1. Leon Walker

Vom Mensch zum Dämon des Teufels







Ich stand vor der brennenden Hütte. Der Rauch wehte zu mir herüber und brannte in meinen Augen. Es roch nach verkohltem Holz und verbranntem Menschenfleisch. Ich musste unwillkürlich würgen und hätte mich beinahe übergeben, als ich die toten, aufgedunsenen Leiber der entsetzlich zugerichteten Menschen sah.



Aber noch viel schlimmer war der Umstand, dass sich die schrecklichen Bilder in meinem Kopf festgesetzt hatten. Ich wurde sie einfach nicht mehr los. Sie waren wie gespenstische Schatten, die mich überall hin verfolgten. Besonders in meinen nächtlichen Träumen wurde ich von den verzweifelten Todesschreien der Männer, Frauen und Kinder immer wieder heimgesucht, die im infernalischen Kugelhagel der Projektilwerfer zu Hunderten dahin gemäht wurden. Nicht alle waren gleich tot, sondern starben langsam und qualvoll vor sich hin.

Ihre fürchterlichen Schreie, ihr klägliches Wimmern, Jammern und Stöhnen endete erst, als der gnadenlose Flammenwerfer kam und ihnen den Rest gab.



Ich wollte mir eine Zigarette anzünden, griff nach der klobigen Schachtel in meiner rechten Jackentasche und zog mit zitternden Händen eine daraus hervor. Beim Anzünden wäre mir beinahe der Glimmstengel vor lauter innerer Unruhe, Angespanntheit und Nervosität wieder aus den Händen gefallen. Ich riss mich zusammen, hielt das Feuerzeug ruhig und sog einen Augenblick später genüsslich den Rauch der glühenden Zigarette in mich hinein. Mittlerweile war mir kalt geworden. Ich knöpfte mir daher meine Jacke bis oben zu und ging eilig davon. Ein festes Ziel hatte ich nicht...





***





Ich war der beste meines Jahrgangs gewesen, hatte nach Beendigung meines Studiums der Politikwissenschaften eine Anstellung bei der Regierung bekommen und frönte eigentlich ein ganz normales Junggesellendasein. Dann machte man mir von oberster Stelle eines Tages dieses außergewöhnliche Angebot, das mein ganzes Leben verändern sollte. Im Grunde genommen war ich ein Mensch, der das Abenteuer liebte. Die Bezahlung war ungewöhnlich gut. Jedenfalls besser als alles, was ich bisher in meinem Leben verdient hatte. Also sagte ich zu. Warum auch nicht? Wer jung und zielstrebig ist, einen hohen Lebensstandart pflegte, Karriere machen und aufsteigen möchte, der kann einfach nichts anderes als dieser einmaligen Offerte zuzustimmen.



So bekam ich einen äußerst lukrativen Posten im Sicherheitsministerium, quasi als Agent, war häufig im Außeneinsatz und weckte schon nach kurzer Zeit die Aufmerksamkeit meiner Vorgesetzten wegen meiner sehr guten Leistungen.



Schnell stieg ich in der Hierarchie nach oben, bis ich eines Tages in eine geheime Abteilung abkommandiert wurde, wo ich erfuhr, wie naiv, dumm, einseitig und eingeschränkt mein bisheriges Verständnis von der Welt gewesen war. Ich habe Geheimnisse erfahren, die sogar hochrangige Regierungsvertreter, bis hin zum Präsidenten, verborgen blieben, und ich hatte Beweise für Dinge gesehen, die ich bislang für unmöglich gehalten hatte.



Jenseits der tagtäglichen Realität in der Gesellschaft gab es noch eine Welt, die von ganz anderen Gesetzen beherrscht wurde. In dieser unsichtbaren Welt tobte ein unerbittlicher Kampf der Kräfte des Guten gegen die finsteren Mächte des Bösen.



Ich war darauf nur wenig vorbereitet und zum ersten Mal in meinem Leben fragte ich mich, ob ich diesen ungewöhnlichen Aufgaben auch tatsächlich gewachsen war.



Aber wie kann man sich an den Wahnsinn gewöhnen? An das viele Elend und das entsetzliche Leid, das den unglücklichen Kreaturen widerfuhr?



Einfach weiterleben wie bisher und so tun, als sei alles normal und in bester Ordnung? Mein Innerstes sträubte sich zwar dagegen, aber ich akzeptierte den Horror der Gegenwart so wie er war.



Gedankenverloren stand ich da und rauchte nervös meine Zigarette, bis plötzlich Stan River, einer meiner Kollegen aus der internen Sicherheitsabteilung, mit dem Flammenwerfer auftauchte. Er steckte in einem feuerfesten Schutzanzug und schob sein Visier hoch.



Hey du! Bist du nicht Leon Walker? Geh mal aus dem Weg, Kumpel! Ich muss noch ein paar vergessene Leichen einäschern. Die Planierraupe kommt auch gleich und schiebt hier alles unter die Erde. Außerdem wird mir die Zeit ein wenig knapp. Ich muss mich beeilen! Wenn ich die Arbeit hier erledigt habe, kann ich endlich Feierabend machen. Bin schon seit fast 24 Stunden auf den Beinen. Aber was sein muss, das muss eben sein. – Was ist mit dir, Mann? Was stehst du hier eigentlich so herum wie Falschgeld und schaust mir dabei zu, wie ich diesen Haufen menschlichen Schrotts einäschere? Tut dir etwa dieser Abschaum leid, der hier überall herumliegt? Denk nicht darüber nach! Hat sowieso keinen Sinn. Geh lieber aus dem Rauch raus, sonst kriegst du bald tagelang Kopfschmerzen. Das aggressive Zeug reizt die Bronchien, ist für die Lunge schädlich und verursacht Brechreiz. So, jetzt verschwinde hier mal! Ich lass gleich das Feuer aus dem Rohr.“



Ich drehte mich um und ging ein paar Schritte zur Seite. Ich musste dabei an das denken, was wir in den Dorfhütten gefunden hatten und danach den armen Kreaturen angetan haben. Es war im Prinzip reiner Mord. Mein Magen schien auf einmal zu rebellieren. Dann übergab ich mich.



„Was habe ich dir gesagt!“ schrie Stan River durch sein herunter geklapptes Visier. „Andererseits scheinst du ein richtiges Weichei zu sein, Leon Walker.“



„Halt doch deine Klappe, Mann! Dir ist es am Anfang auch nicht besser ergangen“, fluchte ich zurück.



„Mach dir keine Sorgen. Ich gebe ja zu, dass die ersten Einsätze dieser Art jedem ganz schön an die Nieren gehen. Aber man gewöhnt sich schneller an diesen Scheiß, als man denkt. Hier, trink erst mal einen Schluck Wasser. Das wirkt Wunder“, sagte Stan River.



Ich ergriff seine Wasserflasche, die er irgendwo aus einer der Taschen seines feuerfesten Anzuges hervorgezaubert hatte und trank mechanisch.



Dieser Stan River konnte sich kaum vorstellen, wie es in meinem Innern aussah. Mir wurde einfach nur schlecht dabei, wenn ich daran denken musste, wie dieser junge Kerl so total unbefangen auf das Grauen des Todes um ihn herum reagierte. Ich fragte mich, ob ich nicht eines Tages genauso werden würde wie er. Er schien ansonsten ein guter Mensch zu sein, obwohl das, was er gerade tat, auf mich irgendwie böse wirkte. Die Grenze zwischen dem Guten und dem Bösen verwischte hier an diesem Ort des grenzenlosen Gemetzels eines mehr als unheimlichen Krieges.



Anderseits wusste ich auch, dass das, was meine Kollegen und ich getan hatten, ganz einfach sein musste. Es war zwingend erforderlich. So dachten wir alle. Die Gewährleistung der Sicherheit des Gesellschaftssystems war unsere oberste und vordringlichste Aufgabe. Um sie zu garantieren, war jede Schweinerei legitim.



Schon in der Operationsbasis wurde den neu angekommenen Agenten gesagt, dass es bei den zu erwartenden Einsätzen höchst unappetitlich zugehen würde. Nur wusste ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht, worum es eigentlich genau ging. Erst viel später wurde uns von einem Mitarbeiter des Sicherheitsministeriums mitgeteilt, dass wir als Agenten des Staates überall auf der Erde eingesetzt werden könnten, der Hauptfeind aber nicht die Menschen wären, sondern jene Kreaturen, die man gemeinhin als Dämonen bezeichnet. Sie befallen die Menschen, schlüpfen in ihre Körper und setzen sich in ihnen fest wie gefährliche Bakterien. Der vom Dämon okkupierte Mensch wird zu einem willenlosen Automaten. Er hat keine Kontrolle mehr über seinen Körper oder seinen Geist und tut alles, was der Dämon will. In seinem fremden Körper schleicht er wie ein Zombie in der Nacht herum, weil er ständig auf der Suche nach Menschenfleisch ist und daher jeden tötet, der seinen Weg kreuzt. Ich dachte zuerst daran, als mir mein Vorgesetzter davon erzählte, dass er mir nur einen dieser dummen Witze erzählt. Dem war aber nicht so. Sie Sache war eine todernste.



Und jetzt stand ich hier vor den qualmenden und stinkenden Überresten eines Dorfes und wünschte mir, ich hätte mir die Sache mit dem Wechsel meines Postens damals besser überlegt. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich war in eine Welt geraten, die mich gefangen hielt und nicht mehr los ließ. Die Brücken hinter mir waren abgerissen. Bisweilen wähnte ich mich in einem Horrorfilm, nur mit dem Unterschied, dass das hier live und total real war.



Nun, ganz offiziell hieß es, dass eine gefährliche, hochansteckende Seuche ausgebrochen war. Allein die bloße Erwähnung löste soviel Entsetzen unter der einheimischen Bevölkerung aus, dass niemand unsere harten „Quarantäne-Maßnahmen“ irgendwie infrage zu stellen wagte. Das betroffene Gebiet wurde einfach großräumig abgeriegelt, und wir konnten mit unserer dreckigen Arbeit beginnen. In Wirklichkeit war aber keine gefährliche Seuche irgendwelcher Art ausgebrochen, sondern etwas ganz anderes hatte die Bewohner des Dorfes im wahrsten Sinne des Wortes „befallen“. Hier hatten Dämonen gewütet und die Menschen zu willenlosen Zombies gemacht. Wir haben sie alle töten müssen – einen nach dem anderen – und ganz zum Schluss mit Feueröl aus einem Flammenwerfer verbrannt. Allerdings konnte niemand von uns wissen, ob die Dämonen auch wirklich vernichtet wurden oder ihren Wirtskörper schon vorher verlassen hatten, bevor wir sie töteten. Das erklärte mitunter auch die grausamen Szenen, in denen mich Menschen plötzlich aus großen, weit aufgerissenen Augen ansahen und offenbar nicht wussten, wie ihnen oder was mit ihnen geschah. Manche standen nur apathisch herum und ergaben sich willenlos ihrem Schicksal. Trotzdem mussten wir sie vernichten. Ein schrecklicher Anblick, der mich immer wieder an meine „heroische Aufgabe“ zweifeln ließ.



Eine Stimme hinter mir brüllte auf einmal hektisch los. Es war die Stimme unseres Einsatzleiters, Mac Marshall.



„Verdammt noch mal! Da kommen noch welche. Seht euch das nur an! Kommt mir fast so vor, als hätten wir einige von diesen Dreckskerlen aufgescheucht. Alle Mann in Verteidigungsstellung! Macht schnell Männer, bevor sie euch den Arsch aufreißen!“



Angesichts der drohenden Gefahr kehrten meine Aggressionen zurück, die meine instinktiven Lebensgeister wachrüttelten. Meine Zweifel waren wie verflogen. Ich lud meine modifizierte Schnellfeuerwaffe durch, die auch Sprengmunition verschießen konnte. Die Wirkung war bei einem direkten Treffer verheerend. Wurde ein Gegner von ihr getroffen, riss es ihn in Tausend Stücke.



Ich spürte, wie das Adrenalin durch meine Blutbahn rauschte. Es verdrängte zusätzlich meine düsteren Gedanken. Im Augenblick zählte nicht der moralische Zweifel, sondern nur das Hier und Jetzt. Es ging um Leben und Tod.



Alle Agenten hatten den Befehl bekommen, nur auf die Köpfe der angreifenden Zombies zu schießen. Das Gehirn war der Sitz des Dämons. Von hier aus durchdrang er den Körper des Besessenen über seine Nerven- und Blutbahnen, ähnlich wie die Haarwurzeln eines Baumes. War der Kopf erst mal getroffen, starb der befallene Mensch augenblicklich und der Dämon verschwand aus seinem Körper. Nur so konnte er mit einem Spezialgerät eingefangen und schließlich ein für allemal vernichtet werden.



„Kommen Sie klar, Leon Walker?“ fragte mich Mac Marshall und deutete auf die anrückenden Gestalten. Sie näherten sich von Osten, und ein anderes großes Rudel kam von Norden auf uns zu. Ich schätzte die Meute auf mehr als einhundertundfünfzig Männer und Frauen, die sich jetzt gierig auf uns stürzten.



Ich dachte wieder an die Hütten im Dorf, an die vielen Menschen, die wir töten mussten. Jetzt geht das alles wieder von vorne los, dachte ich so für mich, starrte in die Richtung der anrückenden Untoten und richtete meine Waffe auf sie.



Einige Einheimische kannten diese gespenstischen Wesen, wenn man überhaupt von Wesen reden konnte. Sie fraßen Menschen bei lebendigen Leib auf und tranken auch ihr Blut. Davon lebte der Dämon, solange er in dem Körper der Unglücklichen zuhause war.



Die Zombies kamen näher und näher. Als sie in Schussweite waren, gab unser Einsatzleiter den Befehl zum Feuern. Im gleichen Moment schossen wir aus allen Rohren. Mein erstes Magazin war bald leer. Ich lud nach und feuerte weiter ohne Unterlass. Ein Zombie nach dem anderen fiel zu Boden. Wenn ich schlecht traf, standen manche wieder auf. Dann musste ich ein zweites Mal auf sie schießen und hielt genau auf ihre Köpfe, die von der Wucht der explodierenden Geschosse platzten wie faule Kürbisse.



Die ganze Situation hatte etwas albtraumhaftes an sich. Es waren mehr Zombies als wir dachten, die irgendwo da draußen offenbar auf uns gewartet hatten. Doch am Ende waren wir die Sieger und standen vor einen Berg von zerfetzten und stinkenden Leichen. Da Stan River nicht mehr da war, musste ein anderer seine Arbeit übernehmen und die Überreste der menschlichen Kadaver verbrennen. Der Gestank von verbranntem Fleisch war bestialisch. Zwei schwere Planierraupen schoben die letzten verkohlten Reste später in eine dafür eigens ausgehobene Grube, gossen noch zusätzlich Salzsäure über die bleckenden Knochen und den blutigen Fleischresten und schoben eine Menge Erde darüber.



Die grausige Arbeit war bald getan, und der Tag ging langsam zu Ende. Nein, für mich starb er und ein Teil von mir mit ihm.



Ich hatte manchmal den komischen Eindruck, in einem realen Albtraum zu leben, der mich gefangen hielt und aus dem es kein Entrinnen für mich gab.





***





Das Hochhaus brannte. Fassungslos sahen die Bewohner des Stadtteils zu, wie ein Stockwerk nach dem anderen Feuer fing. Die Flammen loderten bald überall. Der Geruch von ätzendem Rauch war selbst noch weiter unten in den Straßenschluchten deutlich wahrzunehmen.



„Diese verfluchten Terroristen brennen alles nieder“, schrie ein Passantin mit aufgeregter Stimme. „Ja“, rief ein Mann neben ihr mit erhobener, geballter Faust. „Sie zerstören alles, weil sie uns hassen bis aufs Blut. Diese Verbrecher laufen doch überall frei herum und keiner verhaftet sie. Warum greift unsere Polizei nicht ein?“, fragte er ratlos mit lauter Stimme in die Runde und reckte seine Fäuste gegen das brennende Hochhaus. Ein dunkles, zustimmendes Raunen ging durch die gaffende Menge, die ihm zuhörte.



In einer der mittleren Etagen des Hochhauses hatten die Dämonen, die als religiöse Terroristen auftraten, ein Massaker unter den Teilnehmern einer Firmenveranstaltung angerichtet. Es war ein brutaler Vergeltungsschlag aus purer Rache, wie wir wussten. Das taten sie immer, wenn wir sie bekämpften und töteten. Das gegenseitige Abschlachten und Morden nahm einfach kein Ende.



Wir landeten mit Hubschraubern auf dem Dach des Hochhauses und drangen zu ihnen durch. Es gab kein Pardon. Die Attentäter wurden, bis auf ihren Anführer, alle getötet. Ihm wurde eine elektrische Fessel angelegt und durch regelmäßige Stromstöße unter Kontrolle gehalten. Solange der Körper des Menschen noch lebte, war der Dämon nicht dazu bereit, ihn zu verlassen. Er wusste außerdem, dass man ihn mit dem Spezialgerät einfangen und vernichten würde. Also wartete er erst einmal ab, was wir vorhatten.



Als ich an ihn herantrat, um seine Elektrofesseln zu überprüfen, sah er mich aus tief dunklen Augen hasserfüllt an.



Unerwartet stieß der Dämon eine düstere Prophezeiung aus, die mich zutiefst erschreckte. Dann schien er sich auf mich zu konzentrieren und fing mit leiser Stimme an zu sprechen.



„Wir können euch vielleicht nicht alle erwischen oder besiegen, aber wir werden jeden einzelnen, der euch etwas bedeutet, töten, egal ob Männer, Frauen oder Kinder, bis ihr den Tag verflucht, an dem ihr es gewagt habt, uns zu bekämpfen. Die Mächte des Bösen werden nie aufhören euch zu verfolgen. Aber ich mache dir hier und jetzt ein Angebot. Schlage dich auf unsere Seite und werde einer von uns. Du wirst sehen, wie mächtig wir sind. Wir können dir mehr bieten, als deine verlogene Regierung, deine kranke Gesellschaft in der du lebst. Eigentlich vegetierst du dahin wie ein verhungernder Wolf. Komm zu uns! Mach mit! Das Böse ist nicht so wie du denkst. Es ist für den, der für uns ist, die schönste aller möglichen Welten. Ach ja, was ist denn schon der Unterschied zwischen gut und böse? Tötet ihr, die vermeintlich Guten, nicht auch unschuldige Menschen? Und was machen eure Politiker? Sie versprechen euch Wohlstand und Freiheit, aber in Wirklichkeit unterdrücken sie euch. Das, was du das Gute nennst ist unfähig und zurückhaltend, weil es schwach ist. Es erzeugt auch nur Elend und Leid. Nur will das keiner wahrhaben. Schau dir die Welt an! Das Böse, wie ihr es nennt, ist eifrig und strebsam. Es will sich übertragen und erreicht es auch. Es ist fortschrittlich, faszinierend und steckt jeden an, der es einmal kennen gelernt hat. Lass dich anstecken vom Bösen und mache mit! Du wirst es nicht bereuen, Leon Walker.“



„Man wird mich genauso jagen wie jeden von euch. Auch das Gute hat Macht. ist konsequent und gefährlich. Ihr macht die Menschen zu Zombies, zu willenlosen Werkzeugen. Das können wir nicht zulassen. – Egal wie auch immer. Am Ende werde ich von meinen eigenen Leuten getötet und für immer vernichtet. Ist dir das eigentlich klar, Dämon?“



„Das mag sein. Aber es gibt noch einen anderen Weg. Wer aus innerem Antrieb und freien Willen heraus mitmacht, der bleibt das, was er ist. Er wird noch viel mächtiger sein als der Dämon selbst. Dämon und Mensch vereinigen sich zu einer kooperierenden Einheit. Glaub mir, es gibt schon viel mehr von diesen Menschendämonen, als dir lieb ist. Aber es sind immer noch viel zu wenig, um die Welt erobern zu können. Wir erleiden natürlich auch Rückschläge. Also, berühre mich aus freiem Willen damit ich gefahrlos in deinen Körper wechseln kann und du wirst sehen, dass das, was ich dir soeben gesagt habe, auch stimmt. Nach der Berührung erschießt du meinen Wirtskörper, damit es so aussieht als hättest du mich besiegt. Niemand wird etwas bemerken. Du kannst sagen, dass du mich mit dem Spezialgerät eingefangen und vernichtet hättest. Man wird dir Glauben schenken, weil du in einer hohen, respektablen Position arbeitest. Tu es also! Gleich jetzt, mein Freund! Worauf wartest du noch?“



Ich war von dem Dämon wie hypnotisiert. Für mehrere Sekunden muss ich wohl wie versteinert dagestanden haben, als plötzlich ein Schuss fiel. Dann fuhr ich unvermittelt hoch und ging ohne ein Wort zu sagen davon.





***





Ich stellte an mir vorerst keine sichtbare Veränderung fest, als ich mich am nächsten Tag bei meinem Vorgesetzten vom Dienst abmeldete. Doch kaum hatte ich das Gebäude der Sicherheitszentrale verlassen, als ich diesen abrupten Wechsel in meinem Innersten spürte. Die Kräfte, die in mir zu wirken begannen, mochten für die Augen anderer verborgen bleiben, doch sie zerrten an meinem Geist und verursachten ein anhaltendes Kribbeln am ganzen Körper.



In der Nacht hielten mich unruhige Träume gefangen. Immer wieder wurde mein Geist an die Oberfläche meines Bewusstseins gespült, nur um gleich wieder fort zudriften. Wilde Eindrücke prasselten auf mich ein, manchmal hörte ich Schüsse, dann wieder urzeitliche Schreie und das nervenzerfetzende Geheul von Sirenen, ohne dass ich hätte sagen können, was Wirklichkeit und was Traum war.



Wirklichkeit und Traum. Sie verschmolzen ineinander. Ich konnte beides bald nicht mehr voneinander unterscheiden.





***



Ich fuhr keuchend im Bett hoch. Meine Überlebensinstinkte ließen meine beiden Arme nach oben fahren, als wollte ich mich gegen einen Angriff verteidigen. Doch da war niemand, der mich angriff. Ich war völlig allein.



Verwundert sah ich mich um. Ich lag in einem bequemen Bett ganz allein in einem improvisierten Krankenzimmer. Die Größe des Raumes und die geschmackvolle Einrichtung ließen keinen Zweifel daran aufkommen, dass ich nicht gerade bei armen Leuten untergekommen war. Wo immer ich mich auch befand, offensichtlich hatte man mich nicht in ein normales Krankenhaus eingeliefert.



Ich schlug die Decke zurück und bemerkte dabei, dass mir jemand einen teuer aussehenden Seidenschlafanzug angezogen hatte. Ich fühlte mich bemerkenswert frisch und schob vorsichtig meine Beine über die Bettkante. Als meine nackten Füße den Parkettfußboden berührten, zögerte ich einen Augenblick, dann stemmte ich mich hoch und stand.



Mir wurde etwas schwindlig, doch meine Beine gaben nicht nach. Dann sah ich auf einem Stuhl Kleidung meiner Größe herumliegen. Die Sachen war nagelneu.



Wo immer ich auch bin, der Zimmerservice ist auf jeden Fall spitze, dachte ich so für mich und ließ mich vorsichtig auf einem kunstvoll gearbeiteten Sofa nieder. Bevor ich mich weiter umsehen wollte, zog ich mir die Sachen an, die vor mir auf dem Stuhl lagen.



Die Fenstervorhänge waren aus rotem Brokat. Sie verdeckten das Fenster. Behutsam schob ich den schweren Stoff beiseite und linste zum Fenster hinaus.



Draußen herrschte tiefe Nacht, die nur von wenigen elektrischen Lampen und ein paar Fackeln erhellt wurde. Ich befand mich offenbar im Erdgeschoss einer Villa, die, soweit ich das von meiner Position aus erkennen konnte, wohl Teil einer beeindruckenden Anlage war. Ich sah einen Seitenflügel, mehrere Nebengebäude und etwas weiter im Hintergrund eine mächtige kreisrunde Fläche, die mir vorkam wie der Landeplatz für Hubschrauber oder Senkrechtstarter.



Was mich aber noch viel mehr interessierte, war der große Parkplatz zu meiner Linken. Neben verschiedenen Geländefahrzeugen entdeckte ich mehrere ausländische Luxuslimousinen. Das brachte mich zu meiner Ausgangsfrage: „Wo um alles in der Welt war ich hier gelandet? In der Villa eines reichen Kaffee- oder Zuckerbarons? Oder gar vielleicht bei einem der Bosse der sizilianischen Drogenmafia?“



Es gab für mich nur einen Weg, das herauszufinden.



Entschlossen wandte ich mich zur Tür. Sie war überraschenderweise nicht abgeschlossen und es warteten draußen auch keine Ärzte oder Krankenschwester auf mich. Nur ein leerer, hell erleuchteter Flur mit dicken, sündteuren, reich verzierten Teppichen fand ich vor.



Plötzlich lauschte ich. Von irgendwoher erklang leise klassische Musik. Außerdem hörte ich Stimmen, doch sie waren zu leise, als dass ich hätte erkennen können, wie viele es waren oder worüber sie sprachen.



Ich folgte den Stimmen weiter bis zu einer weit geöffneten Flügeltür, die auf eine hell erleuchtete Veranda führte. An einem großen Esstisch saßen zwei Personen, die sich gerade unterhielten. Es waren zwei Männer. Ein junger und ein alter.



Als sie mich sahen, standen sie sofort auf und begrüßten mich unterwürfig.



„Sir“, sagte der ältere Mann, der offenbar mein Diener war, „ich muss seine Durchlaucht daran erinnern, dass das Fieber noch nicht ganz abgeklungen ist. Der Arzt hat strikte Bettruhe verordnet und wünscht, dass der Fürst recht bald wieder seinen Regierungsgeschäften nachgehen kann.“



Ich und ein Fürst? Will der alte Mann mich für dumm verkaufen? Ich konnte zuerst nicht glauben, was ich hörte.



Also noch einmal von vorne: „Was geht hier eigentlich vor“, fragte ich den alten Mann in der Dieneruniform.



„Oh mein Fürst. Ich bitte untertänigst um Verzeihung! Aber ich verstehe die Frage nicht.“



„Seit wann bin ich hier?“ wollte ich wissen.



„Schon seit sehr langer Zeit“, antwortete der Alte in der Dieneruniform irritiert. Dann fuhr er fort: „Ihr Leibarzt, Dr. Strongula, hat Ihnen ein starkes Medikament mit beruhigender Wirkung verabreicht. Sie lagen mehrere Tage im Fieberschlaf und müssen wohl geträumt haben, mein Fürst.“



Plötzlich ging die Tür auf und herein trag ein großer, hagerer Mann in einem langen, schwarzen Umhang. Sein Gesicht war feuerrot. Er sah aus wie jemand, den ich schon mal irgendwo gesehen hatte. Nur konnte ich nicht sagen, wann und wo das war.



„Wer zum Teufel sind Sie denn“, fragte ich unvermittelt.



„Genau der bin ich“, lachte er laut, „aber Spaß beiseite“, antwortete er mir und sah mich prüfend an.



„Sieht so aus, als sei die Vereinigung zwischen Mensch und Dämon gelungen, Mister Leon Walker. Herzlichen Glückwunsch in Ihrem neuen Leben...“



„Stopp!“ warf ich dazwischen. Mit einer knappen Handbewegung brachte ich den Mann vor mir zum Schweigen. „Das wird mir zu kompliziert. Erklären Sie mir, wo ich bin.“



Der hagere Mann mit dem roten Gesicht vor mir stöhnte etwas auf. Er tat so, als sei er total gelangweilt von meiner dümmlichen Fragerei.



„Ich dachte Sie wüssten das schon? Sie sind hier in der Hölle, Leon Walker. Sie sind ein richtiger Dämon geworden, noch dazu ein besonders böser. Als Dankeschönpräsent habe ich Ihnen eine ganz neue Residenz geschenkt und den Titel „Fürst“ verliehen, um meine Großzügigkeit unter Beweis zu stellen, wenn sich jemand uns aus freiem Willen anschließt. Die Hölle ist kein so böser Ort, wie viele meinen. Wir leben hier in einem eigenen Universum, das alle Annehmlichkeiten für treue Mitarbeiter des Teufels bereit hält. Ja, und der Teufel bin ich, auch wenn ich nicht so aussehe. Ich bin sozusagen ab heute ihr Vorgesetzter, ihr Boss, wenn Sie so wollen. Aber jetzt ruhen Sie sich erst mal solange aus, wie Sie wollen, bevor es an die Arbeit geht. Wir haben alle Zeit der Welt und werden eines Tages auch über die Erde des Menschen herrschen. Ich zähle auf Sie! Also, wir sehen uns dann, Fürst Leon Walker.“



Ich verzog die Lippen zu einem schiefen Grinsen. Offenbar bin ich den Verlockungen des Dämons erlegen und selbst einer von ihnen geworden.



Aber vielleicht träumte ich das ja alles nur. Ja, vielleicht.

Und wenn nicht?




ENDE



©Heiwahoe





***


2. Höllisches Paradies




Ein Heide stirbt und befindet sich nach seinem Tod plötzlich vor einem schweren Eisentor. Auf einem Schild oben drüber steht in riesigen schwarzen Buchstaben "HÖLLE".



Da er nicht weiß, was er machen soll, klopft er vorsichtshalber an, doch keiner macht auf. Seltsamerweise ist das eiserne Tor aber nicht abgesperrt. Der Heide drückt die schwere Klinke runter, öffnet vorsichtig einen der beiden Torflügel und traut im nächsten Augenblick seinen Augen nicht.



Er steht auf einmal völlig unerwartet in einer schönen Landschaft, mit angenehmen Temperaturen, einem weiten Meeresstrand mit hohen Palmen, die im lauen Wind langsam hin und her wiegen. Oben, am blauen Himmel, scheint die Sonne und kleine weiße Wolken ziehen an ihr vorbei.



Ganz in der Nähe stehen wunderschöne Hotels, die alle eine Strandbar haben, wo sich eine große Zahl von fröhlichen Menschen tummeln. Der Heide wähnt sich im Paradies, was er von der Hölle eigentlich so nicht erwartet hätte.



Plötzlich kommt ein Mann mit einem Pferdefuß auf ihn zu und spricht ihn sofort direkt an.



"Jaaa..., da schau her! Ein neuer Bewohner der Hölle. Ich begrüße dich, Heide! Ich hoffe doch sehr, du fühlst dich in meiner Welt wohl. Schau dich erst einmal ausgiebig um! Alle Menschen sind gut gelaunt und freuen sich, mit mir zusammen in der Hölle leben zu dürfen. Die Bewohner fühlen sich überall bei mir wohl, sind glücklich und wollen von hier nicht mehr weg. Ich hoffe, bei dir wird es nicht anders sein."



"Sie sind wahrscheinlich der Teufel oder irre ich mich da?" fragte der Heide nach einer Weile den Mann mit dem komischen Fuß, weil er aus dem Staunen einfach nicht heraus kommt.



"Das stimmt allerdings", antwortete ihm dieser, grinst ein wenig und bietet dem Heiden an, sich an einer der nah gelegenen Bars doch einen Drink zu besorgen, um danach mit ihm zusammen ganz ungezwungen das schöne Leben in der Hölle zu erkunden.



Wie der Heide mit dem Teufel so durch das höllische Paradies schreitet, kommen sie plötzlich an einem weit abseits gelegenen Gelände vorbei, auf dem sich in der Mitte ein ziemlich düster aussehendes Gebäude befindet, aus dem furchtbare Schreie nach draußen dringen, die anscheinend von gequälten Menschen herrühren.



"Was ist denn da los?" will der Heide erschreckt vom Teufel wissen.



"Willst du da mal hinein sehen? Bei uns gibt es keine Geheimnisse. Komm einfach mit und überzeuge dich selbst, was da passiert!"



Der Heide geht gleich darauf mit dem Teufel zusammen in das Gebäude, bleibt aber schon kurz nach der Eingangstür stehen und erstarrt vor Entsetzen.



Überall laufen nackte Frauen und Männer herum, die es wild und zügellos miteinander treiben. Seltsam aussehende Kreaturen jagen andere Menschen durch meterhohe Flammen oder schlagen mit Peitschen brutal auf sie ein, wobei die so malträtierten Individuen furchtbare Schreie von sich geben.

Die ganze Szene erinnert an einen fürchterlichen Horrorfilm.



Der Heide bekommt es mit der Angst zu tun, dreht sich auf der Stelle herum und rennt in Panik wieder ins Freie, gefolgt von seinem Begleiter, dem Teufel.



Draußen angekommen fragt er den Mann mit Pferdefuß mit zitternder Stimme, wer die Menschen denn in dem Gebäude sind, die da so grausam gequält und gepeinigt werden.



"Ach, das sind überwiegend Juden, Christen und Moslems. Die wollen das aus Überzeugung so und machen alles freiwillig mit."



ENDE



(c)Heiwahoe








***






3. Luzifer




Ich bin Luzifer, auf Erden als unscheinbarer Wanderer getarnt. Ich durchstreife die weite Welt, ziehe unerkannt durch Stadt und Land und gehe überall dort hin, wo die Menschen sind. Ich bringe sie in Versuchung, ich täusche sie, um sie davon abzuhalten, ihren vermeintlich rechten Weg zu gehen, stets mit einem freundlichen Lächeln auf dem Gesicht. Ich bin der große Verführer, weil mir niemand widerstehen kann, denn ich bin trickreich und durchtrieben. Doch hinter diesem Lächeln verbirgt sich oft die hässliche Fratze des Bösen, die ich mit mir trage. Gebt also Acht! Ich arbeite nicht selten mit der Magie, dem Glauben, den Wundern, dem Rätselhaften, dem Unverständlichen und ich verwickle sie in fürchterliche Kriege, die sie immer wieder aufs Neue untereinander austragen. Damit verwirre ich die Menschen, weil sie auf diese Art und Weise leichter zu beeinflussen sind, wenn ihre Verzweiflung am Größten ist.



Die Realität, sie ist nur ein Trugbild ihres Bewusstseins und ihres permanenten, angestrengten Denkens. Sie streben unablässig nach dem Wissen und sie sind der stolzen Meinung, dadurch die Welt zu erkennen, in der sie flüchtig nur für eine sehr kurze Zeitspanne zuhause sind. Sie meinen, sie hätten ihr Schicksal selbst in der Hand. Aber das ist ein simpler Trugschluss, dem sie ihr ganzes Leben lang unterliegen. Auch was sie sehen, das muss nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen, weil es ebenso sein kann, dass etwas existiert, was sie mit ihren Sinnen nicht erfahren können. Die Menschen sind leichter zu täuschen, als sie denken. Es ist sehr leicht, sie zu täuschen oder zu manipulieren. Dazu benutze ich alles, womit ich sie in den Bann ziehen kann, um sie gegeneinander aufzuhetzen, so auch die Religionen.



Aber ich bin auch die Erleuchtung und diene in vielfältiger Weise den Geschöpfen Gottes, der sie erziehen und vollkommen machen möchte. Ich erhalte die Polarität, damit jedes menschliche Wesen durch Prüfungen und ständige Schulung seines Bewusstseins ganz klar zwischen Gut und Böse unterscheiden lernt. Ich stärke ihren suchenden Geist und halte sie permanent dazu an, dass sie ihr Leben aus dem Vollen schöpfen sollen und nicht anders herum. Ich reiche ihnen über viele Irrwege schließlich den Kelch der Erkenntnis und der Weisheit. Ich lasse sie ihre Sterblichkeit erkennen, denn wer den Tod kennt, der wird dem Leben zugeneigter sein.



Willst du aber wahre Größe zeigen, Mensch, du Geschöpf des Allmächtigen, dann wachse über dich hinaus, sei wachsam und lernbegierig, benutze deinen wachen Verstand, versuche zu begreifen wer du bist und was um dich herum geschieht. Lass‘ dich nicht von den sichtbaren Erscheinungen, die die Bühne der Welt ausmachen, in die Irre führen. Versuche vielmehr zu erkennen, welche Ursachen sich dahinter verbergen. Sei demütig und verschwiegen, wenn du es schließlich erkannt hast. Erst dann kannst du von dir möglicherweise behaupten, dass du die Wahrheit kennst. Wer die Wahrheit aber kennt, dem wird die Weisheit folgen und dadurch in der Lage sein, im Licht zu wandeln und nicht in der Dunkelheit.



Das verspreche ich jedem, der meinen Versuchungen und Verführungen der Schattenseiten des Lichts, dem Bösen, widersteht und widerstanden hat. Denn ich bin Luzifer, der Lichtbringer und ein Helfer der Menschen.



Es kann sein, dass ich dem einen oder anderen von euch schon mal in seinem Leben begegnet bin, nur hat er das selbst nicht bemerkt, denn ich bin überall und nirgendwo.



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(c)Heiwahoe







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4. Am Ort der Finsternis




Langsam zwängte Adolf Hitler seinen ausgemergelten Körper durch die einen Spalt breit offen stehende Tür des seltsam aussehenden Gebäudes, das auf ihn den Eindruck einer riesigen Totenhalle machte. Schweigend folgte ihm eine düstere Gestalt in SS-Uniform, die aussah wie der Teufel.

Als Hitler in dem hinter der Tür liegenden diffus beleuchteten Raum stand, schaute er mit furchtsamen Blicken ängstlich herum und stellte mit Entsetzen fest, dass er offenbar in einer total verrauchten Kneipe stand.

Oder war alles nur eine böse Täuschung, eine inszenierte Halluzination?

Das nach Bier, Schnaps und Zigarettenrauch stinkende Lokal kam ihm wie ein brodelnder Kessel vor, in dem eine undefinierbare Brühe dampfte, deren Zutaten man in den Hinterhöfen irgendwelcher verwahrloster Ghettos zusammen gekratzt hatte. Schemenhaft bewegten sich einige buckelige Gestalten hin und her, doch Hitler konnte nicht unterscheiden, was es für Kreaturen waren.

Ein kaltes Etwas zerrte an seinem mit brauner Erde verschmierten, schwarz glänzenden Ledermantel. A. H. zuckte augenblicklich zusammen. Für eine Sekunde hatte er das absurde Gefühl verspürt, dass es die schmierig kalte Knochenhand des Todes war.

„Sind Sie der Führer? Der größte Feldherr aller Zeiten?“

Hitler blickte sich verwirrt um. Der Sprecher war ein kleiner Junge von etwa zwölf Jahren, der aussah wie eine hölzerne Marionette mit Blut geröteten Augen und schrumpeligen Beinen, an denen einige eitrige Hautfetzen herunter hingen.

„Sie suchen einen Tisch, Herr Hitler? So ganz verborgen, wo Sie keiner sieht?“ piepste der Junge fragend. Dann verschwand er so schnell, wie er aufgetaucht war.

A. H. zuckte zusammen. Woher wusste der kleine Kerl, dass er sich verbergen wollte? Mit gerunzelter Stirn ließ er sich zu dem Tisch führen und setzte sich hin – er und die diabolische Gestalt.

Grübelnd lauschte Hitler der sonderbar anmutenden Musik einer skelettierten Vier-Mann-Kapelle. Es war ein Lied, in dem die Stimmen der Vergangenheit sprachen, vom vergessenen Glanz grenzenloser Macht, von Ruhm und Herrlichkeit einer längst vergangenen nationalsozialistischen Zeit, als man ihn noch anhimmelnd „den Führer“ nannte.

Die Leute in dem schummrigen Lokal sahen wie verbrannte Puppen aus, und ihre Köpfe schienen für ihren zerbrechlichen Körper viel zu groß. Ihre langen, knöchernen Finger ähnelten blutlosen Spinnenbeinen.

Plötzlich erblickte Hitler am Ausgang der Kneipe etwas Weißes. Die Muskeln seines geschwächten Körpers spannten sich.

Sieht aus wie die Uniform eines Polizisten, dachte er.

Sein unruhiger Blick wanderte durch den ganzen Kneipenraum. Und wieder schimmerte es weiß.

Überall schienen weiße Polizisten zu sein. Er sah noch einen und noch einen und noch einen. Die weißen Flecken kamen aus dem Nichts und wurden heller und größer und kamen plötzlich direkt auf ihn zu.

Du Idiot! dachte Hitler. Dieser verdammte Junge. Ich hätte es mir denken können! Er hat mich denunziert.

Grelles Licht flammte plötzlich von allen Seiten auf und Hitler bemerkte, dass einige Schirm lose Deckenlampen eingeschaltet worden waren.

Das helle Licht hatte die lasterhafte Atmosphäre des Lokals verscheucht, und jetzt sah der weite Raum wie jeder andere aus – nüchterne Betonwände, die jedes Geräusch schluckten und keinen Laut nach außen dringen ließen.

Trübe Augen blinzelten, gierige Hände fingerten schattenhaft herum und nervös gingen einige grotesk aussehende Gestalten ärgerlich murrend auf und ab. Die Gäste des Lokals waren in fauligen Lumpen gekleidet und etliche von ihnen liefen barfuß herum. Ihre Füße waren mit schwarzen Flecken überzogen, aus denen Maden und Würmer heraus krochen.

Ich sitze in einer Falle, dachte der Führer. Panik stieg in ihm hoch. Im gleichen Augenblick dehnte er seinen schlanken Körper nach oben und sprang auf. Sein Stuhl stürzte bei dem Versuch um, den nah gelegenen Ausgang des Raumes zu erreichen.

Die Männer in Weiß kamen jetzt angerannt. Einige hielten einen Gummiknüppel in der Hand, schlugen damit auf Hitler brutal ein und drängten ihn zurück auf seinen Stuhl, wo sie ihn festhielten. Mit letzter, verzweifelter Kraft riss Hitler sich noch einmal los und hetzte schreiend wie ein verwundetes Tier zur Ausgangstür. Blut tropfte aus seinem offenen Mund.

Eine Frau schrie hysterisch, und die Musik verstummte augenblicklich. Die Musiker schlichen mit katzenhafter Behendigkeit zu einem verborgenen Hinterausgang und verschwanden. Die meisten Gäste schienen von dem allgemeinen Aufruhr unbeeindruckt. Unbeweglich saßen sie wie erstarrte Leichen da, und nur ihre leeren, blicklosen Augen drehten sich langsam auf Hitler zu, der mit weiten Sprüngen durch das Lokal rannte.

„Adolf Hitler!“ schrie einer der Polizisten in weißer Uniform. „Sie sind umzingelt! Rühren Sie sich nicht von der Stelle oder wir erschießen Sie!“

Hitler rannte weiter. Schüsse krachten und etwas zischte an seinem Kopf vorbei.

Nur noch ein paar Meter bis zur Tür, dann habe ich es geschafft. Noch eine Sekunde, schrie sein Gehirn. Nur noch eine Sekunde...

Standen vielleicht auch Wachen draußen vor der Ausgangstür?

Wieder krachten Schüsse, wieder zischten einige Geschosse an seinem Kopf vorbei.

Dann traf ihn ein Projektil direkt in den Rücken und durchschlug seine Wirbelsäule.

A. H. blieb wie angewurzelt stehen, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Es tat nicht weh, nur ein kleines Stechen, so wie der Stich mit einer spitzen Nadel.

Hitlers Körper verbog sich nach vorne. Er taumelte wie ein Mann aus Stahl, der sich im Zeitlupentempo vorwärts quält. Trotzdem erreichte er noch die Tür und griff zitternd nach der Klinke, die aussah wie ein fleischloser Oberschenkel. Doch dann wurde sein Körper von einer Lähmung ergriffen, die ihn überwältigte und langsam zu Boden gleiten ließ.

In der dunklen Welt jenseits seines schwindenden Bewusstsein hörte er ein schrilles Stimmengewirr. „Macht ihn fertig, diesen verdammten Hund! Tötet ihn auf der Stelle! Reist ihm die Organe aus seinem Leib! Keine Gnade mit ihm!“

Hitler spürte einen Druck und etwas heißes auf seiner linken Hand. Jemand hielt ihn fest.

Der Höllenfürst stand gebeugt über ihm. Seine roten Augen funkelten böse.

„Wolltest du fliehen, Adolf? Auch jetzt noch?“

„Ja.“

„Das geht aber nicht. Sie haben schon wieder etwas Neues für dich ausgedacht. Doch bevor die nächste Vorstellung beginnt..., stirb erst mal.“

Der Teufel verschwand und im gleichen Moment standen die zerlumpten Gestalten aus dem Lokal vor dem röchelnden Hitler und rissen wie wilde Bestien seinen im Todeskampf zuckenden Körper Stück für Stück auseinander.

***

Langsam zwängte Adolf Hitler seinen ausgemergelten Körper durch die einen Spalt breit offen stehende Tür des seltsam aussehenden Gebäudes, das auf ihn den Eindruck einer riesigen Totenhalle machte. Schweigend folgte ihm eine düstere Gestalt in SS-Uniform, die ein hässliches Gesicht hatte und aussah wie der Teufel.

Als Hitler in dem hinter der Tür liegenden diffus beleuchteten Raum stand, schaute er mit furchtsamen Blicken ängstlich herum und stellte mit Entsetzen fest, dass er sich offenbar in einer alten KZ-Baracke befand. Es roch nach Tod und Verwesung. Verhungerte Gestalten lagen auf faulenden Holzpritschen und starrten ihn aus blicklosen Augen an. Maden und Würmer krochen aus ihren eitrigen Mündern, die wie zu einem lautlosen Schrei weit geöffnet waren. Ein furchtbares Stöhnen erfüllte den muffigen Raum.

Ein kaltes Etwas zerrte an seinem mit brauner Erde und getrocknetem Blut verschmierten, mattschwarz glänzenden Ledermantel. Für eine Sekunde hatte er das absurde Gefühl verspürt, dass es die schmierig kalte Knochenhand es Todes war.

War das hier alles nur eine böse Täuschung, ein schrecklicher Albtraum oder eine inszenierte Halluzination, die nie ein Ende nahm?

Bekommt jeder die Hölle, die er sich verdient hat? Dieser Gedanke schoss Adolf Hitler durch den Kopf und fing plötzlich an zu schwitzen, als er wieder in der riesigen Halle des Todes stand.




ENDE

(c)Heiwahoe


© Heiwahoe


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