Am Ort der Finsternis

Langsam zwängte Adolf Hitler seinen ausgemergelten Körper durch die einen Spalt breit offen stehende Tür des seltsam aussehenden Gebäudes, das auf ihn den Eindruck einer riesigen Totenhalle machte. Schweigend folgte ihm eine düstere Gestalt in SS-Uniform, die aussah wie der Teufel.

Als Hitler in dem hinter der Tür liegenden diffus beleuchteten Raum stand, schaute er mit furchtsamen Blicken ängstlich herum und stellte mit Entsetzen fest, dass er offenbar in einer total verrauchten Kneipe stand.

Oder war alles nur eine böse Täuschung, eine inszenierte Halluzination?

Das nach Bier, Schnaps und Zigarettenrauch stinkende Lokal kam ihm wie ein brodelnder Kessel vor, in dem eine undefinierbare Brühe dampfte, deren Zutaten man in den Hinterhöfen irgendwelcher verwahrloster Ghettos zusammen gekratzt hatte. Schemenhaft bewegten sich einige buckelige Gestalten hin und her, doch Hitler konnte nicht unterscheiden, was es für Kreaturen waren.

Ein kaltes Etwas zerrte an seinem mit brauner Erde verschmierten, schwarz glänzenden Ledermantel. A. H. zuckte augenblicklich zusammen. Für eine Sekunde hatte er das absurde Gefühl verspürt, dass es die schmierig kalte Knochenhand des Todes war.

„Sind Sie der Führer? Der größte Feldherr aller Zeiten?“

Hitler blickte sich verwirrt um. Der Sprecher war ein kleiner Junge von etwa zwölf Jahren, der aussah wie eine hölzerne Marionette mit Blut geröteten Augen und schrumpeligen Beinen, an denen einige eitrige Hautfetzen herunter hingen.

„Sie suchen einen Tisch, Herr Hitler? So ganz verborgen, wo Sie keiner sieht?“ piepste der Junge fragend. Dann verschwand er so schnell, wie er aufgetaucht war.

A. H. zuckte zusammen. Woher wusste der kleine Kerl, dass er sich verbergen wollte? Mit gerunzelter Stirn ließ er sich zu dem Tisch führen und setzte sich hin – er und die diabolische Gestalt.

Grübelnd lauschte Hitler der sonderbar anmutenden Musik einer skelettierten Vier-Mann-Kapelle. Es war ein Lied, in dem die Stimmen der Vergangenheit sprachen, vom vergessenen Glanz grenzenloser Macht, von Ruhm und Herrlichkeit einer längst vergangenen nationalsozialistischen Zeit, als man ihn noch anhimmelnd „den Führer“ nannte.

Die Leute in dem schummrigen Lokal sahen wie verbrannte Puppen aus, und ihre Köpfe schienen für ihren zerbrechlichen Körper viel zu groß. Ihre langen, knöchernen Finger ähnelten blutlosen Spinnenbeinen.

Plötzlich erblickte Hitler am Ausgang der Kneipe etwas Weißes. Die Muskeln seines geschwächten Körpers spannten sich.

Sieht aus wie die Uniform eines Polizisten, dachte er.

Sein unruhiger Blick wanderte durch den ganzen Kneipenraum. Und wieder schimmerte es weiß.

Überall schienen weiße Polizisten zu sein. Er sah noch einen und noch einen und noch einen. Die weißen Flecken kamen aus dem Nichts und wurden heller und größer und kamen plötzlich direkt auf ihn zu.

Du Idiot! dachte Hitler. Dieser verdammte Junge. Ich hätte es mir denken können! Er hat mich denunziert.

Grelles Licht flammte plötzlich von allen Seiten auf und Hitler bemerkte, dass einige Schirm lose Deckenlampen eingeschaltet worden waren.

Das helle Licht hatte die lasterhafte Atmosphäre des Lokals verscheucht, und jetzt sah der weite Raum wie jeder andere aus – nüchterne Betonwände, die jedes Geräusch schluckten und keinen Laut nach außen dringen ließen.

Trübe Augen blinzelten, gierige Hände fingerten schattenhaft herum und nervös gingen einige grotesk aussehende Gestalten ärgerlich murrend auf und ab. Die Gäste des Lokals waren in fauligen Lumpen gekleidet und etliche von ihnen liefen barfuß herum. Ihre Füße waren mit schwarzen Flecken überzogen, aus denen Maden und Würmer heraus krochen.

Ich sitze in einer Falle, dachte der Führer. Panik stieg in ihm hoch. Im gleichen Augenblick dehnte er seinen schlanken Körper nach oben und sprang auf. Sein Stuhl stürzte bei dem Versuch um, den nah gelegenen Ausgang des Raumes zu erreichen.

Die Männer in Weiß kamen jetzt angerannt. Einige hielten einen Gummiknüppel in der Hand, schlugen damit auf Hitler brutal ein und drängten ihn zurück auf seinen Stuhl, wo sie ihn festhielten. Mit letzter, verzweifelter Kraft riss Hitler sich noch einmal los und hetzte schreiend wie ein verwundetes Tier zur Ausgangstür. Blut tropfte aus seinem offenen Mund.

Eine Frau schrie hysterisch, und die Musik verstummte augenblicklich. Die Musiker schlichen mit katzenhafter Behendigkeit zu einem verborgenen Hinterausgang und verschwanden. Die meisten Gäste schienen von dem allgemeinen Aufruhr unbeeindruckt. Unbeweglich saßen sie wie erstarrte Leichen da, und nur ihre leeren, blicklosen Augen drehten sich langsam auf Hitler zu, der mit weiten Sprüngen durch das Lokal rannte.

„Adolf Hitler!“ schrie einer der Polizisten in weißer Uniform. „Sie sind umzingelt! Rühren Sie sich nicht von der Stelle oder wir erschießen Sie!“

Hitler rannte weiter. Schüsse krachten und etwas zischte an seinem Kopf vorbei.

Nur noch ein paar Meter bis zur Tür, dann habe ich es geschafft. Noch eine Sekunde, schrie sein Gehirn. Nur noch eine Sekunde...

Standen vielleicht auch Wachen draußen vor der Ausgangstür?

Wieder krachten Schüsse, wieder zischten einige Geschosse an seinem Kopf vorbei.

Dann traf ihn ein Projektil direkt in den Rücken und durchschlug seine Wirbelsäule.

A. H. blieb wie angewurzelt stehen, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Es tat nicht weh, nur ein kleines Stechen, so wie der Stich mit einer spitzen Nadel.

Hitlers Körper verbog sich nach vorne. Er taumelte wie ein Mann aus Stahl, der sich im Zeitlupentempo vorwärts quält. Trotzdem erreichte er noch die Tür und griff zitternd nach der Klinke, die aussah wie ein fleischloser Oberschenkel. Doch dann wurde sein Körper von einer Lähmung ergriffen, die ihn überwältigte und langsam zu Boden gleiten ließ.

In der dunklen Welt jenseits seines schwindenden Bewusstsein hörte er ein schrilles Stimmengewirr. „Macht ihn fertig, diesen verdammten Hund! Tötet ihn auf der Stelle! Reist ihm die Organe aus seinem Leib! Keine Gnade mit ihm!“

Hitler spürte einen Druck und etwas heißes auf seiner linken Hand. Jemand hielt ihn fest.

Der Höllenfürst stand gebeugt über ihm. Seine roten Augen funkelten böse.

„Wolltest du fliehen, Adolf? Auch jetzt noch?“

„Ja.“

„Das geht aber nicht. Sie haben schon wieder etwas Neues für dich ausgedacht. Doch bevor die nächste Vorstellung beginnt..., stirb erst mal.“

Der Teufel verschwand und im gleichen Moment standen die zerlumpten Gestalten aus dem Lokal vor dem röchelnden Hitler und rissen wie wilde Bestien seinen im Todeskampf zuckenden Körper Stück für Stück auseinander.

***

Langsam zwängte Adolf Hitler seinen ausgemergelten Körper durch die einen Spalt breit offen stehende Tür des seltsam aussehenden Gebäudes, das auf ihn den Eindruck einer riesigen Totenhalle machte. Schweigend folgte ihm eine düstere Gestalt in SS-Uniform, die ein hässliches Gesicht hatte und aussah wie der Teufel.

Als Hitler in dem hinter der Tür liegenden diffus beleuchteten Raum stand, schaute er mit furchtsamen Blicken ängstlich herum und stellte mit Entsetzen fest, dass er sich offenbar in einer alten KZ-Baracke befand. Es roch nach Tod und Verwesung. Verhungerte Gestalten lagen auf faulenden Holzpritschen und starrten ihn aus blicklosen Augen an. Maden und Würmer krochen aus ihren eitrigen Mündern, die wie zu einem lautlosen Schrei weit geöffnet waren. Ein furchtbares Stöhnen erfüllte den muffigen Raum.

Ein kaltes Etwas zerrte an seinem mit brauner Erde und getrocknetem Blut verschmierten, mattschwarz glänzenden Ledermantel. Für eine Sekunde hatte er das absurde Gefühl verspürt, dass es die schmierig kalte Knochenhand es Todes war.

War das hier alles nur eine böse Täuschung, ein schrecklicher Albtraum oder eine inszenierte Halluzination, die nie ein Ende nahm?

Bekommt jeder die Hölle, die er sich verdient hat? Dieser Gedanke schoss Adolf Hitler durch den Kopf und fing plötzlich an zu schwitzen, als er wieder in der riesigen Halle des Todes stand.

ENDE

(c)Heiwahoe


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