Milenas Hals schmerzte furchtbar und beim Schlucken glaubte sie einen scharfkantigen Kloß hinunterwürgen zu müssen. Ihren Kopf konnte sie nur mit Mühe drehen, da sie noch immer seine Finger, wie einen zu eng angelegten Gürtel, um ihren Hals spürte. Sie weinte! Nicht der körperliche Schmerz, sondern die Wunden ihrer verletzten Seele, lösten diese Tränenflut aus. All die Jahre hatte sie ihm blindlings vertraut und nun das.

Auslöser dieses Desasters war ein Topf mit Suppe gewesen, der nur darauf gewartet hatte, vom Herd genommen zu werden. Er und Milena konnten sich einfach nicht einigen, wer dies erledigen sollte.
Diese belanglose Auseinandersetzung hatte ausgereicht, einen stressigen Arbeitstag, zum Horrorszenario entarten zu lassen.

Milena erinnerte sich an kräftige Finger, die ihr Handgelenk schmerzhaft umschlungen hielten, während sie auf einem Stuhl saß und mit ihrem Gegenüber, in einem absurden Wortgefecht gefangen war. Ihre Bitten, den Griff zu lockern, wurden missachtet.
Milena bekam Angst und eine laute, fast schrille Stimme in ihr schrie:
WEHRE DICH!
Zuerst kreischte sie ihm giftige Worte ins Gesicht, doch das machte alles nur noch schlimmer. Sein Griff brach ihr nun fast das Handgelenk. Grenzenlose Wut stieg in Milena auf und sie trat nach ihm, bis sie, samt ihrem Stuhl, auf dem Boden lag. Jetzt packte er Milena an den Schultern, hob sie hoch und halb schleifend und halb sie vorwärtstretend, zerrte er sie durch den Flur ins Schlafzimmer.
Unsanft landete Milena auf dem Bett. Als seine Hände ihren Hals umschlangen und sie über sich, sein entschlossenes Gesicht sehen konnte, glaubte sie noch für Sekunden an einen schlechten Witz. Es würde sich als Traum herausstellen, schließlich bekamen nur andere Krebs und nie man selbst.
Der Schmerz wurde stechender. Ihr Hals fing an zu brennen.
Er schrie sie immer wieder an: „Willst du sterben, willst du wirklich sterben?“.
Milena dachte nur an eines: Er bringt mich um, er bringt mich tatsächlich um.
Erleichterung machte sich in ihr breit, als seine vor Wut verzerrte Miene in gnädigem Nebel verschwamm. Sie war kurz davor das Bewusstsein zu verlieren. Es fühlte sich an, wie dieses unvergleichlich erlösende Gefühl, wenn nach einer grässlichen Migräne, plötzlich die Pille anfing zu wirken - der peinigende Schmerz im Dunkel des Unterbewusstseins verschwand. Ihre Augen schlossen sich.

Der Druck am Hals ließ schlagartig nach, als er von Milena abließ und von ihr herunterstieg. Sie hustete sich speichelverlierend zurück ins Leben. Ihr Hals tat höllisch weh. Als Milena sich mühsam zur Seite drehte, noch unfähig aufzustehen, dachte sie an den Tod. Was war dieser kläglich schmerzende Hals im Angesicht des Todes? Hätte er sie nicht losgelassen, der milchige Nebel hätte sie für immer eingehüllt. Es war ein undefinierbar beängstigendes Gefühl zu wissen, wie es sein könnte, zu sterben. Mit Sicherheit konnte Milena nicht sagen, ob sie jetzt nicht lieber tot wäre.

Endlich schaffte sie es aufzustehen und rannte unbeholfen vom Schlafzimmer ins Bad. Zweimal prallte sie dabei gegen die Wand.
Er folgte ihr. „Lass uns reden?“
Das war nicht sein Ernst!
Rede, bevor du jemanden umbringen willst, kam ihr in den Sinn, doch sie konnte nicht sprechen. Ein klägliches Krächzen war alles, was sie zustande brachte.
Er drängte sie, indem er heftig mit der flachen Hand auf ihre rechte Schulter schlug, in Richtung Toilette.
Nicht berühren, bitte nicht berühren!
Als hätte er auf einen Schalter gedrückt, anstatt ihre Schulter zu peinigen, war ihre Stimme wieder da. Milena schrie um Hilfe. Er reagierte unerwartet; abrupt wandte er sich von ihr ab, ging aus dem Raum und schlug heftig die Tür hinter sich zu. Mit seinem Verschwinden erstarben auch ihre Schreie und sie sackte zusammen. So kauerte sie nun auf dem Boden und weinte leise vor sich hin. Ängstlich, sah sie beim kleinsten Geräusch zur Tür. Sie durfte sich einfach nicht mehr öffnen. Willkommen im Kreis der gequälten Frauen, die auf Badezimmerteppichen saßen und blöd herumheulten, anstatt ihre Koffer zu packen.

Es war ihr gemeinsames Leben und ihre gemeinsame Liebe gewesen. Er hatte alles zerstört. Sie weinte unaufhörlich und alle klaren Gedanken, zu denen sie in dieser Situation überhaupt fähig war, gingen in ihrer Tränenflut unter. Erschöpft und alleine mit ihren verlorenen Träumen schlief Milena irgendwann auf dem bunten Vorleger ein...

...und morgen beginnt ein neuer Tag.


© Kyrhia Schindler / 2000


0 Lesern gefällt dieser Text.




Kommentare zu "Todesangst"

Es sind noch keine Kommentare vorhanden

Kommentar schreiben zu "Todesangst"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.