Ich hab irgendwo auf meinem Weg mal mein Glück verloren. Ich hatte es im Rucksack hintendrin und es war ganz leicht. Ich kann mich gar nicht dran erinnern, wann und wo das war und jetzt scheint der Weg zu lang geworden zu sein, um zurück zu laufen und es zu suchen. Es kann sein, dass ich voller Übermut war, weil der Weg grad so schön war und das Glück noch leichter als sonst, und den Weg entlang gehüpft bin, ein paar Sprünge gemacht hab und währenddessen ists mir rausgefallen. Seitdem hab ich einige Gabelungen passiert und viele Kreuzungen überschritten. Ich weiß es nicht mehr, welchen Weg ich gegangen bin, es waren zu viele und jetzt steh ich hier. Ich bin etwas gerannt die letzten Jahre und jetzt bin ich stehen geblieben, außer Puste und krame in meinem Rucksack, weil ich merke, dass ich mein Glück verloren habe. Ich durchwühle alle Taschen, doch ich kanns nicht finden, es ist weg. Obwohl man denken könnte, dass die Last jetzt weniger sein müsste, drücken die Riemen des Rucksacks schwer auf meine Schultern, schwerer als zuvor. Ich fühl mich leer ohne mein Glück…leer und einsam. Ich bekomme langsam eine Ahnung davon, wie wertvoll es war, was mir da verloren gegangen ist. Wie war ich doch unbedacht und leichtsinnig!
Und so dreh ich mich um und gehe nun doch Schritt für Schritt zurück. Langsam und bedächtig und erinnere mich an jedes Stück Weg, das ich schon mal passiert bin und teilweise fallen mir Einzelheiten auf, die ich vorher nicht bemerkt habe. Ich gehe langsam, um nichts zu übersehen. Ich stehe vor der ersten Kreuzung und muss mich entscheiden, aber ich erinnere mich, welchen Weg ich gegangen bin, meine Fußspuren sind deutlich zu sehen. Ich hab keine Wahl, ich muss denselben Weg zurück. Irgendwie schaff ich es tatsächlich mich bei jeder Weggabelung zu erinnern, welche Entscheidung ich das letzte Mal getroffen habe und komme so Schritt für Schritt voran. Ich gehe bewusster als beim Hinweg, ich sehe mehr von der Gegend und mein Rucksack wird leichter mit jedem Schritt…Ich spüre, ich komme meinem Glück immer näher.
Und auf einmal sehe ich etwas am Wegesrand liegen! Ganz klein und dünn ist es geworden, neidergetrampelt und etwas schäbig, aber es lebt! Schnell hebe ich es auf und streichle ihm behutsam den Staub aus der Kleidung. Ich packe es vorsichtig in meinen Rucksack und schnüre ihn sorgfältig zu. Es darf mir kein zweites Mal verloren gehen, mein Glück! Sobald ich es wieder gut verstaut habe spüre ich eine unbändige Freude in mir hochsteigen! Ich hab es wieder! Ich habs tatsächlich gefunden! Diesmal werde ich es besser behandeln, diesmal werde ich mehr darauf achten! Mit großen Schritten eile ich voran, um den Weg ein drittes Mal zu beschreiten. Doch diesmal darf mein Glück die Entscheidungen an den Kreuzungen treffen!


© ich


0 Lesern gefällt dieser Text.

Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Mein Glück"

Es sind noch keine Kommentare vorhanden

Kommentar schreiben zu "Mein Glück"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.