Das Märchen von der Brunnenmagd…

Die Brunnenmagd Anne lebte und arbeitete beim Großbauern Piepenbring. Anne musste körperlich schwer arbeiten. Ihr Arbeitstag begann früh um fünf Uhr und endete abends zwanzig Uhr. Sie bekam bei dem kleinsten Missgeschick schmerzende Schläge vom Großbauern. Seine Frau Hedwig war stets böse, und obendrein heimtückisch zu der lieben Anne. Einmal versteckte die Bäuerin die Schuhe und die Strümpfe von Anne. Die Magd musste dann barfuss, im tiefen Schnee, das Vieh füttern. Ein anderes Mal streute die böse Vettel so viel Salz in Annes Suppe, so dass diese Suppe ungenießbar war. Die Bäuerin sperrte sogar die Magd über Nacht in den Schweinestall ein. Beide machten der Magd Anne das Leben zur Hölle. Am späten Abend musste sie immer Wasser für das Vieh vom Dorfbrunnen holen.
Dort am Brunnen machte sie oft eine kurze Rast, und ruhte sich ein wenig aus. Das war auch der Ort, wo sie herzergreifend weinte.
Es war ein Tag im Spätherbst, es regnete und war sehr kalt. Anne ordnete ihre Haare am Brunnen und viele Tränen rannen über ihr hübsches Gesicht. Plötzlich war ein leises, angenehmes Stimmchen zu hören. Die Magd schaute sich um, und sie sah eine schleimige Kröte auf den Brunnenrand sitzen.
Die Kröte fragte mit menschlicher Stimme: „ Anne, warum weinst du so heftig?“ Die Magd antwortete: „ Liebe Kröte, ich weine, weil es mir bei dem Großbauern Piepenbring und dessen Frau so schlecht ergeht.“
Die Kröte sprach: „ Liebes Kind, du musst nicht nur am Abend beten, sondern auch am frühen Morgen. Du wirst sehen, dein Kummer Ist dann wie weggefegt.“ Die Kröte war plötzlich im Brunnen verschwunden.
Es war der erste Advent. der große Tannenbaum auf dem Dorfplatz war weithin sichtbar. Die Brunnenmagd Anne hatte eine Axt mitgebracht, da der Brunnen zu gefroren war. Sie legte die glasklaren Eisstücke in die beiden Eimer, und wollte los gehen. Da hörte sie die vertraute Stimme der Kröte. Die Kröte fragte: „ Liebes Kind kannst du jetzt den Kummer besser ertragen?“
„ Ach,“ meinte Anne, „das Beten am frühen Morgen hat auch nicht geholfen.“
„Eine andere Möglichkeit wäre, ein Kreuz zu schlagen nach jeder Ungerechtigkeit“, meinte die Kröte Die Magd wollte sich bei der Kröte bedanken, doch diese war wie vom Erdboden verschlugen.

Es war Heiligabend, der Großbauer und seine Frau waren in der Kirche, und Anne musste wieder vom Brunnen Wasser holen. Es war schummrig und es schneite. Die Brunnenmagd war überall mit Schnee bedeckt. Sie saß reglungslos am Brunnen.
Von Ferne hätte man sie für eine Schneekönigin halten können
Anne sagte: „ Wo bis du bloß, du liebe Kröte! Du hättest bestimmt für mich wieder einen guten Rat gehabt.“
Ein lautes Plätschern war zu hören, und die Kröte saß auf dem Brunnenrand.
Die Kröte sprach wieder mit menschlicher Stimme: „ Anne, liebe Anne, mein Weihnachtswunsch wäre, du schenkst mir einen Kuss!“
Die Magd beugte sich zum Brunnenrand und gab der Kröte einen Kuss.
Doch was war denn das? Die Kröte wurde immer größer und größer, und als sie die Größe von einem Ochsen erreicht hatte, gab es einen riesengroßen Knall.
Plötzlich stand im blendenden Licht ein hübscher, junger Prinz . Die Magd erschrak und sie konnte sich nicht rühren.
Der Prinz sagte zu Anne: „ Du hast mich von einem bösen Zauber befreit, und ich danke dir zeitlebens.“ Er klatschte einmal in seine Hände, da erschien ein schwarzes Streitross.
Der Prinz hob die Brunnenmagd auf das Pferd, und stieg danach auch auf das edle Tier.
Der hübsche Prinz klatschte zweimal in seine Hände, und da erschien eine wehrhafte Reiterschar.
Die Magd dachte, sie reiten in das Königreich des Prinzen, nach Flandern.
Aber der Prinz ritt mit Anne und seiner Reiterschar zum Großbauern Piepenbring.
In der Zwischenzeit war der Bauer und seine Frau Hedwig aus der Kirche zurück.
Die Bauersleute erschraken als die wehrhafte Schar auf ihren Hof kam.
Der Großbauer und seine beiden Knechte begaben sich auf den Hof.
Als die Drei den Prinzen in mitten der Reiterschar sahen, knieten sie nieder und senkten ihre Köpfe.
Der Prinz fragte: „ Wer von euch ist der Bauer, er möge vortreten?“
Piepenbrink kroch untertänig zum Prinzen. Der Prinz sagte: „ Du und dein Weib, ihr habt immer, zu jeder Zeit, die liebe Anne gequält und geschlagen. Jetzt erhältst du die gebührende Strafe dafür.“
Der Bauer winselte mit heiserer Stimme: „ Habt Gnade, habt Gnade edler Herr“.
Ein Reiter stieg von seinem Ross und ging zu dem Großbauern. Der Reiter hielt in seiner Hand eine stählerne Rute.
Der Prinz meinte: „ So nicht, es gibt keine Schläge, du erhältst eine andere Strafe. Wie viel Getreide muss er jährlich an meinen
Vater, den König von Flandern liefern?“ „ Zwanzig Sack erhält der König von mir“ sagte der Bauer.
„Nun gut,“ meinte der Prinz „ ab jetzt liefert er an meinen Vater vierzig Sack im Jahr“.
Piepenbring klagte verzweifelt: „ Hoher, gnädiger Herr, das kann ich nicht machen, mein Boden gibt keine so reiche Ernten her“.
„Ja, da muss man eben vorher seine Taten richtig einschätzen“ sagte der Prinz.
Die Reiter meinten: „ Wir haben einen gerechten und gütigen Herrn!“
Sie ritten viele Wochen durch Wälder, Wiesen und Felder, ehe sie das Königreich Flandern erreichten.
Die Freude beim König und der Königin war riesengroß, als sie ihren schon tot geglaubten Sohn in ihre Arme schließen konnten.
Der Prinz stellte seinen Eltern Anne vor, und sagte: „ Die holde Jungfer wird meine Frau.“
Die Eltern fanden die Brunnenmagd auf Grund ihrer Klugheit, Bescheidenheit und Ihrer Güte für würdig, ihren Sohn, den Prinzen, zu heiraten.
Es wurde eine prunkvolle Hochzeit gefeiert, und das gesamte Volk nahm daran teil.
Nach der Hochzeit übergab der König seinem Sohn die Krone und das Zepter. Nun waren die beiden endlich König und Königin.
Nach drei Jahren reduzierte der junge König das Strafmaß gegenüber dem Großbauern um die Hälfte.
Das junge Königspaar lebte weiterhin glücklich und zufrieden.


© Jürgen


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