November 1897 London.

Samuel Razor, ein Dramatiker, der erst kürzlich einen glänzenden Erfolg hatte, wurde von seinem guten Freund Harold Yellerfield, dem Sohn eines reichen Industriellen, eingeladen.
Sie hatten sich wohl schon seit ein paar Wochen nicht gesehen und Samuel hatte sich schon gefragt, ob die Freundschaft, aus welchen Gründen auch immer, in die Brüche gegangen war. Naturgemäß freute er sich auf einen schönen Abend, denn Harold hatte ihn in einen Salon eingeladen, anscheinend würden sie den ganzen Abend allein sein. Die Gespräche mit Harold gefielen Samuel immer sehr gut und auch wenn er es niemals hätte zugeben wollen, wusste er, dass Teile davon in seine Werke eingeflossen waren.
Mit einem Kuss verabschiedete er sich von seiner Frau, welche an diesem Tag ein neues gelbes Kleid trug und stieg in die draußen stehende Droschke ein, mit welcher Harold ihn abholen ließ.
Die Fahrt ging schnell vorüber und Samuel stapfte die Stufen des Herrenhauses hoch und wurde von Harold draußen empfangen.
„Guten Abend Harold“, sagte Samuel und lächelte. Harold wirkte ungewöhnlich angespannt, aber lächelte ebenfalls und führte Samuel herein.
„Der Erfolg gibt dir recht, habe dein Stück vor drei Tagen im großen Theater gesehen“, sagte Harold. „Großartiges Stück, großartige Vorstellung.“
„Danke, danke, zu viel der Ehre.“
Harold führte Samuel durch ein paar Räume in ein warmes Zimmer, in dem ein Kaminfeuer brannte. Es gab große Fenster und einen direkten Zugang zu einem Balkon. Über dem Kamin hing ein großes Bild einer speziellen Darstellung von Judas, wie er einen roten Fuchs streichelte.
Vor ihnen waren zwei Ohrensessel und ein Ebenholztisch mit feinen Ornamenten aufgestellt worden und noch bevor sich die beiden niedersetzen konnten, kamen aus der Tür, durch die Samuel und Harold in den Raum getreten waren, zwei Butler. Ein älterer, bärtiger, in einem so teuren Anzug, dass sich Samuel fast schämte und ein jüngerer, welcher in einem billigeren Anzug steckte.
Samuel überlegte gerade, ob dies eine Art Rangordnung anzeigen sollte, als der Ältere seine Gedanken unterbrach. „Guten Abend die Herren“, sagte der ältere Butler und nickte dem jüngeren zu.
„Darf ich ihnen die Mäntel abnehmen?“, fragte der jüngere.
Samuel und Harold nickten und gaben dem jüngeren Butler die Mäntel, welcher sie direkt aus dem Raum brachte, während der Ältere Mann im Raum stehen blieb und wartete bis Harold und Samuel Platz genommen hatten.
„Was wünschen die Herren“, fragte der Ältere.
„Das übliche James.“
Der Butler nickte und verschwand aus dem Zimmer. Kaum einen halben Gedanken später brachte er eine Flasche Whiskey mit der Aufschrift Loki und einen kleinen, hölzernen Kasten.
„Wünschen die Herren noch etwas anderes?“
„Gehen Sie bitte James, wir haben alles was wir brauchen.“
„Wie es die Herren wünschen. Rufen Sie, falls sie noch etwas brauchen.“
„Danke James.“
Der Butler verließ das Zimmer und schloss die große Tür hinter sich.
Harold lächelte, wirkte aber trotzdem noch angespannt; kurz darauf goss er beiden ein Glas des Whiskeys ein. Samuel öffnete währenddessen die kleine, hölzerne Kiste.
„Zigaretten?“ „Aus Kairo, die besten, handverlesene Tabake.“ „Das wäre doch nicht nötig gewesen“, sagte Samuel, zog eilig eine heraus und entzündete sie mit einem Streichholz, um kurz darauf einen Schluck aus seinem Whiskeyglas zu nehmen.
Die Stunden vergingen und die Gespräche rankten sich um Nichtig- und Wichtigkeiten, währenddessen wurde viel getrunken und geraucht, allerdings immer noch von einer gewissen Angespanntheit, welche von Harold ausging, begleitet.
Irgendwann kam es dazu, dass ein stechender Kopfschmerz Samuel plagte, ausgelöst durch den ganzen Rauch und den schweren Alkohol, sodass er sich entschloss, hinaus auf den Balkon zu gehen.
Die Luft war kühl und angenehm zu atmen. Es war eine klare Nacht, tausende, abertausende Sterne bevölkerten den schwarzen Samt.
Samuel lächelte, er liebte die Nacht, die besten Ideen waren wohl in Nächten entstanden.
„Samuel“, sagte eine Stimme hinter Samuel, die Stimme Harolds.
„Ach Harold. Die Nacht, kaum vorzustellen, dass so viele Menschen sie jahrelang nur anreißen. Ich wünschte nur noch nachts wäre Betrieb. Meinst du nicht, Harold?“
„Samuel“, erklang es erneut und Samuel fuhr fort ohne sich umzudrehen.
„Ich glaube wirklich, dass die Nacht, der größte Schatz ist und auch immer sein wird. Ich kann mir keinen größeren Schatz vorstellen.“
„Ich habe mit deiner Frau geschlafen“, sagte die Stimme hinter Samuel und unterbrach den von Leichtigkeit gefärbten Gedankengang und eine unbändige Wut, ein Impuls wurde losgeschlagen, sodass Samuel die Gestalt hinter sich griff und im Affekt über die Brüstung, den Balkon, hinunter auf die Straße warf.
Zitternd, ohne nach unten zu blicken, hielt sich Samuel am Geländer fest und sog scharf Luft ein.
Kein fester Gedanke konnte gefasst werden, nur eine Mischung aus Adrenalin, Trauer und Schock durchfuhr das Gehirn Samuels.

Als das Zittern nach einiger Zeit abnahm, öffnete Samuel die Tür, die zum Balkon führte und trat wieder in das Zimmer ein. Der Verstand Samuels schien zu zerbrechen, als er sah, dass Harold statt auf der Straße zu liegen, immer noch im Ohrensessel saß und sichtlich erleichtert wirkte.


© Daniel Spieker


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