Es war Freitag, als mein Vater mich spontan besuchen kam. Er brachte Blumen mit und ein verpacktes Geschenk. »Mach es aber erst am Sonntag auf«, hat er gesagt. Sonntag. Heute. Mein Geburtstag. Noch ein Jahr geschafft. Er konnte (wieder einmal) nicht da sein – ständig ist er auf Reisen in irgendwelchen fernen Ländern, um für die Firma, für die er arbeitet, geschäftliche Kontakte zu pflegen. »Ich wäre wirklich gern dagewesen. Tut mir leid.« So wie letztes Jahr und das Jahr davor. Seit drei Jahren liege ich nun schon im Krankenhaus und warte auf ein Spenderherz. Er kommt immer vorbei und bringt Geschenke, aber ich fühle mich abgestempelt. Ein Punkt auf der viel zu vollen To-Do-Liste. Proformabesuche, Bestechung mit Geschenken. Dann sehe ich ihn wieder wochenlang nicht, manchmal ein oder sogar zwei Monate. Keine Ahnung, wie sehr er mich wirklich liebt – nach der Trennung von meiner Mutter hat er sich nur noch in die Arbeit gestürzt und schien den Rest der Welt vergessen zu haben.
Sonst war heute ein schöner Tag. Mein Freund Jonas hat mich besucht, zwei (ehemalige) Arbeitskollegen und Larissa. 30. Mal schauen, ob ich noch eins schaffe. Larissa hatte mir das Buch »Ausgelöscht« geschenkt. Jonas eine Uhr und ein Gemälde von Jorak, einem Künstler, den ich sehr schätze. Meine Kollegen haben mir eine Glückwunschkarte und einen Kuchen mitgebracht.
Jetzt sitze ich zwischen halbgegessenem Kuchen, dem Buch und der Uhr und sehe zu dem großen Paket von meinem Vater. Ich stehe auf, wacklig auf den Beinen und werfe es in den Mülleimer. Scheiß auf Geschenke und halbe Besuche. Wenn er mich nicht liebt, dann liebt er mich eben nicht. Dann lege ich mich hin und versuche zu schlafen.
Wie üblich werde ich morgens aus einem traumlosen Schlaf geweckt, allerdings diesmal nicht von einer Krankenschwester, sondern von meinem behandelnden Arzt. Er erzählt mir, dass mein Vater tot ist. Bei seiner letzte Reise ist er auf einem Schiff zusammengebrochen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Er ist mein letzter Verwandter zu dem ich noch Kontakt hatte. In mir zieht sich etwas zusammen. Sobald der Arzt weg ist, gehe ich zum Mülleimer, hole das Päckchen heraus und lege es auf das Bett. Ich reiße das Papier herunter sehe mich einer Box entgegen. Langsam öffne ich sie und weiche zurück. Darin liegt ein Herz. Ich werde am selben Tag noch operiert und erfahre, dass mein Vater wohl an einem Herzinfarkt gestorben ist. Ich fühle mich schlecht, denn ich weiß nicht, welche Kraft das bewirkt hat – war es die Liebe meines Vaters? Oder mein Hass und mein Bedürfnis, dass ihn umgebracht hat?


© Daniel Spieker


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