragte sie wo er begraben sei. Da sie mitlerweile 18 war, fuhr sie mit dem Auto zu dem Friedhof den die Mutter ihr genannt hatte. Sie ging zu seinem Grabstein, fiel auf die Knie. Dann fasste sie einen Entschluss. Gleich bin ich bei dir, sagte sie. Dann setzte sie sich in ihr Auto, und fuhr. Als sie auf der Landstraße war, gab sie Gas. Sie fuhr schneller und schneller und dann riss sie das Lenkrad herum und steuerte den Wagen an einen stark aussehenden Baum.
Die Feuerwehr kam, um sie zu befreien. Sie lebte, und mit ihrem letztem Atemzug hauchte sie, jetzt bin ich endlich bei dir Josch.


© Caro Dreier


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Beschreibung des Autors zu "Zu spät"

Sage einem Menschen so oft es geht, was du für ihn empfindest. Irgendwann kommt der Tag an dem es zu Spät ist.




Kommentare zu "Zu spät"

Re: Zu spät

Autor: RACH3ENG3L   Datum: 19.07.2013 20:27 Uhr

Kommentar: Bei dieser Geschichte kamen mir die Tränen

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