14 Stunden hatte ich schon hinter mir. Zwei blieben noch. Kaffee intravenös ist immer noch eine Marktlücke, aber was soll's. Ich arbeite im Krankenhaus, bin ein Pfleger. Mache das ganze Zeug, dass das Krankenhaus funktioniert. Meine Frau und ich hatten vor einem halben Jahr ein Kind bekommen und es war mein erster Tag nach einer sechsmonatigen Vaterschaftspause. Sechs Monate ohne Kaffee und jetzt sitze ich wieder hier und schütte das schwarze Gold in mich rein. Nachtschicht. Ich warte darauf, dass der Alarmknopf blinkt und spiele auf meinem Smartphone »Ikarus Flug«, ein Flappy Bird Klon. Es hat sich einiges geändert. Es gibt einen Plan mit farbigen Markern jetzt, die mir noch nicht erklärt wurden. Für jedes Bett eine Farbe im Krankenhaus. Lila, Blau, Gelb, Schwarz, Rot. Ein buntes Fleckenmuster. Viel ändert das nicht. Mein Kaffee ist leer und ich geh drei Schritte nach draußen, dort steht die Maschine und ich schütte eine weitere dampfende Ladung Kaffee in meinen Becher. Als ich zurückkomme blinkt ein Lämpchen. Das Notfalllämpchen. Zimmer 139. Lila auf dem Plan. Eins der wenigen Einzelzimmer. Ich laufe schnell hin, hoffe bloß, dass es nichts schlimmes ist. Es gibt hunderte Möglichkeiten. Durst, Schmerzen, Herzinfarkt – alles schon erlebt. Zimmer 139. Ich klopfte kurz um mich anzukündigen, trat aber direkt ein und schaltete das Licht ein. Es war ein Einzelzimmer. Eine ältere Frau, sicher schon über 80 lag vor mir im Bett und lächelte zu mir. »Hallo, schön dass Sie so schnell kommen. Gestern waren die nicht so schnell.«
»Guten Abend Frau...«
»Milina, Maria Milina.«
»Frau Milina, wie kann ich Ihnen helfen, haben sie Schmerzen.«
»Nein, nein – nicht mehr. Aber Durst habe ich, schrecklichen Durst. Könnten sie mir etwas zu trinken bringen?«
»Natürlich, natürlich.«
Ich ging raus und holte ihr ein Glas Wasser. Als ich es ihr hinstellte, lächelte sie und sagte: »Danke«. Auch ich lächelte ihr zu. Plötzlich blickte sie zur Seite zu ihrem kleinen Nachtschränkchen, immer wieder kurz, sagte aber nichts. Ich unterhielt mich noch kurz mit ihr, sie erzählte mir von ihrer Familie und dass sie leider nur selten besucht wurde. Dann ging ich wieder zurück in das Zimmer und wartete den Rest meiner Schicht ab. Erledigte noch ein paar Kleinigkeiten und ging nach Hause.
Am nächsten Tag hatte ich frei und dachte nicht weiter darüber nach, Nachts hatte ich wieder Schicht und ich sprach kurz mit einem Kollegen, fragte ihn wegen den Farben auf dem Plan.
»Die Farben auf dem Plan? Also Rot steht für Kinder, Gelb für Koma, Schwarz für Leeres Zimmer, Blau für den Rest und Lila für gerade verstorben. Wir überkleben das natürlich, sobald der nächste reinkommt. Hast du alles verstanden?«
»Ja.. Ja, hab ich...« Ich nickte und starrte ins Leere. Lila war Zimmer 139 gewesen. Was hatte ich da erlebt? Mein Kollege ging und ich war immer noch verwirrt. Zimmer 139. Wieder lief ich hin. Kein Signal diesmal, aber ich musste wissen, was dort vor sich ging und tatsächlich. Frau Milina war fort.
Der Nachtschrank. Sie hatte immer so seltsam dahin geschaut und ich fand dort ein Messgerät für Diabetiker. Auch auf dem Krankenblatt am Bett stand, dass hier Frau Milina gelegen hatte und unter anderem unter Diabetis litt, daher auch der Durst... Und ihr Todeszeitpunkt.
Frau Milina hätte gerettet werden können, da bin ich mir sicher.


© Daniel Spieker


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