„Luisaaaa !“, ertönte die Stimme ihrer Mutter. Luisa drückte sich weiter in den großen Wäscheberg hinein. Sie lag gemütlich auf einer dicken Schicht Pullover, Hosen und Socken, über sich hatte sie das riesige T-Shirt ihres Bruders ausgebreitet. Jetzt drückte sie sich fest die Daumen, dass sie nicht so schnell gefunden wurde, sie wollte noch nicht ins Bett.
„Luisaaa !“, rief wieder ihre Mutter, diesmal etwas näher. Zur
Sicherheit zog sie ein weiteres Shirt über sich.
Schritte ertönten direkt neben ihrem Haufen und wurden immer lauten. Vorsichtig rutschte Luisa so weit wie möglich ans hintere Ende des Wäscheberges. Die Schritte verstummten. Luisa hielt ihre Luft an. Im Kopf zählte sie die Sekunden. „Eins, Zwei, Drei, Fünf...“. Sie war gerade bei Zehn angekommen, da hörte sie, wie die Schritte sich entfernten. Erleichtert atmete sie tief ein.
Eine Hand griff von oben nach ihr und zog sie aus dem Wäschehaufen. „Wusste ich es doch“, rief ihre Mutter mit triumphalen Stimme. Mist. Sie wurde reingelegt. Wieder einmal war sie auf den Trick mit dem Aufstampfen reingefallen.
Mürrisch und trotzig schaute sie in das immer noch triumphale Gesicht ihrer Mutter. „Mama“, sagte sie dann, „Mama, ich bin doch schon 9, warum darf ich nicht länger aufbleiben ? Nick darf das doch auch !“ Ihre Mutter beschloss wohl, ihre Frage zu ignorieren, denn sie antwortete nicht und machte sich, mit ihr im Gepäck, auf den Weg in Luisas Kinderzimmer. Dort setzte sie Luisa ab.
Immer noch trotzig machte sie sich daran in ihren Schlafanzug zu quetschen. „Du Mama ?“, fragte sie dann.
„Was ist denn ?“
„Kann ich ein Haustier haben ?“
„Nein, Kleinvieh macht auch Mist !“, meinte ihre Mutter in strengen Ton.
„Aber, ich darf doch schon nicht aufbleiben. Da will ich wenigstens ein Haustier“
Leicht genervt antwortete ihre Mutter: „Ich kann deinen Zusammenhang nicht sehen und selbst wenn, Kleinvieh...“
„Jaja“, unterbrach Luisa sie, „macht auch Mist. Schon klar.“ Ergeben ließ sie sich auf ihr Bett fallen, egal wie oft sie fragte immer bekam sie diese 'Kleinvieh macht auch Mist' Antwort.
Ein lautes Gähnen entkam ihrem Mund. Na Toll. Jetzt würde sie keine Chance mehr haben, länger wach bleiben zu dürfen. Seufzend zog sie sich die Decke über den Kopf. „Gute Nacht“, rief sie dann.
„Gute Nacht“, sagte auch ihre Mutter, offensichtlich erleichtert, dass Luisa endlich nachgegeben hatte.
Luisa starrte die Unterseite der Decke an. Die Schritte ihrer Mutter entfernten sich. Dann ging das Licht aus.
Lange suchte sie nach einem Plan, um länger wachzubleiben. So lange, dass sie tatsächlich währenddessen einschlief und in das tiefe Reich der Träume versank.

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Verwirrt sah sich Luisa um. Gerade noch war sie in ihrem warmen und weichen Bett gelegen und nun stand sie auf einer weiten Blumenwiese. Über ihr schwebten fluffige Wolken vor einem strahlend blauen Himmel, hinter ihr flüsterten Tannen im Wind. Sie glaube fast, dass sie vor sich, in einiger Entfernung, ein kleines Dorf sah.
Vorsichtig drehte Luisa sich einmal um sich selbst, um mehr von ihrer Umgebung zu sehen.
„Spielst du hier Karussell, oder wie ?“, rief eine Stimme hinter ihr.
Erschrocken drehte sie sich um und entdeckte ein Mädchen, nicht älter als sie selbst, hinter sich. Ihr Gegenüber schüttelte ihre kurzen zerzausten braunen Haare und schaute sie fragend an. „ähm.. nein ?“, konnte Luisa schließlich hervorbringen.
„sah aber ganz so aus“, meinte das Mädchen, ihre waldgrünen Augen immer noch neugierig auf Luisa gerichtet.
Luisa schaute kurz weg und dann wieder zurück. Das Mädchen stand immer noch da, in kurzen zerrissenen Hosen, einem Hemd, dass ihr um mindestens 3 Größen zu groß war, und halb in und hab außerhalb der Hose steckte, und einem dunklen Kapuzenumhang, der ihr über die Schultern wehte. So eine Kleidung hatte Luisa höchstens mal in Filmen oder Theaterstücken gesehen. Sie konnte sich ein Kichern nicht verkneifen, dann frage sie: „Was hast du denn da für Klamotten an ?“.
Die wuschelhaarige Kapuzenträgerin schaut sie verwirrt an und rief schließlich. „Das kannst du gerade sagen, schau dich doch mal selbst an !“
Erschrocken dachte Luisa, dass sie noch in ihrem Schlafanzug steckte, doch dann stellte sie fest, dass sie ganz normale blaue Jeans und ihr Lieblingstshirt in dunkelgrün trug. „Ist doch ganz normal“.
Das Mädchen kam auf sie zu und zog an Luisas, zu Pferdeschwänzen hochgebundenen blonden Haaren. „Und das erst ! Was ist das ? Willst du damit um dich schlagen, um Monster zu verwirren ?“ Bei diesen Worten musste die Braunhaarige anfangen zu lachen.
Luisa war verwirrt. „Das ist doch eine ganz normale Frisur“, versuchte sie zu erklären. Das Mädchen musste nur noch mehr lachen, so sehr, dass ihr riesiges Hemd endgültig aus der Hose fiel. Jetzt musste auch Luisa lachen.
Ihr gegenüber beging zu prusten. „Und diese Dinger an deinen Füßen. Sollen das Schuhe sein ? Die sehen mehr aus, wie zu große Bausteine“
Luisa schaute beifällig auf die Füße des lachenden Mädchens, sie trug gar keine Schuhe. Dann schaute sie auf ihre eigenen Füße und musste feststellen, dass die Dunkelhaarige recht hatte. Mit den knall bunten Farben und Mustern, sahen sie wirklich aus wie Bausteine. Sie musste nun selbst auch, noch mehr lachen.
Als sie sich schließlich beruhigt hatte, streckte ihr das Mädchen ihre Hand hin. „Ich bin übrigens Rebecca, aber alle nennen mich nur Ratte, und du ?“
„Luisa“, meinte sie und nahm Rattes Hand. Diese grinste sie an und meinte dann: „Schön Lou, nett dich kennen zu lernen.“
Gerade wollte Luisa erwähnen, dass sie nicht Lou heißt, doch da redete die Dunkelhaarige schon weiter: „Soll ich dir mal was cooles zeigen ?“
Luisa nickte mit ihrem Kopf.
Rebecca schaute sie verschwörerisch an, dann murmelte sie „Alles gute kommt von Oben. Alle guten Dinge sind drei.“
Bevor sie auch nur verwirrt schauen konnte, plumpsten neben ihr drei Gegenstände vom Himmel. Erstaunt fragte sie Ratte: „Was.. was war das ?“
„Sprichwortmagie. Psst ! Ist ein Geheimnis“, dabei legte sie ihren Finger auf ihre Lippen.
„Kann ich das auch ?“
„Keine Ahnung“, antwortete Ratte.
„Keine Ahnung ?“ Luisa war nicht überzeugt, doch Ratte beging bereits die Gegenstände zu betrachten. Es waren ein Stück Holz, etwas Leder und ein Korb. Verwirrt trat Luisa näher heran. Ratte hatte gerade das Holzstück in der Hand. Es hatte unten einen Griff und wurde nach oben hin immer dünnen. Ein Holzschwert erkannte sie. Ratte starrte es an, wie als wäre es das wunderbarste auf Erden. Luisa konnte das nicht verstehen, es war doch nur ein Stück Holz. „Was ist so besonders daran ?“, fragte sie schließlich.
Ratte schaut sie an, als hätte sie gefragt, warum das Gras grün war. Als ihr klar wurde, dass Luisa wirklich nicht wusste, worum es sich bei diesem Schwert handelte antwortete sie: „Das ist ein Schwert. Ein echtes Schwert. Damit kann ich jetzt endlich zur Monsterjägerin werden.“
„Monsterjägerin ?“
„Ja, Monsterjägerin. Hier in Trow, gibt es viele Monster, große und kleine, Monster mit weichem Fell und Monster mit Schuppenpanzern. Ich werde sie alle fangen und zur größten Monsterjägerin aller Zeiten werden. Ich werde sogar besser sein, als der alte Zonk, der immer davon redet, wie er ein echtes Pummelhörnchen gefangen hat.“
Luisa versuchte erst gar nicht ihre neue merkwürdige Freundin zu verstehen, sondern ging weiter zu dem Stück Leder, welches immer noch auf dem Boden lag. Es war eine Umhängetasche. Neugierig zog sie sie sich über den Kopf. Sie passte ihr perfekt. Ratte schaut sie an „Wie wäre es, Lou, wenn wir gerecht teilen ? Ich bekomme das Schwert, du die Tasche und wir beide den Inhalt des Korbes“.
Luisa nickte lächelnd. Sie wollte das Schwert sowieso nicht. „Abgemacht. Lass uns schauen, was in dem Korb ist.“
Die beiden gingen auf den geflochtenen Korb zu. Ratte hob vorsichtig den Deckel an. Essen. Es war ein Picknickkorb. „Wow, super“, rief Ratte, „Ich hatte sowieso gerade Hunger.“ Mit diesen Worten packte sie den Inhalt Stück für Stück aus. Luisa half ihr dabei.
Schließlich hockten die beiden ein einem Paradies aus Brot, Trauben, Wurst, Käse, Kuchen, Tomaten, Erbsen, Äpfeln, Karotten, Mais, Birnen, Keksen und noch viel viel mehr. So viel Essen hatte sie noch nie auf einmal gesehen. Von der Seite schaute sie den kleinen Korb an, sie konnte sich nicht erklären, wie dort alles hinein gepasst hatte. Schließlich zuckte sie mit den Schultern, dieses Land war so verrückt, was machte da ein Wunder mehr oder weniger aus.
Ratte fasste schon kräftig zu und stopfte sich die verschiedensten Kombinationen von Essen in den Mund. Luisa selbst fühlte sich nicht hungrig. Da erinnerte sie sich an ein Sprichwort, dass sie einmal in einer Kochsendung gehört hatte. „Der Appetit kommt beim essen“, murmelte sie vor sich hin und nahm einen Apfel in die Hand. Als sie davon ab biss, bemerkte sie plötzlich, wie sie immer mehr Lust darauf hatte, sich durch das Schlaraffenland aus Lebensmitteln durchzuessen. Mit ihrer noch freien Hand griff sie nach einem Stück Kuchen.
Ratte schaute sie grinsend an. „Waaps ?“, frage Luisa mit vollem Mund.
„Du kannst es auch !“
„Wap kanpf isch aup ?“
„Na die Magie, die Sprichwortmagie. Du hast sie gerade verwendet, oder ?“
„Hap isch ?“, nuschelte die Blonde, schluckte herunter und fragt dann noch einmal „hab ich ?“
„Aber natürlich. Du sahst gerade noch satt aus, dann hast du etwas gesagt und plötzlich einen riesigen Appetit gehabt.“
Luisa nickt staunend, es war tatsächlich so gewesen. Ratte drückte ihr ein Wurstbrot in die Hand. „Hier probiere es nochmal.“
Verwirrt schaute Luisa auf das Käsebrot. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Ratte sah wohl ihre Ahnungslosigkeit, denn sie versuchte Luisa zu helfen. „Na du kennst doch sicher dieses Sprichwort, über Wurst und Brot und Not ?“
Kurz überlegte Luisa, dann fragte sie: „Du meinst: In der Not isst man Wurst auch ohne Brot ?“ Das Brot in Luisas Hand verschwand. Die Wurstscheiben lagen einsam auf ihrer Hand. Vor Staunen starrte sie auf die Stelle, an der gerade noch das Brot lag. „Das... das kann doch nicht sein“
Ratte grinste sie nur an, dann streckte sie ihr die Hand zum zweiten Mal am Tag hin. Luisa ergriff sie. Ratte flüsterte Beschwörerisch „Lou, Beherrscherin der Sprichwortmagie, willst du mit mir auf Monsterjagt gehen ?“
Luisa schaut auf ihre Hand und dann auf Ratte. „Ähm... ich weiß nicht, vielleicht war das ganze nur ein Zufall. Und Monsterjagt ? Ist das nicht gefährlich ?“
„Nein, ich bin ja da und mein Schwert“, meinte sie und zeigte stolz auf ihr Holzschwert. „Bitte Lou“, setze sie hinzu. „Das wird ein prima Abenteuer.“
Luisa war noch nicht ganz überzeugt, trotzdem nickte sie schließlich. „Gut, ich gehe mit dir auf Monsterjagt. Und was jetzt ?“
„Abwarten und Teetrinken“, antwortete Ratte und zwei gefüllte Teetassen erschienen vor den Mädchen. Luisa ergriff eine davon. Ratte die andere und sie stießen an. „Auf das Abenteuer“, rief Ratte und trank den Tee in einem Schluck hinunter. Luisa roch an ihrem und probierte ein Stück. Er schmeckte nach Früchten. „Auf das Abenteuer“, rief sie dann auch und trank einen weiteren Schluck.

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Ratte griff nach einem weiteren Stück Kuchen und steckte es sich, deutlich langsamer als am Anfang in den Mund. Dann klopfte sie sich auf den Bauch und murmelte „Ich bin so satt, ich könnte platzen“. Vorsichtshalber rückte Luisa ein Stück von ihrer Freundin weg, doch diese explodierte nicht, stattdessen stand sie auf und klopfte sich die Hände an ihrer bereits dreckverschmierten Hose ab. „Was nun ?“, fragte Luisa
„Jetzt finden wir heraus, wie es weitergeht !“, antwortete Ratte. So wie es aussah hatte sie einen Plan. Luisa beobachtete sie ruhig, wie sie eine Hand voll Bohnen aufsammelte, vor Luisa hinlege, und sich dann neben sie setzte. Dann murmelte sie „Jedes Böhnchen, ein Tönchen“
Luisa schaute verwirrt ihre Freundin und dann die Bohnen an. Nichts war passiert. Gerade wollte sie fragen, was denn schief gelaufen war, da fing eine der mittleren Bohnen zu sprechen an: „Oh, welch ein Herrlicher Tag es doch heute ist, und die Sonne strahlt so außerordentlich schön“. Luisas Mund klappte so erstaunt auf, dass Ratte anfangen musste zu lachen. „Du siehst ja aus, wie als hättest du noch nie eine sprechende Bohne gesehen.“
Luisa konnte nur ihren Kopf schütteln.
„Nun aber, meine Dame, das ist aber kein sehr höfliches Benehmen einer Bohne gegenüber“, meldete sich nun auch eine der größeren Bohnen zu Wort.
Luisa konnte nur noch verwirrter schauen. So etwas verrücktes hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen.
Ratte wendete sich an die Bohnen: „Es tut mir sehr Leid, ihre Bohnenschaft, sie ist neu hier“
„Nun gut“, meldete sich eine der Bohnen gutmütig, „dann mögen wir ihr Verhalten einmal verzeihen“.
Luise blieb nichts anderes übrig, als mitzuspielen, also nickte sie und sagte höflich zu den Bohnen: „Vielen Dank“.
„Nun, sie hat ja doch Manieren“, kam es von diesen zurück.
Etwas beleidigt murmelte Luisa „man kann ja wohl kaum verlange, dass ich mich gleich in perfekter Bohnenetikette auskenne“
Die Bohne rümpfte ihre Nase, wie um zu sagen, dass das durchaus der Fall war, dann meinte sie jedoch „Nun gut meine Damen, warum haben sie uns gerufen ?“
Ratte, direkt wie sie war, kam gleich zum Punkt „Wir sind Monsterjägerinnen und hätten gerne die Information, wo sich das nächste Monster befindet“
„Monsterjägerinnen, soso, dann sehen wir mal.. ein Monster.. wo befindet sich das nächste Monster.. ach ja“, bevor er weiterreden konnte, wurde er von einer der kleinsten Bohnen unterbrochen, „wir können ihnen doch nicht einfach sagen, wo sich das neue Monster befindet“.
Leicht verärgert über die Unterbrechung, kurz bevor sie eine Antwort bekommen hätten, murmelte Luisa „Der Krümel ist still, wenn der Kuchen spricht.“ Sie bemerkte erst, was sie getan hatte, als sich lautstark der Kuchen hinter ihr zu Wort meldete: „Ich weiß es, ich weiß es !“
„Oh nein, Lou“, rief Ratte „du hast den Kuchen erweckt.“
„Was ist denn daran so schlimm ?“, wollte nun Luisa wissen.
Die große Bohne antwortete ihr: „Der Kuchen meine Dame und verzeihen sie mir meine Wortwahl, kann sehr nervtötend sein“.
Wie zum Beweis, fing hinter ihr der Kuchen an ein Lied anzustimmen: „Backe, backe Kuchen, der Bäcker hat gerufen, wer will frischen Kuchen haben“, genervt unterbrach Ratte ihn mit einem lauten „Niemand, verdammt nochmal, halte die Klappe“.
Der Kuchen ließ ein beleidigtes „Hmpf“ hören.
Ratte wand sich wieder an die Bohnen: „Meine Bohnen, wo ist nun das Monster und antwortet mir, bevor der Kuchen wieder anfängt.“
Der Kuchen ließ ein weiteres „Hmpf“ hören.
Die Bohnen begingen sich zu besprechen. Es war ein lautes durcheinander von Stimmen. Luisa konnte nur vereinzelte Namen heraushören, von denen sie annahm, dass es sich um Ortschaften handelte. Schließlich sprach wieder die größte Bohne „Meine Damen, wir sind uns einig, dass sich ein geeignetes Monster in den fauchenden Höhlen befindet“
„Vielen Dank, Herr Bohne“, antwortete Luisa höflich. Ratte nickte.
„Ach eins noch“, meldete sich eine andere Bohne, „wir würden ihnen empfehlen sich eine Karte zu besorgen. Sie hilft ungemein, bei Orientierungsfragen. Es müsste welche in Rom geben“
Nun war Ratte daran „Vielen Dank, Herr Bohne“ zu sagen, Luisa war zu erstaunt, um zu nicken. Schließlich fragte sie „Rom ?“
Wieder einmal sah Ratte sie an, wie als hätte sie das Offensichtliche übersehen „aber natürlich Rom, wo denn sonst ? Alle Wege führen nach Rom.“ Zusammen mit Rattes Worten erschien vor ihnen ein Kiesweg, der direkt in das kleine Dorf führte. Luisa konnte nur „aber natürlich“ murmeln.
„Nun“, meinte Ratte „der Weg ist da, es wird Zeit zu gehen.“ Sie zog Luisa auf die Beine ging einige Schritte von ihrem Picknickplatz davon und rief „Wie gewonnen so zerronnen.“ Hinter ihnen verschwand das Essen zusammen mit den sprechenden Bohnen, und dem inzwischen wieder singenden Kuchen.
Dann fing sie an einige Schritte zu gehen bis sie wieder abrupt stehen blieb und murmelte:„Nach dem Essen sollst du Ruhen, oder tausend Schritte tun“, dann fing sie wieder an zu laufen. Bei jedem Schritt zählte sie mit: „Eins, Zwei, Drei, Vier, Fünf....“ Luisa konnte ihr nur erstaunt folgen.

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„...Neunhundertsiebenundneunzig, neunhundertachtundneunzig, neunhundertneunundneunzig, tausend“, zählte Ratte zu Ende. Die Beiden standen direkt vor einem altem Holzschild. Auf diesem stand in großen gemalten Buchstaben „R.O.M.“ und darunter, in etwas kleineren „Ralingen an der Oberen Monsterstraße“. Vor ihnen lag ein kleines, geschäftiges Dorf. Man hörte schon von ihrem Standort aus die Rufe. Die Häuser waren aus Holz, mit dicken Strohdächern und in der Dorfmitte befand sich ein steinerner Brunnen, an dem sich eine Schlange von Frauen gebildet hatte, die darauf warteten Wasser in ihre Krüge füllen zu können. Um sie herum wuselten Kinder, schrien, jubelten und lachten. Luisa wollte einen Schritt auf sie zumachen, um mitzuspielen, doch Ratte hielt sie zurück. „Warte mal Lou, wir sind hier wegen einer Karte, schon vergessen ?“
Luisa schüttelte den Kopf. Natürlich hatte sie es nicht vergessen. Die spielenden Kinder sahen nur so mitreißend aus. Rattes Blick, der immer wieder zu ihnen huscht, verriet ihr, dass diese das gleiche dachte. Schließlich schlug die Blonde vor „Wie wäre es, wenn wir die Karte holen und dann mitspielen ? Das Monster hockt doch sicher in der Höhle“
Ratte dachte darüber nach, dann nickte sie „klingt nach einem guten Plan“
„Gut“, meinte daraufhin Luisa „wo finden wir eigentlich die Karte ?“
„Bei Zonk, ich hab dir vorher schon von ihm erzählt. Er ist ein berühmte Monsterjäger. Er muss eine Karte der fauchenden Höhlen haben. Folge mir.“ Mit diesen Worten ging Ratte voran und zog die staunende Luisa durch die Menschenmengen hindurch, am Platz mit dem Brunnen vorbei, in eine abgelegenere Straße. Schließlich blieb sie vor einem Haus stehen. „Hier wohnt Zonk.“
Das Haus sah aus, wie viele anderen Häuser in dem Dörfchen auch. Ein einfaches Holzgerüst, dass vorsichtig oben mit einem Strohdach bedeckt war. Doch etwas war anders an diesem Haus: Über der großen Eichentür rage der Schädel eines Wesens hervor. Es sah aus wie ein Fuchs, nur, dass ein orange, schwarz gestreifter Schnabel an der Stelle saß, wo normalerweise die Schnauze war. Ratte murmelte „Ein Füchst“
„Ein Füchst ?“, wiederholte Luisa.
„Ja ein Füchst. Sie sind schnelle Jäger und wenn sie schreien klingt es wie der Jagdruf eines Falken“
Luisa konnte nur nicken, doch Ratte schien keine Antwort zu erwarten, sie zog sie weiter an die Hauswand und zeigte ihr mit ihren Händen, dass die Eingangstür offen stand. Durch den Schlitz konnte man gut auf eine offene helle Küche sehen. Auf dem Küchentisch lag eine Karte mit der dicken Aufschrift 'Die fauchenden Höhlen'.
Ratte grinste sie an „Das ist unsere Chance, lass uns reingehen“.
Luisa schüttelte den Kopf, sie war keine Diebin. Daraufhin zuckte Ratte nur mit den Schultern, zog sich die Kapuze über ihren Kopf und flüsterte ihr zu: „warte hier, ich werde mir die Karte schnappen. Wäre nett, wenn du dir ein paar Sprichwörter einfallen lassen könntest.“ Dann war sie nach drinnen verschwunden.
Schnell dachte Luisa nach. Schließlich murmelte sie: „Gelegenheit macht Diebe, Einmal ist keinmal, Entschuldigen ist einfacher, als um Erlaubnis zu bitten“.
Durch den Schlitz konnte sie beobachten, wie sich Ratte geschickt und lautlos über den Holzboden bewegte, dann am Tisch ankam, sich die Karte schnappte und wieder zu ihr zurückschlich.
Als sie wieder neben ihr Stand, zupfte sie an Luisas Ärmel, um ihr anzuzeigen, dass sie von hier verschwinden sollten. Die beiden Mädchen fingen an zu rennen.
Auf einer der geschäftigen Hauptstraßen blieben sie stehen. Luisa keuchte, Ratte schien der Spurt nichts ausgemacht zu haben. Sie stand lässig an eine Hauswand gelehnt da und studierte die Karte, während Luisa um Atem rang. „Das ging ja wie geschmiert“, sagte die Braunhaarige.
Luisa nickte ihr zu „du.. du musst.. eine gute Diebin.. sein“, antwortete sie, immer noch atemlos.
Ratte grinste und meinte dann: „Deine Sprichwörter waren auch eine große Hilfe. Wir sind ein klasse Team“.
Luisa hatte nichts dagegen einzuwenden.
Inzwischen hatte Ratte wohl die Karte lange genug angestarrt, denn sie reichte sie der Blonden, damit diese sie in ihrer Tasche verstauen konnte.
Eine Gruppe jubelnder Jungen rannte an ihnen vorbei. Sie schienen Verstecken zu spielen und dabei einen riesigen Spaß zu haben. Ratte und Luisa schauten sich an und mussten gleichzeitig loslachen. Sie hatten das gleiche gedacht. Sie hatten die Karte, und es sich damit verdient ein wenig zu spielen. Fröhlich schlendernd liefen sie auf die Gruppe zu.

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Einer der Jungen entdeckte sie zuerst, ein kleiner, etwas dicklicher. Er zupfte dem größten der Bande an seinem Hemdärmel und zeigte in ihre Richtung. Der Anführer schaut und drei weitere Köpfe folgen seinem Beispiel. Die beiden Mädchen liefen unbeirrt weiter, bis zwischen ihnen nur noch zwei Meter Abstand lagen. Ratte war die erste, die etwas sagte: „Hey, ihr saht aus, wie als hättet ihr Spaß gehabt. Dürfen wir mitmachen ?“
Die größte, vielleicht 13-jährige Junge, schaute sie abfällig an. Ein weiterer, mit kurzen hellbraunen Haaren fing an zu kichern.
„Ihr wollt hier also mitspielen ? Ihr zwei kleinen Mädchen“, fragte schließlich der Anführer.
Luisa ging einen Schritt zurück, Ratte sogar noch einen nach vorne. Sie schaute ihn direkt mit ihren grünen Augen an und knurrte „ja, siehst du hier sonst noch zwei Mädchen, die gefragt hatten, ob sie mitspielen wollen ?“
Der kleine pummelige Junge wirkte etwas eingeschüchtert, die anderen schauten nur, dem Beispiel ihres Anführers folgend, höhnisch drein.
Luisa drehte sich zu Ratte und flüsterte ihr zu: „Sollten wir nicht doch lieber gehen ? Die sehen gefährlich aus.“
„Ach was“, murmelte Ratte zurück „wir sind Monsterjägerinnen, wir lassen uns nicht so schnell abweisen.“
Luisa war nicht überzeugt.
Einer der Jungen, ein schlackiger rothaariger mit aufgerissenen Jeans und einem dreckigen Pullover trat einen Schritt auf sie zu „wollt ihr Ärger, oder wie ?“
Ratte streckte ihm die Zunge raus und rief „und wenn es so wäre, euch würde ich doch mit dem kleinen Finger besiegen“.
Luisa ging einen weiteren Schritt nach hinten. Sie war sich ziemlich sicher, dass Ratte das lieber nicht hätte sagen sollen. Ratte folgte ihr und flüsterte „keine Sorge, alles unter Kontrolle. Wir haben doch die Sprichwortmagie. Schon vergessen ?“
Nein, sie hatte es nicht vergessen. Aber trotzdem, es war nicht richtig sich hier mit den größeren anzulegen. „Warte nur noch einen Moment, okay ? Dann rennen wir weg.“, versicherte ihr Ratte.
Luisa nickte, sie war mit allem einverstanden, was sie von hier wegbringen würde. Jetzt meldete sich wieder der große hellhaarige Junge: „Ach wirklich, mit einem Finger ? Das wollen wir sehen.“
Ratte trat weiter nach vorne „Aber wir wollen doch nicht, dass ihr armen kleinen dann heulend zu eurer Mama rennen müsst.“
Auch die Jungs rückten einen weiteren Schritt nach vorne. Zwischen ihnen und Ratte, war nur noch ein Meter. Angriffslustig sagte der Anführer: „Pass auf, was du sagst Kleine. Ich und die Jungs, wir falten euch so zusammen, dass ihr ausseht werdet, wie zerknittertes Origami.“
Luisa fing an zu zittern, doch zum Glück war das wohl der Moment auf den Ratte gewartet hatte, denn diese drehte sich um und zog Luisa am Handgelenk mit, dann rief sie schnell: „Der Esel nennt sich immer zuerst“.
Der Anführer schrie wild gestikulierend seiner Bande zu, dass sie die Mädchen verfolgen sollten, doch diese blieben nur wie angewurzelt stehen und starrten ihn an. Denn anstatt Worten kam nur ein langgezogenes „Iiiaaahh iiiaaa iiiaaa“ aus seinem Mund. Als die Bande schließlich anfing die beiden zu verfolgen, hatten Luisa und Ratte schon einen riesigen Vorsprung.
Ratte drehte sich gerade um, um den Abstand zu überprüfen, da sah sie, wie eine ältere Dame, mit einem extrem kleinem Hund die Straße hinter den Jungen überquerte. Kichernd rief sie: „Den letzten, den beißen sie Hunde“.
Der kleine weiße Hund stürzte so schnell in Richtung des pummeligen Jungen los, dass seine empört rufende Besitzerin, die Leine verlor. Sei zeterte im in einem hohen schrillen Ton hinterher: „Nein Madam Tüdedelchen, böse Madam Tüdelchen, komm sofort wieder her. Hörst du nicht. Madam Tüdelchen“. Doch Madam Tüdelchen dachte gar nicht daran zu ihr zurückzukommen, stattdessen rannte sie laut kläffend ihrem armen Opfer hinterher.
Luisa beobachtete kurz Rattes Werk, dann sah sie zu den restlichen Jungen zurück. Sie kamen immer näher. Ein Gedanke kam ihr und sie rief: „Mitgehangen-Mitgefangen“.
Madam Tüdelchen sause los, jetzt auch den anderen Jungen hinterher. Diese mussten aufhören die Mädchen zu verfolgen und die Richtung ändern, um dem wirbelnden Sturm aus Fell und Gekläffe auszuweichen. Grinsend schauten sich Ratte und Luisa an.
Die beiden bogen in eine Seitengasse ein. Sie hatten es geschafft. Ratte fing an zu lachen und nach kurzer Zeit fiel auch Luisa darin ein. Davor murmelte sie allerdings noch: „Hunde die bellen, beißen nicht.“

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Das lärmende Dorf, der kläffende Hund und die Jungen lagen hinter ihnen. Direkt hinter ihnen. Wenn Luisa sich umdrehte, sah sie die letzten Häuser R.O.M.s.
Ratte stand neben ihr und starrte wieder die gestohlene Landkarte an. Luisa drehte sich, um ihr über die Schulter schielen zu können. Für sie sah diese Karte aus, wie ein buntes Gemisch aus Farben. Mehr ein abstraktes Kunstwerk, als eine Hilfe. Rattes Blick nach, war auch diese genauso Ahnungslos. Diese ganzen Krakel waren auch unlesbar. Schließlich fragte sie: „soll so wirklich eine Karte aussehen ?“
Ratte schaute auf. „Nein, zumindest keine Karte, die ich kenne und ich habe schon viele gesehen.“
„Was machen wir jetzt ?“
„Natürlich das, was immer hilft: Sprichwortzauber“
„Gut, Sprichwortzauber. Ich schätze, dir ist keins eingefallen.“
„Nein, ich hatte nur 'Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg'“, antwortete Ratte erschöpft. Nichts passierte. „Entweder ist mein Wille nicht gut genug, oder es funktioniert nicht auf Karten“
„Deinem Gesicht nach zu urteilen, ist es nicht dein Wille“, vermutete Luisa.
„Nein“, murmelte Ratte verbissen. „Es muss doch irgendein passendes Sprichwort geben.“, entnervt zeigte sie auf die Karte „diese Zeilen hier kann doch kein Mensch lesen“
„Das ist es !“, rief plötzlich Luisa aus.
„Natürlich ist es das, man kann das hier nicht lesen.“
„Nein, das meinte ich nicht. Gib mir mal die Karte“, gab sie zurück und nahm Ratte die Karte aus der Hand. „Zwischen den Zeilen lesen“, flüsterte sie ihr zu. Die verworrenen Farbstriche und Kleckse der Karte begangen sich zu ordnen, die Schrift wurde lesbar und endlich hielt Luisa einen genauen Plan der Umgebung in Händen.
„Perfekt“, rief Ratte aus, nahm ihr die Karten wieder aus den Händen und lief schnurstracks in eine Richtung los. „Dahin müssen wir. Da geht es zu den fauchenden Höhlen“, jubelte sie wild gestikulierend.
Die Sonne wanderte über den Horizont und mit ihr die beiden Mädchen auf dem Boden. Das Gras wurde weniger, der Boden felsiger und ein großer Nadelwald kam immer näher. Erst klein, als dunkelgrüne Linie am Horizont, dann wuchs er immer mehr in die Höhe, bis er genau vor ihnen stand. Wie eine riesige dichte, dunkle Wand. Er schien alle Geräusche zu verschlucken und alles Licht in sich aufzusaugen.
Luisa ging einen Schritt näher an Ratte heran „Ratte ? Ich will da nicht rein“, brachte sie schließlich hervor.
Ratte starrte in die tiefen des endlosen Grüns. „Ja, der hier ist definitiv nicht auf Platz Nummer 1 meiner Lieblingswanderpfade, aber“, und bei diesen Worten hielt sie ihr die Karte hin „aber schau, wir müssen direkt hindurch, dann sind wir bei den fauchenden Höhlen.“
Luisa beäugte unsicher die Karte. Der Wald sah darauf tatsächlich kleiner aus, wie er in Wirklichkeit wirkte. Sie wollte trotzdem nicht hindurch.
Plötzlich fing Ratte neben ihr an zu grinsen.
„Bitte sag mir, dass du einen Ausweg hast“, flehte sie das ältere Mädchen an. Doch Ratte schüttelte den Kopf „das nicht, doch es gibt da etwas, was ich schon immer mal ausprobieren wollte“, meinte sie dann und fing an zu schreien: „So wie man in den Wald hineinruft, so kommt es zurück.“
Der gesamte Wald fing an in einer tiefen Tonlage zu brummen. Es klang, wie als würden die Bäume selbst ein Lied anstimmen. Schließlich schloss das tiefe Brummen sich zu einer gewaltigen Stimme zusammen: „Was wollt ihr, kleine Wesen ?“
Luisa klappte der Mund auf, Ratte konnte nur ein „Wow“ murmeln.
Luisa fing sich zuerst wieder, klappte den Mund zu und antwortete zitternd der gewaltigen Stimme: „E..e.. es t.. tu.. tut uns L..leid, d...dii..ich stören zu m..m..müssen.. a..a..aber h..hinter dir.. da l..liegt.. d.. die Höhe.. z..z zu der wir w..wollen.“
„Soso“, antwortete der Wald langsam „ihr seid also auf der Durchreise, warum habt ihr mich dann angesprochen, ich halte niemanden auf, der durch mich hindurchreisen will.“
Auch Ratte hatte sich inzwischen wieder beruhigt. „Lieber Wald, du bist so finster. Wir hatten zu große Angst, durch dich hindurchzulaufen.“
„Zu finster. Zu finster, sagst du also“, brummte wieder die tiefe Stimme über ihre Köpfe hinweg.
„Ja, wir sind doch klein und du bist so groß. Kannst du uns nicht helfen ?“
„Euch helfen, ja euch helfen könnte ich... zu finster..“. Mit diesen Worten ging ein rascheln durch den Wald, wie als würde er sich schütteln. Dann ertönte ein knarren und brummen. Direkt vor ihnen öffnete sich ein schmaler Weg im Wald. Die Bäume schoben sich Stück für Stück zur Seite. Das Licht drängelte sich in die vorher noch finsteren Ritzen und lies das feuchte Moos glitzern.
Die tiefe Stimme rauschte wieder über sie hinweg: „so kleine Wesen. Jetzt ist es nicht mehr so finster für euch.“ Damit verstummte das Brummen und der Wald lag wieder so still und ruhig wie zuvor da.
Ratte ging voran. „Los, da hinten ist es schon“, rief sie über ihre Schulter hinweg der noch zögernden Luisa zu.
Jetzt mit dem hell erleuchteten Pfad, wirkte der Wald nicht mehr ganz so düster und unheimlich wie zuvor. Luisa setzte einen Fuß vor den anderen. Dann hob sie den Blick. Und tatsächlich: sie konnte vor sich auch schon den Eingang einer tiefen Höhle sehen.

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In dem Moment, in dem Luisa vor den fauchenden Höhlen stand, konnte sie gut nachvollziehen, wie jemand auf diesen Namen gekommen war. Vom Inneren der Höhle konnte man ein Jaulen und Fauchen vernehmen, das wie ein gigantischer Flummiball von einer Wand zur anderen sprang und dabei die Geräusche aus dem inneren verstärkte, miteinander verdrehte und neu komponierte. Es klang furchterregend.
„Das ist also die fauchende Höhle ?“, fragte schließlich Luisa.
Ratte gab ihr ein einfaches 'ja' als Antwort, zu beschäftigt mit der Höhle, um sie wirklich zu beachten. Dann flüsterte sie: „Wenn du glaubst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.“ Wie auf ihr Kommando formte sich eine kleine Kugel aus Licht, gerade groß genug, um den Boden zu erhellen, vor Ratte. Es schien einsam in der großen, lauten Höhle.
„Wir gehen hinein ?“, fragte Ratte. Es klang aber mehr wie eine Aussage, als eine Frage.
Luisa nickte. Sie waren so weit gekommen, um jetzt aufzugeben.
Die beiden gingen los, immer in die Richtung aus der die fauchenden Geräusche kamen. Ihr kleiner Lichtball hüpfte treu vor ihnen hin und her, beleuchtete den Boden vor ihren Füßen und zeigte ihnen neue Abzweigungen.
Ein besonders lautes Fauchen ertönte direkt vor ihnen und Ratte hob die Hand, um Luisa zu zeigen, dass sie stehenbleiben sollten. Dann schickte sie mit einer sanften Handbewegung den Lichtball weiter in Richtung der Geräusche. Er schwebte langsam und stetig auf etwas zu, was vor ihnen im Gang lag. Vorsichtig schlichen die beiden sich näher heran. Das etwas entpuppte sich als die Quelle der Fauchgeräusche, doch jetzt direkt daneben, konnten die Mädchen deutlich hören, dass es sich mehr um Schnarch-, als Fauchgeräusche handelte.
Luisa schaute sich das große Ding näher an, dann drehte sich sich zu Ratte um, um ihr eine Frage zu stellen. Sie hatte schon ihren Mund geöffnet, da viel ihr wieder ein, dass direkt neben ihr ein gigantisches Monster schlief. Ratte bemerkte es auch und beging mir ihren Lippen Wörter zu Formen. Doch Luisa konnte sie nicht verstehen. Um Ratte klar zu machen, dass sie keine Lippenleserin war zuckte sie einmal hilflos mit den Schultern. Das dunkelhaarige Mädchen hörte den Versuch ihr eine Botschaft zu überbringen enttäuscht auf. Doch dann klärte sich ihr Gesicht auf und sie formte erneute Worte mit ihren Lippen. Verwirrt schaute Luisa sie an.
„Zwei Dumme, ein Gedanke“, ertönte plötzlich Rattes Stimme in ihrem Kopf.
Überrascht schaute sie ihr Gegenüber an und streckte ihren Daumen hoch, um anzuzeigen, dass sie die Idee für Gut hielt. „Dir ist klar, dass wir auch so reden können ?“, schallte Rattes Stimme abermals in ihren Gedanken wieder.
„Ich war mir nicht sicher“, dachte sie angestrengt.
Diesmal hob Ratte den Daumen an. Es funktionierte tatsächlich. „Also, ist das dein Monster ?“, fragte sie zögernd über die neue Leitung.
„Ja“, schallte es zurück. „Ich war mir erst nicht sicher. Aber das vor uns ist definitiv ein schiefkarierter Höhlenjauler.“
„schiefkarierter Was ?“
„Höhlenjauler. Ein besonders seltenes Monster.“
Ratte schickte das Licht weiter nach vorne und näher an den schiefkarierten Höhlenjauler heran und Luisa konnte sehen, woher sein Name kam. Der, mit flauschigem Fell überzogene, Rücken hatte ein rostrot weißes Karomuster.
Der Lichtball wanderte weiter und zeigte den ebenso flauschigen Greifschwanz des Monsters. Anfangs sah er aus wie ein Katzenschwanz, doch am Ende zweigte er in zwei Richtungen ab, um einen Greifarm zu bilden.
Vorsichtig umrundete das Licht den Körper und hielt auf Rattes Wink am großen Runden Kopf an. Die Ohren des Monsters hingen schlaff zur Seite herunter und waren nach hinten, durch die Schlafposition, leicht um seinen Kopf gewickelt. Die geschlossenen Augen waren riesig und schienen fast ein viertel des gesamten Kopfes einzunehmen. Anstelle einer Nase, hatte er einen Rüssel über dem mit spitzen Zähnen versehenen Mund. Einige der Eckzähne waren zu lang um in den geschlossenen Mund zu passen, aber trotzdem nicht lang genug, um als Stoßzähne zu gelten.
Die Füße des Monsters waren große, schwarze, samtene Katzentatzen, so aufgebaut, dass es sich trotz seiner Größe vollkommen lautlos bewegen konnte.
Luisa atmete vorsichtig ein, noch schlief das Monster, und so wollte sie es auch belassen. Auch Ratte war diesmal lieber vorsichtig und rief ihren Lichtball zurück.
„Was nun“, fragte Luisa telepathisch.
„Das einfachste wäre es wohl, es mit der Sprichwortmagie zu versuchen“, kam als Antwort von Ratte zurück.
„Gut, aber mach dich bereit, dass etwas falsch laufen könnte“.
Ratte nickt und zog ihr Holzschwert. Dann telepatierte sie Luisa: „bin bereit, kannst anfangen. Du musst allerdings Flüstern. Sprichwörter müssen ausgesprochen werden.“
Luisa ging ihre Möglichkeiten durch. Dann schaute sie das Monster an und flüsterte so leise sie konnte: „Harte Schale, weicher Kern“. Nichts passierte, das Monster schlief noch genauso Friedlich wie vorher. Also startete sie einen zweiten Versuch: „frisch gewagt, ist halb gewonnen.“ Wieder tat sich nichts.
Verzweifelt schaute sie zu Ratte hinüber und schickte ihr: „es klappt nichts“.
„Dann müssen wir wohl mehr riskieren“, kam sofort die Antwort zurück. Ratte schien bereit zu sein, alles für diesen Fang zu riskieren, also musste sie sie unterstützen.
Luisa nahm allen Mut zusammen und rief: „Kindermund tut Wahrheit kund.“ Das Monster erbebte, aufgeweckt durch Luisas Schrei. Schnell, bevor das Monster noch wacher wurde, rief sie hinterher: „Das Monster ergibt sich“. Wieder nichts, das Monster zuckte nur leicht mit seinen Schultern. Die Ohren, die Vorher noch auf seinen Hinterkopf geruht hatten, wickelten sich auf und standen nun senkrecht von seinem Kopf ab. Es beging sich in Richtung der beiden Mädchen zu drehen. Ratte hob ihr Schwert in eine Abwehrhaltung und rief selbst: „Wenn es am Schönsten ist, sollte man aufhören.“ Doch entweder hielt das Monster diesen Moment nicht für besonders schön, oder der Spruch bezog sich auf Ratte selbst, die gerade definitiv nicht einen ihrer größten Glücksmomente hatte, denn es passierte wieder nichts.
Inzwischen hatte sich das Monster vollkommen zu ihnen umgedreht. Luisa konnte nun die Augen erkennen. Sie bestanden aus einem leuchtenden Gelb, das aussah wie geschmolzenes Gold, und im dunklen einen hellen Lichtschein hinterließ.
„Ratte“, rief Luisa in Panik, „Ratte, wir müssen hier weg“
Ratte nickte ihr widerwillig zu und beging langsam Rückwärts zu laufen. Die Telepathie vollkommen aufgebend rief sie Luisa zu: „es muss doch etwas geben, dass gegen dieses Tier hilft“
Luisa zuckte nur hilflos die Schultern. „Ich hab schon alles versucht, was mir einfällt“, antwortete sie dann verzweifelt.
Der schrägkarierte Höhlenjauler, hatte angefangen sie weiter zu verfolgen. Auf leisen Pfoten pirschte er sich an sie ran. Ohne den Lichtball hätten sie ihn niemals bemerkt. Luisa und Ratte wichen weiter nach hinten.
Etwas hartes presste sich plötzlich gegen Luisas Rücken. Zuerst schrie sie auf, doch dann bemerkte sie, dass es sich um die Höhlenwand handeln musste. Ratte neben ihr, hatte sie auch bereits erreicht. Das Monster vor ihnen lies einen glücklichen Knurrlaut hören. Es wusste, dass es sie in einer Falle hatte. Die gelben Augen blitzen erwartungsvoll auf.
Wenn sie jetzt nichts taten, wäre es das für sie gewesen. Leicht rutschte sie an der Mauer nach rechts. Ihr Fuß versank plötzlich in einer warmen Matsche. Widerwillig zog sie die Luft durch ihre Nase ein und musste feststellen, dass sie in den Hinterlassenschaften des Monsters stand. Ein Schauder bahnte sich über ihren Rücken. Sie stand in Monstermist. Monstermist. Mist. Irgendetwas war mit Mist, schrie ihr Unterbewusstsein plötzlich auf.
In einem letzten verzweifelten Anflug drehte sie sich wieder zu Ratte um. Dem Monster lief bereits der Speichel von den langen Eckzähnen. „Ratte ! Ratte, ich glaube ich habe eine Idee. Mir fällt sie nur gerade nicht ein.“
Ratte schaute sie an, wie als wäre sie verrückt geworden. Dann zuckte sie mit den Schultern und murmelte „kann ja nicht schaden.“
Ohne Vorbereitung schlug plötzlich etwas hartes gegen ihren Hinterkopf. Sie wollte schon 'aua' schreiben, doch da flüsterte Ratte: „Ein leichter Schlag gegen den Hinterkopf verbessert das Denkvermögen.“
Luisa hatte keine Zeit mehr sich über die Brutalität ihrer Freundin zu beschweren, denn wie als wäre jemand von der verstopften Leitung getreten viel ihr endlich die Lösung für ihr Monsterproblem ein. Der schrägkarierte Höhlenjauler riss sein riesiges Maul auf und fing an schrecklich zu Brüllen. Scharfkantige Zähne begrüßten die beiden Mädchen und Luisa schrie: „Kleinvieh macht auch Mist“. Der Lieblingsspruch ihrer Mutter.
Das eben noch erklingene Gebrüll des Monsters, war in ein niedliches Maunzen übergegangen. Und da saß er vollkommen verdutzt vor ihnen: der kleinste schrägkarierte Höhlenjauler der Welt.

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Ratte ging auf das nun katzengroße Monster zu und hielt ihm vorsichtig ihre Hand hin. Der kleine öffnete sein Maul und schloss es über Rattes Hand. Luisa wollte ihr schon zur Hilfe eilen, da fing Ratte an zu lachen. „Das kitzelt Zerri“, japste sie unter weiterem Lachen.
„Zerri ?“, wunderte sich Luisa
„Ja, Zerri. So hab ich den kleinen genannt. Er sieht irgendwie aus wie ein Zerri“, antwortete Ratte und nahm Zerri auf ihre Arme. Luisa traute sich nun auch näher und strich vorsichtig über den weichen Kopf des schrägkarierten Höhlenjaulers. Das Miniaturmonster schnurrte zutraulich und hielt ihr seinen langen Rüssel, wie zur Begrüßung hin. Luisa reichte ihm ihren kleinen Finger. „Hey ich bin Lou, nett sich kennenzulernen“, sagte sie dann zu dem kleinen Wesen.
Ratte strich nun über die schräg stehenden Ohren des Tieren. „Ich werde ihn behalten“. Dem kleinen schien der Gedanke zu gefallen, er ließ ein zufriedenes Schnurren hören.
„Ich denke, Monsterjagt ist toll“, offenbarte schließlich Luisa.
„Aber natürlich ist es das“, rief Ratte enthusiastisch „hattest du etwas Zweifel ?“
„Gelegentlich“, gab Luisa zu „vorallem dann, wenn ich kurz davor stand gefressen zu werden.“
Diesmal musste sogar Ratte zustimmend nicken.
Gerade wollte Luisa sie etwas über das Minimonster fragen, da spürte sie, wie die Welt um sie herum immer verschwommener wurde.
„Lou, alles in Ordnung ?“, fragte Ratte sie etwas unsicher.
„Ich denke, ich wache auf“, wurde es Luisa klar.
„Oh“, war alles war Ratte sagen konnte.
Luisa sah wie sich langsam immer mehr Nebel über das Bild legte, bald würde alles weiß sein, und sie würde wieder aufwachen.
„Werde ich wieder zurückkommen können ?“, flüstertet sie ihre letzten Worte, bevor der Nebel überhand nahm.
Kurz bevor ihre Monsterjägerfreundin vollkommen aus ihrer Welt verschwand rief Ratte ihr hinterher: „Die Hoffnung stirbt zuletzt“.

ENDE


© Khali


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Beschreibung des Autors zu "Die Monsterjägerinnen"

Das Leben der 9-jährigen Luisa wird auf den Kopf gestellt, als sie in eine mittelalterliche Traumwelt eintaucht und dort auf das wilde Mädchen Ratte, deren größter Traum ist eine Monterjägerin zu werden, trifft.
Die Geschichte ist als Geburtstagsgeschenk für meine kleine Schwester entstanden.




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