Atemlos rannte ich zum Einsatzort. Ich hatte die Schüsse schon ein paar Blocks entfernt gehört. Die Fotos würden morgen an jedem Zeitungsstand zu sehen sein und ich würde die besten machen. Monatelang hatte ich die Ermittlungen gegen das Loranokartell über einen Kontaktmann mitbekommen und heute hatte es den entscheidenden Hinweis gegeben – heute griff die Berliner Polizei an allen Standorten, die ihnen bekannt waren, gleichzeitig ein. Ob es der Kopf des Drogenrings lebend da rausschaffen würde, war bei der Schießwütigkeit der Berliner Polizei fraglich. Ich bog in die Straße ein, sah die Einsatzwagen. Ich zoomte mit meinem iPhone näher heran und tatsächlich: Mehrere Mitglieder, unter anderem das Oberhaupt, wurden abgeführt und in die Polizeiwagen gebracht. Das Foto für die erste Seite war jetzt schon sicher. Ich sendete es an die Redaktion, nur um sicherzugehen, und ging näher heran.
Dann vibrierte mein Smartphone. Mein Kontakt. Ich hob ab.
»Was ist?«
»Eines der Mitglieder hat grad ausgesagt. Der Hauptstützpunkt geht gleich hoch, um die Beweise zu vernichten.«
»Was? Werden die Leute einfach ...«
»Ich muss auflegen.«
Ich hörte das Freizeichen und sah wie die Polizisten hinter ihren Wagen postiert auf das Haus zielten. Plötzlich stolperte ein Mann aus dem Hauseingang, Schüsse, er fiel auf die Straße. Keine Waffe. Steif stand ich da. Ich hatte immer wieder Berichte von Kollegen gehört, aber nie geglaubt, dass die Polizei wirklich so agierte. Dann schoss ich ein Foto von der Leiche, sendete es weiter. Ich musste die Polizisten davon überzeugen die Leute gehen zu lassen. Das durfte nicht passieren.
Ich ging weiter, bis ich zwei Polizisten am Rand des Geschehens erreichte, die Schaulustige verjagten.
»Verpiss dich!«, rief der eine.
»Sie müssen die Leute gehen lassen, da geht eine Bombe hoch!«
Irritation machte sich auf den Gesichtern der beiden breit.
»Woher weißt du das?!«
»Lassen Sie die Leute gehen! Sie werden sterben!«
Der linke Polizist spuckte auf den Boden.
»Die Schweine sollen ruhig verrecken.«
Der rechte Polizist sah ihn an.
»Der ist Journalist. Ich kenn den. Scheiße.«
Ich war gleichzeitig fassungslos, aber die Story war fantastisch. Keine andere Zeitung würde sich morgen häufiger verkaufen.
Die Polizisten sahen sich stillschweigend an und schließlich nickte der eine, packte mich und zog mich immer näher zum Haus. »Lassen Sie mich los!«, rief ich immer wieder, aber der Mann machte wortlos weiter. Knapp fünfzehn Meter vor dem Haus ließ er mich los, richtete seine Waffe auf mich und sagte: »Rein da!«


© Daniel Spieker


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