Kinder, vor allem Schüler in einem gewissen Alter, haben oft Streitereien und Auseinandersetzungen, die sich meist um äußerst wichtige Nebensächlichkeiten drehen und die dann in einem „klärenden handgreiflichen Gespräch“ ihren vorläufigen Abschluss finden. Das macht zwar nicht immer allen Spaß, aber es scheint stets furchtbar notwendig zu sein. In manche Sachen schlittert man jedoch einfach so hinein, ohne das Geringste dafür zu können. So etwas passierte unserer Klasse kurz vor Beginn des Unterrichts...


„Geht schon mal hoch, ich habe noch im Lehrerzimmer zu tun!“ meinte unser Lehrer und gab Simon den Klassenzimmerschlüssel. Sofort stürmten alle los. Die Kinder hängten ihre Jacken an die Garderobenhaken, schlossen auf und drängten in den Raum.

Da stand es vor der Tafel: breit, mächtig und hoch, bis fast zur Decke. Viel, viel größer als der Lehrer! Mit leicht gespreizten, stämmigen Beinen und weit ausgebreiteten, wulstigen Armen, einem fassartigen Körper und einem Kopf wie ein umgestülpter großer Eimer mit unheimlich starrenden Augen.

Unheilvoll und tückisch blinzelte es die Mädchen und Jungen an. Jan und Tim bereuten einmal mehr, ausgerechnet heute pünktlich gewesen zu sein.

„ICH BIN DER STÄRKSTE – NIEMAND KANN MICH AUFHALTEN!“ brüllte der Urian herausfordernd.

„Da wäre ich nicht so sicher!“ krähte Jonny, zugegeben etwas vorlaut. Tonis Augen blitzten kampflustig und Mustafa rieb sich erwartungsvoll die Hände.
„Soll ich vielleicht unsern Lehrer holen?“ fragte Lena leise, aber mehr der Form halber.
„Das schaffen wir schon alleine!“ behauptete Dany und genoss die bewundernden Blicke von Ronja und Emma.
„Attacke!“ schrie Yannik plötzlich und stürmte völlig überraschend los. Doch der Riese packte ihn nur und schleuderte ihn blitzschnell zurück, sodass unser wackerer Kämpe sich verdutzt, aber sonst wohlbehalten, in den Armen von Lauretta und Sara wiederfand.
„Wir müssen ihn alle zugleich und von verschiedenen Seiten angreifen!“ erklärte Tizian und bewegte sich fiebernd wie ein Tiger vor dem Sprung.

„Zum Angriff!“ schrie Johannes als Stichwort, als die Spannung nahezu unerträglich geworden war. Alle stürmten los und die Schlacht begann.
Leon hatte sich bäuchlings auf den Boden geworfen und umklammerte das linke Bein des Monsters. Toni, Nico und mehrere andere taten es ihm gleich. Am rechten Bein hingen auch Jungs und gemeinsam versuchten alle, das Ungetüm zu Fall zu bringen. Doch der Koloss wankte nicht, lachte nur blechern, riss sich einen nach dem anderen wieder ab und feuerte ihn in die Tischreihen. Bis sich Laura, Lena und die anderen Mädchen gemeinsam an seine Arme hingen und ihn in seiner Bewegungsfreiheit hinderten. Da knurrte das Wesen grimmig auf und machte mit allen Kindern im Schlepp zwei, drei Riesenschritte nach vorn. Wie große lebendige Weintrauben klebten sie an dem Unmensch und klammerten sich fest.

Langsam begann das Ding, sich um sich selbst zu drehen.

21 Fußpaare versuchten Halt zu finden, sich dagegen zu stemmen, zu bremsen – vergeblich! Immer mehr stolperten und strauchelten, schlurrten und schliffen über den Boden. Aber zäh ließ keiner der Kämpfer los, trotz der Schrammen und Kratzer und der vielen blauen Flecken, die sie sich dabei einhandelten.

Schneller und schneller drehte sich der Unhold.

Kristina, Ronja, Sara und all die anderen krallten sich fester und fester in die gummiartige Haut, ja, Laura versuchte sogar hinein zu beißen. Jan und Simon hatten seinen metallenen Gürtel gepackt und Denise hing ihm um den Hals. Längst waren alle Tische und Stühle zur Seite gefegt und wie ein Höllenkettenkarussell drehte sich die ganze Schar in immer höherem Tempo im Kreis herum. Was erst noch irgendwie lustig war, wurde bald sehr ungemütlich. Die Mädchen kreischten, die Buben brüllten und manchen Kindern begann es schwarz vor Augen zu werden. Verbissen, schwitzend und keuchend, mit dem Gefühl, als würden die Arme immer länger werden, kämpften alle gegen die immer größer werdende Fliehkraft an und dachten nicht ans Aufgeben.

Florian und Ludo, die etwas zögernd angegriffen hatten und deswegen ganz außen hingen, verloren als erste den Halt. Wie zwei Raketen schossen sie aus der Kreisbahn, genau in die Ecke mit dem Waschbecken. Nachdem sich Ludo benommen den Abfallkorb vom Kopf geholt und Florian eine enorme Beule am Hirn gerieben hatten, beratschlagten sie kurz und verließen dann eilig den Raum.

„SO WIRD ES ALLEN GEHEN – ALLE WERDEN FLÜCHTEN!“ höhnte das Teufelsding und legte noch einen Zacken zu. Das Klassenzimmer, ja die ganze Welt schien sich zu drehen. Einigen Kindern wurde entsetzlich schlecht, aber das Tempo war inzwischen so hoch, dass keiner mehr aussteigen konnte.

„Nicht aufgeben!“ feuerte Robbi die Kämpfer an, obwohl er selbst schon längst nicht mehr wusste, wo oben und unten, vorn und hinten waren. Alles flog wie in einer rasenden Achterbahnfahrt an ihm vorbei. Wie viele andere hing er beinahe schon waagerecht von dem Gegner weg.
Schließlich unterlief Denise ein Fehler. Im verzweifelten Versuch besseren Halt zu finden, hatte sie kurz mit einer Hand los gelassen, doch die andere allein konnte ihr Fliehgewicht nicht halten und rumms! krachte sie wie eine Kanonenkugel gegen die Wandverkleidung der Schiebetafel. Der Kreidestaub rieselte nur so und der nasse Tafellappen flappte ihr ins Gesicht.“Pfui Teufel!“ zischte sie empört, „da hast du's zurück!“ spuckte etwas Kreide aus, packte das Tuch und warf es dem Ungeheuer an den Kopf, dass es nur so klatschte.

Wütend und wie ein Brummkreisel Töne von sich gebend, versuchte der Berserker den Lappen wieder ab zu schütteln, doch der hatte sich in seinen Kopfantennen verhakt, blieb oben und nahm ihm die Sicht. Wie ein rotes Tuch den Stier reizte es ihn zu noch schnellerer Umdrehung. Er rotierte und rotierte und alle Kinder flogen mit, bis auf Denise, die sich vergeblich bemühte, bei dieser Höllenfahrt wieder Tritt zu fassen.

Alle Kinder? - Nein, da tauchten Florian und Ludo wieder auf und hielten einen verschweißten Plastikbeutel in der Hand, den sie in einem günstigen Augenblick dem Drehkreisel zwischen die stampfenden Füße warfen, wo er sogleich zerplatzte und seinen Inhalt frei setzte. Die findigen Jungs hatten aus der Putzkammer des Hausmeisters flüssige Schmierseife geholt!

Je mehr nun der arme Tropf in dem Brei walkte, desto weniger Halt fanden seine riesigen Treter. Trotz immer größerer Anstrengungen wurden seine Drehungen immer langsamer und täppischer. Seine Motoren brummten heftig und wurden heiß, Kabel summten laut und Warnblinklichter fingen an zu leuchten. Erste Sicherungen brannten durch. Qualmend und zischend kam die Maschine schließlich zum Stehen. Die erfolgreichen Kinder sprangen ab und betrachteten den rauchenden und wankenden Blechberg aus sicherer Entfernung.

„IHR – HABT – MICH – BE – SIEGT!“ röchelte das Wrack noch, plumpste dann nach hinten um, zersprang in seine Einzelteile und löste sich nach und nach in Luft auf.

Eins nach dem anderen trachteten die Kinder danach, schwankend und nach Luft schnappend, ihre sieben Sinne wieder zusammen zu finden. „Schade,“ meinte Emma noch, „wir hätten doch besser mit der Blechbüchse auskommen können!“. Da öffnete sich die Tür und der Lehrer trat ein.

„Um Gottes Willen, was habt ihr denn hier schon wieder angestellt? Kann man euch denn keine fünf Minuten allein lassen? Räumt sofort das Zimmer wieder auf!“ rief er aufgebracht und wollte von der ganzen Geschichte kein Wort glauben...


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Beschreibung des Autors zu "Kampf mit dem phantastischen Monster"

Die Geschichte habe ich eigentlich für Kinder geschrieben, aber warum sollten sie Erwachsene nicht auch lesen?
Außerdem kann man sie leicht für andere Gegebenheiten umändern, z. B. passende Namen einsetzen und durch andere Kinder spielen lassen, die sind sicher begeistert.

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Kommentare zu "Kampf mit dem phantastischen Monster"

Re: Kampf mit dem phantastischen Monster

Autor: Varia Antares   Datum: 24.05.2012 1:51 Uhr

Kommentar: Die Story ist spannend bis zum Schluss. Habe sie gern gelesen. :)

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