1.

Nach einem langen und strengen Winter ist dies der erste Tag an dem die Sonne so eine Kraft hat, daß es angenehm warm ist. Jeder der nicht Arbeiten muß, nutzt die Zeit um raus in die Natur zu gehen. Der Englische Garten in München wird von einer bunten Menschenschaar zum Leben erweckt. Kinder toben auf den Wiesen, Fahrrad- und Inlinerbesitzer haben ihre Sportgeräte ausgegraben und versuchen damit ihre Frühjahrsmüdigkeit wegzubekommen. Gruppen von Nording Walking Anhängern laufen ihre Runden und die ersten Liebespärchen zeigen sich der Öffentlichkeit. Auch der Spielplatz erwacht aus seinem Winterschlaf. Große und kleine Kinder nehmen ihn wieder in Besitz. Mütter und Väter sitzen auf Bänken die rings um den Spielplatz stehen und beobachten das Herumgetolle ihrer Sprößlinge. Auch wenn es hin und wieder Tränen gibt, ist es doch irgendwie harmonisch. Jeder der sich hier in der grünen Lunge von München aufhält, möchte den harten Winter mit eisigen Temperaturen und dem vielen Schnee so schnell wie möglich vergessen. Bäume zeigen bereits ihr erstes Grün und auf den Wiesen kann man Narzissen und Krokusse entdecken. Sie sehen wie bunte Farbkleckse aus und die Natur ist der Künstler.
Unter den wachsamen Blicken ihrer Eltern befinden sich auch 2 kleine Kinder. Ein Mädchen, ca. 2 Jahre alt und ein Junge der bereits im Kindergartenalter ist. Er spielt mit der Kleinen als ob es seine Schwester wäre. Doch die 2 sind nicht Blutsverwandt, sondern nur gute Freunde. Ihre Mütter haben sich vor kurzem in einer Krabbelgruppe für Kleinkinder kennengelernt und verbringen nun viel Zeit miteinander. Beide sitzen auf einer Bank und unterhalten sich über den gestrigen Teil von Sex and the City.
In der Nähe des Spielpatzes steht schon seit etwa 10 Minuten ein Mann. Er ist Anfang 40 und beobachtet die spielenden Kinder aus seinem Versteck heraus. Als Versteck dient ihm ein großer Baum hinter dem er sich bequem verbergen kann. Ein kleines Mädchen hat seine besondere Aufmerksamkeit erweckt. Sie ist 2 Jahre alt und spielt mit einem etwas älteren Jungen. Ihre braunen langen lockigen Haare lassen sie wie einen kleinen Engel aussehen. Welche Unschuld dieses zerbrechliches menschliches Wesen ausstrahlt, fasziniert den Mann. Ein Lächeln zeichnet sich auf seinem Gesicht ab. Ein Blick zu der Mutter der Kleinen und er erkennt, daß diese abgelenkt ist. So geht er in die Hocke und pfeilt leise. So leise, daß es nur diese 2 Kinder die in seiner Nähe sind, hören können. Sie drehen sich zu dem Mann herum. Dieser hat auf einmal eine Narzisse und 2 Riegel Kinderschokolade in der Hand. Er winkt den Kinder zu und fordert sie damit auf, zu ihm zu kommen. Auf dem Gesicht des kleinen Mädchens taucht ein Lächeln auf. Mit tapsigen Schritten geht sie zu dem Mann, gefolgt von dem Jungen. Von alledem bekommen die beiden Mütter nichts mit. Sie unterhalten sich weiterhin angeregt über die weiblichen Darsteller ihrer Liebslingsserie. Aber plötzlich sucht eine der Frauen die Kinder. Ob es ihr Mutterinstinkt ist oder etwas anderes kann sie nicht sagen, doch irgendetwas beunruhigt sie. Ihre Augen suchen vergebens den Nachwuchs. Sie steht nervös auf und ruft: "Amélie ! Léon !" Doch die Kinder bleiben verschwunden. Nun steht auch ihre Freundin auf und sucht ihren Sohn. "Léon!" ruft sie laut. Den Müttern wird heiß und kalt als ihre Augen den Spielplatz absuchen, ihr Fleisch und Blut jedoch unauffindbar bleibt. Auf einmal taucht das kleine Mädchen mit ihrem Spielkameraden wieder auf. Sie hat eine Narzisse in der Hand und ihr Mund ist mit Schokolade verschmiert. Froh darüber, daß ihre Kinder wieder da sind, rennen beide Frauen zu ihnen. Sie nehmen sie erleichtert auf den Arm und die Mutter des Mädchens sagt noch immer aufgeregt: "Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt. Wo warst du und woher hast du die Blume?" Amélie dreht sich in Richtung Baum, zeigt dorthin und sagt: "Papa." Dort taucht der Mann auf und lächelt. Wie von 1.000 Steinen befreit, drückt die Frau ihr Kind an ihre Brust und sagt zu dem Mann: "Man, wie kannst du uns nur so einen Schreck einjagen. Wir dachten wirklich, daß die Kinder weg sind."
"Tut mir leid. Ein Kunde hat seinen Termin abgesagt und da wollte ich euch 4 mit einer Einladung zum Eisessen überraschen."
Von weiter hinten ist die aufgeregte Stimme einer Frau zu hören: "Dort ist der Mann! Der steht schon seit fast 20 Minuten hier und beobachtet die Kinder! Bei dem stimmt etwas nicht!"
Alle Anwesenden schauen in die Richtung. Von dort nähert sich eine ältere Frau und 2 Polizisten. Als die Wachleute bei dem Verdächtigen sind, sagt einer von ihnen: "Der Frau ist aufgefallen, daß sie schon seit einiger Zeit hier herumlungern. Was machen sie hier?"
"Ich habe meine Tochter und meine Frau beobachtet." sagt der Mann.
"Was heißt beobachtet?" will der Polizist genauer wissen. "Darf ich mal ihren Ausweis sehen?" fordert er weiter. Der Mann greift in seine Hosentasche und gibt dem Staatsdiener seinen Ausweis. Er liest vor: "Sie sind also Maik Tayler?"
"Ja." bestätigt dieser. Ihm ist die Situation sichbar peinlich. Denn auch andere Eltern sind auf den Vorfall aufmerksam geworden.
Während der eine Polizist die Angaben des Mannes über Funk kontrolliert, fragt der Zweite die Frauen. "Wer von ihnen kennt diesen Mann?"
"Er gehört zu mir." sagt die Mutter mit dem Mädchen auf dem Arm.
"Und ihr Name?"
"Bianca Tayler." sagt sie.
"Wissen sie, warum ihr Mann sie und ihre Tochter heimlich beobachtet? Verstößt er etwa gegen irgendwelche gesetzliche Vorgaben?"
Bianca sieht zu ihrem Mann und schweigt. *Wieso sagt sie nichts?* fragt sich Maik im stillen und wird nervös. Doch Bianca genießt es, ihn zappeln zu lassen. Schließlich soll er nicht ganz ungestraft aus der Sache herauskommen. Nach einigen Sekunden die Maik wie eine Ewigkeit vorkommen, sagt seine Frau: "Es ist alles in Ordnung Herr Wachtmeister. Mein Mann wollte uns nur überraschen. Aber ich denke, daß nächste Mal wird er erst nachdenken eh er wieder so eine Aktion startet."
Der zweite Polizist kommt mit Maiks Ausweis zurück und gibt ihm dem Mann wieder. "Gegen sie liegt nichts vor. Es tut uns Leid, aber sie müssen verstehen, daß wir dem Verdacht nachgehen mußten."
"Klar doch." sagt der ehemalige Polizist und steckt seinen Ausweis ein.
"Dann wünsche ich ihnen noch einen schönen Tag." verabschieden sich die uniformierten Männer und setzen ihren Rundgang fort.
"Ich möchte mich auch entschuldigen." sagt die ältere Frau die die Polizisten alarmiert hatte. "Aber es sah für mich wirklich so aus, als ob sie etwas im Schilde führen. Wissen sie, man liest ja so viel."
"Ja ja." sagt Maik. Er ist von der Zivilcourage der Frau schon angetan. Aber warum er gerade ihr Opfer sein mußte, ist für ihn unverständlich. Als sich die Parteien trennen, will seine Tochter zu ihm. Maik nimmt sie zärtlich auf den Arm und fragt sie: "Sieht dein Papa denn wie ein Kinderschänder aus?"
Die Frage versteht die Kleine noch nicht. Aber Bianca sagt: "Hast du heute Morgen nicht in den Spiegel geschaut?" will sie von ihrem Mann wissen.
Dieser fährt sich mit seiner rechten Hand über die Wange. "Gut, rasieren könnte ich mich schon mal wieder. Aber ich dachte, ein 3-Tage-Bart macht uns Männer sexy?"
Bianca lächelt ohne auf die Frage zu antworten. Sie folgt ihrer Freundin die bereits wieder auf dem Weg zur Bank und den beiden Kinderwagen ist. Klar steht Bianca auf Maiks jetziges aussehen, aber dies zugeben? Nein, dann bildet er sich noch etwas ein.
"Versteht einer die Frauen." sagt Maik leise und sieht seine Tochter an. Die hat mit ihren 2 Jahren von den Problemen ihres Vaters keine Ahnung. Sie genießt es einfach nur in seiner Nähe zu sein.
Als auch er bei den Frauen ist, setzt Biancas Freundin ihren Sohn ihn den Kinderwagen und macht sich bereit aufzubrechen. Maik sagt: "Ich wollte euch 4 doch zum Eisessen einladen."
"Das ist wirklich nett von dir, aber ich muß nach Hause. Ich habe Marco gesagt, daß ich mit Léon auf den Spielplatz gehe und gegen 3 Uhr zurück bin. Du kennst ihn doch. Er wird schnell sauer wenn ich mich verspäte." In ihren Augen kann man Angst erkennen.
So sagt Maik: "Sara, warum trennst du dich nicht endlich von ihm? Er tut dir und Léon nicht gut."
"Ich weiß. Aber du kennst sein italienisches Temperament. Als ich ihm vor einer Woche angedeutet habe, daß ich so nicht mehr weiterleben möchte, ist er ausgerastet. Hat die Tür geschmissen und ist abgehauen. Bestimmt wieder zu seinen italienischen Freunden. Mit denen verbringt er immer mehr Zeit. Besonders schlimm ist es geworden, seit dem er aus Neapel zurückgekommen ist."
"Ach stimmt. Er hat seine Eltern besucht weil sein Vater so krank ist. Soll ich mal mit ihm reden?" fragt Maik hilfsbereit.
"Nein. Das ist zwar lieb von dir gemeint, aber . . . " sie spricht nicht weiter. Eifrig packt sie die Spielsachen ihres Sohnes in den Kinderwagen.
"Wenn du mal Hilfe brauchst. Ich bin immer für dich da."
"Danke. Das weiß ich zu schätzen." sagt Sara. Gibt Bianca und ihrem Mann die Hand und verabschiedet sich.
"Warte, wir kommen noch ein Stück mit." sagt ihre Freundin und packt ebenfalls zusammen. So verlassen alle den Spielplatz und laufen in Richtung Ausgang.
"Wenn du möchtest, kannst du auch für einige Zeit bei uns wohnen." bietet Bianca an. Sara setzt ein unbekümmertes Lächeln auf, was ihr kläglich mißlingt und sagt: "Ich bin wirklich froh euch beide als Freunde zu haben. Aber ich denke, Marco wird sich schon wieder beruhigen. Er ist bestimmt bloß in Sorge um seinen Vater. Um seine Gesundheit scheint es nicht gut zu stehen."
"Du hast garantiert Recht." versucht Maik sie zu beruhigen, aber in Wirklichkeit hat er doch etwas Angst um die Frau und ihren Sohn. Er kennt aus seinen Polizeieinsätzen den Ehrenkodex einiger ausländischer Familien. Doch vermutlich hat Sara Recht und ihr Mann ist nur um seinen Vater besorgt.
Schließlich erreichen beide Familien den Parkplatz. Maik hat mit seinem Silverado durch Zufall einen freien Platz weiter vorn gefunden. Während Sara ihr VW Polo fast am Ende steht. Bianca ist ohne Auto hier, da sie unweit vom Park wohnen. Noch einmal verabschiedet sich das Pärchen. Léon winkt seiner kleinen Freundin Amélie zu und fährt dann von seiner Mutter im Kinderwagen geschoben weiter. Maik dreht sich zu seiner Frau, legt seine beiden Arme um ihren Hals und küßt sie. Dann fragt er sie: "Und was machen wir drei Hübschen jetzt mit dem angebrochenen Nachmittag?"
"Hattest du nicht was von Eisessen gesagt?"
"Aber nur wenn du dich nicht schämst, dich mit mir in der Öffentlichkeit zu zeigen. Schließlich bin ich unrasiert und sehe wie ein Gangster aus." Maik zwinkert und lächelt seine Frau an. Sofort kribbelt es in ihrem Bauch, als ob sie tausend von Schmetterlingen verschluckt hätte. Dieses Gefühl ist in den 3 Jahren ihrer Beziehung nicht abhanden gekommen. Sie liebt Maik von ganzen Herzen und wird noch immer von seinen himmelblauen Augen wie am ersten Tag ihrer Begegnung schwach. "Wir können uns ja ein etwas abgelegeneres Kaffee suchen." sagt sie scherzhaft.
"Jawohl meine Herrin." antwortet Maik spaßig. "Nimmst du unsere Mini-Maus. Ich verstaue in der Zeit den Kinderwagen im Kofferraum." Bianca bückt sich und nimmt ihre gemeinsame Tochter Amélie aus dem Wagen. Sie hat die Narzisse von ihrem Vater in der Hand. Maik klappt in der Zeit das Gefährt zusammen und hebt es an. "Ach Maik." sagt Bianca. Dieser schaut zu seiner Frau. "Danke für die Blume. Und . . . ich liebe dich noch immer so sehr." Dann gibt sie ihm einen zärtlichen Kuss.
"Wau, das geht ja runter wie Öl." sagt dieser von dem völlig unverhofften Liebesgeständnis. "Ihr beide seit das Beste, was mir in den letzten Jahren passiert ist." sagt er schließlich und auch in seinem Bauch kribbelt es leicht.
Maik verstaut den Kinderwagen auf der großen Rücksitzbank des Gelädewagens, während Bianca noch einmal zu ihrer Freundin sieht. Diese ist fast an ihrem Auto. Ein schwarzer Kleinbuss folgt ihr in angemessenen Abstand. Bianca hat auf einmal ein ganz komisches Gefühl. Kaum hat sie das Auto so richtig registriert, gibt der Fahrer plötzlich Gas um dann mit quitschenden Reifen neben Sara und ihrem Sohn anzuhalten. Die hinteren Türen werden aufgerissen und 2 maskierte Männer stürmen heraus. "Maik Maik!" kann Bianca noch rufen. Dann hört man schon, wie Sara entsetzt aufschreit als die unbekannten Kerle ihren Sohn aus dem Kinderwagen reißen und mit ihm im Auto verschwinden. Sie versucht ihr Kind zu befreien, aber einer der Männer stößt sie unsanft zu Boden. Nach einer Minute ist der Spuk vorbei und das Auto rast unbehelligt davon. Maik ist zwar schon seit einiger Zeit aus dem aktiven Dienst ausgetreten, doch sein Polizistenherz hat nie aufgehört zu schlagen. Er sagt zu Bianca. "Du bleibst hier und ich versuche die Männer zu stoppen!" Dann spurtet er um sein Auto herum und nimmt die Verfolgung auf.
Seine Tochter fängt an zu heulen, da sie so erschrocken ist. Bianca rennt zu Sara um ihr beizustehen.
Der Feierabendverkehr hat noch nicht richtig begonnen und so kommt der Kleinbuss relativ schnell vorwärts. Rote Ampeln oder Fußgänger interessieren den Fahrer nicht. Ohne darauf zu achten, mit seiner rücksichtslosen Fahrweise Menschenleben in Gefahr zu bringen, rast der VW Bus durch die Innenstadt. Maik kann ihn noch sehen, aber der Abstand vergößert sich zusehens. Tayler muß erschrockenen Fußgängern ausweichen. Ebenso Autofahrern die sich durch plötzliches Bremsen im Kreis drehen um dann schließlich Mitten auf der Straße zum stehen zu kommen.
Als beide Fahrzeuge die Stadtautobahn von München erreichen, kann Maik Boden gutmachen und nähert sich Meter für Meter dem Kleinbuss. Sein V 8 Motor arbeitet kraftvoll und überträgt die volle PS-Zahl auf die Reifen. Der Kleinbuss kommt mit seinen 85 kW niemals gegen die 242 kW des Silverados an. Nur noch wenige Kilometer und Maik wird das Fahrzeug eingeholt haben, vielleicht sogar zum Anhalten bringen. Er fährt wie ein Verrückter. In seinen Adern pulsiert das Blut mit einem überhöhten Anteil an Adrenalin und bringt ihn in seine alte Zeit als Cop zurück. Dieses gedopte Gemisch aus Epinephrin und roten Blutkörperchen läßt sein Herz zwar schneller schlagen, aber es ist kein unangenehmes Gefühl. Nein, er hat es in den letzten Jahren sogar etwas vermißt. Wegen seiner kleinen Familie hat er seinen gefährlichen Job als Polizist endgültig an den Nagel gehängt und sich als Berater einer Firma die Sicherheitssysteme verkauft beworben, aber im Grunde war er nie so richtig zufrieden mit seinem neuen Dasein. Er war einfach an den Adrenalinkick gewohnt und konnte nicht so einfach auf treusorgender Familienvater umschalten. Nie hatte er Bianca erzählt, wie unzufrieden er ist.
Der Abstand zu dem Zielfahrzeug wird immer geringer. *Wo verdammt nochmal sind die Bullen wenn man sie wirklich braucht?* fragt sich Maik. Autofahrer hupen als sie von dem schwarzen Kleinbuss genötigt werden oder sogar gerammt. Bis jetzt ist es zu keinem Unfall gekommen, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Maik muß die Männer stoppen, bevor wirklich noch was schlimmeres passiert. So gibt er noch einmal Gas.
Der Fahrer in dem Buss sieht in den Rückspiegel und sagt zu seinen beiden Kumpels: "Der Kerl ist immer noch hinter uns. Er gibt einfach nicht auf."
Saras Sohn schreit wie am Spieß. Die fremden Männer machen ihm Angst. "Ok, dann werde ich mal dafür sorgen, daß der Bastard langsamer wird." sagt einer der Entführer grinsend und schlägt die Fußmatte zurück. Darunter ist ein eingebautes Fach. Dieses öffnet er und holt eine Mini-Uzi heraus. Nachdem er sie entsichert hat, öffnet er die Fahrertür und lehnt sich etwas nach draußen. Was bei einer Geschwindigkeit von über 150 km/h riskant ist. Eine kurze Geschosssalve läßt Maik zusammenzucken und auf den Standstreifen ausweichen. Kugeln schrammen an seinem Fahrzeug entlang, ohne einen ernsten Schaden anzurichten. Bei so einer Geschwindigkeit exakt zu zielen ist quasi unmöglich. Auf der Standspur ist Maik nicht mehr in dem Schußwinkel des Mannes. So setzt er unbehelligt die Verfolgung fort, verringert sogar den Abstand. Der Fahrer des Busses muß einem vor ihm fahrenden Auto ausweichen und macht ein riskantes Überholmanöver. Dabei hat er zu tun, daß der Buss nicht ausbricht und sich überschlägt. Maik stockt für einige Sekunden der Atem. Wenn sich das Auto wirklich überschlagen sollten, dann könnte der kleine Léon getötet werden. So ein Risiko kann er nicht verantworten. Aus diesem Grund fällt Maik zurück.
"Na endlich, er wird langsamer." stellt der Fahrer des Busses fest.
"Langsamer schon. Aber er hängt noch immer wie eine Klette an unserem Arsch. Verringer das Tempo." fordert er den Mann auf.
"Was hast du vor?" will dieser wissen.
"Seinen scheiß Geländewagen endgültig zum ADAC-Fall zu machen." Mit dem Griff der Maschinenpistole schlägt er die Heckscheibe ein. Splitter fallen auf die Straße und lassen weitere überholte Autofahrer abbremsen. Die nächste Salve bei gedrosseltem Tempo erreicht das, was der Mann erreichen will. Kugeln zertrümmern die Fronscheibe des Silverados und machen Maik augenblicklich blind. Rings um die Einschusslöcher bilden sich Risse die wie übergroße Spinnennetze aussehen. Eine 9 mm Patrone hat bei dem neuerlichen Anschlag Maiks rechten Oberarm gestriffen. Doch das Adrenalin verhindert, daß der Schmerz bis in sein Gehirn vordringt. Das Verbundglas aus was die Frontscheibe besteht, schützt den Fahrer des Silverados vor weiteren Splittern. Aber er muß anhalten, kann die Verfolgung nicht fortsetzen. Enttäuscht schlägt Maik auf das Lenkrad und schimpft mit sich selbst: "Verdammter Shit!"

2.

Als vor wenigen Minuten ein Krankenwagen mit Blaulicht und Martinshorn in den Englischen Garten gefahren war, wurde auch der letzte Besucher darüber informiert, daß hier etwas passiert sein muß. Eine Traube aus neugierigen Menschen schart sich um die beiden Frauen, das kleine Mädchen und dem Notarzt. Die wildesten Gerüchte kursieren. Einige nehmen an, daß die Frauen überfallen wurden. Andere wiederum meinen gesehen zu haben, daß die eine Frau von einem Fahrradfahrer angefahren wurde. Dieser sei im Anschluss geflüchtet. Aber keiner weiß, wie die schreckliche Wahrheit aussieht.
Soeben trifft zusätzlich ein Streifenwagen ein. Er wurde von den Sanitätern angefordert, da es sich bei ihrem Einsatz eindeutig um Körperverletzung durch einen oder mehrere unbekannte Personen handelt. Außerdem sagt die völlig hysterische Frau immer wieder, daß ihr Kind entführt wurde.
Die 3 Beamten aus dem Polizeifahrzeug versuchen die gaffende Menschenmenge aufzulösen. Jeder der keine eindeutige Aussage über den Tathergang zu Protokoll geben kann, solle bitte weitergehen. Am Ende stehen nur noch wenige besonders hartnäckige Schaulustige auf der Wiese. Unterstützt werden die Polizisten von den beiden Wachleuten die im Park für Ordnung sorgen und die vor kurzem Maiks Papiere kontrolliert hatten. Sie erkennen die Frauen natürlich sofort wieder.
Sara, die Mutter von dem entführten Léon, wird schon seit einiger Zeit im Krankenwagen ärztlich versorgt. Durch den Sturz hat sie sich mit ziemlicher Sicherheit das rechte Handgelenk gebrochen. Der Arzt möchte, daß sie mit ins Krankenhaus fährt. Dort muß ihre Handgelenk geröntgt und evtl. eingegipst werden. Vielleicht sogar operiert, das hängt von der Art des Bruches ab. Da die Frau wahnsinnige Schmerzen hat, hat sich der Arzt für eine Analgosedierung entschieden. Sara bekommt per Infusion ein Schmerz- sowie ein Beruhigungsmittel zugeführt. Bianca ist Krankenschwester und kennt sich mit der Vorgehensweise bestens aus. Ihre Freundin zu beruhigen und ihr zu zeigen, daß sie für sie da ist, ist jetzt das Beste was sie für Sara tun kann. Die kleine Amélie sitzt in dem Kinderwagen von Léon und weint noch immer. Einer von den Parkpolizisten hat sich ihre angenommen und versucht sie zu beruhigen.
Das Schmerz- und Beruhigungsmittel fängt langsam an zu wirken und Sara fällt in einen halbschlafähnlichen Zustand. So kann sich Bianca wieder um ihre Tocher kümmern. Sie macht sich nicht nur um ihre Freundin Sorgen, sondern auch um ihren Mann. Dieser hatte ganz alleine die Verfolgung der Kidnapper aufgenommen. Das war vor 40 Minuten gewesen. Seit dem hat sie nichts mehr von ihm gehört. Während sich Bianca rührend um ihre verletzte Freundin gekümmert hatte, hatte sich ein Parkwächter leise mit einen von den herbeigerufenen Polizisten unterhalten und ihm von dem Vorfall auf dem Spielplatz berichtet. Damit rückt Maik auf der Liste der Tatverdächtigen ganz weit nach vorn, wenn nicht sogar an die erste Stelle.
Der Krankenwagen verläßt nach 10 Minuten den Park. Im gleichen Augenblick hält ein roter Opel Kadett an der Straße und Maik steigt aus. Er dankt dem Fahrer für´s mitnehmen und rennt danach zu Bianca.
"Dort ist der Mann!" ruft einer der Parkwächter und zeigt auf den Ankommenden. Sofort sehen die 3 Polizisten in die Richtung. Als sie dann auch noch mitbekommen, daß der Mann am rechten Oberarm blutet, eskaliert die Situation fast. Die beiden Wachleute aus dem Park stellen sich schützend vor Bianca. Während 2 Polizisten vorsichtshalber nach ihrer Waffe greifen, sie aber noch in der Halterung lassen, nähert sich Maik nichtsahnend. Der Dritte zieht einen Taser aus der Gürtelhalterung und ruft: "Bleiben sie sofort stehen!" Im Bruchteil einer Sekunde erkennt Maik die für ihn gefährliche Situation und bleibt stehen. "Heben sie die Hände und lassen sie die Jacke fallen!" befielt der Polizist weiter. Bianca ruft: "Was soll der Scheiß? Das ist mein Mann. Er hat versucht die Entführer zu verfolgen." Doch davon lassen sich die Polizisten nicht irritieren. Sie haben bei ihren Diensteinsätzen schon genug erlebt und sind mit solchen Aussagen vorsichtig geworden. "Wenn sie nicht sofort die Jacke fallen lassen, werde ich gezwungen sein den Taser zum Einsatz bringen!" Maik hat nicht im geringsten Lust von 50.000 Volt niedergestreckt zu werden. Diesen Anblick möchte er seiner Frau und seiner Tochter ersparen. So läßt er seine Jacke fallen, die er in der linken Hand hält. "Wenn sie denken, daß ich was mit der Entführung zu tun habe, dann sind sie auf dem Holzweg." sagt Maik ganz ruhig. "Das wird sich noch herausstellen. Erst einmal nehme ich sie wegen dringenden Tatverdacht fest. Knien sie sich hin und Hände hinter den Kopf. Müller, legen sie dem Mann Handschellen an und klären sie ihn über seine Rechte auf." "Ja, Boss." sagt ein anderer Polizist und nähert sich Maik. Dieser sieht, wie die restlichen Schaulustigen mit ihren Handy´s alles filmen. Toll, in paar Stunden kann jeder sein Gesicht und seine Verhaftung bei You tube oder myvideo miterleben. Auf das kann er gut und gerne verzichten. Aber was soll er unternehmen? Sobald er sich gegen seine Verhaftung wehrt, bekommt er schmerzhafte Bekanntschaft mit der Elektroschockpistole. Seine Frau wird von den beiden Parkbullen bewacht, also ob sie sie vor ihm schützen müßten. Dabei wollte er seine Frau bloß überraschen und zum Eisessen einladen und nun landet er im Knast. Dort wird er zwar nicht lange bleiben, denn es wird sich alles aufklären, aber trotzdem hat sich der Tag zum Fiaskotag entwickelt. Tayler kniet auf dem Boden, die Finger hinter dem Kopf verschränkt. So wartet er auf seine Verhaftung. Dieser Bulle mit Namen Müller, nähert sich ihm. Er hat bereits die Handschellen in der Hand. Als er diese Maik anlegt sagt er: "Sie haben das Recht zu schweigen. Alles, was sie sagen, kann vor Gericht gegen sie verwendet werden. Sie haben das Recht auf einen Anwalt. Sollten Sie sich keinen leisten können, stellt Ihnen das Gericht einen zur Verfügung." Wie oft hatte Maik seine Gefangenen über deren Recht aufgeklärt. Doch sie selbst von einem Polizisten vorgetragen zu bekommen war schon grotesk.
"Das ist alles ein ganz großer Irrtum." sagt Bianca und versucht zu ihrem Mann zu kommen. Doch die beiden Parkpolizisten halten sie davon ab. "Es wird sich bald alles aufklären." sagt Maik schmunzelnd. Der Polizist hinter ihm, hilft Tayler aufzustehen und bringt ihn zu dem Polizeiauto. Sein Vorgesetzter folgt mit Maiks Jacke. Diese in ungewöhnlich schwer. So greift der Mann hinein und holt eine Pistole vom Typ Sig Sauer heraus. Etwas überrascht schaut er auf die Waffe in seiner Hand. Er geht zu Maik, zeigt sie ihm und fragt: "Sie wissen aber schon, daß sie laut Waffengesetz wegen illegalen Besitz einer Schusswaffe für 1 bis 5 Jahre in den Knast kommen können." "Ja, aber ich habe eine Lizenz dafür." "Können sie mir die zeigen?" "Natürlich." sagt Maik. Doch im gleichen Atemzug fällt ihm ein, daß er genau diese Lizenz noch in seinem Auto liegen hat. Er hatte nur die Waffe aus dem Handschuhfach genommen. Was sollte der Mann vom Abschleppdienst von ihm denken, falls er bei der Reparatur des Silverados zufällig ins Handschuhfach sieht. Aber an die Lizenz hatte Maik nicht gedacht. "Die Lizenz liegt noch in meinem Auto." sagt er.
"Bis ich die nicht sehe, klage ich sie zusätzlich nach dem Waffengesetzt § 52a an. Müller, bringen sie ihn ins Auto." Widerstandslos läßt sich Maik auf die Rücksitzbank des Polizeiautos verfrachten. Als er darin sitzt, schaut er noch einmal zu seiner Frau. Diese steht völlig geschockt bei den beiden Parkpolizisten. Sie hat Tränen in den Augen, weil die übereifrigen Polizisten einfach nicht verstehen wollen, daß alles nur ein großes Mißverständnis ist. Maik sagt noch etwas. An seinen Lippenbewegungen kann Bianca ablesen was er sagt: "Ich liebe dich." Sie versucht ein unbekümmertes Lächeln aufzusetzen. Zeigt mit dem rechten Zeigefinger auf sich, faßt sich anschließend mit der Hand aufs Herz und zeigt als letztes mit dem Zeigefinger auf ihren Mann. Ich liebe dich auch, soll dies heißen. Er lächelt, zwinkert ihr noch einmal zu und wendet sich dann an die beiden Polizisten in dem Auto: "Mc Gee, sie können fahren." Sofort sagt der jüngere Polizist der hinter dem Steuer sitzt: "Hey, sie kennen die Serie. Die ist cool, stimmt´s? Besonders diese Abby finde ich ...." "Müller! Halten sie die Klappe und fahren sie." blafft ihn sein Chef an. Dieser Oberbulle könnte glatt als Double von Leroy Gibbs durchgehen, denkt sich Maik und muß schmunzeln. Danach legt er seinen Kopf an die Kopfstütze hinter sich und schließt seine Augen. Erst jetzt merkt er, wie weh ihm sein rechter angeschossener Oberam tut. Dieser pochende Schmerz erinnert ihn an Zeiten, die er doch so gerne aus seinem Gedächtnis streichen würde. Doch sie scheinen ihn wieder eingeholt zu haben. Scheinen aus dem fast vergessen Gestern in das Heute zurückgekehrt zu sein. Wieso? fragt sich Maik. Doch niemand kann ihm darauf eine plausible Antwort gehen. Tayler dreht seine Erinnerungen um eine Stunde zurück. Er sieht sich noch einmal, wie er diesen Kleinbuss verfolgt. Das Adrenalin was dabei durch seine Adern geschossen war, fühlte sich herrlich an. Es war für ihn so wohltuend, als hätten seine Innereien einen Orgasmus. In den letzen Monaten hatte er immer öfter diesen Überschuss an Epinephrin vermißt. Dieses Gefühl, daß jeder Muskel und jede Sehne zum zerreißen angespannt ist und sein Gehirn auf Hochtouren arbeitet. Maik ist innerlich hin- und hergerissen. Einerseits möchte er seine manchmal doch so schmerzliche Vergangenheit vergessen, andererseits vermißt er das Gefühl des Kicks.
"Geht es ihnen nicht gut? Sollen wir mal kurz anhalten?" hört er "Gibbs" fragen. "Nein nein. Mir geht es gut." sagt Maik mit geschlossenen Augen. Danach kehrt sein Gedächtnis selbstständig zur Autobahn und der Hetzjagd zwischen seinem Silverado und den Entführern von dem kleinen Léon zurück. Er hatte sich zwar das Kennzeichen von dem schwarzen Kleinbuss gemerkt, aber er ist sich ziemlich sicher, daß beides geklaut ist. Nachdem er auf der Autobahn liegen geblieben war, kam auch kurz darauf die Polizei mit mehreren Streifenwagen. Sie sperrten die Autobahn, da es durch die Verfolgungsjagd zu einigen Verkehrsunfällen gekommen war. Es gab dabei aber keine Verletzten, nur Blechschäden. Maik schilderte einem Wachmann, warum er hinter dem Kleinbuss her war und daß er sofort zu seiner Frau zurück müßte. Diese würde sich bestimmt schon Sorgen machen. Während Maik´s Streifschuss ärztlich versorgt wurde, ließ der Polizist in der Zeit den VW-Buss per Funk zur Fahndung ausschreiben. Der Verkehr auf der Gegenfahrbahn war durch Trümmerteile die darauf gefallen waren, fast zum erliegen gekommen. So hatte der Polizist den Fahrer eines roten Kadett´s angehalten und ihn gefragt, ob er Maik zum Englischen Garten fahren kann. Dieser sagte zu und brachte den ehemaligen Polizisten dorthin.

Bianca hält ihre Tochter im Arm. Sie küßt sie zärtlich und sagt leise zu ihr: "Papa wird bald wiederkommen." Der Polizist der hiergeblieben ist um Zeugenaussagen aufzunehmen, sagt zu ihr: "Sie müssen noch auf das Revier kommen, um ihre Aussage zu machen. Wollen sie dann gleich mit uns mitfahren?"
Doch Bianca wehrt ab. "Nein, Danke. Ich bringe meine Kleine erst noch zu einer Freundin. Dann komme ich auf das Revier."
"Gut. Wir erwarten sie dort. Es ist die Polizeidirektion München Nord." Als Bianca nicht antwortet und gedankenverloren auf ihre Tochter schaut, fragt sie einer der Polizisten aus dem Park: "Geht es ihnen nicht gut?"
Die Frau sieht ihn mit feuchten Augen an. "Nein, mir geht es ganz und gar nicht gut. Wie auch? Meine Freundin wurde verletzt, ihr Kind entführt und mein Mann ist soeben verhaftet wurden. Wie soll es mir da bitteschön gut gehen?"
"Sollen wir einen Arzt rufen?" fragt einer der Parkwächter doch etwas Schuldbewußt.
"Nein. Lassen sie mich und meine Tochter einfach in Ruhe." sagt Bianca, setzt Amélie in den Sportwagen von Léon und verläßt die Männer. Sie geht in Richtung ihrer Wohnung. Auf dem Weg dorthin kommt sie zum ersten Mal zum Nachdenken. Was soll sie tun, um Maik so schnell wie möglich Frei zu bekommen? Urplötzlich kommt ihr die rettende Idee. Sie holt ihr Handy aus der Tasche und wählt eine Nummer. Leider schaltet sich nach einigen Klingeln nur die Mailbox ein. "Hier ist der Anschluss von Lou Bridges. Leider bin ich z. Zt. beschäftigt. Sie können aber gerne eine Nachricht hinterlassen. Ich werde sie dann umgehend zurückrufen." So kann Bianca nur eine Nachricht hinterlassen, daß ihr gemeinsamer Freund und SEK-Kamerad von ihrem Mann sie dringend zurückrufen soll.

3.

Maik wird in einen typischen Verhörraum gebracht. Darin stehen nur ein Tisch und 2 Stühle. Alles was sich hier befindet, ist fest mit dem Fußboden verschraubt. Ein Wachmann nimmt Tayler einen Teil der Handschellen ab und befestigt ihn anschließend an dem Stuhl auf dem er sitzt. So kann der Gefangene nicht aufstehen. Der ehemalige Polizist kennt die Prozedur und läßt es über sich ergehen. In den kommenden Stunden wird sich eh alles aufklären, davon ist Maik überzeugt. Der Wachmann verläßt den Raum und läßt den Verhafteten alleine. Maik schaut sich um. An der Wand ihm gegenüber, hängt ein übergroßer Spiegel. Er kommt sich vor, wie in einem billigen Hollywoodfilm. Diese Art der Überwachung mit den einseitig lichtdurchlässigen Spiegeln ist doch aus der Steinzeit. Anscheinend kann sich dieses Polizeirevier keine richtige "monitoring technology" leisten so wie die Geheimdienste. Deren Befragungsräume sehen ganz anders aus, das weiß Maik. Dort stehen moderne Polygraphen, umgangsprachlich auch Lügendetektoren genannt. Mit diesen Geräten kann man bei einem Verhör die körperlichen Parameter (Blutdruck, Puls, Atmung, vermehrte Schweißbildung auf der Haut) einer Person überwachen. So kann man leicht erkennen, sagt dieser Mensch die Wahrheit oder lügt er. Zusätzlich gibt es Geräte zur Überwachung von physiologischen Signalen, wie die Bewegung des Auges, besonders der Pupille. Außerdem wird so ein Raum 24 Stunden lang mit einer Farb-Funk CCD-Infrarot Kamera überwacht. Mit der man auch Gespräche aufzeichnen und sie später vor Gericht als Geständnisse präsentieren kann. Diese hochmoderne Kontrolltechnik gehört bei der SEK, dem BKA oder dem BND schon seit Jahren zur Standardausrüstung. Nicht wie diese billigen Einwegspiegel die es hier in der Polizeidirektion Nord noch gibt.
Die Tür wird geöffnet und "Gibbs" sowie "Mc Gee" treten ein. Der Ältere von beiden legt eine Akte auf den Tisch und setzt sich dann dem Gefangenen gegenüber. Der Zweite lehnt sich wortlos an die Wand, wo auch dieser Spiegel hängt.
"Falls sie jetzt guter Bulle, böser Bulle spielen wollen, sage ich ihnen gleich. Ich kenne dieses Spiel und bin selbst sehr gut darin." scherzt Maik. Mc Gee bzw. Müller kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sein Boss der vor Maik sitzt, sagt mit ernster Miene: "Wir sind nicht zum spielen hier. Ich bin Polizeioberkommissar Mende. Sie wissen, warum sie verhaftet sind?"
"Ich denke schon. Sie nehmen an, daß ich mit der Entführung des kleine Léon was zu tun habe. Aber da muß ich sie enttäuschen."
"Und wieso haben sie den beiden Frauen auf dem Spielplatz aufgelauert?"
"Das habe ich schon versucht diesen beiden Parkwächtern zu erklären. Ich wollte meine Frau und meine Tochter überraschen und sie zum Eisessen einladen."
"Wieso auf diese ungewöhnliche Weise?"
"Weil ich ein ungewöhnlicher Kerl bin." scherzt Maik erneut. Doch der Kommissar bleibt ernst, diesmal auch sein Mitarbeiter. Der Oberkommissar öffnet die mitgebrachte Mappe und schiebt sie zu Maik. Dieser schaut auf ein Bild, was gleich ganz oben auf liegt. Darauf ist er bei seinem letzten Undercovereinsatz als verdeckter SEK-Mitarbeiter zu sehen, wie er sich gerade mit dem Waffenhändler Felix Schneider trifft. Der Kerl, durch den sein Auftrag zum Desaster geworden war. Dabei hatte Maik viele gute Freunde verloren und auch seine Geliebte. Er selbst hatte Glück im Unglück, wurde nur von 3 Kugeln in den Rücken getroffen.
"Aus welchem Altaktenschredder haben sie denn das geklaut?" fragt Maik.
"Das ist völlig irrelevant. Sie geben also zu, diesen Mann zu kennen und getroffen zu haben."
"Ja, aber sie sollten sich die Akte, aus der sie das Bild geklaut haben, mal richtig durchlesen."
"Das habe ich. Daraus geht eindeutig hervor, daß sie mit diesem Mann, unter falschem Namen, Geschäfte gemacht haben. Oder haben sie zufällig einen Zwillingsbruder der Mark Dukownik heißt?"
"Nein, das habe ich nicht. Ich habe mich mit diesem Waffenhändler Felix Schneider nur getroffen, weil ich vom Innenministerium dazu beauftragt wurde."
Der Kommissar lacht: "Wollen sie mir wirklich weismachen, daß sie für den MI6 arbeiten? Wenn sie mir jetzt noch sagen, daß ihr Deckname James Bond Junior ist, dann lasse ich die Anklage gegen sie sofort fallen und sorge dafür, daß sie in eine Psychiatrische Klinik eingewiesen werden."
"Da wir hier in Deutschland sind, kann ich wohl schlecht für den MI6 arbeiten. Mein Arbeitgeber ist, bzw. war, das Innenministerium. Sondereinsatzkommando, Abteilung Drogen- und Waffenhandel sowie Prostitution."
"Sie wollen diese Nummer also wirklich bis zum Ende durchziehen." fragt der Kommissar und sieht Maik aus schmalen Augenschlitzen an. Er kommt sich von diesem Mann ziemlich veralbert vor. Der und ein Special Agent vom SEK. Niemals. "Wenn sie wirklich der sind für den sie sich halten, dann erzählen sie mir doch etwas über ihren letzten Auftrag, bei dem sie sich mit diesem Waffenhändler Felix Schneider treffen mußten."
Maik beugt sich etwas nach vorn, sagt dann ganz leise: "Das darf ich leider nicht, weil die Sache noch immer Top Secret ist."
"Für wie dumm halten sie mich eigentlich?" will der Mann der vor Maik sitzt wissen.
"Mein Anstand verbietet es mir, ihnen darauf eine ehrliche Antwort zu geben." sagt Maik und lehnt sich an seine Stuhlrückenlehne. Es genießt es, diesen Oberbullen auf die Palme zu bringen. Aus den Augenwinkeln heraus sieht Tayler wie der junge Polizist, der noch immer an der Wand lehnt, sein lachen verbergen muß. Endlich wagt es mal jemand, seinem Boss kontra zu geben. Seit dessen Scheidung ist er nur noch ein Arsch. Da er kein liebevolles zu Hause mehr hat, dürfen seine Untergebenen anscheinend auch keins mehr haben. Ständig teilt Polizeioberkommissar Mende seine Leute zu Sonderschichten ein. Ein geregeltes Familienleben ist aus diesem Grund fast ein Unding. Einige seiner Arbeitskollegen haben deswegen schon ihre Versetzung beantragt. Doch Müller will eigentlich nicht weg von hier. Er hängt mit ganzem Herzen an diesem Revier und besonders an der hübsche Sekretärin vom Alten. Sie waren schon 2 mal zusammen Mittagessen. Er findet sie nett und sie ihn anscheinend auch. Daraus könnte sich was festes entwickeln. Wenn er sich jetzt versetzen läßt, dann geht der zarte Halm der Liebe heißt, wieder ein und das möchte Müller nicht. Schon zu lange ist er Single.
Maik sieht den Kommissar an und sagt zu ihm: "Ob sie es glauben oder nicht, ich bin einer von den Guten."
"Das wird sich noch herausstellen. Jetzt erzählen sie mir etwas über die Entführung des kleinen Léon Graziano."
"Wozu? Für sie steht doch schon fest, daß ich damit was zu tun habe."
"Ja. Aber vielleicht können sie mich vom Gegenteil überzeugen."
"Also gut. Ich kann mein Glück ja mal versuchen. Nachdem wir den Spielplatz verlassen hatten..."
"Mit wir meinen sie ihre Familie und die Frau Sara Graziano mit ihrem Sohn." Stellt der Kommissar eine Zwischenfrage.
"Ja. Während ich mit meiner Familie zum Eisessen fahren wollte, wollte Sara lieber nach Hause gehen."
"Warum wollten sie nicht, daß sie mitkommt?" will der Kommissar wissen.
"Wie schon gesagt, sie wollte unbedingt nach Hause zu ihrem Mann. Marco ist ziemlich ungehalten wenn sie zu spät kommt."
"Achso, der Herr Graziano ist also ungehalten, wenn sich seine Frau mit fremden Männern trifft."
"Drehen sie mir nicht die Worte im Mund herum." blafft Maik diesen Oberbullen an. "Ich hatte gesagt, daß er ungehalten ist,wenn sie zu spät nach Hause kommt."
"Und wenn das mal der Fall war, dann haben sie sie getröstet?"
"Verstehen sie überhaupt was ich sage?" fragt Maik. So langsam wird er sauer und das läßt er auch seinen Gegenüber spüren.
"Ich verstehe sehr gut was sie damit sagen wollen. Die Frau Graziano ist eine sehr attraktive Frau . . . "
Bevor Maik explodiert, geht die Tür auf und ein weiterer Polizist steckt nur kurz seinen Kopf in den Raum. "Herr Polizeioberkommissar, würden sie mal bitte für einen Moment rauskommen. Ich habe ein wichtiges Gespräch für sie in der Leitung." sagt er und Maik hört Angst in der Stimme des Mannes.
"Sehen sie nicht, daß ich gerade dabei bin diesen Mann zu verhören?" schnauzt er seinen Angestellten an.
"Ja, aber es ist sehr dringend."
"Was ist dringender als einen Verbrecher dingfest zu machen? Verschwinden sie oder ich lasse sie eine Doppelschicht schieben!"
"Vielleicht sollten sie doch lieber das Gespräch annehmen. Es könnte wirklich wichtig sein. Ich bin von ihrer Gastfreundlichkeit so gefesselt . . . " Maik hebt seine angekettete Hand und redet weiter ". . . daß ich hier auf sie warten werde."
Der Kommissar sieht Tayler hochrot an und brüllt: "Halten sie ihr vorlautes Maul oder ich stecke sie nach § 70 Abs. 1 der Strafprozessordnung für 6 Wochen in Beugehaft! Mal sehen, wie ihnen das gefällt."
"Haben sie schon mal über ein Anti-Aggressions-Training nachgedacht?" fragt Maik allen erstes. Bevor der Kommissar gegen seinen Gefangenen handgreiflich werden kann, geht die Tür weiter auf und der Dienststellenleiter steht darin. "Mende, lassen sie augenblicklich den Herrn Tayler in Ruhe und nehmen sie ihm sofort die Handschellen ab! Er ist ein freier Mann und kann gehen, wohin er will. Und sie will ich in meinem Büro sehen, aber Pronto!" Ohne eine Antwort abzuwarten, verläßt der Leiter der Dienststelle den Verhörraum. Der Kommissar ist noch immer hochrot und versteht die Welt nicht mehr. Wieso soll er dem Hauptverdächtigen die Handschellen abnehmen und ihn frei lassen.
"Mende, wo bleiben sie!" schreit sein Chef vom Gang her. "Haben sie nicht gehört?" fragt der Kommissar böse seinen Angestellten. "Sie sollen ihm die Handschellen abnehmen und dann schmeißen sie ihn raus!" Danach folgt der Kommissar seinem Vorgesetzten.
"Ist der immer so drauf?" will Maik wissen.
"Früher nicht. Aber seit seiner Scheidung vor paar Monaten ist er unberechenbar gewurden. Besonders schlimm ist es, wenn er mal wieder einen Anruf vom Anwalt seiner Frau bekommen hat."
"Lassen sie mich raten. Seine Frau hat ihn mit seinem besten Freund betrogen."
Überrascht sieht Müller den ehemaligen Polizisten an. "Ja, woher wissen sie das?"
Das war für Maik nicht schwer herauszubekommen, denn schließlich hatte dieser Kommissar Mende ihm ein Verhältnis mit Sara andichten wollen. So brauchte er nur 1 und 1 zusammenzählen.
Als Müller Maik die Handschellen abnimmt, fragt er seinen Kollegen der noch immer in dem Verhörzimmer steht. "Wer war denn in der Leitung, daß der Alte Mende so zusammenscheißt?"
"Erst war ein Hauptmann Lou Bridges in der Leitung und danach ein gewisser Oberst Tesler vom Innenministerium. Sie wollten den Verantwortlichen sprechen, der Leutnant Maik Tayler verhaftet hatte."
Müller sieht den ehemaligen Gefangenen erstaunt an. Also hatte dieser doch die Wahrheit gesagt, daß er früher in einer SEK-Einheit war. Sofort steigt Müllers Respekt gegenüber diesem Mann. "Soll ich einen Arzt rufen?" will er wissen und sieht dabei auf den blutigen Ärmel von Maik.
"Nein nein, das hat sich schon einer angesehen. Aber trotzdem Danke."
"Ich konnte ja nicht wissen, daß sie ein Offizier sind."
"Wieso entschuldigen sie sich. Sie haben sich korrekt verhalten. Was ich von ihrem Boss nicht gerade behaupten kann. Der sollte wirklich mal ein Anti-Aggressions-Training absolvieren. Wie er sich gegenüber Gefangenen verhält, ist für einen Staatsdiener nicht zu entschuldigen. Ich denke schon über eine Dienstaufsichtsbeschwerde nach. Danach würde er vielleicht auch mit seinen Mitarbeitern besser umgehen. Was halten sie davon?" Maik schaut die beiden jüngeren Polizisten an. Dabei reibt er sich sein rechtes Handgelenk, was durch die zu eng angelegte Fessel rot gewurden war. Das Angebot ist schon verlockend, denkt sich Müller, aber schließlich war sein Chef erst seit seiner Scheidung so beschissen drauf. Früher war er in Ordnung. "Danke für ihr Angebot, aber ich denke nach dem Anschiss vom Alten wird er sich ändern."
"Wollen wir hoffen, ansonsten können sie mich jederzeit anrufen." Maik holt eine Visitenkarte aus seiner Geldbörse und gibt sie dem jungen Mann. Dieser liest:



Maik Tayler

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Mit unserem Equipment schauen die Verbrecher blöd aus der Wäsche.

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"Danke."
"Gern geschehen." sagt Maik. "Wenn ich jetzt noch meine Waffe und meine Jacke zurückbekommen könnte, dann bin ich auch schon weg."
"Ich bringe sie ihnen." sagt Müller und verläßt den Raum.
"Gibt es hier evtl. die Möglichkeit einen Kaffee zu trinken?" fragt Maik den anderen Polizisten.
"Ja, auf dem Gang steht ein Automat."
"Gut. Ich werde dort warten." Mit diesen Worten verläßt Tayler den Verhörraum. Draußen zieht er sich einen Kaffee und setzt sich in den Wartebereich.
Soeben bringen 2 Polizisten einen Mann herein. Dieser ist kräftig gebaut und auffällig tätowiert. Maik kennt diesen Körperschmuck. Der Kerl gehört zu einer Gang. Auf der rechter Halsseite ist das Wort AEQUITAS eingestochen. Es ist italienisch und heißt Gleichheit. Die Polizisten setzen den Verhafteten genau Maik gegenüber. Danach machen sie die Papiere für den Richter fertig. Tayler trinkt friedlich seinen Kaffee, doch dieser Gangbruder ist auf Krawall aus. "Was glotzt du so blöd?" will er von dem ehemaligen Polizisten wissen.
"Ich will nur in Ruhe meinen Kaffee trinken, mehr nicht." sagt dieser.
"Ach, der Herr will nur in Ruhe seinen Kaffee trinken." spottet der Gefangene.
"Ja. Legen sie sich nicht mit mir an, ich hatte einen ziemlich beschissenen Nachmittag."
"Was glaubst du, wie meiner war? Vielleicht besser?" fragt der Mann und zeigt Maik seine Hände, die er mit Handschellen gefesselt auf dem Rücken trägt.
"Die werden sie nicht ohne Grund verhaftet haben."
"Diese Bullenschweine brauchen doch keinen Grund um einen zu verknacken. Denen reicht es schon, wenn du Ausländer bist."
Maik hat keine Lust auf eine Diskussion, so trinkt er stillschweigend seinen Kaffee weiter.
"Bist du etwa auch einer von diesen Scheißkerlen?" will der Gefangene wissen.
"Nein, ich bin nur ein Mann der in Ruhe seinen Kaffee trinken will."
"Du hast wohl nur diesen einen Satz auf Lager? Ich will nur in Ruhe meinen Kaffee trinken." äfft der Mann Maiks Worte nach. Plötzlich steht er auf und spuckt Tayler in den Kaffee. "Dann lass dir mal deinen Kaffee schmecken." sagt er blöd grinsend und setzt sich wieder.
"Du sollst auf deinem Arsch sitzen bleiben!" brüllt einer der Polizisten zu dem Gangmitglied.
"Bla bla bla." sagt dieser respektlos. Dann macht er weiter Maik zu belästigen. "Und, schmeckt dir dein Kaffee?" will er wissen. Tayler sieht in seinen Becher. Obenauf schwimmt noch immer die Spucke des Mannes.
Völlig unerwartet hebt der Gefangene seine rechten Fuß und tritt Maik den Becher aus der Hand. Jetzt reicht es ihm. Er steht auf und stellt sich vor dem Mann hin. Dieser erhebt sich ebenfalls. Steht provozierend vor Maik und fragt: "Na, was willst du kleiner Pisser von mir?" Sofort wollen einige Polizisten eingreifen, doch Maik hält sie zurück: "Lassen sie, ich kläre das alleine."
"Oh, der kleine Sesselpupser hat wohl zuviele Karatefilme gesehen und will sich jetzt mit mir messen. Bitte schön, wenn du Lust hast die nächsten Tage auf der Intensivstation zu verbringen. Dich mache ich selbst mit gefesselten Händen noch fertig." Der Kerl versucht mit einem kräftigen Fußtritt gegen Maiks Kniescheibe, diesen zu Fall zu bringen. Da der aber kein Anfänger ist, weicht er dem Angriff aus und schlägt dem Kerl seinen Handballen mit voller Wucht auf die Nase. Diesem schwinden fast die Sinne und Blut schießt aus seiner Nase. Halb benommen geht er zu Boden und beibt dort liegen. Die Polizisten spenden Maik Beifall. In der Zeit ist Müller mit der Sig Sauer und der Jacke eingetroffen. Er gibt beides Tayler zurück.
"Ich wußte es, du bist doch ein Bullenschwein." sagt der aus der Nase blutende Mann.
"Nein, nicht mehr." antwortet Maik lächelnd.
Müller gibt dem ehemaligen Polizisten die Hand und sagt: "Leutnant Tayler, es war mir ein Vergnügen sie kennengelernt zu haben."
"Leider kann ich nicht dasselbe sagen. Es freut mich natürlich sie kennengelernt zu haben Müller, aber auf den Rest hätte ich liebend gern verzichtet."
"Das kann ich mir vorstellen."
Mit diesen Worten verläßt Maik den Besucherbereich. Im Treppenhaus trifft er noch einmal auf den Polizeioberkommmissar Mende. Dieser sieht ganz blass aus. Anscheinend hatte er von seinem Vorgesetzten einen ganz schönen Anschiss bekommen. Zu Recht. "Danken sie Müller, ansonsten hätte ich ihnen die Dienstaufsichtsbehörde auf den Pelz gehetzt. Denken sie immer daran: Ein Gefangener ist solange unschuldig, bis man das Gegenteil beweisen kann. Bis es jedoch soweit ist, haben sie ihn mit Respekt entgegenzukommen." Tayler läßt den Mann einfach stehen und geht. Draußen vor der Polizeidirektion erwarten ihn schon Bianca und Amélie. "Na ihr beiden. Wartet ihr schon lange?" will er wissen und küßt seine Frauen.
"Nein, wir sind auch eben erst gekommen." sagt Bianca.
"Übrigens, Danke daß du Lou angerufen hast."
"Wie kommst du darauf, daß ich Lou über deine Verhaftung informiert habe."
Maik gibt seiner Frau einen liebevollen Kuss auf deren Nase. "Weil ich es dir an deiner süßen Nasenspitze ansehen. Woher sollte Lou sonst erfahren haben, daß ich hier einsitze. Fahren wir erst zu Sara ins Krankenhaus oder lieber zu ihr nach Hause, damit auch Marco erfährt, daß sein Kind entführt wurden ist. Falls es nicht schon die Polizei getan hat."
"Ich würde sagen, wir fahren erst zu ihrem Mann."
"Gut, weißt du wo sie wohnen?" Maik kennt zwar Sara, aber Marco war er noch nie begegnet.
"Ja."
"Ok, dann fährst du und ich mache es mir mit unserem Sonnenschein auf der Rücksitzbank gemütlich. Maik nimmt seine Tochter aus dem Kinderwagen und dreht sich mit ihr im Kreis. Diese lacht lauthals.

4.

Kaum haben sie sich auf den Weg zum Haus der Grazianos gemacht, klingelt das Handy von Bianca. Sie gibt es Maik, da sie fährt. Dieser meldet sich. "Ja, hier spricht Maik Tayler. . . Ah, Sara. Wie geht es dir? . . . Gut, wir kommen sofort vorbei und holen dich ab." Danach legt Maik auf. "Sara darf nach Hause. Sie hat gefragt, ob wir sie vom Krankenhaus abholen könnten." informiert er seine Frau. "Was ist denn mit ihrer Hand?" will Bianca wissen. "Das Handgelenk ist nur angebrochen und braucht nicht operiert zu werden. Sie muß allerdings einige Zeit eine Schiene tragen."

Nach 30 Minuten erreichen sie das städtische Klinikum. Sara sitzt bereits neben dem Ausgang auf einer Bank und wartet auf das befreundete Ehepaar. Als ein schwarzer VW Touran auf den Parkplatz fährt, steht sie auf und rennt zu dem Auto. Maik steigt zuerst aus. Sara fragt ihn sofort aufgeregt: "Hast du die Leute geschnappt, die meinen kleinen Léon entführt haben?"
"Leider nicht. Ich habe mein bestes gegeben, aber die Kerle waren bewaffnet und haben auf mich geschossen. Ich hatte keine Chance. Doch ich habe der Polizei das Nummernschild sagen können. Damit werden sie die Leute schnell ausfindig machen." Daran glaubt Maik zwar nicht, denn die Kerle wären echt blöd, wenn sie mit ihrem eigenen Auto so eine Tat durchziehen würden. Doch er will Sara aufmuntern, damit sie nicht den Mut verliert. Wieso sie Léon überhaupt gekidnappt haben, kann sich Maik nicht erklären. Reich ist die Freundin von Bianca auf alle Fälle nicht. Sie fährt einen alten VW Polo und auch sonst tut sie ziemlich bescheiden. Also warum dann? Vielleicht eine Verwechslung? Aber auch daran glaubt Maik nicht. So eine Entführung ist von langer Hand geplant. Verwechslungen sind ausgeschlossen. "Hat sich dein Mann schon bei dir gemeldet?" will der ehemalige Polizist wissen.
"Nein, ich habe zwar versucht ihn zu erreichen, aber sein Handy ist aus. Es geht nur die Mailbox ran. Vielleicht trifft er sich wieder mit seinen Freunden. Da macht er immer sein Handy aus."
"Was für Freunde?" fragt Maik.
"Ich kenne sie nicht. Aber seitdem mein Mann aus Italien zurück ist, ist er fast ständig mit ihnen zusammen."
"Hat er dir mal einen Namen genannt?"
Sara überlegt. "Nein, warum? Glaubst du, daß sie mit der Entführung meines kleinen Jungen etwas zu tun haben?"
"Eher nicht, aber vielleicht können sie der Polizei wichtige Hinweise geben." lügt Maik. Denn gänzlich auszuschließen ist es nicht, daß angebliche Freunde Dreck am Stecken haben.
"Namen hat Marco nie genannt, aber ich sollte ihn mal zu so einer Gaststätte fahren, weil sein Auto in der Werkstatt war."
"Weißt du noch wie die hieß?"
"Ich habe den Namen vergessen, aber ich kann sie dir zeigen."
"Evtl. komme ich später noch mal darauf zurück. Jetzt laß uns zu deinem Mann fahren. Vielleicht ist er doch zu Hause und sein Akku ist bloß leer."
"Glaubst du wirklich?"
Maik lächelt. "Es könnte doch sein." sagt er. Aber irgendwie hat er so eine komische Vorahnung. Tief in seiner Magengrube kribbelt es unangenehm. Dieses Gefühl hat Maik immer, wenn er an etwas zweifelt. Bis jetzte konnte er sich auf sein Gespür verlassen, es hatte ihn noch nie belogen. Wieso meldet sich der Vater von Léon nicht? Die Polizei wird ihn schon längst über die Entführung und die Verletzung seiner Frau unterrichtet haben. Doch vielleicht reimt sich Maiks Gehirn auch nur irgendetwas zusammen. Seine Jahre als SEK-Beamter kann er nicht einfach so ablegen. Manchmal ist er viel zu mißtrauisch.

Nach einer ganzen Weile kommen sie am Haus der Grazianos an. Maik ist ziemlich überrascht. Von Armut kann man hier wahrlich nicht sprechen. Das Anwesen liegt in der nicht gerade preiswerten Wohngegend München-Harlaching. Das Haus samt Grundstück schätzt Maik auf 2 bis 2,5 Millionen. Anerkennend pfeift er. "Als was arbeitet dein Mann? Braucht er vielleicht noch einen guten Mitarbeiter?"
"Das Haus hat zum größten Teil sein Vater finanziert. Er ist in Italien ein ziemlich einflußreicher Mann."
"Das sieht man. Man könnte glatt denken, daß er zur Camorra gehört." scherzt Maik. Sofort bekommt er von seiner Frau einen leichten Schlag. "Ich hab doch Recht." flüstert er ihr ins Ohr.
"Ich verstehe nicht, worauf du raus willst?" fragt Sara. Ihre Stimme klingt auf einmal ziemlich feindselig.
"Entschuldige." sagt Maik kleinlaut. "Kannst du sehen, ob dein Mann zu Hause ist?" will er wissen.
Sara schließt das große Tor zum Grundstück auf und betritt es. Gefolgt von Maik, Bianca und der kleinen Amélie, die von ihrer Mutter getragen wird.
Sofort sieht Sara, daß das Auto ihres Mannes fehlt.
"Sein Alfa steht zumindestens nicht in der Garage. Komisch. Er wußte doch, daß ich gegen 15 Uhr zu Hause bin."
Maik schaut auf seine Uhr. Es ist bereits nach 17 Uhr. "Vielleicht sucht er dich. Sieh doch mal im Haus nach. Er könnte eine Nachricht hinterlassen haben."
Wieso ist Sara nicht selbst auf diese Idee gekommen. Schnell geht sie Richtung Eingang. Maik und Bianca folgen ihr. Dabei fallen dem ehemaligen Polizisten die vielen Kameras auf, die das komplette Grundstück überwachen. Hier ist es wie in Fort Knox. Kein cm ist unbeobachtet. Wieder kribbelt es in Maiks Magengrube und diesmal ist es noch stärker. Kein Mensch braucht so eine Überwachung, höchstens, er hat was zu verbergen. Sara versucht die Haustür zu öffnen. Durch ihre geschiente Hand gelingt es ihr nicht und Maik ist behilflich. Als sie eintreten, verschlägt es dem Ehepaar Tayler fast die Sprache und Maik korrigiert seinen Schätzwert für das Haus weit nach oben. Der Eingangsbereich ist schon pompös. Der Boden ist mit Natursteinen gefliest und in der Mitte prunkt ein Mosaik. Als Zentrum sind die Initialien MG eingelassen, für Marco Graziano. Außen herum stehen die italienischen Worte: famiglia e l´onore (Familie und Ehre). Maik jagt es einen eiskalten Schauer über den Rücken. Hat der Mann von Sara vielleicht doch etwas mit der Mafia zu tun, alles deutet darauf hin. Fürs Erste behält er seine Vermutung für sich. Denn er weiß, selbst die Ehefrauen haben oft keine Ahnung von den wahren Geschäften ihrer Männer. Sara kommt mit verheulten Augen zurück. "Marco ist nicht da. Er hat auch keinen Zettel hinterlassen. Ich habe das ganze Haus abgesucht."
"Warst du auch schon im Kinderzimmer von Léon?"
Ohne zu Antworten dreht sich die Frau herum und rennt in das Zimmer ihres Sohnes. Maik folgt ihr. Alles sieht unberührt aus, so, als ob Léon nur mal kurz rausgegangen ist.
"Wo können wir noch suchen?" will Sara wissen.
"Versuch doch noch einmal deinen Mann zu erreichen. Oder hast du die Nummer wo er arbeitet?"
"Marco ist Außendienstmitarbeiter. Ich kann ihn immer nur über sein Handy erreichen."
Wieder ein eindeutiges Anzeichen dafür, daß dieser Prunk nicht auf legalem Weg erarbeitet wurden ist.
"Weißt du was, du packst jetzt paar Sachen ein und kommst mit zu uns. Wir lassen deinem Mann eine Nachricht da, wo er dich finden kann. Du wirst sehen, alles wird gut." Maik weiß nicht warum, aber er sieht zu Bianca. Sie schaut ihn ebenfalls an und erkennt an den Augen ihres Mannes, daß er von seinen Worten nicht überzeugt ist. Sara scheint unter Schock zu stehen. Apathisch schließt sie die Kinderzimmertür. Doch plötzlich stößt sie sie wieder auf und sieht entsetzt auf das Bett ihres Jungen. "Wo ist Léons Winni Puh? Ohne den schläft er nie ein? Er sitzt immer auf seinem Bett." Maik wird schlagartig klar, was dies zu bedeuten hat. Er fragt Sara: "Sind die Sachen von Léon noch da?" Sofort geht diese zu dem Schrank ihres Sohnes und was sie daran sieht, läßt sie fast zusammenbrechen. Der Schrank ist leer. Alle Sachen fehlen. "Was hat das zu bedeuten?" will sie von Maik wissen, doch sie weiß es auch so. Léon wurde von seinem eigenen Vater entführt. Sie kann nicht mehr. Völlig unerwartet bricht sie zusammen. Maik ruft nach seiner Frau. Diese setzt Amélie auf den Boden und rennt in das Zimmer. "Schnell, bring Sara etwas zu trinken." Tayler legt sie behutsam auf das Bett von Léon und öffnet einen weiteren Knopf ihrer Bluse, damit sie besser Luft bekommen. Wenige Minuten später taucht Bianca mit einem Glas Wasser auf. Vorsichtig gibt Maik der Frau einige Schlucke zu trinken. "Geht es wieder?" will er wissen.
"Ja, aber warum hat Marco sein eigen Fleisch und Blut entführen lassen."
"Wann hast du deinem Mann das erste Mal von deiner Absicht erzählt, daß du dich von ihm trennen willst?"
Sara ist noch immer leichenblas, doch sie überlegt. Obwohl es ihr schwer fällt, denn immer wieder taucht das Gesicht von Léon vor ihr auf und wie die Männer ihn entführen. Tränen laufen ihr übers Gesicht und sie zittert. Auch Bianca wird ganz komisch. Zu bekannt kommt ihr diese Szene vor.
"Vor etwa einer Woche. Danach war er urplötzlich zu seinen Eltern nach Italien geflogen. Er sagte bloß, daß sein Vater schwer erkrankt ist und er hin müsse. Als er vor 2 Tagen zurück kam, war er anders als sonst."
"Wie anders?"
"Er ignorierte mich auffallend. Dafür kümmerte er sich besonders liebvoll um seinen Sohn." Sara sieht schluchzend zu Maik. "Bitte, hilf mir meinen Sohn wiederzubekommen."
Diese Worte treffen Bianca wie ein brennender Pfeil mitten ins Herz. Soll etwa alles noch einmal von vorne losgehen? Soll sie wieder Angst um ihren Mann haben? Sie blickt zu Amélie. Diese sitzt im Eingangsbereich auf dem Boden und sieht sich eine Zeitung an die sie auf einem Tisch gefunden hat. Die bunten Bilder gefallen ihr und sie blättert eifrig herum. Dabei erzählt sie, so als würde sie lesen können. Bianca lächelt, doch ihr Herz ist schwer angeschlagen. Sie betet heimlich dafür, daß Maik diesmal die Finger von der Sache läßt. Schließlich haben sie einen handfesten Beweis bei wem der Junge ist und von seinem Vater hat er nichts zu befürchten. Die Polizei braucht doch bloß das Auto von Léons Vater zur Fahndung ausschreiben und schon haben sie ihn. Wieso also sollte sich Maik einmischen? Er ist seit 10 Monaten Filialleiter einer Sicherheitsfirma und vor fast 4 Jahren aus dem aktiven Dienst ausgeschieden. Er ist so einer Sache nicht mehr gewachsen. Außerdem weiß Sara nichts von Maiks Vorleben. Die Bitte daß er ihr helfen soll, hat sie also einfach so in den Raum geworfen.
"Hat Léon einen Kinderausweis?" fragt Maik nach einiger Zeit.
"Ja, er liegt im Wohnzimmer. Das schwarze Sideboard gleich neben der Eingangstür. Die obere rechte Schublade. Warum?"
"Nur so." sagt Maik und geht aus dem Zimmer.
Dabei weicht er dem Blick seiner Frau aus. Er weiß genau was sie denkt, wovor sie Angst hat. Auf dem Weg zu dem angegebenen Möbelstück sieht er zu seiner Tochter. Diese schaut ihren Vater mit strahlenden Augen an und lacht. Die wunderschönen dunklen Augen hat sie von ihrer Mutter, denkt sich Maik und sieht nun doch zu Bianca. Ihre unausgesprochenen Fragen bohren sich wie eine Schrotladung in jede Faser seines Gehirns und scheinen dort zu explodieren. Um dieser seelischen Folter zu entgehen, sucht er exzentrisch nach dem Kinderausweis von Léon. Vergebens, er ist nicht da. Nun steht es fest, Marco hat sich mit seinem Sohn ins Ausland abgesetzt. Mit ziemlicher Sicherheit nach Italien zu seinem Familienclan. Dieser bietet ihm und seinem Sohn Schutz vor Verfolgung. Sobald sie erfahren, daß nach dem Jungen gesucht wird, wird dieser zu einem Onkel gebracht. Manche italienische Familien sind über das ganze Land verteilt. So ist es unmöglich, daß man den Jungen je wiederfindet. Unwillkürlich sieht Maik auf das große Mosaik in der Mitte des Raumes. Er liest noch einmal die Worte:

famiglia e l´onore


5.

Als am Abend die bayrische Metropole München endlich zur Ruhe kommt, ist auch bei der Familie Tayler Ruhe eingekehrt. Amélie liegt schon seit einigen Stunden in ihrem Bettchen und träumt friedlich. Sie hat von den Turbulenzen des Tages nicht viel mitbekommen. Sara, die Mutter von Léon, schläft im Gästezimmer ihrer Freunde. Nachdem Bianca ihr eine Schlaftablette gegeben hatte, war sie ruhiger geworden und kurz darauf eingeschlafen. So kann sie etwas abschalten und für paar Stunden eine geistige Auszeit nehmen. Denn eins ist sicher, die nächsten Tage werden hart für sie werden.

Bianca sitzt bereits bettfertig auf dem Sofa und schaut sich eine Dokumentation über das alte Rom an. Doch ihre Gedanken sind nicht bei dem was sie sieht, sondern lassen den heutigen Tag noch einmal Revue passieren. Die Entführung des kleinen Léon und wie Maik geistesgegenwärtig diesem schwarzen Kleinbuss gefolgt war. Während Sara und sie noch unter Schock standen, hatte ihr Mann wie ein echter Profi die Initiative ergriffen. Ansonsten wüßten sie nicht einmal das Nummernschild von dem Fahrzeug mit welchem der Sohn ihrer Freundin gekidnappt wurde. Gekidnappt vom eigenen Vater, daß muß man sich erst einmal vorstellen.
Auf der Heimfahrt war dann Maik ungewöhnlich still gewesen und Bianca wußte sofort, was dies zu bedeuten hat. Er vollzog innerlich einen Kampf zwischen seinem Kopf und seinem Herzen. Die eine Seite seines Ich´s sagte ihm, du mußt Sara helfen, die Andere bot Contra und sagte, du hast jetzt Frau und Kind und bis kein Special Agent mehr. Überlaß die Sache den Leuten, die dafür das nötige Know-how haben.
Schon vor einigen Monaten war Bianca aufgefallen, daß Maik in seinem neuen Job als Sicherheitsberater nicht die erhoffte Erfüllung gefunden hatte. Er versuchte es zwar vor ihr zu verheimlichen, doch sie kannte ihn. Immer öfter rief er seinen alten Kameraden Lou Bridges an und fragte ihn, ob es was neues gäbe. Dabei leuchteten jedesmal seine Augen als beide Freunde von den guten alten Zeiten sprachen. Maik kann anscheinend nicht aus seiner Haut heraus, er ist mit Leib und Seele Polizist. Damit muß sie endlich klarkommen. Sie weiß, wenn ihr Mann ihr weiterhin, um des lieben Friedens willen vorspielt, daß er glücklich in seinem Job ist, dann wird er irgendwann daran kaputt gehen. Das könnte vielleicht sogar das Aus für ihre Ehe bedeuten und das will Bianca auf keinen Fall.

Ihr Mann kommt soeben aus dem Kinderzimmer. Noch einmal hatte er nach seiner Tochter geschaut, ob sie auch gut zugedeckt war. Nun setzt er sich wortlos neben seine Frau. Sie kuschelt sich an ihn, genießt seinen nackten warmen Oberkörper. Dabei heftet sich ihr Blick auf die Narbe an seiner linken Hüfte. Die hatte er sich vor 4 Jahren zugezogen, als er versucht hatte, den Sohn seines Freundes vor einer Entführung zu bewahren. Und nun kehrt fast dieselbe Situation von Gestern in das Heute zurück. Bianca hat Angst davor, ihren Mann irgendwann mal im Leichenschauhaus identifizieren zu müssen. Warum muß das Leben so kompliziert sein? Warum können sie nicht einfach eine ganz normale glückliche Familie sein? Damit sich ihre Sehnsüchte erfüllen, hätte sie sich nie mit einem Polizisten einlassen dürfen, sondern eher mit einem normalen Arbeitnehmer. Doch einen normalen Mann wollte sie nicht und nun muß die junge Frau mit den Konsequenzen leben.
"Was schaust du denn?" hört Bianca ihren Mann fragen.
"Ich weiß nicht genau. Ich habe den Fernseher einfach eingeschalten und da lief die Sendung schon."
"Aha." ist Maiks kurze Antwort. Auch seine Gedanken kreisen um die heutigen Ereignisse. Bei der Verfolgungsjagd auf der Autobahn hatte sein Körper eine Menge Adrenalin ausgeschüttet. Dieser plötzliche Überschuß an Stresshormonen hatte sich so dermaßen gut angefühlt, daß Maik fast ein schlechtes Gewissen bekommen hatte. Er kam sich dabei vor wie ein Drogenjankie, der sich nach jahrelanger Abstinenz endlich wieder eine Injektion setzen durfte.

Gefühlvoll streicht Maik über die zarte Haut seiner Frau, scheint ihre Nähe und das Fernsehprogramm zu genießen. Doch in Wirklichkeit gehen sein Geist und sein Körper längst getrennte Wege. Seine menschliche Hülle ist hier bei Bianca, aber seine grauen Zellen beschäftigen sich mit etwas ganz anderem. Ihm geht eine Frage durch den Kopf: Was er wohl als nächstes tun würde, wenn er noch Polizist wäre? Erst einmal hätte er das Nummernschild vom Auto der Entführer durch eine Datenbank gejagt. Dabei würde schnell herauskommen, daß Auto und Nummernschild nicht identisch und beide als gestohlen gemeldet sind. Dann hätte er alle Polizeistationen die zwischen Deutschland und Italien liegen darüber informiert, daß ein gewisser Marco Graziano wegen Entführung seines Sohnes gesucht wird. In der Zeit wo die Fahndung läuft, hätte er sich mal das Gasthaus genauer angesehen, wo sich der Mann von Sara in der letzten Zeit öffters aufgehalten hatte. Der Name war ihr während der Fahrt hierher wieder eingefallen.
Plötzlich hört er seine Frau fragen: "Bist du glücklich?" Sie setzt sich auf und sieht ihm in die Augen.
"Was soll die Frage? Natürlich bin ich glücklich." sagt Maik. "Ich liebe dich und Amélie über alles."
"Das meine ich nicht." sagt Bianca. "Bist du glücklich in deinem Job als Sicherheitsberater?"
Maik verschlägt es fast die Sprache. War es so offensichtlich, daß er bei seiner neuen Anstellung nicht die Erfüllung seiner selbst gefunden hatte. Er hatte immer geglaubt ein guter Schauspieler zu sein. Anscheinend lag er da falsch. Bianca hatte seine Unzufriedenheit also doch mitbekommen. Soll er ihr wirklich die Wahrheit sagen? Sie kommt ihm zuvor. "Sag mir die Wahrheit, befriedigt dich dein Job voll und ganz?"
Noch zögert ihr Mann. Doch dann spricht er über seine Gedanken und Gefühle. "Nein, ich finde den Job zum Kotzen. Es tut mir wirklich Leid. Ich habe versucht ein normales Leben zu führen, aber anscheinend bin ich kein geeigneter Kandidat dafür. Ich liebe nun mal meinen alten Job als Bulle. Das Adrenalin was bei jedem Einsatz wie eine urplötzliche Explosion durch meinen Körper schießt, den Kick den ich dabei bekomme, das ist einfach unbeschreiblich schön. Das habe ich heute wieder gemerkt als ich diese Kerle verfolgte. Ich bin nicht dafür geboren Morgens um 6 aus dem Haus zu gehen und nach 8 Stunden langweiliger Büroarbeit den glücklichen Familienvater zu spielen. Bitte, verstehe mich nicht falsch. Ich bin glücklich. Du und mein Engelchen, ihr versüßt mir das Leben und ich möchte euch nie wieder vermissen, aber ich bin nun mal ein Vollblutpolizist. Und das werde ich immmer bleiben."
"Ich weiß." sagt Bianca und lächelt verständnisvoll. Eigentlich hätte Maik auf eine andere Reaktion gewettet, jedoch nicht auf diese. Seine Frau hebt ihre linke Hand und streicht zärtlich über die Binde die er um seinen rechten Oberarm trägt. Dort hatte ihn bei der Hetzjagd auf der Autobahn eine Kugel gestriffen, kurz bevor er die Verfolgung abbrechen mußte.
"Ich habe schon lange gemerkt, daß dich dein Job nicht glücklich macht." sagt Bianca und sieht in Maiks blaue Augen.
"Ach, echt?" hört sie ihren Mann verwundert fragen. "Dabei dachte ich immer, ich bin ein phantastischer Schauspieler."
"Ich kann dir garantieren, mit deiner Leistung gewinnst du nie einen Emmy, eher die Goldene Himbeere." Bianca lacht leise als sie dies sagt.
"Na schönen Dank." Maik tut beleidigt, doch er meint es nicht so. Er ist froh über die positive Reaktion seiner Frau. "Und was jetzt?" will er wissen.
"Ich weiß nun, daß du nur als Cop glücklich bist. Deshalb will ich dir nicht länger im Weg stehen." Sie erhebt sich mit ernster Miene und geht in den Flur. Was ist jetzt? Will sie ihm damit sagen, daß sie ihn verläßt. Zu keiner Bewegung im Stande und mit einem wild schlagenden Herzen in seiner Brust sieht Maik in die Richtung, in die seine Frau verschwunden ist. Ein kalter Schauer zieht sich über seinen Körper und sein Magen rebelliert unangenehm. Die nächsten Sekunden spielen sich wie in Zeitlupe ab. Nach einer für Maik unendlichen Ewigkeit kommt Bianca zurück. Sie wirft ihrem Mann etwas zu. Der fängt das unbekannte Objekt auf und öffnet seine Hand. Darin liegt der Schlüssel von Biancas Auto. "Solange dein Silverado in der Werkstatt ist, überlasse ich dir meinen geliebten Touran. Aber wehe er bekommt einen Kratzer, dann kaufe ich mir nämlich diesen roten Ford Mustang V 6 Cabrio der mir so gefällt. Doch dich lasse ich damit nicht fahren." Bianca weiß um Maiks Liebe zu Autos und daß sie ihn damit tief trifft. Tayler steht vom Sofa auf und geht zu seiner Frau. Liebevoll umarmt er sie, dabei sehen sich beide tief in die Augen. Leise sagt Bianca. "Du mußt mir noch etwas versprechen. Sei bitte vorsichtig und paß auf dich auf." Maik lächelt: "Mach ich. Schließlich ist unsere Familienplanung noch nicht abgeschlossen." Dann küssen sich die Zwei wie frisch Verliebte.

6.

Es ist fast Mitternacht, doch in der Innenstadt von München sind noch viele Leute unterwegs. Die Meisten sind Touristen die nach einem anstrengenden Erkundungstag einen letzten Schluck trinken wollen, bevor sie in ihr Hotelbett fallen. Einige Bars und Gaststätten haben bereits geschlossen, so konzentrieren sich die Nachtschwärmer auf die wenigen noch offenen.
4 schon ziemlich angetrunkene männliche Globetrotter torkeln über den Marienplatz. Scheinwerfer beleuchten nicht nur das neue Rathaus in seinem wunscherschönen neugotischen Baustil, sondern auch den Weg der Gäste. Diese entdecken in einer kleinen Nebenstraße eine Gaststätte die noch geöffnet hat und in der sie ihr Saufgelage fortsetzen können. Doch vor der Tür steht ein Security. Er verwehrt ihnen den Eintritt, schickt sie stattdessen zu einem nahegelegenen Taxistand. So einfach geben die durstigen Besucher jedoch nicht auf. Erst als ein zweiter Wachmann auftaucht sehen sie es ein und verschwinden. Das Geschehen wird von einem Mann beobachtet, der in einem schwarzen VW Touran sitzt. Er registriert seit knapp 40 Minuten jeden Besucher der die Gaststätte betritt bzw. verläßt. Da es im Wageninneren dunkel ist und auch die Straßenbeleuchtung zu dürftig scheint, ist er bis jetzt unentdeckt geblieben. Bereits vor 15 Minuten hatten 3 Männer sein Interesse geweckt. Sie waren mit einem silbernen Mercedes Concept A-Class vorgefahren. Ein nicht gerade billiges Auto. Der Fahrer war im Fahrzeug sitzen geblieben, seine beiden Insassen stiegen jedoch aus. Eindeutig identifizierte der stille Beobachter diese beiden Gäste als Boss und sein Bodyguard. Mit einem Metallkoffer in der Hand betraten sie das Restaurante. Sie wurden anstandslos von dem Mann am Eingang eingelassen. Danach war nichts auffälliges geschehen, bis eben als die 4 betrunkenen Gäste um Einlass baten und ihnen mit Nachdruck dieser verwehrt wurde.
Kaum sind sie außer Sichtweite, verlassen der Mann und sein Bodyguard mit ihrem Koffer die Gaststätte. Steigen in den Mercedes und fahren weg. Der Touranfahrer schreibt sich das Nummernschild auf. Kaum ist er damit fertig, hält bereits das nächste Auto was extrem nach Geld riecht, ein weißer Bentley Brookland. Irgendetwas stinkt hier, das ist offensichtlich. Wieder steigen 2 Männer mit einem Koffer aus, wieder wartet der Fahrer. Auch sie bekommen anstandslos Zutritt. Wie beim ersten Mal dauert es exakt 20 Minuten und sie kommen zurück. Steigen in ihren Schlitten und verschwinden. Zum dritten Mal nähert sich eine Nobelkarosse. Diesmal ein schwarzer Acura TSX. Wieder das gleiche Spiel, Fahrer wartet und die 2 Männer verschwinden mit einem Geldkoffer in der Gaststätte. Doch diesmal will der Fahrer des Touran ihnen folgen. Vorsichtig steigt dieser aus. Es ist Maik Tayler. Er ordnet seinen Anzug und schlendert in Richtung Gaststätte. Den Türsteher fragt er höflich: "Kann man bei ihnen noch einen Absacker trinken? Ich will noch nicht nach Hause gehen, meine eifersüchtige Frau nervt mich. Sie hat mich schon ständig bei der Vorstandssitzung angerufen und wollte wissen, wo ich bleibe." lügt Maik. Seine Bitte um Asyl wird mit einem verständnisvollen Kopfnicken quittiert. "Ja ja, die lieben Ehefrauen. Natürlich können sie noch einen kleinen Betäuber trinken. Aber wir schließen in einer Stunde." "Das reicht mir. Danach ist mir meine Frau egal."
Ohne weiteres gelangt Maik in die Gaststätte. Die gehobene Preisklasse fällt ihm sofort auf. Wenn er hier etwas trinkt und das muß er, wird Bianca ihm sein Taschengeld streichen. Dieser amüsante Gedanke zaubert ein Lächeln auf Maiks Gesicht. Gleich beim Eintreten ist dem geübten Auge des Polizisten eine Tür aufgefallen, vor der dieser Bodyguard aus dem Acura wie ein Bullterrier wacht. An den kommt keiner vorbei. Maik setzt sich so hin, daß er die Tür und den Ausgang im Blick behalten kann. Kaum sitzt er, kommt sofort die Bedienung. "Was kann ich ihnen bringen?" fragt die junge schwarzhaarige Frau. Sie spricht einen ausländischen Akzent, Maik vermutet, daß sie Italienerin ist. Um nicht die Haushaltskasse seiner Frau zu sprengen, bestellt er nur ein Bier. Seine ungewöhnliche Bestellung wird mit einem fragenden Blick entgegengenommen. Doch der ehemalige Polizist ignorriert den Gesichtsausdruck. Zur Zeit sind nicht gerade viele Gäste anwesend. Die wenigen sehen nach gut zahlenden Geschäftsleuten aus. Sie trinken Champagner wie Wasser und amüsieren sich mit jungen Frauen. Maiks Bestellung kommt. Die attraktive Bedienung stellt sein Bier auf den Tisch und setzt sich neben ihn. Sie versucht ihn zu verführen. "Was macht ein hübscher Mann wie sie um diese Zeit noch so ganz alleine? Soll ich ihnen eine von meinen Mädels zur Unterhaltung an den Tisch schicken?" Das war ein eindeutiges Angebot für Bezahlliebe. Schon alleine dafür könnte der Betreiber seinen Laden dicht machen. Doch daran ist Maik nicht interessiert. Er will nur herausbekommen, was es mit den Koffern und diesen reichen Futzis auf sich hat, die in regelmäßigen Zeitabständen eintreffen und nach einer bestimmten Weile wieder verschwinden. Wenn sich der Mann von Sara, Marco Graziano, wirklich ständig in dieser Gaststätte aufhält, was will er hier? Geht er seiner Frau bloß fremd oder hat er was mit den Kerlen in diesem rätselhaften Hinterzimmer zu tun?
"Nein Danke. Ich möchte nur in Ruhe mein Bier trinken." sagt Maik und lächelt.
"Wirklich nicht? Ich hätte für dich auch Zeit. So was süßes wie du kommt selten hier rein." bietet sich die Bedienung nun selbst an. Um seine Tarnung nicht auffliegen zu lassen, sagt Maik: "Jetzt erst einmal nicht, ich hatte gerade eine ziemlich böse Vorstandssitzung. Nach dem 3. Bier komme ich bestimmt auf das Angebot zurück." Damit hatte er alle Bedenken zerstört. "Mach das." sagt die Frau und geht mit einem verführerischen Hüftschwung zurück zu ihrer Theke. Maik muß ihr nachschauen, er ist auch nur ein Mann. Gleichzeitig merkt er, wie seine Hormone verrückt spielen. *Man, konzentriere dich auf deine Arbeit. Du hast eine hübsche Frau zu Hause sitzen und brauchst so etwas nicht.*
Nach 5 Minuten öffnet sich die Tür vor dem der Bodyguard Wache hält. Sein Boss drückt ihm den grauen Metallkoffer in die Hand. Dann verlassen sie die Gaststätte. Maik muß wissen was dort hinten in diesem Zimmer vor sich geht. Er steht auf und sucht die Toilette auf. Die befindet sich auf dem gleichen Gang wie diese geheimnisvolle Tür. Um seine Neugier zu befriedigen, könnte sich Maik rein zufällig in der Tür irren. Doch sein Vorhaben wird jäh zunichte gemacht, als ein weiterer gutgekleideter Mann mit Schatten die Gaststätte betritt und samt Koffer in das Hinterzimmer verschwindet. Maik kann nicht einmal einen Blick ins Innere erhaschen. Als sich dann auch noch dieser Leibwächter vor der Tür aufbaut wie ein Gorilla, bleibt Tayler nichts anderes übrig als doch in der Toilette zu verschwinden. Toll, das war schon mal ein Satz mit X. So kommt er also nicht an brauchbare Informationen heran. Vielleicht aber, wenn er den jetzigen Kunden verfolgt. Wieso ist er nicht schon eher auf diese ungefährliche Idee gekommen. Nein, er muß ja wieder mal den Helden spielen und einfach so vor der Höhle eines Löwenrudels auftauchen. Dabei fühlt er sich wie eine Gazelle die vor dem Maul des Königs der Tiere herumhüpft. Nicht wissend, ob und wann der Fleischfresser zuschlägt. Gott sei Dank war dieser satt bzw. andersweitig beschäftigt. Nur diese Konkubine die ein Auge auf ihn geworfen hatte, wird zutiefst betrübt sein, wenn er auf einmal gehen muß. Maik wird als Alibi einen plötzlichen Anruf als Vorwand zum verschwinden anbringen.
Bevor er die Toilette verläßt, schaut er auf seine Uhr. Der Unbekannte ist seit 5 Minuten in diesem Zimmer, also hat Maik genau eine viertel Stunde um unbemerkt den Rückzug anzutreten. Gleich als er das stille Örtchen verläßt, geht er zur Theke und sagt traurig: "Wir müssen unser Date leider verschieben. Ich habe soeben einen Anruf von meinem Boss bekommen. Er will mich noch einmal sehen."
Die Frau ist sichtlich enttäuscht. "Schade. Falls sie mal wieder in der Nähe sind, dann schauen sie doch einfach rein. Ich würde mich freuen."
"Ich auch." flunkert Maik. "Was schulde ich ihnen für das Bier."
Die Bardame beugt sich provokativ über die Theke, dabei kann Maik genau in ihren freizügigen Ausschnitt sehen. Er muß schlucken und sein Herz fängt an schneller zu schlagen. Sie streicht ihrem Gast zärtlich über die Wange und lächelt sexy. Tayler wird gleichzeitig heiß und kalt. "Das geht aufs Haus." sagt sie und zwinkert ihm zu.
"Danke." Zügig verläßt Maik die Gaststätte. Er schaut noch einmal auf seine Uhr. In 7 Minuten müßte der Kerl mit dem Koffer herauskommen. Daß der Security nicht mehr vor der Tür steht, fällt Tayler nicht auf. Schnell rennt er zu seinem Auto. Als er dort ist, sagt er leise: "Von wegen Goldene Himbeere. Ich glaube, ich muß mit Bianca mal ein ernstes Wörtchen reden." Kaum sitzt er in seinem Fahrzeug, fährt ein Maserati Quattroporte vor. Niemand steigt aus. Doch dann kommt ein Kerl samt Bodyguard und Koffer aus der Gaststätte, steigt in das Auto und schon verlassen sie die Gegend. "Na also." sagt Maik zufrieden. "Wollen wir mal sehen, wohin das kleine Nobelwägelchen fährt." Da auf den Straßen kaum Verkehr herrscht, muß der Ex-Polizist höllisch aufpassen unentdeckt zu bleiben. Es gelingt ihm. Die Insassen in dem Maserati scheinen sich sicher zu fühlen. Sie fahren mit konstanten Tempo stadtauswärts.

7.

Maik verfolgt seit knapp 30 Minuten den schwarzen Maserati Quattroporte. Am Horizont kann man bereits den herannahenden Morgen erahnen. Der Himmel färbt sich allmählich blutrot. Man könnte denken, beide Fahrzeuge nähern sich dem Tor zur Hölle. Eine unangenehme und beängstigende Vorstellung.
Wo will der Fahrer hin? fragt sich Maik. Sie haben schon seit einiger Zeit die Stadt verlassen. Hier draußen gibt es nichts, was das Ziel sein könnte. Als der ehemalige Polizist weit vorn ein Fahrzeug mit Warnblinkanlage auf dem Seitenstreifen stehen sieht, gehen bei ihm alle Alarmglocken an und er drosselt sein Tempo. Hinter dem Pannenfahrzeug hält der Maserati. Wird Maik zufällig Zeuge eines raffiniert eingefädelten Überfalls? Hat jemand mitbekommen, daß in dem Fahrzeug ein Koffer mit jeder Menge Geld liegt? Falls dies der Fall ist, ist es genau der richtige Zeitpunkt um sich als guter Samariter aufzuspielen und den Insassen des Maserati hilfreich zur Seite zu stehen. Wie könnte er besser und unverdächtiger einen Kontakt herstellen. Während sich Maik langsam den beiden Fahrzeugen nähert, öffnet er sein Handschuhfach und holt seine Sig Sauer heraus. Der Fahrer des defekten Autos steigt aus und geht zu dem Quattroporte. Wieder spürt Maik, wie sein Adrenalinspiegel ansteigt und sein Herz das Blut schneller durch die Adern pumpt. Dies verdreifacht sich schlagartig als er hört, wie hinter ihm eine Waffe entsichtert wird und er kurz darauf einen starken Druck gegen seine Nacken spürt. Einen Blick in den Rückspiegel verrät ihm, wer der Geiselnehmer ist. Ein kräftiger Kerl mit Glatze sitzt auf seiner Rücksitzbank. Auf der rechter Halsseite hat er das Wort AEQUITAS eintätowiert. Maik erkennt den Mann sofort. Das ist der Kerl aus dem Polizeirevier mit dem er sich angelegt hatte.
"Man sieht sich immer 2x im Leben. Das müßtest du als Bulle doch wissen." sagt dieser blöd grinsend. "Und jetzt gibst du mir schön langsam deine Waffe nach hinten." Maik hat keine andere Wahl, um nicht erschossen zu werden tut er was ihm befohlen wurde. Dabei hört er in seinem Kopf eine imaginäre Stimme: "Begrüßen sie auf der Bühne des Lebens den einzig nomierten für den Preis der Goldenen Himbeere, Maik Tayler."
"Hast du wirklich geglaubt, du kommst unbemerkt in unsere kleine Umschlagkneipe für Schwarzgeld." will der Kerl mit der Waffe wissen. "Der Türsteher hat sofort gerochen, daß du ein Bulle bist. Gut, daß ich schon wieder draußen war, damit haben ich meinem Chef viel Ärger erspart. Deine dumme Bullenvisage werde ich nie vergessen. Mein Boss war mir sehr dankbar für den Tipp, daß wir eine falsche Ratte im Haus haben. Bevor ich dich umlegen darf, will er aber noch ein paar Worte mit dir wechseln."
"Und wenn ich an einer Konversation nicht interessiert bin?"
"Dann darf ich dich gleich hier abknallen. Deine Entscheidung?"
"Wielange habe ich Bedenkzeit?" will Maik wissen und schaut in den Rückspiegel.
"Solange wie mein Finger braucht, den Abzugshebel meiner Waffe bis ganz nach hinten zu drücken."
"Also weniger als eine Sekunde? Bei diesem überzeugenden Argument sage ich natürlich gern zu zum Tee vorbeizukommen."
"Deine blöden Witze werden dir bald vergehen. Jetzt hupst du brav 2x und fährst langsam weiter."
Maik betätigt seine Hupe jedoch 3 x. Für diese Befehlsmißachtung bekommt er von dem Mann mit dem Griff der Waffe einen schmerzhaften Schlag auf den rechten Oberarm, genau auf seine Schußverletzung. Der Kerl scheint ein gutes Gedächnis zu haben, stellt Maik fest.
"Ich habe 2 x gesagt." faucht ihn der Schlägertyp an.
"Ich wollte bloß mal sehen, ob deine Mitspieler auch zählen können." Dann legt der ehemalige Polizist den ersten Gang ein und fährt langsam los. Sein Oberarm brennt von dem Schlag höllisch. Als sich der Touran in Bewegung setzt, kehrt der Fahrer des angeblichen Pannenfahrzeuges zu seinem Wagen zurück und steigt ein. Die Warnlichter werden abgeschaltet und der linke Blinker gesetzt. "Du folgst meinen Freunden solange, bis ich dir was anderes sage." lautet der Befehl seines Hintermannes. "Und denke nicht mal daran eine Dummheit zu machen. Ich bin nicht von gestern." droht ihm sein Mitfahrer. *Das wollen wir erst mal sehen.* denkt sich Maik. Aber zunächst spielt er das Spiel mit. In angemessenen Abstand folgt er dem blauen Audi A 3.
"Wieso bist du eigentlich schon wieder aus dem Knast raus." versucht Maik ein Gespräch anzufangen.
"Weil man sich auf die Ringbruderschaft verlassen kann."
Wieder schaut Tayler in den Rückspiegel und blickt in das Gesicht seines Entführers. "Ringbruderschaft? Das klingt irgendwie schwuchtlich."
"Paß auf was du sagst, sonst legen wir mal einen kleinen Zwischenstopp ein und ich polier dir deine vorlaute Fresse. Klar?"
"Denke schon. Also, was ist diese Ringbruderschaft?"
"Sie lebt nach dem Prinzip: Stare in piedi per l´altro."
"Das ist italienisch, stimmt´s? Und was heißt das?"
"Füreinander einstehen." Antwortet der Kerl stolz. "Die Bruderschaft läßt keinen ihrer Leute im Knast verrotten."
"Wenn ich richtig verstehe, dann geben sie ihren Gefolgstreuen falsche Alibis?"
"Was sollen deine blöden Fragen? Sie lieber zu, daß du an dem Auto dran bleibst." blafft ihn der Kerl mit der Waffe an. So gibt Maik wieder Gas, denn zwischen ihnen und dem Audi ist bereits ein größerer Abstand entstanden.
Der Fahrer des A 3 sieht in den Rückspiegel und sagt lächelnd zu seinen beiden Mitfahrern: "Der Kerl scheint Maximilian bisschen Ärger zu bereiten."
"Willst du lieber mal anhalten und die Fronten klären?"
"Nein, solange sie hinter uns bleiben ist es ok."
Völlig unerwartet bremst der Touran extrem ab. Alle 3 Männer in dem Audi sehen nach hinten. Der VW fährt kurzzeitig Schlängellinie, dann hält er wieder Kurs.
"Was macht Maximilian mit dem Bulllen? Nicht, daß sie noch einen Unfall bauen."
"Falls es noch einmal vorkommt, werde ich mal kurz anhalten. Zur Not fährt der Kerl im Kofferraum weiter."
Als auf den folgenden Kilometern nichts passiert, beruhigen sich die Männer in dem Audi.
Maik folgt dem blauen Fahrzeug mit einem großen Sicherheitsabstand. Nicht auffällig langsam, aber auch nicht so dicht, daß sie ins Wageninnere schauen können. Denn dort hatten sich seit dem plötzlichen Bremsmanöver die Karten neu gemischt. Als Maik völlig überraschend auf die Bremsen gegangen war, hatte der Kerl seine Waffe verloren und war einige cm nach vorn geflogen. Genau mit der Kinnspitze gegen Maiks Ellenbogen, den er kräftig nach hinten gerammt hatte. Er selbst war angeschnallt und hatte so alles unbeschadet überstanden. Im Gegensatz zu seinem Entführer. Dieser liegt ohnmächtig auf der Rücksitzbank.
Vorbildlich folgt Maik dem Fahrzeug vor sich. So, als ist nichts passiert. Wenn er jetzt abrupt die Richtung wechseln würde, wären sie hinter ihm her. 3 zu 1, nicht die besten Voraussetzung für ein Überleben. Ihm muß etwas anderes einfallen und Maik fällt auch was anderes ein. Grinsend holt er sein Handy aus der Jacke und wählt die 112.
"Sie haben den Notruf gewählt. Wie kann ich ihnen helfen?"
"Ich stehe gerade an einer Tankstelle und habe beobachtet, wie ein blauer Audi A 3 mit dem Kennzeichen M-SA 443 . . . "

8.

So langsam erwacht München aus seinem Schlaf. Immer mehr Fahrzeuge kommen dem Audi und dem VW entgegen. Maik schaut auf die Uhr am Amaturenbrett. Es ist 3.30 Uhr. Sein ungebetener Gast schläft noch seelenruhig auf der Rücksitzbank. Aber bestimmt nicht mehr lange. Langsam dränkt die Zeit. Bis jetzt war auf Maiks Notruf keine Reaktion gefolgt. Immer wieder schaut dieser in den Rückspiegel. Nichts. Vor ihm tauchen bereits die ersten Gebäude von München auf. Es wird bestimmt nicht mehr lange dauern und sie werden ihr Ziel erreichen. Wenn dies geschieht, dann fliegt Maiks kleiner Bluff auf. Dann steht er wirklich vorm Himmelstor und bittet um Einlaß. Doch die Engel haben anscheinend noch kein Interesse an seiner Seele, denn am Horizont tauchen 2 Streifenwagen auf. "Kleine Überraschung." sagt er leise und sieht grinsend zu dem Audi. Kaum haben die beiden Polizeiautos auf der Gegenfahrbahn den A 3 und den Touran passiert, sieht Maik im Rückspiegel, wie diese anhalten, ihre Warnleuten einschalten und zurück in Richtung Stadt fahren. Unmerklich verlangsamt der VW sein Tempo. Der Fahrzeugführer in dem blauen Auto schaut ebenfalls in den Rückspiegel. "Die drehen um." stellt er etwas überrascht fest.
"Wieso? Hast du kein Licht an?" will sein Beifahrer wissen. Der Fahrer sieht seinen Nebenmann strafend an: "Für wie blöd hälst du mich eigentlich? Denkst du, das wäre mir auf den letzten 50 km nicht aufgefallen."
Nun schaltet sich der 3. Insasse ein. "Macht euch nicht verrückt. Vielleicht haben die bloß einen Einsatzbefehl bekommen. Halt einfach an und laß die Bullen vorbei."
Dies tut der Fahrzeugführer auch. Ebenso wie der Touran hinter ihm.
"Hoffentlich dreht Maximilian nicht am Rad und behält seine Nerven."
"Da brauchst du dir keine Sorgen machen. Der bleibt cool."
Die beiden Polizeiautos überholen den Touran und fahren weiter.
"Siehst du, ich hatte Recht. Die wurden zurückgepfiffen." Stellt der Mann auf der Rücksitzbank des blauen Audis erleichtert fest.
Doch damit liegt er voll daneben. Die Polizisten interessieren sich nur für den Audi mit dem Kennzeichen M-SA 443. Ein Fahrzeug hält mit quitschenden Reifen hinter dem gesuchten Model und das andere blockiert die Weiterfahrt. Jeweils 2 Polizisten springen aus ihrem Streifenwagen, entsichern die Dienstwaffen und zielen auf die 3 Männer. Die sind völlig überrumpelt.
"Steigen sie sofort mit erhobenen Händen aus. Sobald sie eine falsche Bewegung machen, werden wir von der Schußwaffe Gebrauch machen!"
Der Fahrzeugführer steigt als erstes aus und sagt: "Das muß ein Irrtum sein. Was werfen sie uns vor?"
"Illegaler Besitz von Schußwaffen!" sagt einer der Polizisten. "Legen sie ihre Hände aufs Autodach und spreizen sie die Beine. Wenn sie sich gegen die Durchsuchung wehren, bekommen sie noch zusätzlich eine Anklage wegen Angriff aus Polizeibeamte. Haben sie das verstanden?" will der Polizist wissen. "Ja." bestätigen die 3 Männer und stützen ihre Hände an das Autodach. Dann werden sie von den Beamten kontrolliert und diese werden fündig. 3 Handfeuerwaffen, 2 Schlagringe und 1 Butterflymesser beschlagnahmen sie. "Ich nehme sie wegen illegalen Besitz von Waffen nach dem Waffengesetz §§ 1 und 2 sowie 51, 52 fest. Außerdem belehre ich sie über ihre Rechte. Sie haben das Recht ....."
Während ihnen der Polizist ihre Rechte vor liest, legen die anderen 3 Beamten den Verhafteten Handschellen an. Ihnen nähert sich ein schwarzer Touran. Als er extrem langsam vorbei fährt, schauen alle 3 Männer ins Innere. Dort sitzt nur dieser Bulle. Er zeigt ihnen mit der rechten Hand sein Handy, lächelt und winkt mit der Linken. Dieses Bullenschwein hat sie doch glatt auflaufen lassen. Aber wo ist Maximilian. Im Auto war er jedenfalls nicht.

9.

Die Sonne ist fast aufgegangen und ihre Strahlen erwärmen langsam die Erde. Über einem großen Waldgebiet hängt der morgendliche Nebel wie ein Schleier aus tausend hauchdünnen Wassertropfen. Trügerische Sicherheit zieht sich durch das Unterholz. Die nachtaktiven Tiere begeben sich in ihre Unterkunft, machen somit ihren Konkurrenten Platz. Ein Adler beobachtet auf der Suche nach Futter, mit wachem Auge die Waldboden. Mitten in dieser menschenlosen Welt steht eine alte Jagdhütte. Sie hat auch schon besser Zeiten erlebt. Die meisten Fenster sind kaputt und das Dach weist bereits erste Löcher auf. Hier war schon lange kein Mensch mehr. Doch der erste Eindruck täuscht, denn hinter dem Jagdanwesen parkt ein schwarzer Touran. Vom Fahrer ist nichts zu sehen.
Centimeter für Centimeter verliert die Dunkelheit die Macht über die Hütte. Sogar jemand der gerade von draußen aus dem Hellen kommt, kann einen gefesselten Mann entdecken. Dieser sitzt auf einem Stuhl, mitten im Raum. Er scheint zu schlafen. Sein kahler Kopf glänzt in den ersten Strahlen des Tages wie ein polierter Spiegel. Ein dumpfer Knall läßt ihn aufschrecken und langsam zu sich kommen. Doch seine Sinne sind noch nicht vollkommen erwacht. Schritte nähern sich, verstummen jedoch wieder ohne das die fremde Person etwas sagt. Undefinierbare Geräusche sind zu hören. Langsam merkt der Gefangene, daß er wach ist und nicht träumt. Die Fesseln um seine Hände sind real und nicht fiktiv. Die Schmerzen an seinen Handgelenken echt, auch die an seinem Kinn. Sein Kopf fühlt sich wie eine Bombe kurz vor der Detonation an. Was ist passiert, wie ist er hierhergekommen? Nur wenn er die andere Person anschaut, wird es ihm wieder einfallen, das weiß er. So hebt er mit einem leisen Stöhnen seinen kahlrasierten Schädel.
"Guten Morgen Lockenköpfchen." hört er die spöttische Stimme seines Kerkermeisters. "Wird auch langsam Zeit, daß du wach wirst. Ich habe einige Fragen an dich, die du mir beantworten wirst."
"Einen Scheiß werde ich tun." kontert der Gefangene. Sein Blick ist noch unklar. Doch nach einigen Minuten erkennt er seinen Geiselnehmer, es ist dieser Bulle. Er hat sich mit dem Rücken an eine alte Kommode gelehnt und die Arme vor seinem Körper verschränkt. Seine Haltung verrät eindeutig seine Machtposition.
Grinsend sagt der Gefangene zu ihm: "Oh, du weißt ja gar nicht was du dir damit für einen Ärger eingehandelt hast."
"Ich weiß schon, die Bruderschaft. Aber die wird dich nicht finden, darauf kannst du einen lassen. Und wenn du nicht kooperativ bist, dann lasse ich dich hier verrecken. Glaube mir, hier findet dich niemand. Das hier ist ein altes Sperrgebiet."
"Du erlaubst doch, wenn ich lauthals lache. In und um München gibt es keine Sperrgebiete."
"Wieso bist du dir so sicher, daß wir noch in München sind? Du hast fast 24 Stunden geschlafen. Deine sogenannte Bruderschaft wird schon längst die Suche nach dir aufgegeben haben."
"Was hast du Dreckschwein mir gegeben?" fragt der gekidnappte Mann ungehalten und reißt dabei an seinen Fesseln.
"Ich habe dir bloß bisschen Midazolam gespritzt. Damit hast du bis jetzt wie ein Baby geschlafen."
"Aber nun bin ich wach und werde dir in deinen Bullenarsch treten."
"Wenn du dich befreien könntest, würde ich dir das auch glauben, aber so. Tut mir leid, klingt deine Drohung wie ein Witz."
"Dir wird das Lachen schon noch vergehen wenn dir meine Freunde den Arsch aufreißen."
"Wie schon gesagt, da ist noch diese Kleinigkeit. Sie haben nicht den blassesten Dunst wo du bist."
"Glaube mir, die werden mich finden." dies sagt der Kerl mit so einer Überzeugungskraft, daß Maik kurzzeitig ins Zweifeln kommt, ob er wirklich das Richtige tut. Noch dazu, weil der Kerl höchstens 2 Stunden geschlafen hat und sie immernoch in der Nähe von München sind. Das mit dem Midazolam war eine Finte. Maik hat sich mit seinem Gefangenen auf einen alten SEK-Übungsplatz zurückgezogen. Dieser wurde schon längst aus den Akten gestrichen, war damit also sicher.
"Wenn du mir meine Fragen beantwortest, lasse ich dich laufen. Versprochen."
Der Mann lacht. "Das Versprechen eines Bullen ist einen scheiß Wert." Um seinen Worten den nötigen Nachdruck zu verleihen, spuckt er in Maiks Richtung.
"Na gut, ich gebe dir 5 Minuten Bedenkzeit, dann frage ich noch einmal."
"Du kannst mich Fragen bis du schwarz wirst, ich werde dir nicht antworten."
Überlegen lächelnd wendet sich Maik Tayler ab. Als er vor einigen Minuten die Hütte betreten hatte, hatte er den Sanikasten aus dem Auto geholt. Nun öffnet er ihn, zieht vorsichtig seine Anzugjacke aus und wirft sie auf ein altes Sofa. Ein Blick auf seinen rechten Oberarm verrät ihm, daß seine Wunde wieder blutet. Die Binde kann die Blutung nicht mehr stoppen und färbt bereits den Hemdärmel rot. Leise stöhnend entledigt er sich auch seines Hemdes. Als sein Oberkörper nackt ist, kann Maximilian, sein Gefangener, auf dessen Rücken 3 Einschüssnarben sehen. Der Kerl scheint dem Tod nicht zum ersten Mal von der Schippe gesprungen zu sein. Das könnte zum Problem werden. Mit Einschüchterungen kommt er bei dem Kerl nicht weiter, daß weiß er sofort. Aber er weiß auch, daß er als Bulle keinen Menschen foltern darf. Dies androhen vielleicht, aber wirklich Hand anlegen, das verstößt gegen seinen Polizisten-Kodex.
Maik sucht etwas passendes um die Blutung zu stoppen, doch in dem Erste-Hilfe-Set gibt es nichts brauchbares. So schaut er sich um und findet eine Schachtel mit Sekundenkleber. Als er dann auch noch liest, daß dieser Cyanoacrylsäure enthält, ist er zufrieden. Schnell öffnet er die Tube und geht ans Fenster um besser sehen zu können. Dabei fällt seinem Gefangenen eine zweite großflächige Wunde auf. Sie geht vom Bauchnabel bis zur linken Hüfte. Der Kerl scheint ein harter Brocken zu sein. So langsam bekommt Maximilian doch Schiss vor diesem Bullen. Ob er überhaupt weiß, was ein Polizisten-Kodex ist? Hoffentlich.
Dieser Bulle scheint zu wissen was er tut. Mit dem Sekundenkleber verschließt er seine Wunde. Danach verbindet er seinen Arm neu und zieht sein Hemd darüber. Mit einem kurzen Blick schaut er zu seinem Gefangenen. "Und? Hast du dir überlegt auf meine Fragen zu antworten?" Er schließt sein Hemd und steckt es in seine Hose.
"Mit Bullenschweine kooperiere ich nicht."
"Schlecht für dich." sagt Maik eiskalt. Dann tritt er dicht vor seinem Gefangenen hin. "Schaust du gern Fernsehen? Wie findest du Actionfilme?"
"Wollen wir jetzt über unsere Lieblingsfilme plaudern? Falls ja, dann hätte ich gern einen Kaffee und ein Stück Kuchen dazu."
"Kennst du Jack Bauer?" fragt Maik. Das erste Mal glaubt er Angst in den Augen seines Gegenüber zu erkennen.
"Diesen CTU-Agenten? Ja, warum?"
Maik lächelt und seine blauen Augen funkeln. Dann flüstert er seinem Opfer leise ins Ohr: "Er ist mein heimliches Vorbild. Ich denke, du weißt was das bedeutet." Ohne auf eine Antwort zu warten, wendet sich Tayler ab. Seine Worten haben den richtigen Eindruck hinterlassen, da ist er sich sicher.
"Der Kerl ist nur eine Filmfigur, aber du bist ein echter Polizeibeamter. Du darfst so etwas gar nicht machen."
Maik dreht sich wieder herum. Lächelnd sagt er: "Ich muß dich leider korrigieren, ich WAR Polizeibeamter. Jetzt arbeite ich eher auf privater Basis."
"Falls du denkst, damit kannst du mich einschüchtern, dann hast du dir den Falschen ausgesucht. Mich bekommst du nicht zum reden."
"Oh doch, das werde ich. Es hängt nur davon ab, wieviel Schmerzen du aushälst."
Maik dreht sich erneut herum, sucht auf der verwüsteten Anrichte etwas. Schließlich findet er eine alte Ahle. Die hatten sie immer benutzt, um nach einem Trainingseinsatz mit Vollausrüstung diese zu raparieren. Mit dem Werkzeug in der Hand wendet er sich erneut an seinen Gefangenen. "Eure Schwarzgeldschieberei ist mir völlig egal. Auch eure kleine Dienstleistung willige Mädchen an zahlende Kunden zu vermieten."
"Was willst du dann?" fällt ihm der Mann ins Wort.
"Ich suche einen gewissen Marco Granziano. Kennst du den?" will Maik wissen, dabei achtet er genau auf die Reaktion seines Gefangenen.
"Nie von dem gehört." antwortet Maximilian etwas zu schnell.
"Sicher?" fragt Tayler nach.
"Ja, wer soll das sein? Oder warte mal, ich glaube so heißt unser Pizzalieferant." sagt dieser Kerl und grinst.
Auch Maik lacht. "Du glaubst wohl du kannst mich verarschen?" fragt er und geht zu dem Mann. Mit einem kräftigen Faustschlag beendet er dessen grinsen. Der Hieb war so hart, daß dem Kerl sofort seine Unterlippe aufplatzt. Das Blut färbt seine Zähne rot, füllt seinen Mund mit der klebrigen Flüssigkeit des Lebens. Er spuckt es auf den Boden und schaut seinem Peiniger fest in die Augen. "Und wenn du mich noch so schlägst, ich kenne keinen Granziano."
"Dabei hat mir seine Frau gesagt, daß er Stammkunde in eurer Kneipe ist."
"Vielleicht hat sie sich geirrt."
"Glaube ich nicht. Sie hat selbst gesehen, daß er hineingegangen ist. Weißt du was ich eher denke, daß er was mit der Geldwäsche zu tun hat, die ihr im großem Stil durchzieht."
"Was für Geldwäsche?" fragt der Kerl dummdreist.
Maik setzt ein kaltblütiges Lächeln auf, was den Mann innerlich erschauern läßt. Dabei funkeln die Augen des Polizisten zu allem entschlossen. "Weißt du wo dein Nervus femoralis liegt? Und was passiert, wenn ich dir diese Ahle dort hinein stoße. Nicht weit, nur paar cm. Der Nerv liegt ziemlich obenauf." Tayler führt die Spitze des Werkzeuges über die Halsschlagader und das Tattoo des Mannes, dann geht er weiter nach unten. Maik sieht, wie sich der Adamsapfel des Kerls bewegt, er mußt durch den Stress mehr schlucken. Als die Spitze weiter nach unten wandert in Richtung Genitalien, nimmt auch die Atmung und der Herzschlag des Mannes zu. Sein Brustkorb hebt und senkt sich extrem schnell. Maik verstärkt im Bereich Unterleib den Druck und sofort stöhnt der Mann auf. Er hat Angst um seine Manneskraft und rückt auf der Stuhlfläche weiter nach hinten. Seine Hände spannen sich und versuchen die Fesseln zu zerreißen, doch das ist aussichtslos. Maik schaut dem Mann wieder ins Gesicht. Auf dessen kahlen Kopf sind große Schweißperlen zu sehen. Schließlich drückt Tayler die Spitze leicht in den linken Oberschenkel seines Gefangenen. "Hier befindet sich dein Nervus femoralis. Falls du jetzt denkst: Pah, da liegt ja nichts wichtiges, muß ich dich enttäuschen. Dieser Nerv versorgt dein Hüftgelenk und dein Knie. Wenn ich den verletzte, kannst du deine Hüfte nicht mehr beugen, oder dich aus dem Liegen aufrichten. Selbst Sitzen bzw. Stehen wird dir in Zukunft schwerfallen. Dein Knie kannst du nie wieder aus eigener Kraft strecken. Wenn du Pech hast, wirst du nur noch Humpelnd oder Hinkend laufen können. Daher frage ich dich noch einmal, kennst du Marco Graziano?"
Maximilian lächelt und schweigt. Er ist von seiner Standhaftigkeit überzeugt. Niemand wird ihn gegen seinen Willen zum Reden bringen, auch nicht dieser Bulle. Außerdem ist es nur eine Frage der Zeit, bis er Hilfe bekommt. Die Bruderschaft läßt keinen ihrer Mitglieder hängen. Sie lebt getreu nach dem Motto: Stare in piedi per l´altro (Füreinander einstehen). Sie werden schon nach ihm suchen und wenn sie ihn gefunden haben, dann werden die Karten neu gemischt. Dann wird er diesem Bullen mal paar Fragen stellen.
"Maledetto ragazzo, si sa cosa si puó." (Scheiß Bulle, du kannst mich mal.) sagt er deshalb und sieht Maik siegessicher an.
"Ich nehme mal an, das bedeutet NEIN."
Ein lauter Schmerzensschrei durchzieht den Wald. Läßt Vögel erschrocken auffliegen und die Tiere die auf dem Boden leben flüchten.

10.

Nach einigen Minuten beruhigt sich die Stimmung im Wald. Die Tiere gehen wie gewohnt ihrer Lieblingsbeschäftigung nach, dem Beute schlagen um sie anschließend zu fressen.
Maik steht noch immer vor seinem Opfer. Der Körper von Maximilian ist mit Schweiß bedeckt und er zittert vor Schmerz. Aus einer kleinen Einstichstelle oberhalb des linken Oberschenkels sickert Blut. Man, der Bulle hatte mit seiner Beschreibung tatsächlich nicht übertrieben, denkt sich der Gefangene. Die Verletzung war wirklich nicht tief, aber der Schmerz echt heftig gewesen. Gleich nach dem Einstich hatte sich ein Feuer durch seine gesamten Innereien gezogen. Sein Blut heizte sich in Sekunden zu einem heißen Magmastrom auf, der explosionsartig durch seine Venen, auf der Suche nach irgendeiner Abkühlung, geschossen war. Das Resultat daraus, eine extreme Schweißabsonderung. Das wässrige Sekret läuft ihm in kleinen Rinnsalen über Brust und Rücken, selbst von seiner Glatze tropft es. Sein Herz hat die kritische Marke von 180 Schlägen pro Minute fast erreicht. Noch so eine Aktion und sein Körper wird den Notknopf drücken, ihn zum Eigenschutz in eine tiefe Bewußtlosigkeit schicken. Maximilian ist athletisch gebaut und daher kommen seine Organe mit dieser kurzzeitigen Streßsituation zurecht.
Während sein Gefangener verzweifelt versucht gegen die drohende Ohnmacht anzukämpfen, geht Maik zur Kommode zurück. Ihm läuft die Zeit davon. Je länger dieser Kerl schweigt, desto weiter können sie Léon wegbringen. Ist er erst einmal in Italien bei den Eltern von Sara´s Mann, wird es für die italienischen Carabinieris schwierig werden den Kleinen zurückzuholen. Also wird Maik bei seinem Frage-Antwort-Spiel einen Gang höher schalten. Auf der Suche nach etwas passendem um die Auskunftsfreudigkeit des Mannes zu erhöhen, fällt sein Blick auf eine dunkelgrüne alte und zerbeulte Metalldose. Darauf steht: Aceton E-Coll. Der Name eines Abbeizmittels. Damit dürfte Maik die Teamworkbereitschaft von diesem Maximilian doch erheblich ankurbeln können. Mit einem Lächeln nimmt er die Dose und dreht sich zu seinem Gefangenen. Dieser sieht ihn mit haßerfüllten Augen an, sagt: "Sei un uomo morto, semplicemente non lo sanno."
"Kannst du mal so mit mir reden, daß ich dich auch ohne Dolmetscher verstehen kann." fragt Maik. Dabei hält er das Abbeizmittel in seiner Hand.
"Ich habe gesagt: Du bist ein toter Mann, du weißt es nur noch nicht."
"Und du wirst bald ein Mann mit Pflegestufe 3 sein, wenn du weiterhin meine Fragen ignorierst." droht Maik und seine Augen bestätigen seine Entschlossenheit.
"Du verdammtes Bullenschwein wirst mich nie zum Reden bringen, darauf kannst du deinen Arsch verwetten. Ach nein, der gehört mir ja schon, sobald mich meine Leute befreit haben."
"Man, du bist echt von deiner Stärke und dem Erfolg deiner Bruderschaft überzeugt." sagt Maik und tut begeistert. Dann zwinkert er den Mann an und sagt mit einem unbamherzigen Lächeln: "Ich werde es trotzdem mal probieren dich zu brechen. Dabei wird mir diese Dose mit Abbeizmittel sehr hilfreich sein."
Langsam nähert sich Maik seinem Gefangenen. Mit der gleichen Gelassenheit schraubt er den kleinen Plasteverschluss ab. Als er damit fertig ist, riecht er nur kurz an dem Inhalt. Der stechende Geruch läßt sofort seine Nasenschleimhaut schmerzen.
"Wau, das Zeug ist mit den Jahren noch böser geworden. Willst du mal riechen?" fragt Maik und hält seinem Gefangenen die offene Dose unter die Nase. Dieser dreht ruckartig seinen Kopf weg.
"Soooo, kommen wir noch mal zu meiner Frage zurück: Kennst du Marco Graziano und wieviel hat er zu sagen?"
"Kiss my ass su." sagt der Mann. Maik kann sich denken was dies zu bedeuten hat. Jedenfalls nicht, daß der Kerl gewillt ist auf seine Fragen zu antworten.
Bedächtig nähert sich der ehemalige Polizist mit der Dose der Wunde und gießt einiges vom Inhalt darüber. Kaum trifft das Abbeizmittel auf die offene Stelle, brüllt der Kerl wie am Spieß. Es fühlt sich an, als ob dieser Bulle ihm Napalm über den Körper gekippt hätte. Diesmal überschreitet sein Herzschlag den kritischen Punkt und sein Gehirn betätigt letztendlich den Schalter auf dem "Knockout" steht.

11.

Maik stellt die Dose zurück auf die Kommode und schaut auf seine Uhr, 7.20 Uhr. Bianca wird sich bestimmt schon Sorgen machen. Schließlich wollte er nur mal kurz bei dieser Gaststätte vorbeischauen in der sich der Mann von Sara so oft aufgehalten hatte. Er blickt zu dem auf einem Stuhl gefesselten Mann und Maik weiß, daß dieser noch etliche Zeit in der Schattenwelt verweilen wird. Warum diese Pause nicht nutzen und seine Frau anrufen. Ihr sagen, daß alles in Ordnung ist, es aber bestimmt etwas später wird. In dem Gehirn des ehemaligen SEK-Mannes legt sich ein unsichtbarer Schalter um. Sein ICH wechselt binnen weniger Sekunden von Folterknecht auf liebenden Ehemann und führsorglichen Vater.

"Hallo Bianca, ich wollte mich mal kurz melden. Damit du weißt, daß bei mir alles in Ordnung ist." sind Maiks erste Worte als seine Frau das Gespräch entgegen nimmt. "Schön, ich habe mir nämlich schon Sorgen gemacht." Tayler lächelt, wußte er es doch. Seine geliebte Frau macht sich schnell unnötige Gedanken. Gut, unnötig vielleicht nicht, denn Maik hatte sich schon oft in die dicksten Fettnäpfchen hinein katapultiert. Öffter als ihm lieb war. "Das habe ich mir schon gedacht. Nein, bei mir ist alles Bestens. Wie geht es euch? Hat sich Sara etwas beruhigt?"
"Ja. Sie ist gerade aufgestanden und zieht sich an."
"Und mein Engelchen, wie geht es meinem Stern?"
"Sie liegt noch in ihrem Bettchen, aber ich höre sie schon nach ihrem Papa rufen. Was denkst du, wann du kommen kannst?"
Gute Frage, dieselbe stellt er sich soeben auch. Ein kurzer Blick zu seinem Gefangenen und Maik bekommt seine Antwort. Erst wenn dieser Kerl zusammenbricht und anfängt zu reden, erst dann kann er nach Hause gehen. Wielange dieser allerdings standhaft bleiben wird, kann niemand vorhersagen. Nur sein Opfer kennt die passende Antwort.

Ein klingeln läßt Maik aufhorchen. Es kommt aus seinem Handy. Bei ihm zu Hause hat es an der Tür geläutet. "Ich gehe schon." hört er Sara im Hintergrund rufen. "Frage aber erst, wer es ist." ermahnt Bianca ihre Freundin. So ist es Richtig, denkt sich Maik. Er hatte seine Frau immer davor gewarnt, voreilig die Tür zu öffnen. Mit einem zufriedenen Lächeln quittiert er die Worte seiner Geliebten. "Was hast du gesagt, wann du kommst?" wendet sich Bianca wieder an ihren Mann. "Ich weiß noch nicht genau. Aber ich denke, so gegen Mittag müßte ich fertig sein." "Womit fertig?" will Bianca wissen. Shit, damit hatte sich Maik selbst in eine prekäre Lage manövriert. Soll er ihr die Wahrheit sagen, daß er erst einen Mann weiterfoltern muß, damit dieser endlich sein Maul aufmacht. Oh nein, das kann er ihr auf keinen Fall sagen. Wieder ist Sara im Hintergrund zu hören. "Es ist der Postbote. Er hat für eure Nachbarin ein Päckchen. Diese scheint aber nicht zu Hause zu sein, deshalb will er wissen, ob wir es nicht annehmen könnten."
Von einem plötzlichen Gedankenblitz getroffen, stellt sich Maik eine Frage. Warum sollte seine 86 Jahre alte Nachbarin nicht zu Hause sein? So schreit er in sein Handy: "Laßt die Tür noch zu! Sagt ihm, daß er kurz warten soll, weil ihr euch erst was anziehen müßt. In der Zeit gehe bitte auf den Balkon und sieh nach, ob ein Auto von DHL oder einem anderen Päckchendienst vor dem Haus parkt."
"Warum? Verheimlichst du mir was?" fragt Bianca.
"Nein. Tue es einfach. BITTE."
"Ok. Aber wenn du wieder zu Hause bist möchte ich eine Antwort für diese übertriebene Vorsichtsmaßnahme."
"Ja, dann erkläre ich dir alles. Jetzt mach bitte worum ich dich geben habe."
Wieder klingelt es an der Tür. "Warten sie, ich muß mir erst was anziehen. Es geht auch ganz schnell!" Ruft Bianca, dann sind Schritte zu hören. Sie geht anscheinend in Richtung Balkon. Maik hört, wie die Tür geöffnet wird. Der Straßenlärm verstärkt sich, ansonsten ist es ruhig. Diese Ungewißheit macht Maik nervös. "Was ist los Bianca? Steht da nun ein Postauto oder nicht?"
"Warte doch mal ab. Ich muß mich etwas über die Brüstung beugen. Nein, da steht kein Auto, bloß ein blauer Audi."
Maik trifft diese Feststellung wie ein präzise ausgeführter Schlag mitten in seinen Solar plexus. Läßt seinen Blutdruck sofort ansteigen und seine Gehirnzellen verrückt spielen. Ist es etwa DER blaue Audi oder ist es nur Zufall. Diese Kerle können unmöglich schon wieder auf freiem Fuß sein. Mit einem entsetzten Blick in seinen Augen schaut er zu seinem Gefangenen. Stimmt es etwa doch was der Kerl ihm über die Bruderschaft angedeutet hatte und deren Macht? Das ist für deutsche Verhältnisse undenkbar. Trotzdem will er lieber auf Nummer sicher gehen.
"Wahrscheinlich bin ich neurotisch mißtrauig, aber öffnet dem Kerl nicht die Tür. Sagt ihm, daß er bitte doch noch einmal wiederkommen soll, weil ..... " Ja, warum? Maik fällt auf die schnelle keine logische Ausrede ein. Seine Frau hilft ihm: "Du bist wirklich übertrieben vorsichtig, da muß ich dir Recht geben. Aber komisch ist es schon, daß kein Postauto vor der Tür steht." Wieder sind Schritte zu hören, dann ruft Bianca laut: "Ach, mir ist gerade eingefallen, daß die Frau Meißner ja für 4 Wochen zur Kur gefahren ist. Würden sie das Päckchen deshalb bitte an den Absender zurückschicken. DANKE."
"Ja, kein Problem." sagt der Postbote freundlich, der bis jetzt anstandslos vor der verschlossenen Tür gewartet hatte.
"Siehst du, du warst wieder einmal übervorsichtig. Der Kerl war bloß ein armer Postbote und nichts anderes. Vielleicht hat er sein Auto um die Ecke stehen lassen und ist die paar Meter gleich zu Fuß gegangen. Wo waren wir gerade stehengeblieben?" knüpft Bianca den letzten Gesprächspunkt wieder auf.
Maik atmet erleichtert auf. Fährt sich mit der linken Hand über seine Stirn, die von der Anspannung ganz feucht ist.
"Ach ja. Ich wollte wissen, wann du nach Hause kommst?" Gerade als Maik seiner Frau antworten will, hört er 3 oder 4 dumpfe Geräusche aus seinem Handy kommen. Dann splittert Holz. Zuerst schreit Sara, die Freundin von Bianca. Wieder dieser dumpfe Laut, 2 x und die Mutter von Léon ist augenblicklich still. Sofort weiß der Ex-Special Agent Maik Tayler, daß die dumpfen Geräusche Schüsse aus einer schallgedämpften Waffen sind. Seine schlimmste Befürchtung hat sich bestätigt. Dieser Postbote war nicht das, wofür er sich ausgegeben hatte, sondern ein Auftragskiller. Maik glaubt einen Herzanfall zu bekommen, als er seine Frau schreien hört. Auch seine Tochter heult im Hintergrund. "Warte, ich komme und helfe euch!" brüllt er in sein Handy und rennt zu seinem Auto. Noch immer bekommt er Geräusche aus seiner Wohnung mit. Diesmal hört er einen klatschenden Ton, dann bricht die Verbindung zusammen. In blinder Verzweiflung und von Wut angetrieben, tritt Tayler aufs Gas. Der Touran schlenkert durch den Blitzstart hin und her, kollidiert faßt mit einem Baum. Moos und dreckige Erde wird über die Räder nach hinten geworfen und verteilt sich wieder auf dem Waldboden. Tayler ist die Straßenverkehrsordnung völlig egal, er will nur noch zu Frau und Kind.

Wütende Autohupen und schimpfende Fußgänger begleiten seinen Weg in Richtung Englischen Garten. Dort trifft er bereits nach 30 Minuten ein. Eine Recordzeit für die 54 km.
Die Pole Position ist Maik egal, er will bloß wissen wie es seiner Familie geht. Von einem blauen Audi ist weit und breit nichts zu sehen. Angst und Sorge sind seine Antriebskraft, durch seine Adern scheint kein Blut mehr zu fließen, sondern V-Power-Benzin mit 100 Oktan. Er rennt die Treppen hoch zu seiner Dachgeschosswohnung. Noch nie zuvor waren ihm die Stufen so zahlreich vorgekommen, fast unüberwindlich. Sein von Anstrengung gefordertes Herz hämmert in seiner Brust wie ein hochgezüchteter Rennmotor kurz vor einem Black-out. Die letzte Etage, in wenigen Sekunden wird er sein Ziel erreichen, seine Wohnungstür. Gleich wird er wissen, ob seine Frau und seine geliebte Tochter noch am Leben sind. Maik verlassen zusehens seine Kräfte. Seine Atmung ist bedrohlich schnell und seine Lungen schmerzen. Mit letzter Kraft greift er nach seiner Sig Sauer die er am Rücken im Gürtel stecken hat. Zieht den Schlitten mit unsagbarem Kraftaufwand nach hinten, macht so seinen einzigsten Halt den er jetzt noch hat, schussbereit. Die letzten 2 Stufen! Er ist oben und die Wohnungstür angelehnt. Maik versucht etwas zu hören, aber er hört nur sein Blut wie es in seinen Adern arbeitet um seine Organe mit dem lebensnotwendigen Sauerstoff zu versorgen. Das Türschloss gleicht einem Sieb. So hätte nicht mal die sicherste Schließanlage den garantiert darauffolgenden Tritt standgehalten. Man kann noch genau die Stelle sehen, wo der Kerl seinen Fuß in die Tür gerammt hatte. Maik umgreift seine Waffe fester. Durch seine verschwitzten Hände spürt er das kalte Metall was ihm eine trügerische Macht verleiht. Unnötige Geräusche vermeidend, nähert er sich der Tür. Sein Herz rast noch immer, sein Körper ist schweißgebadet und seine Knie weich wie Butter. Welchen Anblick wird er zu sehen bekommen? Gleicht seine Wohnung einem Schlachtfeld? Einem Schlachtfeld mit 3 Leichen. Maik muß schlucken und seine Augen füllen sich mit Tränenflüssigkeit. Wird er ein weiteres Mal seine über alles geliebte Partnerin verlieren? Und was ist mit seiner Tochter? Wird sie Tod neben ihrer Mutter liegen? Bevor in Maiks Gehirn noch mehr Fragen auftauchen, hört er etwas aus der Wohnung. Ist dieser Postbote vielleicht noch da? Gibt er sich mit dem Tod der 3 Frauen nicht zufrieden, will er auch noch Maiks Leben auslöschen? Bitteschön, wenn seine Frau und Kind Tod sind, dann will er auch nicht mehr Leben. Doch er wird es dem Kerl nicht zu leicht machen. Noch einmal umgreift Maik seine Waffe, rammt dann seinen Fuß gegen die Tür und stellt sich zur Sicherheit daneben an die Wand. Wiedererwartend fällt kein Schuss. Hat sich Maik das gehörte Geräusch nur eingebildet? Mit einem Satz erscheint er in der Tür, die Waffe im Anschlag. Ein entsetzlicher Anblick bietet sich ihm. Sara liegt auf dem Boden. Sie versucht sich mit letzter Kraftanstrengung zum Handy ihrer Freundin zu schleppen. Dieses liegt auf dem Fußboden, etwa 3 Meter vor ihr. Auf dem Rücken von Sara kann Tayler Blut sehen. Soviel Blut, daß sie es unmöglich überleben kann. Selbst auf dem Boden kann man den Weg nachvollziehen den Biancas Freundin genommen hatte. Eine rote Schleifspur zieht sich von der Tür bis hin zu ihrem geschundenen Leib.
"Mein Gott Sara!" ruft Maik und rennt ins Zimmer. Er kauert sich zu ihr hinunter, legt seine Waffe auf den Boden und dreht die Freundin von Bianca vorsichtig auf den Rücken. Ihr Körper weist 2 Einschusswunden auf. Eine zwischen ihren Brüsten und eine nur wenige cm neben ihrem Herzen. Dem Schützen schien es wichtig gewesen zu sein, daß sie bei Maiks eintreffen noch lebt. Ansonsten hätte er präziser geschossen.
"Du hattest Recht." bringt sie nur mit Mühe über ihre Lippen. "Du darfst dich nicht zu sehr anstrengen. Ich werde gleich einen Rettungswagen rufen." sagt Maik und schon greift er nach seinem Telefon. Doch Sara hält seine Hand fest. Tayler erschrickt als er spürt, daß Sara eiskalt ist. "Nein, dafür ist es zu spät. Ich spüre es, mein Ende ist gekommen. Aber ich habe keine Angst davor." sagt sie, dann wird ihr Körper von einem heftigen Hustenanfall durchzogen. Blut kommt aus ihrem Mund, das sicherste Anzeichen für einen nahenden Tod. Dem hartgesottenen Polizisten läuft eine Träne über die Wange, dann eine Zweite gefolgt von einer Dritten.
"Sie haben Bianca und Amélie mitgenommen."
"Sie?" fragt Maik nach.
"Ja, sie waren zu Zweit. Einer von ihnen hatte eine auffällige Tätowierung an der rechten Halsseite." Wieder muß Sara husten. Ihr Blut ist jetzt Dunkelrot, fast schwarz. Ein Zeichen dafür, daß sich langsam ihre Lungen füllen. Tayler kann sie kaum noch verstehen als sie weiterspricht: "Da stand AEQUITAS."
Das kann nicht sein! Schreit jede Zelle in Maiks Gehirn. Ein Kerl mit genau dieser Tätowierung hat er bereits in seiner Gewalt. Also existiert diese Bruderschaft doch.
"Ich hoffe das hilft dir bei der Suche nach deiner Frau und deiner Tochter."
"Ja, damit hast du mir sehr geholfen." sagt Maik und wieder rollt eine Träne über sein Gesicht.
"Versprich mir noch eins." sagt Sara, dann schließen sich ihre Augen und ihre Atmung wird stockender. Ein letztes Mal öffnet sie ihre Lider. "Versprich mir nach meinem Sohn zu suchen und wenn du ihn gefunden hast, bitte kümmert euch gut um ihn."
Maik muß schlucken damit er seine Tränen zurückhalten kann. "Ich verspreche es dir." sagt er leise. Sara lächelt, dann holt sie noch einmal tief Luft, danach versagen ihre Lungen und ihr Herz. Ihre Hand fällt kraftlos nach unten und läßt die von Maik los. Tayler kann seine Tränen nun nicht mehr zurückhalten. Schluchzend kauert er neben Sara.

Gestern war die Welt für beide Familien noch in Ordnung gewesen und Heute? Heute ist es vorbei. Sara ist Tod, ihr Sohn wer weiß wo. Und Bianca sowie Amélie? Werden ihre Namen zeitlebens auf einer Liste mit weiteren vermißten Menschen stehen. Vermißte die nie wieder auftauchen? Solange Maik lebt, wir er nach seiner Familie suchen. Wenn die Kerle Krieg wollen, dann sollen sie ihn bekommen.

12.

Auch 5 Minuten später sitzt Maik noch völlig verzweifelt neben Sara. Seine Augen sind rot vom Heulen. Wo soll er ansetzen um seine Frau und Amélie zu finden? Da gibt es nur eine Möglichkeit, er muß diesen Kerl in der alten Jagdhütte unter allen Umständen zum Reden bringen.
Maik´s Handy klingelt. Erst ignoriert er es. Er möchte jetzt mit niemanden sprechen. Doch dieser nervige Ton hört nicht auf. Dann schießt ihm ein Gedanke durch den Kopf, daß er ja längst auf Arbeit hätte sein müssen. Kraftlos wischt er sich die Tränen vom Gesicht, greift in seine Hosentasche und holt sein Handy heraus. Ohne auf das Display zu schauen meldet er sich:
"Ja ich weiß, ich bin zu spät dran. Ich fühle mich nicht gut. Vielleicht nehme ich einen Tag frei."
"Das ist auch besser für dich. Ansonsten sind deine Frau und deine Tochter Tod." sagt eine fremde männliche Stimme.
Sofort ist Tayler hellwach. "Wo ist meine Familie? Was habt ihr mit ihr gemacht?"
"Sie als kleine Absicherung mitgenommen. Wenn du nicht tust was wir verlangen, dann werden wir beide fesseln, mit paar Steinen beschweren und in irgendeinem See ersäufen. Damit du weißt, daß wir es ernst meinen, haben wir als Beweis diese kleine Eheschlampe zurückgelassen. Ich nehme mal an, sie hat bei deinem Eintreffen noch gelebt."
Maik schaut zu Sara. Also war es doch geplant, daß sie noch genausolange lebt, bis er in der Wohnung ankommt. Sie sollte der Beweis für die Kaltblütigkeit und Entschlossenheit der Kerle sein.
"Ich nehme mal an, daß ihr ein Lakai dieser Bruderschaft seid. Was wollt ihr von mir?"
Der Mann am anderen Ende der Leitung lacht. "Oh, wie ich sehe hat dir Maximilian von uns erzählt. Bestimmt nicht ganz freiwillig. Was hat er noch gesagt?"
"Genug um euch und eure kleine Geldwäscherei hochgehen zu lassen." blufft Maik.
"Das glaube ich kaum. Ansonsten wärst du schon längst zu deinen Bullenfreunden gerannt."
"Was soll diese sinnlose Konversation. Sagt mir endlich was ihr von mir wollt?"
"Wir wollen unseren Mann zurück. Und zwar lebend. Ansonsten wirst du deine Familie ebenfalls Tod zurückbekommen." Die Stimme des Mannes klingt entschlossen. Eine Verhandlung bringt nichts, das weiß Maik. Also wird er auf den Handel eingehen müssen. Der Kerl im Austauch für seine Familie.
"In Ordnung. Ihr könnt ihn haben. Aber ich will einen Beweis, daß es meinen beiden Frauen gut geht."
Der Anrufer lacht wieder, diesmal leiser. "Damit habe ich gerechnet." Danach ist es still. Maik schaut auf sein Display, die Verbindung steht noch. Nervös wartet er auf ein Lebenszeichen seiner Frau.

Diese sitzt in einer alten Halle auf einem Stuhl. Einer der Entführern hatte zuerst 2 x auf Sara geschossen und im Anschluß Bianca niedergeschlagen. Ab da weiß sie nichts mehr. Sie war erst vor einigen Minuten hier wieder zusich gekommen. Wo das hier ist, kann sie nicht sagen. Denn in dieser Halle gibt es keine Fenster, nur ein Stahltür und diese ist verschlossen. Grelles Neonlicht beleuchtet den Raum. Darin befinden sich nur der Stuhl auf dem sie sitzt und diese 4 Männer in ihren dunklen Maßanzügen und perfekt sitzenden Frisuren. Auf der Straße könnte man sie glatt für Konzernbosse oder Politiker halten. Jeder von ihnen hat seine Jacke offen. Darunter kann Bianca Waffen in speziellen Schulterholstern sehen. Man hatte ihr die Hände vor dem Körper gefesselt. Sie hat Angst. Nicht um sich, sondern um ihren kleinen Sonnenschein. Auf die Frage hin wo ihre Tochter ist, hatte der Kerl nur gesagt, daß es ihr gut geht, solange SIE brav mitspielt. In was für eine Sache war ihr Mann da wieder reingeraten?
Vor einigen Minuten hatte dann, wahrscheinlich der Boss der Truppe, ein Telefonat geführt. Aus dem Gespräch hatte Bianca mitbekommen, daß ihr Mann am anderen Ende ist. Ihr läuft eine Träne übers Gesicht.
Der Anführer kommt mit seinem Handy zu Bianca. Sie sieht ihn mit ängstlichen Augen an. Ein zweiter Mann aus dieser Men-in-Black-Gruppe kommt ebenfalls zu ihr. Er holt einen Zettel aus seiner Jackentasche, faltet ihn auseinander und hält ihn Bianca hin. Er flüstert ihr ins Ohr: "Den liest du jetzt deinem Mann vor und zwar exakt so, wie es hier steht. Wort für Wort. Verstanden?" "Ja." sagt sie und greift mit zitternden Händen zu. Der Mann mit dem Handy hält ihr dieses ans Ohr. In strengem Tonfall sagt er: "Lies." Mit unsicherer Stimme und Tränen in den Augen fängt sie an vorzulesen: "Hallo Maik. Ich bin´s, Bianca. Mir geht es nicht gut." Kaum hat sie dies gesagt, lächelt der Anführer und nimmt ihr das Telefon vom Ohr. Gleichzeitig schlägt der Mann der Bianca den Zettel gegeben hatte, ihr mit dem Handrücken kräftig ins Gesicht. So kräftig, daß Bianca sofort Nasenbluten bekommt. Ihr laufen Tränen über die Wange und ihre gesamte rechte Gesichtshälfte brennt wie Feuer. Mit dem Daumen der rechten Hand wischt sie sich das Blut von der Nase. Der Anführer flüstert: "Das stand so nicht auf dem Zettel. Du sollst genau das vorlesen, was dort steht. Wenn du dich noch einmal verliest, wird es deine Tochter büßen. Und jetzt richtig!" Den letzten Satz sagt er strenger und viel lauter. Bianca zuckt erschrocken zusammen, meint mit belegter Stimme: "Diese Sauklaue kann man aber auch schlecht lesen." Dann fängt sie erneut an vorzutragen: "Hallo Maik. Ich bin´s Bianca. Mir geht es noch gut." Das noch betont sie überdeutlich. Beim ersten Mal hatte sie nicht gesagt. Der Kerl vor ihr grinst bloß. "Wenn du tust was diese Männer von dir verlangen, dann lassen sie mich und Amélie gehen." Das ist alles, was auf dem Zettel steht. So nimmt der Kerl mit dem Handy ihr dieses vom Ohr und unterhält sich weiter mit Maik. "Ich denke das dürfte als Beweis reichen, daß es Frau und Kind gut geht. Nun zum Übergabeort . . . " Er entfernt sich von seiner Gefangenen. Der Mann der sie geschlagen hatte, hält ihr ein Taschentuch für ihre blutige Nase hin. Aber Bianca lehnt stolz ab. Stattdessen wischt sie sich das Blut an ihren rechten Handrücken. Grinsend schaut ihr der Mann zu und steckt sein Taschentuch wieder ein.
Kurz darauf legt der Anführer auf und gibt letzte Befehle. "Ihr bringt sie und die Kleine zum Flieger. Um ihren Mann und Maximilin soll sich Hugo kümmern. Aber so, daß die Bullen keine Nachforschungen anstellen."
Entsetzt sieht Bianca den Mann an: "Wieso zum Flieger?" will sie wissen. "Ihr habt doch eben versprochen, daß, sobald Maik diesen Kerl ausliefert, ihr uns laufen laßt!"
"Tja, im wahren Leben ist es eben wie in der Politik. Man darf nicht alles glauben, was einem versprochen wird."
Bianca steht wütend auf und versucht an den Kerl ranzukommen. Doch seine Männer halten sie davon ab. "Ihr seid ein verlogener Scheißkerl!" brüllt sie. "Mein Mann wird erst aufgeben, wenn er uns gefunden hat! Und dann könnt ihr euch auf was gefaßt machen!"
Völlig unbeeindruckt sagt der Kerl: "Dann sollte er sich lieber beeilen, denn in 45 Minuten ist er Tod." Mit diesem Worten verläßt er die Halle.
Bianca tritt und schlägt wild umsich, dabei schreit sie ihre ganze Verzweiflung heraus. 2 Männer versuchen sie festzuhalten. Doch dies gestaltet sich schwieriger als gedacht. Die Frau ist eine Furie die wie verrückt um ihre Familie kämpft. Bianca kann einen von den Männern kratzen. Er schreit schmerzhaft auf. Eine tiefe Wunde zieht sich über seine linke Wange. "Beeil dich bisschen! Die Kleine macht selbst einem tasmanischer Teufel Konkurrenz." brüllt der andere zu dem Dritten Mann der noch in der Halle ist. Dieser ist gerade dabei eine Spitze aufzuziehen. "Ja, ich bin doch gleich soweit! sagt er. Dann nähert er sich dem kämpfenden Trio. Bianca sieht die Spritze in der Hand des Mannes und tritt mit ihren Füßen nach ihm. "Ihr müßt sie festhalten, sonst komme ich nicht ran." sagt er laut um die Stimme der Frau zu übertönen. "Du bist ein richtiger Klugscheißer! Was glaubst du, was wir hier versuchen!" kontert sein Partner. Doch letztendlich ist Bianca diesen Männern nicht gewachsen. Sie bekommen sie schließlich doch in Griff und der Kerl kann ihr das Mittel in den Oberarm spitzen. Es dauert nur wenige Sekunden und sie wird ruhiger. Apathisch liegt die Frau auf dem Boden. "Das ging diesmal aber schnell." stellt einer von den Männern fest. Ein anderer kauert sich neben die fast bewußtlose Frau und fühlt ihren Puls. Plötzlich ist diese wieder voll da, greift nach der Waffe des Mannes, zieht sie aus dem Schulterholster und entsichert sie. Maik hatte ihr mal gezeigt, wie so etwas geht. Dann drückt sie ab. 2x, 3x, 4x. Der Kerl über ihr fliegt in hohen Bogen weg. Die beiden anderen ziehen ihre Waffe, doch Bianca ist schneller. Einen schießt sie in die Schulter, nur den Dritten verfehlt sie. Unerwartet bekommen die Männer Hilfe. Die Stahltür wird aufgestoßen. Kaum ist die Silhouette eines Menschen zu sehen, drückt Bianca erneut ab. Ein großer roter Fleck zeichnet sich auf der Brust des Mannes ab und er geht zu Boden, noch bevor er seine Waffen ziehen konnte. Der letzte unverletzte Mann in diesem Raum zielt auf die schießwütige Frau. Erschießen kann und darf er sie nicht, dann ist er dran. Aber wie soll er sie aufhalten. Er kann nur abwarten bis das Ketamin was sie eben bekommen hatte, anfängt zu wirken oder die Smith & Wesson leer ist. Dieses Modell verfügt über ein Magazin für 9 Patronen. 7 hatte sie bereits verschossen. Solange muß er verhindern, daß sie den Raum verläßt, ihn vielleicht einschließt und mit ihrem Kind verschwindet. Also wird er sie in ein Gespräch verwickeln.
"Ok ok." sagt er und ergibt sich scheinbar. Seine Waffe läßt er fallen und hebt seine Hände. Dann geht er einen Schritt auf Bianca zu. Doch die ist vorsichtig. "Bleibt sofort stehen." sagt sie und schießt nur wenige cm vor dem Mann eine weitere Kugel in den Boden. Sie kann nicht mehr genau zielen, denn das Zeug was sie ihr gespritzt hatten, fängt langsam an zu wirken. Immer mehr verschwimmen die Umrissen. Sie muß sich extrem anstrengen um bei klarem Verstand zu bleiben.
"Aber sicher, ich bleibe genau hier stehen. Schließlich bin ich der allerletzte der will, daß ich auf der Intensivstation lande. Können wir nicht einen Deal aushandeln? Sie lassen mich am Leben und ich helfe ihnen, ihren Mann noch rechtzeitig zu finden."
Bianca hört ihre Tochter weinen. Sie dreht sich zur Tür, was ein großer Fehler ist, denn sofort nähert sich der Mann. Erst im allerletzten Moment registriert sie es und schießt 1x auf ihn. Doch sie trifft nur dessen linkes Ohr. Augenblicklich weicht der Mann zurück, dreht sich zur Seite und faßt an seine linke Gesichtshälfte. Dann richtet er sich frustriert auf. "Du kleine Schlampe hättest mich wirklich ohne zu zögern abgeknallt. Bloß gut, daß du eine so verdammt miserable Schützin bist." stellt der Mann wütend fest. Mit seiner rechten Hand faßt er an sein Ohr. Er fühlt das rohe Fleisch, sowie sein heißes Blut. Ein großes Stück seiner Ohrmuschel fehlt. Noch immer auf 180 geht er zu Bianca. Diese schießt, doch der Schlagbolzen ihrer Waffe findet kein Ziel mehr. Das Magazin ist leer. Pures Entsetzen zeichnet sich auf ihrem Gesicht ab. Der Mann greift nach ihrer Hand mit der Waffe darin, drückt ihr Handgelenk schmerzhaft nach hinten. Sie schreit auf und läßt die Waffe los. Ihr Gegner nimmt die Pistole, holt aus und schlägt Bianca den Waffengriff genau auf ihre linke Schläfe. Bewußtlos fällt sie zu Boden.

13.

Wenn der ehemalige Special Agent von der Schießwüdigkeit seiner Frau etwas mitbekommen hätte, wäre er mächtig Stolz auf sie gewesen. Aber so hatte er nur ein Ziel, diesen Kerl ins Auto verfrachten und dann so schnell wie möglich an den Übergabeort gelangen.

Auf dem Weg zu der Jagdhütte geht Maik eine Frage nicht aus dem Kopf: Wie waren die Kerle bloß so schnell auf seine Wohnadresse gekommen? Diese Bruderschaft scheint ihre Finger wahrlich überall drin zu haben. Wer weiß welche Politiker und Wirtschaftsbosse für sie arbeiten. Vielleicht sogar Polizeibeamte. Denn das ihre Kunden über große Geldbestände verfügen war für Maik gleich klar gewesen, als er vor dieser Gaststätte seinen Beobachtungsposten bezogen hatte. Einen Mercedes Concept A-Class, einen Bentley Brookland, einen Acura TSX oder einen Maserati Quattroporte kann sich kein Otto-Normal-Bürger leisten. Nicht mal ein einfacher Geschäftsführer. Um diese Luxuskarren sein Eigen nennen zu können, mußte man schon einige Gehaltsgruppen höher liegen.

Als Maik den Wald erreicht hofft er nur, daß dieser Kerl schon wieder wach ist, denn er hat keine Lust diesen Brocken bis zum Auto zu tragen. Und er hat Glück. Sein Gefangener muß vor paar Minuten aufgewacht sein. Er schaut noch ziemlich benebelt, aber so klar, daß er beim Eintreten von Maik sofort weiß, was geschehen war. Dieser hat eine Astschere in der Hand. Doch etwas erschrocken fragt Maximilian: "Was willst du mit dem Ding? Willst du mir paar Körperteile abschneiden? Aber selbst dann werde ich dir nichts sagen."
Ohne ein Wort, aber mit einem strengen Gesichtsausdruck und festem Schritt geht Maik hinter den Mann. Dieser schaut sich ängstlich um, ballt seine Fäuste und versucht somit seine Finger in Sicherheit zu bringen. Doch dieser Bulle schneidet völlig unerwartet mit der Astschere seine Fesseln durch.
"Willst du es jetzt mit der Einschleimertour probieren?" "Halt deine blöde Fresse." schnauzt Maik ihn an. "Ich bringe dich zu deinen Leuten zurück."
"Wieso das auf einmal?" fragt Maximilian. Er ist sich noch nicht ganz sicher, ob der Kerl ein Spiel mit ihm spielt. Doch ein Blick in dessen Augen und er ahnt was in der Zeit seiner tiefen Bewußtlosigkeit passiert sein muß. Grinsend sagt er zu Maik: "Oh, ich verstehe. Du hast mit dem Ringverein Bekanntschaft gemacht. Ja, das ändert bei vielen die Meinung. Womit haben sie dir gedroht? Wollen sie dein Haus in die Luft jagen oder paar von deinen Freunden ins Jenseits schicken?"
"Das haben sie bereits." sagt Maik während er seinem Gefangenen die Hände erneut mit einen Strick auf dem Rücken bindet.
"Wieso übergibst du mich trotzdem? Laß mich raten. Sie haben noch ein größeres Druckmittel gegen dich in der Hand. Vielleicht Frau und Kind?"
Jetzt reicht es Maik. Er tritt vor dem Mann hin, faßt ihm mit der linken Hand derb ins Genick, damit er nicht weg kann, dann öffnet er die Astschere und drückt sie ihm zwischen die Beine. "Noch einen dummen Kommentar von dir und ich kastriere dich auf der Stelle." Die Augen des Polizisten sind nur noch enge Schlitze und seine blaue Iris scheint zu Eis erstarrt zu sein. Noch ein Wort, das weiß Maximilian und er kann nie wieder eine Frau glücklich machen. "Man, komm wieder runter. Ich kann doch nichts dafür, wenn sie deine Alte gekidnappt haben."
"Mit dir hat die ganze Scheiße doch erst angefangen!" brüllt Maik verzweifelt. "Und nenn meine Frau nicht so, sonst überlege ich mir das mit der Kastration noch einmal! Jetzt erheb deinen fetten Arsch und mach dich nach draußen!" Tayler nimmt die Schere weg, verstärkt aber noch einmal den Druck auf den Nacken des Mannes daß dieser fast vom Stuhl fällt. "Hey, falls du es vergessen hast, du hast mir meinen Nervus so und so verletzt. Ich kann mein Bein nicht mehr bewegen. Du mußt mir schon helfen nach draußen zu kommen." Wortlos geht der Polizist aus der Hütte. In der Nähe hört Maximilian, wie Äste abgebrochen werden. Was macht der Kerl bloß? Es dauert nicht lange und Maik erscheint wieder. Er hat eine Astgabel in der Hand. Diese wirft er wütend seinem Gefangenen vor die Füße und sagt in einer Tonart die halb Befehl halb Verzweiflung ist. "Da hast du deine Hilfe. Wenn du nicht in 5 Minuten im Auto sitzt, dann helfe ich dir. Und glaube mir, das willst du nicht." "Meine Hände sind noch auf dem Rücken gefesselt, wie soll ich damit das Ding benutzen." Erneut geht Maik hinter den Mann und öffnet ihm die Fesseln. Kaum ist der frei, hält Maik wieder einen Sicherheitsabstand. Er traut diesem Mann nicht, selbst wenn er sich kaum bewegen kann. Mühsam bückt sich Maximilian nach der Gehhilfe. Dabei stöhnt er schmerzvoll auf. Sein linkes Bein fühlt sich wie ein Fremdkörper an. Er kann es weder beugen noch strecken. Die durch die Abbeize verätzte Haut schmerzt bei jeder Bewegung. Seine Jeans fördert dies noch zusätzlich. Doch irgendwie schafft er es bis zum Auto. Als er eingestiegen ist, nimmt Maik ihm die Astgabel ab und schmeißt sie zurück in den Wald. Im Auto ist sie eine viel zu gefährliche Waffe. "Schnall dich an." fordet Maik. "Oh, du willst wirklich, daß mir während der Fahrt nichts passiert." Als Maximilian angeschnallt ist, gehen Maiks Vorsichtsmaßnahmen weiter. Er muß diesen Kerl lebendig abliefern, sonst sind Bianca und Amélie Tod. Das könnte er sich nie verzeihen.
Tayler greift in seine Hosentasche und holt einen Strick heraus, den hatte er aus der Jagdhütte mitgenommen hatte. "Steck deine linke Hand unter den Beckengurt durch, die andere legst du darüber." Kaum tut sein Gefangener dies, fesselt Maik ihm erneut die Handgelenke. Er möchte während der Fahrt keine bösen Überraschungen erleben. Tür zu und dann nichts wie los. In 25 Minuten muß er am Übergabeort sein. Um dies noch in die Reihe zu bekommen, darf er sich nicht an die Geschwindigkeit halten. Hoffentlich haben die Bullen was besseres zu tun als sich in der Nähe aufzuhalten und ihn vielleicht noch rauszuholen. Das wäre das Todesurteil für seine Familie.

10 Minuten später rast Maik auf der B 13 Richtung Treffpunkt, einem etwas abgelegenen Parkplatz inmitten eines Ausflugsgebietes. Hier sind genug Zeugen um für beide Seiten eine gewisse Sicherheit zu bieten. Die Bundesstraße ist kurz vor Mittag gut befahren, aber nicht übervoll. Tayler kommt zügig voran. Bei jeder Bodenwelle stöhnt sein Beifahrer vor Schmerz auf.
Plötzlich ein Stau, ein langsamfahrender LKW blockiert die Straße. Nervös schaut Maik auf seine Uhr. Ihm kommt es vor, als ob der Sekundenzeiger Heute schneller geht als sonst, doch das ist Blödsinn. Einige Autos vor ihm schaffen es, bevor das nächste Überholverbot auftaucht, an dem Laster vorbeizukommen. Doch er ist nicht unter den Glücklichen. Ein roter Honda Civic fährt genau vor ihm. Soeben wird bei dem Auto die Fahrerscheibe nur wenige cm heruntergelassen und eine Rauchwolke sucht sich ihren Weg ins Freie. Oh ja, eine Zigarette, das wäre jetzt genau das Richtige, denkst sich Maik. Damit könnte er seinen Adrenalinspiegel etwas senken. Er schaut sich im Wagen seiner Frau um, doch Bianca ist Nichtraucherin. Als er im Seitenfach sucht, brüllt sein Beifahrer: "Paß auf!" Sofort schaut Maik geradeaus und tritt voll auf die Bremsen. Die Kolonne vor ihm hatte angehalten und er wäre fast dem Honda draufgefahren. Man, das war in letzter Sekunde.
"Wenn du mich lebend abliefern willst, mußt du aber besser aufpassen." schimpft Maximilian. Ihm ist das Herz in die Hose gerutscht. Auch der Fahrer des Hondas hat das Bremsmanöver des Touran mitbekommen. Er steckt seinen Kopf aus dem Fenster und schreit nach hinten: "Mach doch deine Augen auf! Soll ich meine Rücklichter etwa blinken lasse wie ein Bordell damit du merkst wenn ich bremse?" Auch Maik läßt seine Scheibe herunter. Versöhnlich sagt er: "Sorry. Tut mir Leid. Ich war in Gedanken." Gott sei Dank kommt es zu keiner weiteren Diskussion, denn der LKW ist auf einen Parkplatz abgebogen und hatte deshalb seine Geschwindkeit verringert. Nun löst sich die Blechlavine zügig auf. Auch Maik tritt aufs Gas. Er muß die verlorene Zeit wettmachen. Totzdem hat er noch diesen übermäßigen Appetit auf eine Zigarette. Wieder sucht er nach dem beruhigenden Glimmstengel.
"Sag mal, was suchst du eigentlich?" will sein Fahrgast wissen.
"Ich brauche was zu rauchen, sonst garantiere ich für nichts."
"Für eine Scheiß Kippe hättest du uns eben fast ins Jenseits geschickt."
"Komm, übertreib nicht. Ich habe doch noch gebremst."
"Ja, aber bisschen spät, denkst du nicht auch?"
"Man, laß mich einfach in Ruhe."
"Du solltest dringend was gegen deine Nikotinsucht unternehmen."
"Wenn ich was unternehme, dann gegen dein blödes Gelaber."
Maik schnallt sich ab und öffnet das Handschuhfach. Darin entdeckt er eine Schachtel Zigaretten. Erleichtert wie ein Kleinkind das endlich den langgesuchten Lolli gefunden hat, steckt er sich eine dieser weißen Abhängigmacher in den Mund und drückt den Zigarettenanzünder hinein. Nach wenigen Sekunden springt er heraus und Maik greift danach. Dabei verzieht er erneut das Lenkrad und kommt etwas auf die Gegenfahrbahn. Sofort korrigiert er seine Fahrspur. "Rauchen müßte genauso verboten werden, wie telefonieren am Steuer." sagt Maximilian. Maik steckt den Anzünder wieder in die Halterung und schlägt seinem Beifahrer mit der rechten Faust auf den Oberschenkel. Genau dort, wo er die Stichverletzung hat. Der Mann schreit auf.
"Hab ich dir nicht gesagt, daß du deine blöde Fresse halten sollst?" sagt Maik. Die letzten Stunden haben sein Nervenkostüm ziemlich stapaziert. Erst wenn er seine kleine Familie wieder in die Arme schließen kann, wird er runterkommen. Noch 10 Minuten, dann sind sie wieder vereint. Er hatte Sara zwar versprochen nach ihrem Sohn zu suchen, aber dafür seine Familie aufs Spiel setzen, das kann er nicht tun. Er wird der Polizei alles sagen was er weiß. Damit können sie einiges anfangen und Léon garantiert zurückbringen. Das Nikotin in Maiks Lungen beruhigt ihn tatsächlich und er wird gelassener. Die letzten paar Kilometer wird er auch noch überstehen.

Die B 13 geht kurz vor dem Treffpunkt durch einen Tunnel. Etwa in gleicher Höhe liegt ein Mann im Gras. Dieses tarnt ihn und läßt ihn für die Autofahrer unsichtbar bleiben. Er hält ein Scharfschützengewehr vom Typ Berrette M 82 in der Hand. Der Lauf zeigt genau in Richtung der Bundesstraße. Durch das Zielfernrohr kann er jeden einzelnen Fahrer erkennen. Ein schwarzer Touran erweckt seine besondere Aufmerksamkeit. Doch noch ist er außer Schußweite. Der unbekannte Mann greift mit seiner rechten Hand an sein Ohr, dort betätigt er ein Headset. "Ich habe sie im Visier." sagt er leise. "Wenn ich jetzt schieße, dann stirbt aber auch Maximilian." gibt er zu bedenken. Doch die Antwort die kommt ist eindeutig. Er soll beide Männer liquidieren. "Verstanden." bestätigt er den Befehl und sieht wieder durch das Zielfernrohr. Den Fahrer hat er eindeutig im Visier. Ihn wird er zuerst ausschalten. Wenn das Auto zum stehen kommt, wird er einen 2 Schuss abfeuern. Doch dann wird die Kugel eine Raufoss Mk.211 vom Kaliber 50 mit einem Wolfram Kern sein. Diese geht durch Metall wie durch Butter und Detoniert beim Aufschlag. In einem Abstand von 30-40 cm zur Einschlagstelle setzt sie ihre explosiv und brandstiftende Bestandteile frei. Bei einem Auto mit einem halbwegs gefüllten Tank bedeutet dies, daß es nach dem Einschlag hoch geht wie eine Rakete. Kein Forensiker kann im Nachhinein mehr feststellen, daß die Explosion von einer Mehrzweckkugel verursacht wurde. Wie auch, solche Munition bekommt man nicht in einem Bastelladen. Im Polizeibericht wird stehen, Brand durch technischen Defekt.

Maik raucht und fährt nichtsahnend weiter in Richtung Tod.

Der Schütze grins und flüstert: "Ja, kommt zu Papi." Unter seinem Gewehr hat er noch zusätzlich ein Laser Aiming Modul angebracht. Sobald die zu exekutierende Person in Schußweite ist, wird ein roter Punkt auf dem Körper des Opfers sichtbar. Dann kann er unbedenklich abdrücken. Doch noch ist es nicht soweit. Es kann sich nur um wenige Sekunden handeln. Mit dem Fadenkreuz hat er bereits die Brust bzw. das Herz des Fahrers anvisiert. Er muß nur noch auf die rote Markierung warten. Sein rechter Zeigefinger krümmt sich bereits leicht. Sofort bereit die letzten paar mm bis zur Schußauslösung zurückzulegen. Seine Atmung wird flacher. Er konzentriert sich auf seinen Auftag. Bis jetzt hat er noch nie danebengeschossen. Schließlich ist er einer von den Besten und das hat auch seinen Preis. Für diesen simplen Auftag streicht er 50.000 Euro ein.

"Sind wir nicht bald da?" fragt Maximilian. "Ich muß mal dringend schiffen." "Noch 10 km." antwortet Maik und zieht erneut an seiner Zigarette die er fast aufgeraucht hat. Genüßtlich bläst er den Rauch aus. Darin entdeckt er plötzlich einen roten Strahl, wie von einem Laser. Geistesgegenwärtig sagt er: "Oh Scheiße." dann reißt er das Lenkrad nach Rechts. Sofort bricht der Touran aus. Dreht sich auf der Straße einmal um die eigene Achse und fährt dann eine steile Böschung hinunter. Dabei überschlägt er sich mehrfach. Augenblicklich bleiben alle anderen Autofahrer stehen. Warnblinkanlagen werden eingeschalten.

Der Scharfschütze schaut Richtung Unfall. Gleich als der rote Punkt auf der Brust des Mannes aufgetaucht war, hatte er abgedrückt. Er weiß nicht genau, ob er getroffen hat, denn gleich nach dem Abschuss hatte sich das Auto gedreht und war dann die Böschung hintergerollt. Dabei pflügte es kleinere Büsche und Bäume wie Streichhölzer um. Autoteile flogen als Geschosse durch die Luft. Nach geschätzten 5 Überschlägen kommt der Touran endlich auf dem Dach liegend zum halten. Rauch quillt aus dem Motorraum. Die Karosserie ist völlig demoliert, dort kommt keiner so leicht raus. Leute die Helfen wollen, rennen den Hang hinunter.
Ruhig wie nur ein Scharfschütze sein kann, öffnet der Mann die Verschlusskammer an seinem M 82 Gewehr und legt die Raufoss Patrone ein. Als er fertig ist, sieht er erneut durch sein Zielfernrohr. Die Mitte des Fadenkreuzes sucht den Tank am Boden des Fahrzeuges. Da dieses auf dem Dach liegt, ist er ein nichtübersehbares Ziel. Wieder krümmt sich der Abzugsfinger des Mannes und wieder findet die Kugel mit tödlicher Präzision ihr Ziel. Keiner der Erstretter bekommt davon etwas mit. Das 50 Kaliber-Geschoss trifft den Tank und dieser explodiert mit einem höllischen Knall und einem übergroßen Feuerball. Die Menschen in der Nähe hälten schützend ihre Hände vors Gesicht oder lassen sich auf den Boden fallen.

Jetzt erst sichert der Scharfschütze sein Gewehr. Zufrieden sagt er: "Game over. Auftrag erfüllt."

14.

Es ist bereits Abend. Die ersten Straßenlaternen schalten sich ein. Ein Mann, schätzungsweise 50, geht mit seinem Cocker Spaniel spazieren. Eine Hand hat der Besitzer in seiner Jacke vergraben, die andere hält die Leine. Das Tier schnüffelt an jedem Gebüsch und jeder Säule. Ständig bleibt es stehen und markiert sein Revier. Völlig entspannt wartet sein Besitzer bis es mit seinem Geschäft fertig ist. Dann gehen sie einige Meter weiter und das Ritual beginnt von neuem. Nur noch wenige Autos sind in der Reihenhaussiedlung unterwegs. In den meisten Fenstern brennt bereits Licht. Die Frauen bereiten das Abendbrot vor oder bringen die Kinder ins Bett. Ihre Ehemänner helfen ihnen dabei. Genau wie der Mann in dem Haus mit der Nr. 12. Durch das große Panoramafenster kann man ins Innere sehen. Ein Pärchen bereitet in ihrer amerikanischen Küche das gemeinsames Abendessen vor. Die Frau belegt Brote und ihr Mann schneidet das Gemüse für den Salat. Hin und wieder gibt er seiner Frau ein Küßchen. Diese Ehe strahlt pure Harmony aus. Als der vorbildliche Ehemann das letzte Gemüse geschnitten hat, fragt seine Frau: "Was denkst du Lou, trinken wir heute Abend ein Gläschen Wein? Wir müssen doch noch auf meine Beförderung zur Filialleiterin anstoßen." "Aber klar doch. Ich gehe gleich mal in den Keller und sehe nach, was für ein gutes Tröpfchen zu dem Anlaß paßt." Mit diesen Worten verläßt ihr Ehemann, der bei einer Spezialeinheit arbeitet, seine Frau und geht in den Keller.

Der Hundebesitzer nähert sich derweilen dem kleinen Haus. Plötzlich bleibt das Tier stehen und fängt an zu bellen. "Was ist denn Seppel?" will der Mann wissen. Aber wie soll ihm das Tier antworten? Nachdem sein Liebling einfach nicht aufhören will zu bellen und zu knurren, schaut sein Herrchen etwas genauer hin. Doch er kann nichts verdächtiges entdecken. Hinter dem Gartenzaun der Familie Bridges ist alles still. Durch die Abenddämmerung kann man aber auch nicht viel erkennen. Die Bäume werfen lange gespenstige Schatten und der Wind rauscht in den Ästen. Doch da muß was oder jemand sein, denn sein Hund schlägt nicht umsonst an. Das hat er noch nie getan. Auf einmal ist das Fauchen einer Katze zu hören. Erleichtert sagt der Mann zu seinem Hund: "Das ist doch bloß Morle. Die kennst du doch. Also komm, laß uns weitergehen." Aber der Hund ist von dem Vorschlag seines Herrchens nicht begeistert. Immer wieder kläfft er und will auf das Grundstück. Erst als sein Besitzer ein Machtwort spricht. "AUS!" hört er auf und läßt sich wiederstrebend weiterziehen. Der Hund hat jedoch nicht die Witterung einer Katze aufgenommen, sondern die eines Menschen. Dieser hatte sich bereits seit einiger Zeit auf dem Grundstück versteckt.
Als der Tierbesitzer im nächsten Haus verschwindet, kehrt wieder Ruhe ein. Blätter werden auf der Straße vom Wind zu einem abendlichen Tanz gebeten. Sie drehen sich auf dem Asphalt wie eine Irish Dance Gruppe. Die Sterne die immer zahlreicher am Himmel erscheinen, beobachten stillschweigend das Naturschauspiel.
Die Frau von Lou Bridges legt gerade letzte Hand an den Salat an, als es an der Tür klingelt. Sie will sich gerade ihre Hände abtrocknen als sie ihren Mann rufen hört: "Laß nur, ich gehe schon." Die geholte Flasche Wein stellt er auf den kleinen Tisch gleich neben der Tür. Ein kurzer Blick durch den Türspion und Lou weiß, wer geklingelt hat. Sofort reißt er die Tür auf und sagt: "Oh mein Gott, Maik ! Wie siehst du denn aus?" Dieser kann sich kaum auf den Beinen halten. Sein Gesicht ist blutverschmiert und seine Sachen völlig zerrissen. "Ich brauche deine Hilfe." sagt er mit letzter Kraft, dann bricht er fast zusammen. Lou fängt ihn auf. "Isabel schnell, ich brauche deine Hilfe!" ruft er in Richtung Küche. Seine Frau kommt augenblicklich aus dieser gestürmt. "Was ist?" fragt sie. Doch als sie sieht was geschehen ist, geht sie zu ihren Mann und hilft ihm den Schwerverletzten auf das Sofa zu legen. Immer wieder stöhnt dieser auf. Maik getraut sich kaum Luft zu holen, viel zu sehr schmerzen seine Rippen.
"Ich rufe sofort den Notarzt." sagt Isabel und greift schon nach dem Telefon.
"NEIN!" bringt Maik unter stöhnen heraus. "Mir geht es gut. Ich brauche keinen Kurpfuscher."
Lou lächelt. "Wenn es dir gut geht, dann bin ich der Papst." Er wendet sich an seine Frau. "Holst du mir mal bitte den Erste-Hilfe-Kasten."
"Dein Freund muß unbedingt in ein Krankenhaus." mahnt sie.
"Glaube mir, wenn Maik sagt daß es ihm gut geht, dann geht es ihm gut. Der ist hart im nehmen. Genauso hart wie sein verdammter Dickschädel."
Immer stärker muß Tayer gegen eine drohende Ohnmacht ankämpfen. Sein Kopf tut ihm weh, als hätte er diesen wiederholt gegen eine Betonwand geschlagen. Sein Brustkorb fühlt sich wie ein Haufen zersplitterten Knochen an, die sich unaufhörlich in seine Lungen bohren und ihm die Kraft zum Atmen rauben. Seine Eingeweide sind kaum noch an der dafür vorgesehenen Stelle. Auch muß sein rechtes Knie etwas abbekommen haben. Er kann es nur unter brutalsten Schmerzen bewegen. In seinem Mund schmeckt er geronnenes Blut gemischt mit Erbrochenen. Durch die unsagbaren Schmerzen hatte er sich mehrfach übergeben. Doch irgendwie war es ihm gelungen hierher zu seinem Freund und guten Kameraden zu kommen. Nur hier war er sicher und konnte auf Hilfe hoffen.
Während Lou versucht seinen Freund zu entkleiden damit er ihn notdürftig untersuchen und zusammenflicken kann, holt seine Frau den Nothilfekasten.
"Mit wem hast du dich denn angelegt?" will Lou wissen. "Oder warst du beim Stierrennen in Villaseca de la Sagra dabei?"
Ohne auf die Frage zu antworten, sagt Maik leise und der Ohnmacht wieder ein Stück näher: "Sie haben Bianca und Amélie?"
Erschrocken sieht Lou ihn an. "Wer hat deine Frau und deine Tochter?"
"Die Kerle aus dieser Gaststätte in der Schwarzgeld gewaschen wird. Die haben auch Sara in meiner Wohnung erschossen und ihren Sohn entführt. Irgendwie muß ihr Mann in der Sache mit drin stecken."
"Halt halt, nicht so schnell." unterbricht ihn sein Freund. "In welcher Gaststätte wird Geld gewaschen und wer ist diese Sara?"
Lou´s Frau kommt mit dem Sanikasten zurück. Dieser stellt ihn auf den Tisch und öffnet ihn. Zuerst nimmt der einsatzerfahrene SEK-Mann eine Flasche mit Wasserstoffperoxid heraus. Einige Tropfen gibt er auf einen Wattebausch, damit entfernt er das Blut aus Maiks Gesicht. So kann er die Verletzungen besser diagnostizieren. Die sind Gott sei Dank nur oberflächlich. Paar Abschürfungen und einige harmlose Risse die zwar ziemlich bluten aber nicht gefährlich sind. Diese kann Lou ohne Probleme mit einem Zugpflaster versehen und schon sieht Maiks Gesicht halbwegs menschlich aus. Erneut wendet er sich an seine Frau: "Bist du bitte mal so liebt und bringst ihm ein Glas Wasser und eine Flupirtin-Tablette." In der Zeit wo er auf das Schmerzmittel wartet, fragt Lou seinen Freund: "So, jetzt erzähl mal der Reihe nach ab dem Zeitpunkt, wo Bianca mich um Hilfe gebeten hatte, weil du in U-Haft gekommen bist."
Maik will tief Luft holen um alles zu erzählen, doch gleich sein erster Versucht wird von einem heftigen Schmerzanfall begleitet. Seine Lungen fühlen sich an als ob sie jeden Moment kollabieren würden.
"Willst du nicht doch lieber in ein Krankenhaus gehen. Ich sehe es dir doch an, daß du höllische Schmerzen hast."
"Nein, es hat nur etwas gezwickt." versucht Maik sein Leid herunterzuspielen."
"Gut, du mußt es wissen."
Isabel kommt mit dem Glas Wasser und der Tablette aus der Küche. Beides gibt sie Maik, dieser schluckt sofort das starke Schmerzmittel und trinkt etwas nach, dann fängt er an zu erzählen.

Nach einer halben Stunde beendet er seinen Bericht und schließt geschwächt seine Augen. Durch das starke Analgetikum waren seine Schmerzen erträglicher geworden. Aber das Atmen bereitete ihm noch immer Beschwerden.
"Seit deinem letzten Einsatz für uns scheinst du das Pech gepachtet zu haben." sagt Lou mitfühlend. "Ich fasse noch mal kurz zusammen. Dieser Marco Graziano hat seinen Sohn entführen lassen, weil ihm seine Frau mit Scheidung gedroht hat. Du wolltest natürlich wieder mal den Schutzengel spielen und ihr helfen. Bei deinen Nachforschungen bist du darauf gestoßen, daß dieser Italiener Dreck am Stecken hat. Die Kerle wollten dich daraufhin aus dem Weg räumen. Du hast aber den Spieß umgedreht und hast diesen Maximilian versucht zum Reden zu bringen. Das war für diese Leute natürlich zu gefährlich und sie entführten Bianca und deine Tochter. Sara haben sie in deiner Wohnung getötet und dich erpreßt, daß, wenn du ihnen Maximilian nicht lebend übergibst, daß sie dann Frau und Kind töten. Richtig?"
Fast am Ende seiner Kraft öffnet Maik seine Augen und sagt: "So weit ja."
"Und wieso ist es nicht zur Übergabe gekommen?"
"Weil diese Scheißkerle nie die Absicht hatten mir meine Frau und Amélie zurückzugeben. Auf dem Weg zu diesem angeblichen Treffpunkt hat ein Scharfschütze auf uns gelauert. Er sollte uns beide töten. Gott sei Dank war ich nicht angeschnallt und bin gleich nach dem zweiten Überschlag aus dem Auto geflogen. Ich konnte mich in einem kleinen Wäldchen verstecken."
"Und du bist dir sicher, daß dieser Heckenschütze nichts gesehen hat?"
"Ja, ansonsten hätte er mich gejagt und so wie ich mich fühle, hätte ich ihm nichts entgegensetzen können. Ein finaler Rettungsschutz von ihm und ich wäre endgültig auf dem Weg ins Jenseits."
"Gut, ich werde dir helfen. Aber bevor ich einige Telefonate führe, will ich mir deinen Oberkörper ansehen."
"Laß nur, es geht schon."
"Komm, ich kenne dich doch. Du hast wahnsinnige Schmerzen. Ich will nur sehen, ob es was schlimmes ist. Nicht, daß du eine Rippenfraktur hast und deine Lungen aufgespießt werden wie ein Schaschlik. Wenn du auf meinem Sofa stirbt, dann muß ich eine Menge Schriftkram ausfüllen und dazu habe ich wahrlich keinen Bock." scherzt Lou.
"Aber ich gehe nicht ins Krankenhaus. Ich muß Bianca suchen."
"Ja ja, das hast du schon mal gesagt. Jetzt versuche dich zu enspannen."
Wie soll sich Maik entspannen, ihm tut jede Stelle seines Körpers weh, als wäre eine Herde Büffel über ihn hinweg gerannt. Vorsichtig tastet Lou den Oberkörper seines Freundes ab. Dieser verzieht trotz des starken Schmerzmittels immer wieder das Gesicht. Als der Spezialagent etwas mehr auf den Brustkorb drückt, stöhnt Maik intensiver auf und Lou spürt ein knirschendes Geräusch. Das eindeutige Anzeichen für mindestens eine gebrochene Rippe.
"Tja, da drinnen scheint einiges kaputt zu sein." beendet der Hilfsdoktor seine Untersuchung. "Willst du nicht doch lieber ...."
"NEIN." sagt Maik energisch.
"Ist ja schon gut." versucht Lou seinen Freund zu beruhigen. "Ich helfe dir, ansonsten streichst du mich noch aus deinem Testament. Mit einer Rippenbandage kannst du dich bestimmt etwas schmerzfreier bewegen und leichter atmen. Ansonsten kann ich nichts für dich tun."
"Das reicht mir schon." sagt Maik und quittiert mit einem Lächeln das Hilfsangebot seines Freundes.
"Kannst du dich etwas aufsetzen?" will er von Maik wissen.
"Ich werde es versuchen." sagt dieser. Doch das aufsetzen fällt ihm schwerer als er angenommen hat. Immer wieder muß er aufstöhnen und kurz innehalten wenn die Schmerzen zu intensiv werden. Schließlich schafft er es. Sein Körper scheint durch die vermehrte Ausschüttung des Schmerzhormons Prostaglandine innerlich zu verbrennen. Auf seinem Gesicht zeichnen sich Schweißperlen von der Anstrengung ab. Dabei versucht er durch eine flache kurze Atmung seinen Thorax zu entlasten. Lou holt aus dem Erste-Hilfe-Kasten eine elastische Binde heraus und umwickelt damit den Brustkorb seines ehemaligen Partners. Isabel hilft ihm dabei. Nach einigen Minuten hat Maik die schmerzhafte Prozedur überstanden und legt sich vorsichtig auf das Sofa zurück.
"Du bleibst schön liegen und ich erledige paar Anrufe." sagt Lou.
"Ok, unterbrechen wir mal für paar Minuten das Doktorspiel." sagt Maik und versucht zu Lächeln. Was ihm durch einen erneuten heftigen Schmerzanfall kläglich mißlingt. Lou verläßt in der Zeit den Raum um zu telefonieren. Als die Attacke bei Maik vorbei ist, schaut er zu Isabel. "Es tut mir Leid wenn ich euch den netten Abend verdorben habe, aber ich wußte wirklich nicht wohin ich sonst gehen sollte."
Isabel schmunzelt: "Schon gut. Es war richtig von dir meinen Mann um Hilfe zu bitten. Schließlich seit ihr jahrelang durch Dick und Dünn gegangen."
"Lieb von dir." sagt Maik. "Darf ich dich um etwas bitten." fragt er und richtet sich trotz gegenteiliger Anweisung vorsichtig auf. Ein heftiger Schmerz geht ihm durch Mark und Bein, läßt seinen Oberkörper fast explodieren. Er getraut sich nicht mehr zu atmen, hält die Luft krampfhaft in seinen Lungen zurück. Isabel fühlt mit Maik mit. "Du sollst doch liegenbleiben. Um was willst du mich bitten?" "Solange der Onkel Doktor noch beim telefonieren ist, hättest du einen Scotch für mich."
"Was ist mit dem Flupirtin? Dazu darfst du doch bestimmt keinen Alkohol trinken."
"Eigentlich nicht, aber ich brauche etwas um die Wirkung ein klein wenig zu verstärken."
Isabel dreht sich mit einem Lächeln um und geht zur Bar. Dort füllt sie ein Glas mit einem doppelten 40 %igen Chivas Regal Scotch Whisky. Danach kehrt sie zu ihrem Patienten zurück. "Danke." sagt Maik. "Aber bitte nicht dem Doktor sagen. Der schimpft sonst." witzelt der ehemalige Polizist. Dann kippt er die braune Flüssigkeit mit einem Schluck hinunter. Er muß von der Stärke kurz Husten. War wohl doch nicht eine so gute Idee, denkt er sich als das Husten einen neuen Schwall aus Schmerzen auslöst. Nach einigen Minuten gibt es sich wieder.
Isabel fragt: "Kann ich dich mal für paar Minuten allein lassen? Ich muß dringend auf die Toilette." "Ja, mach ruhig."
Lou kommt zurück, sagt: "Also, ich habe den Alten angerufen und wir haben uns folgendes überlegt."
Doch Maik reagiert nicht. So geht sein Freund zum Sofa. Auf diesem liegt Tayler ganz ruhig, seine Augen sind geschlossen und seine bandagierte Brust hebt und senkt sich rhythmisch. Isabel kommt aus der Toilette. Auch sie sieht Maik, der wie Tod auf dem Sofa liegen. Sofort hält sie ihre Hände vors Gesicht und fragt ihren Mann: "Mein Gott, ist er etwa....?" Doch Lou lächelt. "Keine Angst, er ist nur eingeschlafen. Ich denke, daß ist die beste Medizin für ihn." Wortlos nimmt er seinem Freund das Whiskyglas aus der Hand und deckt ihn mit einer Decke zu.

15.

Als Bianca ihre Augen öffnet, liegt sie in einem wunderschönen Zimmer. Wie ist sie verdammt nochmal hierhergekommen und wo ist das hier? Sie richtet sich auf. Gleichzeitig glaubt sie, daß ihr Kopf zerspringt. An ihrer linken Schläfe fühlt sie eine ziemliche Beule. Achja, da hatte sie der Kerl mit der Waffe getroffen und danach waren bei ihr die Lichter ausgegangen. Wielange sie wohl weggetreten war?
Die morgendliche Sonne durchflutet den Raum. Amélie, ist der nächste Gedanke der ihr durch den Kopf geht. Von Mutterinstinkten getrieben schaut sie sich um, doch von ihrer Tochter ist weit und breit nichts zu sehen. So steht sie panisch auf und geht zur Tür. Diese ist jedoch verschlossen. "Laßt mich raus! Ich will zu meiner Tochter!" brüllt sie und trommelt wie verrückt gegen das Holz. Ihre Hilferufe werden jedoch nicht beantwortet. So geht sie zu einem der 4 großen Fenster und versucht es zu öffnen. Aber auch dieses ist fest verschlossen. Man will sie in dem Raum gefangenhalten, aber warum? Was hat man mit ihr vor? Sie schaut sich um und entdeckt auf einem rustikalen Schreibtisch ein Telefon. Schnell rennt sie dorthin und wählt die Nummer von Maik. Doch es kommt zu keinem Anschluss, denn die Leitung ist Tod. So schaut Bianca nach dem Verbindungskabel, es fehlt. Sie ist völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Aber so einfach läßt sie sich nicht einsperren. Mit dem Telefon in der Hand geht sie erneut zu dem Fenster. Holt aus und wirft es mit aller Kraft gegen die Scheibe, doch diese bekommt nicht den leichtestes Kratzer ab, denn sie ist aus kugelsicherem Glas. Das Telefon fällt auf den Boden und zerbricht. Enttäuscht geht sie zum Fenster und trommelt mit ihren Fäusten dagegen. Dabei schreit sie: "Hilfe! Hört mich denn keiner?" Nur ein streunender Hund den sie sieht, hört ihre Rufe. Er setzt sich auf dem Boden und wedelt freudig mit dem Schwanz. "Wo ist dein Herrchen?" will Bianca wissen. "Komm, hol dein Herrchen!" Plötzlich schnappt das Tier nach einem hingeworfenen Stück Fleisch. Da ist also doch jemand! Wieder klopft Bianca gegen die Schreibe und brüllt: "Hier oben! Hören sie mich? Ich bin hier oben und brauche Hilfe ! ! ! Man hält mich gegen meinen Willen gefangen!" Ein Mann tritt aus dem Schatten des Hauses. Als er sich herumdreht und mit einem Grinsen nach oben schaut, glaubt Bianca einen Herzinfarkt zu bekommen. Es ist Sara´s Mann, Marco Graziano. Was macht der hier bzw. was macht sie hier bei ihm? Erst jetzt fällt ihr auf, daß die Gegend untypisch für Deutschland ist. Auf einer großen gepflegten Wiese steht ein uralter Citrusbaum und die Straße vor dem Haus wird von großen Ölbäumen gesäumt. Scheiße, sie ist nicht mehr in Deutschland sondern in Italien. Vor Schreck geht sie einen Schritt zurück. Dann hört sie auch noch Schritte die sich ihrer Tür nähern. Was jetzt?
Kurz darauf wird ein Schlüssel in das Schloss gesteckt und aufgeschlossen. Bianca steht hinter der Tür und hält einen Stuhl über ihren Kopf. Als sie den Arm eines Mannes sieht und die Waffe darin, schlägt sie zu. Doch sie trifft den Falschen. Nicht Sara´s Mann ist als Erster ins Zimmer gekommen, sondern einer seiner Bodyguards. Der harte Stuhl hat ihm seinen Unterarm gebrochen. Jammernd kniet dieser auf dem Boden und hält sich seine Fraktur.
"Lo porta al dottore." (Bringt ihn zum Arzt). sagt Sara´s Mann als er mit weiteren 2 Männern eingetreten ist. Einer von ihnen hilft seinen Kameraden und bringt ihn aus dem Zimmer. Marco bückt sich nach der noch immer auf dem Boden liegenden Waffe und gibt sie seinem Mitarbeiter. "Was für eine kleine Wildkatze." sagt Graziano und sieht Bianca fies lächelnd an. Er nähert sich ihr und sie bekommt Angst. "Das gefällt mir wenn Frauen so stürmisch sind." sagt er und Bianca würde am liebsten kotzen. Dann hebt er seine rechte Hand und fährt ihr zuerst durch ihre langen lockigen Haare, danach öffnet er ihr mit einem schleimigen Grinsen den ersten Knopf ihrer Bluse. Sie reagiert instinktiv wie bei jedem Fremden der es wagt sie ohne zu fragen anzufassen und haut ihm eine runter. Der Schlag hat voll gesessen und auf der linken Wange von Marco kann man 4 Fingerabdrücke sehen. Sofort will sein Leibwächter eingreifen, doch sein Boss hält ihn zurück. "Was für ein Feuer doch durch diese Adern fliest." sagt der Geschlagene, dann ist er dran. Eh Bianca begreift, trifft sie ein so harter Schlag, daß sie bis auf das Bett fällt. Auf ihrer linken Gesichtshälfte zeichnen sich nicht nur seine Finger ab, sondern ein dicker roter Fleck ist auf ihrem Wangenknochen zu sehen. Sie glaubt, daß ihr Gesicht in Flammen steht und wegen des Schmerzen laufen ihr Tränen aus den Augen. Doch sie richtet sich mutig auf und sieht dem Kerl trotzig in die Augen. Dabei beißt sie sich auf die Zähne, doch dies verursacht nur ein Ansteigen des Schmerzes. "Ich denke, das wäre geklärt." sagt der Mann. "So, nun dazu, warum du hier bist. Da ich geschäftlich ziemlich oft unterwegs bin, brauche ich jemanden der gut auf meinen Sohn aufpaßt und da dachte ich an dich. Du kennst ihn und er ist an dich gewöhnt. Außerdem vermißt er seine kleine Sandkastenfreundin. Er fühlt sich in dem fremden Land und mit der für ihn fremden Sprache sehr unwohl." "Und was ist, wenn ich den Job als Nanny ablehne?" Marco lacht. "Das war kein Stellenangebot. Entweder du machst es oder du erlebst den morgigen Sonnenaufgang nicht mehr und deine Tochter werde ich an einen Kinderporno-Ring verkaufen. Wie lautet also deine Antwort?" Bianca schluckt ihre ganze Wut über diesen Mann hinunter und sagt: "Gut. Bekomme ich auch ein Auto, damit ich mit den Kindern in die Stadt fahren kann. Amélie hat keine Sachen mit." Der Mann sieht lächelnd seinen Angestellten an. "Die Kleine denkt wirklich ich bin blöd. Ein Auto damit sie gleich wieder abhauen kann. Nein, das mußt du dir erst verdienen." sagt er und sieht wieder zu der Frau auf dem Bett. "Im ersten Monat wirst du dich nicht weiter als 10 Meter vom Haus entfernen, im Zweiten erlaube ich dir das Anwesen für einen Spaziergang zu verlassen. Wenn du mein Vertrauen nicht mißbrauchst, erlaube ich dir sogar im dritten Monat unter Aufsicht in die Stadt zu gehen um kleinere Besorgungen zu machen. Natürlich werden in der Zeit deine Tochter und mein Sohn hier bleiben. Nur zur Sicherheit." Ein breites Grinsen ist auf seinem Gesicht zu sehen.
"Und wenn ich mal krank werde?" will Bianca wissen.
"Dafür ist mein Onkel da, er ist Doctore. Du siehst also, es gibt keine Veranlassung daß du in den kommenden Wochen das Anwesen verläßt."
"Also sperrt ihr mich ein wie einen Straßenköter?"
"Nein, der hat seine Freiheiten, du aber nicht. Du bist ab heute mein Eigentum und ich kann mit dir machen was ich will. Keiner meiner Leute wird sich für dich einsetzen."
"Jetzt verstehe ich auch, warum Sara so eine Angst vor euch hatte."
Wütend geht Marco zum Bett. Bianca versucht sich in Sicherheit zu bringen, doch der Mann bekommt sie an den Haaren zu fassen und zieht sie daran zurück. Sie schreit vor Schmerz. Als sie vor ihm auf dem Bett liegt, läßt er ihre Haare los und legt seine rechte Hand um ihren Hals. Immer fester, sie bekommt fast keine Luft mehr. Panisch schlägt sie um sich. Nach einiger Zeit verlassen sie die Kräfte und Marco läßt etwas lockerer. Dabei hält er ihr drohend den linken Zeigefinger vors Gesicht. "Nimm nie wieder den Namen meiner Frau in den Mund. Sie wollte sich von mir trennen. Mir damit meinen Sohn vorenthalten. Diese Schnappsidee hast du ihr bestimmt eingetrichtert. Du und dein Mann, dieser Sicherheitstechniker. Ihr hättest euch lieber nicht in unser Eheleben einmischen sollen, dann wäre sie auch noch am Leben. Nur durch ihre Tötung konnte ich meine Ehre wiederherstellen." Bianca bekommt einen Hustenreiz. Ihr Gesicht ist durch den Sauerstoffmangel ganz rot. "Ich habe sie geliebt und trotzdem töten lassen. Aber du bist mir egal, also verärgere mich lieber nicht. Du würdest es bitter bereuen." Endlich läßt er sie los und Bianca fällt vom Bett. Sie ringt nach Luft und muß stark husten.
"Ich will dich in 5 Minuten unten in der Lobby sehen und mach dich bisschen zurecht." Mit diesem Worten geht Marco Graziano aus dem Zimmer und wirft wütend die Tür ins Schloss. Bianca fängt an zu heulen.

5 Minuten später ist sie wie befohlen in der Lobby. Der Natursteinboden gibt diesem Teil des Hauses eine gewissen Unberührtheit und trotzdem Eleganz. Die Wände sind mit prunkvollen Holztäfelungen versehen. Überall stehen Kunstgegenstände herum. Ein Tisch mit aufwendiger Verziehung befindet in der Mitte des Raumes. Auf ihm ein Bild von Katharina von Siena, einer italienischen Schutzpatronin. Frische Blumen liegen vor dem heiligen Bild. Bianca bekommt leichte Gänsehaut. Dies liegt aber nicht an der angenehmen Kühle in dem Raum. Auf der Terrasse die sie von hier aus gut sehen kann, herrscht emsiges Treiben. Bedienstete decken einen Tisch ein. Außerdem sieht Bianca viele Männer in Anzügen. Sie patroullieren durch das Haus und sie sind ebenfalls draußen zu sehen. Das Anwesen ist abgesichert wie eine Festung. Von hier kommt sie nie ungesehen weg, noch dazu mit ihrem Töchterchen. Hoffentlich ist Maiky am Leben und sucht bereits nach ihr. Nur dieser Gedanke wird ihr für die Zukunft Kraft geben. Plötzlich taucht Marco mit einem älteren Ehepaar auf. Bianca nimmt an, daß es seine Eltern sind.
Zu beiden sagt er liebvoll. "Per favore, vai giá prima. Seguo lo stesso." (Geht bitte schon vor. Ich folge gleich.) Er gibt seiner Mutter noch einen zärtlichen Kuss auf die Wange, dann wendet er sich Bianca zu. Seine Eltern gehen währenddessen in Richtung Terrasse. Vor seiner Gefangenen bleibt er stehen. Ihre Augen sind noch feucht von ihren Tränen. Sein Blick fällt auf ihren Hals, der von Würgemalen gezeichnet ist. Auf ihrer linken Wange ist unterhalb des Auges ein großer roter Fleck zu sehen der leicht angeschwollen ist. Marco hebt seine rechte Hand und will zärtlich über diese Stelle steichen, doch Bianca dreht ihren Kopf weg.
"Da solltest du lieber Eis darauflegen." rät er ihr freundlich. "Gleich nach dem Frühstück werde ich es Valentina sagen, sie wird dir einen Eisbeutel bringen."
"Ich brauche keinen." sagt Bianca mutig, doch ihre Stimme verrät ihre Unsicherheit.
"Dann nicht. Ich wollte nur höflich sein."
Die Frau lächelt, dabei zieht sie ihren linken Mundwinkel etwas nach oben. Was sofort ihre Anwiederung ausdrückt. Völlig unerwartet hört sie eine fröhliche Kinderstimme hinter sich rufen: "Mama!" Sie dreht sich um und kann ihr Glück kaum fassen. Ein Angestellter von Granziano hält ihre Tochter auf dem Arm und den kleinen Léon an der Hand. Dieser hat seinen geliebten Winnie Puh im Arm. Eilig geht sie zu ihrer Tochter, nimmt sie in ihre liebevollen Arme und drückt sie heftig. "Meine Amélie, meine geliebte Amélie. Geht es dir gut?" Doch sie ist noch zu klein um die Ängste ihrer Mutter zu verstehen. Wieder laufen Tränen über Biancas Gesicht, diesmal sind es Freudentränen. Dabei bemerkt sie gar nicht, wie sich Marco langsam nähert. Als sie es mitbekommt sagt sie etwas, was sie selbst überrascht: "Danke daß ihr meiner Tochter nichts getan habt." Graziano lächelt und sagt: "Solange du gehorsam bist, wird sich daran auch nichts ändern." Dann bückt er sich zu Léon seinem Sohn hinunter. "Na mein Kleiner. Hast du gut geschlafen? Wollen wir nach dem Frühstück mal bisschen mit dem Pferd ausreiten. Das wird dir bestimmt gefallen." Sein 4jähriger Sohn lacht und rennt im Kreis herum, dabei hüpft er als ob er reiten würde. Lachend steicht ihm sein Vater durch die Haare, dann wendet er sich wieder Bianca zu. "Das Essen für die Beiden findest du in ihrem Spielzimmer. Francesco wird dir zeigen wo es ist." Kurz bevor Marco zu seinen Eltern geht, sagt er streng zu seinem Angestellten: "I garanzia con te la tua vita, che la donna non é una sciocchezza." (Du bürgst mir mit deinem Leben, daß die Frau keinen Blödsinn macht.) "Si." bestätigt dieser den Befehl. Dann geht Marco und Bianca folgt mit den Kindern dem Mitarbeiter von Graziano. Er bringt die 3 in einen hinteren Teil des Hauses. Dort befindet sich das Spielzimmer. Dieses ist am weitesten vom Ausgang entfernt. Jedes Kinderherz würde beim Anblick der vielen Spielsachen freudig höher schlagen, doch Kinder im Alter ihrer 2 Schützlinge interessiert es nicht wieviele Spielsachen sie haben, sondern nur, daß auch jemand mit IHNEN spielt. Mit ihnen zeichnet oder herumtollt.
In einer Ecke ist ein Kindertisch eingedeckt. Darauf stehen Marmelade und Nutella, ein Körbchen mit Tramezzino (weichem Toastbrot) sowie Croissants. Dazu jeweils eine Tasse mit Kakao. Als beide Kinder sitzen, sieht Bianca zu ihrem Aufpasser. "Meine Tochter trinkt keinen Kakao. Könntet ihr für sie bitte ein Glas Saft bringen? Am liebsten mag sie Apfel." Nach anfänglichen zögern verschwindet der Mann. Sofort als er das Zimmer verlassen hat, geht Bianca zu den Fenstern und kontrolliert ob sie zu öffnen gehen. Doch auch diese sind mit einem Fensterschloss versehen. Als ihr Bewacher zurück kommt, sitzt sie wieder brav am Tisch der Kinder. Er gibt der Frau das Saftglas und stellt sich erneut an die Tür. Bianca sucht ein Messer damit sie für die Kinder die Brote schmieren kann, aber außer einem Nutellamesser findet sie keins. Und dieses hat weder eine Spitze noch Zacken um sich daran zu verletzen oder es als Waffe einzusetzen. Marco Graziano geht wirklich auf Nummer sicher, denkt sich Bianca.

16.

Auch in Deutschland ist die Sonne schon längst aufgegangen. Maik schläft jedoch noch immer tief und fest auf dem Sofa seines Freundes. Sein Körper versucht sich durch eine lange Erholungsphase selbst zu heilen. Das plötzliche Klappen einer Tür bringt ihn in die Wirklichkeit zurück. Durch seinen Instinkt geleitet, versucht er sich aufzurichten um zu sehen, wer der "Eindringling" ist. Doch sofort wird sein unüberlegter Körpereinsatz mit qualvollen Schmerzen bestraft. Er getraut sich kaum Luft zu holen, denn in seiner Brust sticht es, als würde diese mit einer Nagelpistole bearbeitet werden. "Ach, du bist es." sagt er, nachdem er Lou erkannt hat. Erleichtert legt er sich zurück auf das Sofa. Tunlichst darauf bedacht, keine falsche Bewegung zu machen. Doch Lou hatte an der Stimmlage seines Kumpels herausgehört, daß er unter starken Schmerzen leidet. Was bei gebrochenen Rippen nicht verwunderlich ist.
"Ist Isabel auch schon wach?" will Maik wissen.
"Schon längst. Sie ist bereits seit 3 Stunden auf Arbeit."
"Wie spät ist es denn?" fragt Tayler panikartig und setzt sich auf. Ein erneuter Schwall aus grausamen Schmerzen durchströmt seinen Körper. Er stöhnt laut auf und hält sich seine Rippen.
"Mach langsam." ermahnt ihn sein Freund. "Hast du vergessen, daß du gestern mit deinem Auto paar unbeabsichtigte Saltos geschlagen hast. An deiner Stelle würde ich das in Zukunft lieber einem erfahrenen Stundman überlassen."
Maik lacht leise auf, doch auch dies verursacht ihm Qualen. Er hört, wie sich Lou langsam nähert. "Hier, dein Frühstück." sagt er und gibt Maik eine Tablette sowie ein Glas Wasser.
"Danke." sagt er und nimmt die Drogen dankbar an. "Hast du schon was über diesen Marco Graziano herausbekommen? Und was ist mit meiner Wohnung und der Leiche von Sara?" will er im Anschluss wissen.
"Laß uns erst mal gemütlich Frühstücken, danach erzähle ich dir alles. Bis ich den Kaffee fertig habe, könntest du derweil unter die Dusche gehen."
"Ist vielleicht ne ganz gute Idee." stimmt Maik zu und erhebt sich übervorsichtig von seinem Schlaflager. Auf dem Weg zum Bad hinkt er auffallend. "Was ist mit deinem Bein?" will Lou wissen. "Es tut weh." blockt Maik jedes weitere Gespräch ab. Er möchte nicht über seinen schmerzenden Körper reden, sondern endlich das Erfahren, was Lou über diesen Kerl herausgefunden hat.
Als er vor dem Bad steht, ruft ihm sein Freund hinterher: "Ich habe dir paar Sachen von mir hingelegt, deine sehen .... naja, eher wie die von einem Penner aus. Und wenn du in den Spiegel siehst, erschrick nicht, das ist wirklich dein Gesicht." Seine rechte Hand an seinen gebrochenen Rippen und seine Linke auf der Klinke liegend, muß Maik über die Worte seines Freundes lächeln. Lou hat eine wunderbare Art einen so richtig schön aufzubauen, in negativer Weise.
Tayler geht ins Bad und stellt sich vor den Spiegel. Man, sein Freund hat wirklich Recht, sein Gesicht hat eher die Ähnlichkeit mit einem Mettbrötchen. Über seiner rechten Augenbrauche ist ein großes Zugpflaster zu erkennen. Seine linke Wange weist eine lange und breite Abschürfung auf. Und seine Lippen? Sie sind trocken und aufgesprungen. 2 tiefe Risse zieren die Unterlippe des ehemaligen Polizisten. Tränen läufen ihm übers Gesicht, aber nicht sein entsetzliches Aussehen verursacht diesen plötzlichen Gefühlsausbruch, sondern der Gedanke, daß er Frau und Kind vielleicht nie wieder sieht. Sie könnten bereits Tod sein. Getötet von demselben Kerl der es auch auf ihn abgesehen hatte. Doch selbst wenn Maik nur die Leichen seiner beiden geliebten Frauen finden sollte, kann sich der Auftraggeber für die Entführung und Ermordung schon warm anziehen. Tayler wird erst aufgeben, wenn in seinem Körper kein Hauch von Leben mehr steckt. Bis es jedoch soweit ist, wird er diesen Bastard suchen. Selbst wenn der sich in der Hölle versteckt. Wieso kann er nicht einfach ein glückliches Leben führen wie jeder andere? Wieso muß ihn das Schicksal ständig so hart prüfen? Das grausame Gestern verfolgt ihn auf Schritt und Tritt wie eine Meute Hunde die auf der Fuchsjagd ist. Dabei ist Maik der Fuchs. Doch diesmal heißt der Rudelführer nicht Alexej Orlow, sondern Marco Graziano. Dieser italienische Hurensohn hatte die Treibjagd auf ihn eröffnet, aber noch ist das Halali nicht erklungen. Tayler wird einfach in einem Bau verschwinden und erst wenn die Hundemeute am wenigstens mit ihm rechnet, herauskommen und den Spieß umdrehen.

Als auch nach 20 Minuten Maik nicht zum Frühstück erscheint, geht Lou zum Bad und klopft. "Bei dir alles in Ordnung?" will er wissen. "Ja, ich bin gleich fertig." antwortet dieser. "Komm, ich habe Hunger und außerdem wird der Kaffee kalt." treibt sein Freund ihn an. Kaum hat sich Lou an den Frühstückstisch gesetzt, geht die Badtür auf und Maik erscheint. "Hey, du hast dich ja zu einem Menschen zurückentwickelt." scherzt sein alter Kamerad.
"Ha ha." antwortet Maik und kommt humpelnt in die Küche. Das Hemd von Lou hat er noch nicht zugeknöpft, so kann man an seinem Oberkörper die Elastikbinde sehen die ihm das Atmen erleichtern soll. Als Maik sich setzt, stöhnt er kurz auf.
"Kaffee?" will Lou wissen.
"Ja. Schön stark wenn es geht."
"Geht alles." sagt der Hausherr und gießt seinem Kumpel die Tasse bis zum Rand voll.
Maik trinkt einen großen Schluck und genießt die wohltuende Wärme die sich sofort in seinem inneren ausbreitet.
"Was hast du herausgefunden?" fragt Maik ohne Umschweife.
"Willst du ein Brötchen oder lieber ein Hörnchen." überhört Lou die Frage.
"Brötchen." antworte sein Freund kurz und knapp. Dabei versucht er Lou in die Augen zu schauen. Doch dieser weicht dem Blick aus.
"Marmelade oder lieber Wurst?"
"Was sollen die Fragen? Willst du vor mir etwas verheimlichen? Sind die Leichen von Bianca und Amélie bereits wo aufgetaucht?"
Jetzt schaut Lou seinem Freund tief in die Augen. Wo soll er anfangen? Maik muß schlucken und seine Augen füllen sich zusehens mit salzigen Flüssigkeit. Seine beiden Engel sind Tod, das ahnt er. "Wie?" fragt er mit heißer Stimme.
"Das wissen wir nicht. Ihre Leichen wurden bis jetzt noch nicht gefunden, aber du hattest wieder mal den richtigen Riecher dich mit einem Kerl anzulegen, der einen gewaltigen Einfluss hat. Und ich meine nicht nur einen gewaltigen Einfluss in der Unterwelt. Nein, der Kerl spielt eine Liga höher. Seine sogenannten Geschäftspartner sitzen u. a. im Bereich Wirtschaft und Bauwesen. Außerdem hat er einen sehr heißen Draht zu einem bekannten Staatsanwalt."
"Deshalb waren die Kerle so schnell wieder draußen." bemerkt Maik.
"Richtig, aber es geht noch weiter. Dein sauberes Früchtchen stammt aus einer einflußreichen italienischen Familie ab. Seinem Vater gehören mächtige Ländereien rund um Neapel. Und du weißt, dort ist die Hochburg der neapolitanischen Camorra. Die breitet sich auch in Deutschland zusehens aus."
"Du meinst, der Kerl ist ein Mafiasprößling und baut sich hier in München ein zweites Standbein auf?"
"Genau. Hast du vor etwa einem Monat von dem Mord an Richter Lewis gehört?"
"Ja, das stand in jeder Tageszeitung. Er soll erschossen wurden sein. Die Polizei nimmt an, daß es mit seinem letzten Fall zu tun hatte. Da ging es um einen Eherechtsstreit."
"Was nicht in der Zeitung stand, der Kerl wurde mit einer Kugel aus einem Barrett M 82 umgelegt?"
"Einem Scharfschützengewehr?" fragt Maik äußerst überrascht. "Wie kommt ein wütender Ehemann an ein Spezialgewehr heran?"
"Das sollte dir zu denken geben. Und noch was, dieser Richter Lewis hätte in 2 Wochen einen Kerl angeklagt, der zu einer Gang gehört. Sagt dir der Name: AEQUITAS etwas?"
Maik wird gleichzeitig heiß und kalt. Er muß aufstehen und sich bewegen. Seine Schmerzen rücken schlagartig in den Hintergrund. "Ja, dieser Kerl der bei mir im Auto saß, hatte das Wort an seinem Hals eintätowiert und auch der Killer der Sara getötet hat. Sie hat es mir kurz vor ihrem Tod gesagt. Das muß der Name von so einer Bruderschaft sein. Von der hatte der Kerl ständig gefaselt."
"Genauer gesagt den "Ringbrüdern". Ihre Mitglieder sind zur Verschwiegenheit gegenüber anderen, speziell der Polizei bei Strafe verpflichtet. Im Gegenzug bekommen sie bei einer Verhaftung falsche Alibis, die besten Anwälte und falls sie doch verurteilt werden sollen, dann sorgt die Bruderschaft in der Zeit ihrer Gefängnisstrafe für deren Familien."
"Und der Mann von Sara hat da seine Finger im Spiel, ist vielleicht sogar der Spielführer?" stellt Maik entsetzt fest.
"Das weiß niemand. Bis jetzt hat er eine blütenweiße Weste."
Maik lacht laut auf. "Das willst du mir nicht im Ernst einreden. Der Kerl stinkt doch meilenweit gegen den Wind."
"Aber anscheinend sind die Richter und Anwälte gegen diesen Gestank allergiesch und leiden sogleich an einer verstopften Nase."
Maik kommt zurück zum Tisch und schlägt mit beiden Händen kräftig auf die Platte, sodaß die Tassen mit Kaffee fast umkippen. "Ich werde es herausbekommen ob der Kerl mit der Entführung von Bianca und Amélia was zu tun hat und dann .... Gnade im Gott."
"So wie du zur Zeit aussiehst, wird er dich mit der bloßen Händen fertig machen und dabei nicht mal ins Schwitzen kommen. Hör auf mich und kuriere dich erst mal richtig aus. Danach kannst du nach Frau und Kind suchen. Du bist ihnen in deinem jetzigen Zustand keine große Hilfe."
"Was, wenn sie noch am Leben und irgendwo eingesperrt sind? Ich habe einfach keine Zeit, sinnlos in einem blöden Krankenhaus herumzuliege. Bianca wird auf mich warten und daß ich sie befreien komm."
"Vielleicht aber auch nicht." sagt Lou.
"Was willst du mir damit sagen?" fragt Maik und sieht seinen Freund aus engen Augenschlitzen an.
Dieser greift nach hinten auf das Unterteil der Küchenzeile. Dort liegt eine Zeitung. Die gibt er seinem Freund. Maik setzt sich und öffnet sie. Es ist die tz. Gleich auf der ersten Seite ist das Bild von Biancas Touran zu sehen. Das Nummernschild kann man nur noch erahnen. Der Artikel lautet wie folgt:


Tragischer Selbstmord auf der B 13




Am gestrigen Nachmittag bekam die Polizei einen anonymen Anruf. Daraufhin fuhren mehrere Einsatzteams zu einer Wohnung die in der Nähe des Englischen Gartens lag. Dort habe der Anrufer Schüsse gehört. Bei ihrem Eintreffen fanden die Beamten ein Blutbad vor. Die junge Frau Sara G. lag mit 2 Schussverletzung in einer fremden Wohnung. Von ihrem Kind, ihrer Freundin und deren Kind fehlt bis jetzt jede Spur. Man nimmt an, daß sie ebenfalls Tod sind. Dringend tatverdächtig war daher ein gewisser Maik B., Ehemann der verschwundenen Frau. Die Polizei geht von einem Familiendrama aus. Sofort wurde die Fahndung nach einem schwarzen Touran herausgegeben. Diesen fand man kurze Zeit später völlig ausgebrannt an der B 13 in der Nähe München.
Augenzeugen haben uns gegenüber ausgesagt, daß der Fahrer bereits vor dem Unfall durch seine auffällige Fahrweise aufgefallen sei. Wir nehmen an, daß Maik B. unter dem Einfluss von Drogen gestanden hat. Dies wurde von der Polizei nicht bestätigt, aber auch nicht dementiert. Leider sei eine Obduktion nicht möglich, da von dem bzw. den Insassen kein DNA fähiges Genmaterial übrig geblieben ist.

L. Meyer
freier Reporter



Maik ist entsetzt und fassungslos über diesen erstunken und erlogenen Bericht.
"Als du gestern Abend bei meiner Frau und mir aufgetaucht bist, habe ich mich sofort mit unserem Chef in Verbindung gesetzt. Der wollte noch in der Nacht paar Leute zu deiner Wohnung schicken um Sara abzuholen. Doch an der Tür sei bereits ein Polizeisiegel gewesen." Lou schaut zu Maik. Dieser sitzt schweigend und blass am Tisch.
"Nimm es mir bitte nicht übel." fährt Lou fort. "...aber die Kerle haben dich voll in den Sack gehauen. Sie stehen wieder mit reiner Weste da und du bist der Buhmann der Nation. Bist du dir nach dem Bericht weiterhin sicher, daß Bianca und Amélie noch leben? Ich würde es dir von Herzen gönnen, aber du mußt auch der Realität ins Auge sehen."
Maik schaut seinen Freund hat. Tayler ist am Boden zerstört, das erkennt Lou sofort. Tränen laufen seinem alten Kameraden über die Wange. Auf der linken Seite weichen sie die bereits mit Grind bedeckt Abschürfung auf und vermischen sich mit dem darunter befindlichen frischen Blut. Zusammen läuft es in einem hellroten Rinnsal weiter in Richtung Hals. "Wenn meiner Frau und meiner Tochter wirklich was zugestoßen sein sollte, dann werde ich mir den Kerl kaufen. Und wenn ich ihn habe, dann werde ich ihn Qualen aussetzen, wie er sie noch nie erlebt hat."
"Wenn du Hilfe brauchst um den Kerl aufzuspüren ... Ich bin immer für dich da. Aber unterschätze diese Bruderschaft nicht. Wenn du dich wirklich dazu entschließt dich mit ihnen anzulegen, dann kannst du niemanden mehr trauen. Nicht mal der Toilettenfrau der du 10 Cent in den Teller legst."
"Ich spüre es in meinem Herzen, Bianca und Amélie leben noch und ich werde sie finden. Selbst wenn ich dabei draufgehe."
"Hey, vom schlimmsten wollen wir doch nicht gleich ausgehen."

17.

Es ist 11.15 Uhr und in München-Harlaching herrscht reges Treiben. Fast alle Frauen die hier mit ihrer Familie leben, sind Hausfrauen. Sie haben es nicht nötig arbeiten zu gehen, ihre Männer verdienen genug. Einige der angesehenen Damen kommen vom Einkauf oder ihrem Shoppingbummel zurück. Jetzt müssen sie sich sputen um das Mittagessen auf den Tisch zu bringen, bevor ihre Sprößlinge aus der Schule kommen. Auf den hiesigen Straßen fahren nicht nur qualitativ hochwertige Kleinwagen wie Audi, VW und Mercedes, sondern sie teilen sich das Pflaster auch mit verschiedene Zustellfirmen, u.a. UPS, DHL und Hermes. So verwundert es auch niemanden, als ein Reparaturauto mit der Aufschrift:

Rund ums Haus
Service-Crew

vor einem ihrer Nachbarhäuser hält. Kurze Zeit später steigt ein Mann in Blaumann und mit Basecap aus. Er geht mit einem Werkzeugkoffer in der Hand zu dem Grundstück mit der Nr. 35, das Anwesen der Familie Graziano. Der Monteur scheint eine Verletzung am rechten Bein zu haben, denn er hinkt etwas. Nachdem er geklingelt hat, wartet er und schaut sich anscheinend gelangweilt um. Eine ältere Frau von gegenüber wird auf ihn aufmerksam. Freundlich grüßend nickt der junge Mann. Seine blauen Augen leuchten dabei in der Mittagssonne.
"Ich habe die Familie Graziano schon seit paar Tagen nicht mehr gesehen." ruft die ältere Frau über die Straße und nähert sich ihrem Gartenzaun. "
"Ich weiß." sagt der Monteur. "Der Herr Graziano hat mir gesagt, daß er mit Frau und Kind für paar Tage weggefahren ist. Aber ich dachte, daß er vielleicht schon wieder zurück sei. Er hat mir vorsorglich schon die Schlüssel gegeben, damit ich mal nach der Wasserpumpe sehen kann. Die soll in den letzten Tagen bisschen gesponnen haben. Ich wollte bloß nicht so einfach reingehen. Nicht, daß er mich für einen Einbrecher hält und mich erschießt."
Die ältere Frau lacht über diesen Scherz. "Ach, was denken sie. Der Herr Graziano ist ein sehr netter Mann, obwohl er Italiener ist. Man hört von Ausländern ja so manche Sachen, aber er ist ein vorbildlicher Nachbar. Immer wenn er mich sieht, grüßt er freundlich. Auch seine Frau ist nett, aber bisschen schüchtern. Sie redet kaum mit den Nachbarn."
Und warum? Weil sie eine Heidenangst vor ihren ach so lieben Ehemann und seinen Wutausbrüchen hat. Bianca hatte ihm mal das ein oder andere angedeutet. Sie hatte Maik aber auch gebeten, sich da nicht einzumischen. Schließlich sei das Sache der Zwei.
"Wissen sie, die Frau Graziano ist mit ihrem Söhnchen oft alleine. Ihr Mann scheint viel auf Arbeit zu sein. Manchmal sehe ich ihn tagelang nicht."
"Das ist ja alles sehr interessant. Aber sie müssen entschuldigen, mein Chef meckert wenn ich meine Aufträge nicht schaffe." versucht der Monteur Maik Tayler das Gespräch zu beenden.
"Ich weiß. Ihr jungen Leute seit immer so in Stress. Ich will sie dann auch nicht länger aufhalten. Verzeihen sie einer alten Frau und ihrer Erzählfreudigkeit."
Maik lächelt. "Sie brauchen sich doch nicht zu entschuldigen. Es war sehr nett mit ihnen geplaudert zu haben."
"Sie sind sehr freundlich." sagt die ältere Frau und lächelt ebenfalls.
"Dann auf Wiedersehen." Mit diesen Worten wendet sich der Mann wieder dem Tor zu und kramt in seiner Hosentasche nach dem Schlüssel. Was die Frau nicht sehen kann ist, daß Maik einen Schlüssel Dietriche herausholt und damit das Schloss knackt. Als Sicherheitstechniker weiß er genau, wie das geht. Er braucht keine Minuten und schon ist er drin. Noch einmal dreht er sich zu der alten Damen. Diese steht weiterhin am Gartenzaun. Maik winkt und betritt das Grundstück. Dabei achtet er genau darauf, daß sein Gesicht von den vielen Kameras unerkannt bleibt. Schon bei seinem ersten Besuch, als er kurz nach Léons Entführung mit Sara und Bianca hiergewesen war, hatte er die übertriebene Überwachungstechnik entdeckt. Auch die Tür zum Haus bereitet ihm keine Schwierigkeiten. Sie ist zwar mit einer SimonsVoss PinCode-Tastatur versehen, aber Maik hatte sich die Zahlen gemerkt. Eine Marotte jedes Ex-Special-Agenten. Kaum hat er das Haus betreten, schaltet er die Anlage wieder scharf. So ist er vor unliebsamen Besuch gefeit. Das Mosaik auf dem Boden bereitet ihm Übelkeit, Familie & Ehre. Also ob Familie für diesen Kerl wichtig wäre. Oder zählt eine Ehefrau nicht zur Familie? Maik weiß nicht, was er hier erhofft zu finden, aber er muß etwas finden um ansetzen zu können. Dieser Kerl bzw. die Bruderschaft hatte alles so hingestellt, also ob Maik der Böse ist. Somit war davon auszugehen, daß dieses Mafiasöhnchen zurückkommen will. Aus diesem Grund wird er seine "Geheimnisse" nicht mitgenommen haben, sondern sie irgendwo versteckt halten. Denn nicht umsonst wird das Grundstück wie ein Hochsicherheitstrakt überwacht. Maik muß etwas finden, Namen, Adressen, Konten womit Lou ihm weiterhelfen kann seine Familie zu finden. Tayler will sich nicht gleich an den Boss heranmachen. Das wäre für das Leben seiner beiden Frauen viel zu gefährlich. Er kann es einfach nicht akzeptieren, daß sie Tod sein sollen. Sein Kopf und sein Herz sagen ihm, daß sie am Leben sind, auf ihn warten. Aus diesem Grund wird er sich einen kleineren Fisch schnappen und ihn mit einer entsprechenden Motivation zur Kooperation überreden. Wenn er damals etwas mehr Zeit gehabt hätte, hätte er auch diesen Maximilan brechen können. Aber leider war es anders gekommen.
Tayler stellt den mitgebrachten Werkzeugkasten auf den Boden, öffnet ihn und holt seine Sig Sauer heraus, versehen mit einem Schalldämpfer. Schließlich will er die Nachbarn nicht auf den Plan rufen, falls hier unerwarteter Besuch auftauchen sollte. Den Kasten schiebt er danach in eine Ecke, wo er nicht gleich gesehen wird. Die Waffe im Anschlag durchsucht er das gesamte Haus, aber er ist alleine. So steckt er seine Pistole in den Bund seines Blaumanns und fängt an, das Haus systematisch zu durchsuchen. Zuerst das Arbeitszimmer des aufstrebenden Mafiosis. Nach 20 Minuten gibt er resigniert auf. Wäre auch zu schön gewesen. Wo weiter? Vielleicht im Kinderzimmer. Dort würde man am allerletzten suchen.

Das Zimmer von Léon liegt auf der Rückseite des Hauses, so bekommt Maik nicht mit, daß währenddessen ein blauer Audi vor dem Anwesen hält, genau hinter seinem "ausgeborgten" Service-Auto. Der VW-Beifahrer steigt aus. Zielstrebig geht er zum Tor der Familie Graziano. Sein Fahrer bleibt im Auto sitzen. Eine ältere Frau die gleich gegenüber wohnt, sieht zu ihm und sagt: "Hallo Sie, junger Mann. Hier dürfen sie aber nicht parken."
"Ich parke ja auch nicht." blafft der die alte Dame an.
"Wenn sie nicht in 5 Minuten verschwunden sind, werde ich die Polizei rufen." sagt diese verärgert.
"Ja ja, dann mach mal." kontert dieser laut zurück, dann sagt er leiser: "Mach den Kopf zu Alte. Dann ruf doch an. Die Bullen haben ja auch nichts besser zu tun als hierherzukommen." Sein Kamerad hat in der Zeit das Grundstück betreten.

Erst zu spät bekommt Maik den unerwarteten Besuch mit. "Shit, ist das etwa Marco Graziano?" Ganz vorsichtig schließt Tayler die Kinderzimmertür und zieht seine Waffe. Sein Herz und sein Puls rasen. Wieder einmal wird sein Körper binnen weniger Sekunden mit Adrenalin überschüttet. Er lauscht um mitzubekommen, wo sich der Mann aufhält. "Toll, drin bin ich schon mal. Wo hat Marco gleich noch mal diese blöden SD-Card´s versteckt?" hört er die Stimme eines Mannes und sie kommt ihm verdammt bekannt vor. Aber wo hatte er sie zuvor schon mal gehört? Er kommt nicht darauf.
"Achja." beendet der Fremde seine laute Überlegung. Dann entfernen sich die Schritte. Übervorsichtig öffnet Maik die Kinderzimmertür und schaut nach draußen. Im Wohnbereich steht eine riesen Bar mit unzählig verschiedenen Flaschen. Sie ist in 3. Teile untergliedert. Der Mittelbereich ist nach innen geklappt, eine Geheimtür. Darin ist der Kerl verschwunden. Was für SD-Karten sucht der Mann im Auftrag von Graziano. Maik muß sie in die Finger bekommen. Zur Not würde er den Kerl auch umlegen. Besonnen setzt Maik einen Fuß vor den anderen. Immer wieder schaut er sich um, ob der Kerl auch wirklich alleine hier aufgetaucht ist, aber niemand sonst ist da.
Der Mann von Graziano befindet sich in einem Überwachungsraum. 6 Monitore sind jeweils in 2 Reihen angebracht. Auf der oberen Reihe sieht man das Anwesen und den Audi der vor dem Haus wartet. Die Bilder wechseln im 5-Sekunden-Takt. Auf der unteren Reihe ist das Innere vom Haus zu erkennen, das Kinderzimmer, die Küche und jetzt der Empfangsbereich. Der Kerl greift zielsicher zu einem kleinen Ablagekasten der auf einem seitlich angebrachten Regal steht. Er stellt diesen auf den Tisch vor den Bildschirmen und öffnet ihn. Darin sich etliche SD-Card´s, die mit Beruf und Namen versehen sind: Staatsanwalt Krüger, Polizeichef Edkins, Konzernchef Wicking, Börsenmakler Meyer ...
Als der Mann das Gesuchte mit der Aufschrift: Präsident der Elektrizitätsgesellschaft Dr. Fischer findet, grinst er und steckt die Card in seine Hemdtasche. Dabei fällt sein Blick zufällig auf die untere Monitorreihe. "Shit." sagt er leise. Er hat Maik entdeckt. Sofort erwacht der Killerinstinkt des Kerls und er zieht seine Waffe. Diesen Mann in Arbeitskleidung und Basecap nicht mehr aus den Augen lassend, holt er sein Handy aus der Hosentasche und wählt eine Nummer.

Maik hat soeben den Flur durchschritten. Der Mann macht keine Anstalten den geheimen Raum zu verlassen, anscheinend hat er das Gesuchte noch nicht gefunden. Schritt für Schritt und so lautlos wie eine Katze, setzt der ehemalige Polizist seinen Weg fort. Er muß diesen Mann kriegen und zwar lebend. Tod ist er keinen Pfifferling Wert. Da der Überraschungsmoment eindeutig auf Maiks Seite ist, dürfte dies eine leichte Übung werden, auch mit seinen gebrochenen Rippen und etwas Fußlahm. Sein Herz rast als würde es ihm aus dem Hals springen wollen und sein Blut wird in wahnsinniger Geschwindigkeit durch seine Adern und Venen gepumpt, aber seine Hand ist ruhig. So ruhig wie bei einem Meuchelmörder. Tayler schleicht sich aus Richtung Hintertür an, in diese Richtung wird der Kerl beim Verlassen seines geheimen Lagers garantiert nicht sehen. Sein Augemerkt wird nur auf den Haupteingang liegen durch den er glaubt verschwinden zu können, aber Maik wird ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Tayler umfaßt seine Sig Sauer fester und hebt sie in Augenhöhe. Das vertraut kalte Metall fühlt sich gut an und eine Kaltblütigkeit macht sich in ihm stark, daß er vor sich selbst Angst bekommt. Nur das Schlagen seines Herzens und das Ticken einer alten italienischen Gallo-Standuhr ist zu hören. *Komm endlich raus.* betet Maik stillschweigend. Wielange will sich der Kerl noch darin verbarrikadieren?

Der blaue Audi der vor der Tür steht ist nun leer. Der Fahrer hat das Grundstück betreten und sich zum Hintereingang geschlichen. Schon auf dem Weg zu diesem hat er es tunlichst vermieden, in einen der Fenster gesehen zu werden. Mit seiner entsicherten Glock 20 und einem Headset im Ohr, steht er nun vor der Hintertür. Sein Kumpel im Überwachungsraum sieht ihn auf dem mittlersten Monitor in der oberen Reihe. Auf dem Linken ganz unten, kann er den Fremden sehen. Er steht rechts neben der Bar und scheint darauf zu warten, daß er den Raum verläßt. Fast lautlos sagt der Mann in sein Handy: "Er ist etwas 5 Meter vor dir. Sobald du am Arbeitszimmer vorbei bist, müßtest du ihn sehen können. Hast du mich verstanden?" Sein Partner nickt und dieses nicken sieht auch der Mann vor den Bildschirmen. Immer wieder kramt er ziellos in Unterlagen, damit der Fremde nicht mitbekommt, daß er schon längst aufgeflogen ist und es nur noch paar Sekunden dauert, bis sie ihn haben. Der 2. Mann aus dem Auto hat seine Waffe gehoben und zielt mit der Mündung bereits auf Maiks Hinterkopf. Der Kerl hat keinen blassen Dunst, daß er so gut wie Tod ist. Ein überlegenes Lächeln huscht über sein Gesicht.
In den Spiegeln auf der rechten Seite der Bar taucht plötzlich ein Schatten auf. Maik sieht dorthin und entdeckt noch rechtzeitig die drohende Gefahr. Er geht in die Knie, dabei knackt es in seinem verletzten Bein. Doch er schaltet den Schmerz geistig aus, dreht sich herum und drückt 3 x ab. Sein Rivale kann 1 x schießen, aber die Kugel geht Meilenweit an Maik vorbei. Da Tayler ungenau zielen konnte, ist der Kerl nicht gleich Tod, sondern zuckt noch wild auf dem Boden. Eine Kugel hat seinen Kehlkopf zerfetzt. Gurgelnde Laute sind die einzigsten Geräusche die aus seinem Mund kommen. Die 2 anderen Geschosse stecken in seinem Unterbauch. Maik gibt dem Kerl höchstens noch paar Minuten.
Die größte Gefahr ist nun dieser Kerl in dem Geheimraum. Wenn der sich dort verschanzt, hat Tayler keine Chance mehr an ihn ranzukommen. Dann kann er nur noch warten bis er irgendwann verhungert auf gibt oder bis seine Verstärkung hier auftaucht. Für die 1. Möglichkeit hat Maik keine Zeit und auf die 2. möchte er nicht warten. Doch genau diese scheint dem Kerl am erfolgversprechendsten. Langsam schließt sich die Tür. Maik steht auf und schießt. Seine Kugeln werden gleichermaßen beantwortet. Um nicht getroffen zu werden, muß er sich mittels eines Hechtsprungs in Deckung begeben. Diese bekommt er hinter einem 2sitzigen Sofas. Doch dieser Sicherheitssprung hat seinen Preis. Sein Brustkorb bekommt beim Aufprall auf den Boden einen heftigen Schlag ab und Maik schreit vor Schmerz auf.
Der Mann hinter der Bar grinst als er dies hört. Hah, mindestens eine Kugel hat den Kerl also erwischt. Jetzt muß er es nur noch aussitzen und in spätestens 10 Minuten taucht seine Verstärkung auf, dann ist der Kerl erledigt.
Doch so schnell gibt Maik nicht auf. Halb bewußtlos vor Schmerz tauchen die lachenden Gesichter von Bianca und Amélia in seinem Kopf auf und verleihen ihm übermenschliche Kräfte. Er greift nach einem Zeitungsständer der gleich neben dem Sofa steht und wirft ihn in Richtung Bar. Etliche Flaschen gehen kaputt als er laut krachend zwischen den Alkohol und das Glas fällt. Dabei fallen klirrend die Scherben auf den Boden. Der Zeitungsständer kommt jedoch zwischen die Tür und blockiert sie. So kann der Kerl sie nicht weiter schließen. Erst wenn er das störende Objekt aus Metall und Stoff entfernt, kann er sich verschanzen, aber damit wäre er wieder im Schußwinkel des Mannes. Laßt er dagegen die Tür offen und der Kerl ist ein Profi, davon geht er aus, dann kann er ihn mit dem vielen hochprozentigen Alkohol aus der Bar ausräuchern. Also gibt es nur eine Möglichkeit, er muß die Tür schließen. So startet er einen Blitzangriff. Er öffnet die geheime Bartür etwas weiter und schießt wie wild auf das Sofa. Dann bückt er sich und greift nach dem Zeitungsständer, doch sogleich fühlt er einen heftigen Schmerz an seiner linken Hand. Als er danach schaut entdeckt er entsetzt, daß 3 seiner Finger fehlen, abgerissen von Kugeln. Maik war zwar durch den plötzlichen Kugelhagel in Deckung gegangen, hatte aber dann unter dem Sofa durchgeschossen, da dieses auf 4 Beinen stand. Diese Variante hatte der Idiot nicht mit eingerechnet. Vor Schmerz laut jammernd hatte der sich zurückgezogen. Der ehemalige Polizist erhebt sich vorsichtig, dabei hat er seine Waffe im Anschlag. Aber es kommt zu keinem weiteren Feuergefecht. Mit der rechten Hand in der er seine Waffe hält, stützt er sich auf der Armlehne des Sofas ab, mit der Linken hält er sich seinen schmerzhaft pochenden Brustkorb und erhebt sich mit einem lauten Stöhnen. Hinkent und körperlich vollkommen ausgepowert, schleppt er sich zu der Bar. Seine Sig Sauer nur noch kraftlos in der rechten Hand haltend, stellt er sich neben die Tür: "Gibst du entgültig auf? Noch bevor deine Freunde da sind, habe ich dir eine Kugel verpaßt. Ich komme jetzt rein." sagt Maik und öffnet vorsichtig die Tür. Der Mann von Graziano sitzt auf dem Boden. Seine linke Hand ist nur noch ein Stumpf aus 2 intakten Fingern, geplitterten Knochen, rohem Fleisch und Blut. Seine Gesichtsfarbe ist kaum noch zu definieren, jedenfalls nicht gesund. Er hat viel Blut verloren. Zuviel, um dies hier zu überleben. Trotzdem ist Maik wachsam und schiebt die Waffe des Mannes die auf dem Boden liegt, mit seinem Fuß aus dem Hinterzimmer. Als er seinem Feind gegenübersteht weiß er auch, woher er die Stimme des Kerls kennt, vor ihm liegt halb sitzend der Türsteher von dieser Gaststätte. "Du solltest also für Marco Graziano eine SD-Card holen. Was ist darauf?" Der Mann hält mit seiner unverletzten Hand sein linkes Handgelenk fest. Er versucht damit die Blutung zu stoppen, doch das wird ihm nicht gelingen. Dafür ist der Verlust seiner 3 Finger zu verheerend. Sein Körper zittert bereits unkontrolliert, als ob er extrem frieren wurde. Doch dies resultiert aus dem hohen Blutverlust. Grinsend sieht er zu Maik auf und sagt: "Wieso bist du scheiß Bulle eigentlich noch am Leben? Du bist doch in deinem Karren verbrannt?" "Wie man sich manchmal täuschen kann." sagt Maik ebenfalls lächelnd. "Also, was ist auf der Karte drauf?" Der Kerl spuckt vor Maik aus, was sein unkollegiale Einstellung ausdrücken soll. "Gut, das bekomme ich auch so heraus. Ich brauche sie mir nur anzusehen. Dann habe ich aber noch eine andere Frage. Wer hat meine Frau und meine Tochter entführt und wo sind sie?" "Du wirst sie nie wieder sehen. Vielleicht findest du ihr Foto mal auf einer einschlägig bekannten 0180 Seite." Am liebsten würde Maik dem Kerl sein arrogantes Grinsen aus seiner blöden Fresse prügeln, doch dadurch erfährt er erst recht nichts. "Du willst es mir also nicht sagen." "Du bist anscheinend doch nicht so doof wie du aussiehst." "Gut, in 3 Minuten frage ich dich noch einmal." Der Gangster lacht kurz auf und Maik verläßt den Raum, kehrt aber gleich darauf ohne Waffe, aber mit einer braunen Schnapsflasche zurück. Auf dem Etikett steht STROH *80*. Er entfernt den Schaubverschluss und trinkt einen kleinen Schluck. Das Zeug ist so stark, daß er einen kurzen Hustenanfall bekommt. "Man, das Zeug kann man wirklich nicht pur trinken." sagt er. Danach wiederholt er seine Frage: "Wo ist meine Familie?" "Du solltest vielleicht doch mal zum Ohrenarzt gehen?" sagt der Kerl. "Falsche Antwort." stellt Maik klar und kippt einen Großteil aus der Schnapsflasche über den Handstumpf des Mannes. Dieser brüllt wie am Spieß und verliert sofort das Bewußtsein. "Na toll. Jetzt bin ich genausoweit wie am Anfang." sagt er frustriert. Oder vielleicht doch nicht. Er stellt die Schnapsflasche auf den Tisch und greift sich die Schachtel mit den SD-Karten.
Das Telefon von dem Kerl klingelt. Maik bückt sich und sucht es. Als er es endlich hat, verstummt es. Auf dem Display steht: Don Marco. Soll dieser Don etwa Marco Graziano sein? Kurzentschlossen ruft Maik zurück. Er muß auch nicht lange auf die Verbindung warten: "Hast du die SD-Card endlich gefunden?" fragt der Teilnehmer aufgebracht. *Ich will meine Familie zurück.* will Maik in den Hörer schreien, doch dann wären die einzigsten Menschen die er über alles auf der Welt liebt, wirklich Tod. So schweigt er. Sofort weiß dieser Don Marco, daß etwas nicht stimmt. "Wer ist dort?" will er wissen. Maik legt auf und steckt das Telefon ein. Jetzt muß er sehen, daß er so schnell wie möglich von hier weg kommt, denn es wird garantiert nicht lange dauern und die Handlanger des Don´s tauchen hier auf. Tayler verschießt seine restlichen Patronen indem alle Aufzeichnungsgeräte zerstört. So gibt es kein Bildmaterial über ihn und die Gegenpartei hat keine Ahnung wer ist. Denn Maik Tayler ist ja Tod. Damit hat der Scheintode die Vendetta eröffnet. Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Durch die schallgedämpften Waffen die alle 3 benutzt hatten, ist der blutige Kampf von der Nachbarschaft halbwegs unentdeckt geblieben. Die älte Frau steht noch am Zaun. Als Maik aus dem Haus kommt, fragt sie ihn: "Was war denn bei ihnen für ein Krach? Es hat fast so geklungen, als ob eine Scheibe kaputt gegangen ist. Und wenig später hat jemand geschrien." Maik lächelt und humpelt mit seinem Werkzeugkasten in Richtung Service-Autos. "Das war nichts weiter. Die beiden Herren die kurz nach mit gekommen sind, haben sich ne DVD angeschaut. Ich habe ihnen schon gesagt, daß sie den Fernseher etwas leiser drehen sollen, da jetzt Mittagsruhe ist. Sie werden also nichts mehr hören." lügt Maik. "Sie sind wirklich ein sehr netter Mann." Mit diesen Worten geht die Frau ins Haus und Maik steigt ins Auto. Auch das bereitet ihn Schmerzen. Als er sitzt, legt er erschöpft und müde seinen Kopf an die Kopfstütze hinter sich und atmet erst einmal tief durch. Seine Brust tut ihm weh, oder besser gesagt seine ramponierten Rippen. Der Kampf von eben hat wieder Spuren hinterlassen. So greift er in die Tasche seines Blaumanns und holt einen Streifen Tabletten heraus. Darauf steht Flupirtin. Er drückt 2 heraus und schluckt sie gleich ohne Wasser. Das wird ihn erst mal für einige Stunden mehr oder weniger beschwerdefrei halten.

18.

Bianca bringt gerade die beiden Kinder zum Mittagschlaf ins Bett. Jede Handlung ihrerseits wird von Graziano´s Angestellten genau beobachtet. Sie fühlt sich wie ein Tier, was bei einem Experiment unter ständiger Beobachtung steht. Wobei jede Abnormalität sofort registriert wird.
Nach einer kurzen Geschichte, die Bianca ihren 2 Sprößlingen vorgelesen hatte, schlafen diese und sie hat Zeit für sich. Doch was stellt sie mir ihrer Freizeit an? Sie darf sich vom Haus höchstens 10 Meter entfernen. Selbst hier im Inneren hat sie keine Freiheiten, dieser Kerl hängt wie eine Klette an ihr.
In Biancas Kopf schwirrt die ganze Zeit eine Frage herum: Ist Maik noch am Leben? Falls nicht, dann wird sie hier verrotten, denn niemand hat eine Ahnung, daß sie hier gefangen gehalten wird. Weder einer von Maiks Freunden, noch jemand aus Biancas Bekanntenkreis. Und wenn Marco Graziano ihrer überdrüssig ist, wer weiß, was er dann mit ihr anstellt. Mit ihr und ihrer Tochter. Sie kann sich nicht einzig und allein auf ihren Mann verlassen, sie muß sich selbst helfen. Muß einen Weg finden, um einen Hilferuf abzusetzen. Aber gleichzeitig hat sie auch Angst davor, daß Sara´s Mann seine Drohung wahr macht, wenn er dahinter kommt. Also muß sie verdammt vorsichtig sein.
Leise schließt sie die Kinderzimmertür und geht in Richtung Spielzimmer. Sie will sich durch aufräumen desselben etwas ablenken. Vielleicht kommt ihr dabei eine rettende Idee. Das Schlafzimmer der beiden Kinder befindet sich in der ersten Etage, gleich 2 Türen weiter wo sie vor paar Stunden aufgewacht war. Auf dem Weg nach unten und zu dem Spielzimmer, fällt Biancas Blick auf ein Schnurlostelefon was in einer Station steckt und auf einem kleinen Tisch steht. Falls sie sich das unbeobachtet aneignen könnte, könnte sie versuchen Maik zu erreichen. Oder ihm wenigstens eine Nachricht auf dem AB oder der Mailbox hinterlassen. Wenn sie im Anschluss das Telefon wieder zurück legt, würde niemand etwas merken. Vielleicht kann sie sogar mit Maik ein paar kurze Worte wechseln. Dann weiß sie auch, daß er noch lebt. Die zweite Möglichkeit möchte sie gar nicht erst in Betracht ziehen. Ihr Mann hatte schon viel überstanden und er war gut in seinem Job als Special Agent einer Sondereinheit gewesen. Lou hatte immer lobend über dessen Hartnäckigkeit gesprochen. Also, warum sollte er ausgerechnet diesmal die Todeskarte gezogen haben. Er muß einfach leben und sie sowie Amélie hier rausholen. Doch noch weiß er nicht, wo sie überhaupt sind. Dies muß sie ändern.
Bianca ist von ihrer Idee begeistert, aber da gibt es einen kleinen Makel in ihrer Planung, ihren Shadow man. Aber ihr wird etwas einfallen, davon ist sie überzeugt und diese Eingebung bekommt sie sogleich, als sie einen kurzen Blick nach draußen wirft. Vor dem Haus scheint die Sonne und es ist bestimmt auch herrlich warm. Sie geht also nicht in Richtung Spielzimmer, sondern Ausgang.
"Wohin willst du?" fragt ihr Aufpasser.
"Nach was sieht es denn aus? Ich möchte etwas an die frische Luft gehen und paar Blumen sammeln. Wenn die Kinder ausgeschlafen haben, könnte ich mit ihnen einen Kopfschmuck basteln."
"Don Marco hat dir doch verboten das Haus zu verlassen." sagt er, aber Bianca kontert.
"Nein, hat er gar nicht. Er hat nur gesagt, daß ich mich nicht weiter wie 10 Meter entfernen darf. Ihr könnt ihn ja fragen, falls ihr mir nicht glaubt. Er freut sich bestimmt, von euch während seiner Siesta gestört zu werden." Mit gespielter Selbstsicherheit verschränkt sie ihre Arme und sieht dem Mann fest in die Augen. Ihr Herz hämmert wild. Sie ist aufgeregt und ihr Körper zittert leicht. Doch sie versucht es so gut es geht zu verbergen. Hoffentlich bekommt ihr Bodyguard nicht mit, daß sie ein ganz anderes Ziel als das Blumenpflücken verfolgt. Das selbstbewußte Auftreten von Bianca verunsichert den Mann. "Aber wehe du versuchst mich zu linken." droht dieser. "Warum sollte ich das tun? Wenn ich abhauen würde, dann müßte ich meine Tochter zurücklassen und das käme nie in Frage." Schließlich geht ihr Aufpasser einen Schritt beiseite und läßt die Frau gehen. Bianca lächelt zufrieden und atmet erleichtert auf. Das war leichter als gedacht, stellt sie zufrieden fest. Doch jetzt folgt der gefährlichste Part ihres Planes.
Als sie nach draußen tritt, schlägt ihr eine Hitzewelle entgegen. Es müssen an die 30°C sein. An dem azurblauen Himmel ist keine einzigste Wolke zu sehen. Die Sonne schickt ungehindert ihre Strahlen auf die Erde und erwärmt sie unbarmherzig. In dem Haus war es Bianca gar nicht so warm vorgekommen. Somit steht fest, daß das gesamte Anwesen klimatisiert ist und aus diesem Grund alle Fenster verschlossen sind.
Vor dem Haus befindet sich ein großer Parkplatz. Auf diesem steht ein grauer Mercedes, ein schwarzer Maserati und ein orangefarbener BMW M 1. Bei diesem Auto würden die Augen von ihrem Mann zu leuchten beginnen, denkt sich Bianca. Und sofort könnte sie anfangen zu heulen. Maik, ihr geliebter Maik, wie sie ihn vermißt. Wann hatte sie ihm das letzte Mal gesagt, daß sie ihn liebt und nicht mehr ohne ihn leben möchte? Ihre Hochzeit vor 2 Jahren war so wunderschön gewesen. Sie hatte ein traumhaftes Kleid getragen. Es war weiß mit einer Schleppe und auf ihrem Rock rote Seidenrosen als Accessoire. Bianca liebt rote Rosen. Maik hatte einen dunklen Anzug mit weißem Hemd und weißer Krawatte angehabt. Beide waren sich an diesem Tag wie Romeo und Julia vorgekommen. Ihr kleines Engelchen hatte von der Hochzeit ihrer Eltern nicht viel mitbekommen, sie war erst vor paar Wochen auf die Welt gekommen.
Bianca läuft durch diese Erinnerung eine Träne über die Wange. Sie sucht nach einem Taschentuch und wischt sie ab. Dabei stöhnt sie leise auf. Die Stelle unterhalb ihres linken Auges schmerzt noch immer. Marco hatte sie dort mit einem heftigen Schlag getroffen. Dieser Schmerz bringt sie in die Realität und zu ihren Plan zurück.
Männer von Graziano patroullieren auf dem Gelände. Jeder von ihnen trägt mindestens eine Waffe in einem entsprechenden Schulterholster. Am Zufahrtstor steht ein Hochstand aus Metal. Dort befinden sich 2 weitere Wachposten. Diese haben ein festinstalliertes Maschinengewehr in greifbarer Nähe. Ihr Posten ist so gewählt, daß sie über das gesamte Grundstück und noch weiter blicken können. Von hier aus können sie jeden sehen, der sich dem Anwesen nähert oder versucht von diesem zu fliehen. Keine guten Aussichten für Bianca. "Was ist denn nun?" hört sie jemanden hinter sich fragen. Es ist ihr Schatten. So besinnt sich Bianca auf ihren eigentlichen Plan, dem Blumenpflücken. Doch hier vorn gibt es nur ein sehr kleines Rasenstück mit kaum einer Blume. "Das soll wohl ein Scherz sein? Die paar Blumen? Gibt es nicht eine größere Wiese?" "Hinter dem Haus." kommt eine kurze Antwort. "Dann gehen wir hinter das Haus." sagt Bianca und läuft los.
Auf der Rückseite befindet sich auch die Terrasse, dort hatte heute Früh die Familie Graziano gefrühstückt. Und hier hinten geht der Luxus, der schon im Haus zu sehen war, weiter. Bianca kann kaum fassen was sie sieht. Einen riesen Pool mit einer Bar in der Mitte die bestimmt soviel gekostet hat, wie das Jahresbruttoeinkommen von Maik und ihr. Zur Bar kommt man über einen Laufsteg oder man bekommt die Getränke direkt ins Wasser gereicht. Außen herum stehen Designermöbel auf einem breiten Streifen mit dunklem Teakholz. Gäste bekommen durch große Palmen ausreichenden Schatten gespendet. Etwas abseits befindet sich ein Kinderpool und ein kleiner Spielplatz mit Rutsche, Schaukel und einem Sandkasten. Ein Paradies für Kids. Graziano scheint seinem Sohn alles zu bieten was ihn glücklich macht. Trotzdem kann er damit nicht die Mutter des Jungen ersetzen. Die Frau, die Graziano mal geliebt hatte. Die er aber vor 2 Tagen eiskalt töten ließ, bloß weil sie ihm mit Trennung gedroht hatte.
Bianca faßt sich wieder und entfernt sich mit großen Schritten vom Haus. Es sieht aus, als ob sie etwas abmessen würde.
"Was soll der Scheiß?" will ihr Aufpasser wissen.
"Nicht, daß ich mich weiter als 10 Meter vom Haus entferne und ihr nen Grund habt mich bei eurem Don Marco...." Die letzten beiden Worte sagt Bianca abfällig. ".... anschwärzt."
"Wenn du nicht umgehend deine blöden Blumen pflückst, bringe ich dich persönlich ins Haus zurück. Hast du das verstanden?" fragt der Mann in einem Tonfall der Verärgerung ausdrückt.
"Ja." bestätigt Bianca und fängt an, Blumen zu pflücken. Wenn sie im Haus ist, will sie ihren Aufpasser um eine Vase bitten und in der Zeit das Telefon einstecken. Später wird sie es irgendwo im Kinderzimmer liegen lassen. Blöd wäre natürlich, wenn der Kerl die Vase von einem anderen holen läßt. Doch dieses Risiko ist relativ gering.
Nach einigen Minuten hat Bianca einen kleinen Strauß gesammelt und will aufhören. Doch dann sticht sie fast eine Biene. Erschrocken zuckt sie zusammen.
"Was ist?" fragt ihr Wachmann.
"Da war eine Biene, die habe ich nicht gesehen."
"Dann paß gefälligst bisschen auf. Ich habe keine Lust für dich einen Eisbeutel zu holen." fährt sie der Kerl wütend an.
*Für dich einen Eisbeutel holen?* Dieser Satz klingt in Biancas Ohren wie eine Eingebung. So verwirft sie ihre Vasenidee und kommt auf eine andere, viel bessere. "Fertig." sagt sie und erhebt sich. In der rechten Hand den Blumenstrauß und in der Linken noch immer ihr Taschentuch womit sie sich ihre Tränen abgewischt hatte. "Dann geh gefälligst zurück." befielt ihr der Mann. Bianca befolgt den Befehl brav und geht in Richtung Terrasse. Jetzt erst betrachtet sie das Haus in seiner ganzen Schönheit. Sie kommt sich vor wie in dem Film "Fackeln im Sturm" auf dem Plantagenanwesen der Südstaatenfamilie Main. Doch sogleich wird sie aus ihrer Vorstellung gerissen, denn Marco Graziano steht an einem der Fenster und beobachtet sie. Wie lange er wohl schon dort steht, kann sie nicht sagen. Sein gefühlskalter Blick verursacht bei Bianca eine Kombination aus Angst, Wut und Verachtung. Stolz geht sie ins Haus zurück, gefolgt von ihrem Wachhund. Kaum ist sie dort angelangt, sieht sie sich nach einem geeigneten Telefon um. Eins, bei dem nicht gleich auffällt, wenn es nicht auf der Station steht. Und im Bereich Terrasseneingang entdeckt sie das passende Objekt. Es steht auf einem kleinen Tisch mit einem Blumenarragement daneben. Bianca merkt, wie sie unruhig wird, ihr Körper vermehrt Adrenalin produziert. Noch kann sie ihr Vorhaben abbrechen, aber sie weiß auch, nur so kann sie Kontakt zur Außenwelt herstellen. Kontakt zu Maik.
Bereits jetzt leistet ihr Herz Schwerstarbeit, aber in den nächsten Sekunden wird sie es noch toppen. Mutig hält sie ihr Taschentuch aus der linken Hand auf den Handrücken ihrer Rechten, dann wartet sie ab. In weniger als 2 Sekunden spürt sie den heftigen Schmerz auf der Rückseite ihrer rechten Hand. Sie schreit auf, läßt die Blumen fallen und kniet sich auf den Boden. Verdutzt über das unerklärliche Verhalten seiner Gefangenen, fragt der Typ hinter Bianca: "Was ist denn jetzt schon wieder los?" Die Frau sagt mit zittern in der Stimme und Tränen in den Augen. "Mich hat eben eine verdammte Biene gestochen. Sie muß sich in den Blumen versteckt haben. Aua, das tut so weh." Noch ist ihr Hüter nicht von der Wahrheit überzeugt. Vorsichtig nähert er sich ihr, eine Hand an seiner Waffe. Doch Bianca markiert nicht. Sie wurde wirklich von einer Biene gestochen. Daß der Stich in Wahrheit von ihr inszeniert und provoziert wurden ist, kann der Kerl aber nicht wissen. "Zeig her." fordert er sie auf. Bianca zeigt ihren rechten Handrücken und tatsächlich. Ganz deutlich kann man den Stich sehen und die bereits einsetzende Schwellung. Der Stachel steckt ebenfalls noch in der Haut. Bianca heult übertrieben, doch darauf achtet der Kerl nicht. "Der Stachel muß raus." sagt er und will ihn herausziehen. "Wehe ihr faßt mich an!" schreit Bianca. "Das mache ich selbst. Holt mir lieber etwas, womit ich kühlen kann." Noch unentschlossen steht der Mann da. "Macht hin, sonst brülle ich das ganze Haus zusammen." droht Bianca. Endlich geht der Mann. Einige Wachleute sind ins Haus gekommen um nachzusehen, was hier für ein Gezeter los ist. "Die blöde Kuh hat nicht aufgepaßt und ist von einer Biene gestochen wurden." erklärt ihr Mitarbeiter. Nach einem kurzen Blick in Richtung der Frau, die sich bereits in einen Sessel gesetzt hat und zitternd ihre Hand hält, verlassen sie mit den unterschiedlichsten Kommentaren das Haus. Die Meisten auf italienisch ausgesprochen. Als Biancas Bewacher mit einem Eisbeutel zurück kommt, kommt auch der Juniorhausherr von oben. "Was ist denn hier los?" will dieser wissen. "Sie wurde von einer Biene gestochen." erklärt sein Angestellter der gerade aus der Küche kommt und zeigt auf Bianca die im Bereich Terrassenausgang sitzt. Doch Marco scheint Zweifel daran zu haben, denn er geht zu Bianca. Sie sieht ihn aus verheulten Augen an. Ihre Hand schwillt immer mehr an. Unbeeindruckt dreht sich Graziano zu seinem Mann und fragt ihn: "Wielange hast du sie allein gelassen?" Diese Frage läßt Bianca innerlich zusammenzucken. Hat ihr "Gastgeber" etwa einen Verdacht? Hat er vielleicht sogar von der Treppe aus gesehen, wie sie das Telefon eingesteckt hat? Falls dies der Fall ist, dann hat sie mit der Aktion ihr Todesurteil unterschrieben.
"Höchstens 1 Minute." untertreibt ihr Aufpasser. Denn auch er hat einen gesunden Respekt vor seinem Arbeitgeber. Bange Sekunden vergehen.
Irgendetwas ist hier faul, denkt Marco Graziano bei sich, doch er kann nicht sagen was ihn an der Echtheit der Situation zweifeln läßt.
Bianca drückt noch ein paar Tränen mehr heraus. Schließlich scheint Graziano überzeugt zu sein, nimmt seinem Mann den Eisbeutel ab und wirft ihn schroff in Biancas Schoss. "Hier und höre endlich mit dem Geflenne auf. Dieser dämliche Bienenstich wird dich nicht gleich umbringen." Graziano dreht sich um und wendet sich noch einmal an seinen Mann: "Wenn ich noch einmal mitbekomme, daß du sie allein gelassen hast, dann kannst du dein Testament machen. Ich hoffe, ich habe mich verständlich ausgedrückt." "Capisco." (Ich habe verstanden.) sagt Biancas Bewacher eingeschüchtert. Sein Boss verläßt die Gefangene und seinen Angestellten. Er läuft absichtlich über die am Boden liegenden Blumen die Bianca gepflückt hatte. Damit will er ihr zeigen, wer in diesem Haus das Sagen hat. Gleich neben den Blumen befindet sich eine Biene. Sie liegt durch den Verlust ihres Stachels im Sterben. Mit einem sadistischen Grinsen zertritt er sie mit dem Schuh. Ein leises Knacken ist zu hören, als ihr Leib bricht.
Bianca begreift schlagartig daß, wenn ihr Plan jetzt aufgeflogen wäre, daß sie dann die Stelle des Insektes eingenommen hätte. Aber noch hat sie keinen Hilferuf absetzen können. Noch ist ihr Plan in Gefahr, ihr Plan und ihr Leben. Sie muß ihn so schnell wie möglich in die Tat umsetzen, bevor das Verschwinden des Telefons auffällt. Aus diesem Grund setzt sie ihr Theaterstück fort. "Mir ist nicht gut. Ich glaube es ist besser, wenn ich mich paar Minuten hinlege." sagt sie zu ihrem Bewacher. Geschwächt steht sie auf, drückt dabei den Eisbeutel auf ihre Hand. Auf dem Weg zu ihrem Zimmer, muß sie bei der toten Biene vorbei und ein komisches Gefühl befällt sie. Ob ihre Idee wirklich so gut war, so langsam kommen ihr Zweifel. Setzt sie das Leben ihrer Tochter vielleicht doch zu leichtfertig aufs Spiel? Doch jetzt gibt es kein zurück mehr. Bei jedem ihrer Schritte spürt sie das Telefon an ihrem Körper. Sie hatte es sich, nachdem ihr Bewacher verschwunden war, blitzschnell zwischen Hosenbund und Bluse gesteckt. Vorsichtig geht sie die Treppen nach oben. Peinlich darauf bedacht, daß sie ihre Kommunikationsmöglichkeit mit der Außenwelt nicht verliert. Dann wäre alles aus. Überglücklich und erleichtert kommt sie in ihrem Zimmer an, legt sich aufs Bett und schließt ihre Augen. Gott sei Dank läßt sie der Typ alleine. Bianca hört, wie er die Tür abschließt und dann geht.
Erleichtert atmet sie durch. Sofort setzt sie sich auf und holt das Telefon aus ihrem Hosenbund. Ihr Blick fällt auf ihre rechten Handrücken. Dieser ist bereits extrem angeschwollen. Die italienischen Bienen scheinen giftiger als die Deutschen zu sein. Das Gleiche gilt für die Menschen die hier leben, denkt sich Bianca, nicht ohne ein beklemmendes Gefühl zu bekommen.
Sie starrt auf das Telefon in ihrer Hand. Dann wählt sie die Nummer von Maik. 0177 26 ??? Sie zögert. Verdammt noch mal, wie ist gleich die Nummer? 0177 26 453 oder 345? Wenn sie Maik früher immer angerufen hatte, hatte sie die Nummer mit Hilfe ihres Handyverzeichnisses wählen lassen, dies wird ihr nun zum Verhängnis. Sie fängt an nervös zu werden. Die Zeit läuft ihr davon. Bald werden Amélie und Léon aufwachen und dann muß sie wieder ihren Job als Mutter bzw. Mutterersatz erledigen.
0177 26 453 gibt sie schließlich ein. Der Ruf geht ab. Ihre Hand zittert und ihr Herz jagd sich selbst. Es scheint darauf fixiert zu sein, den niedrigeren Blutdruck von eben durch einen Höheren überbieten zu wollen. Dabei glaubt Bianca bereits jetzt zu spüren, wie ihre außerordentlich hohe Blutzirkulation ihre Venen schmerzhaft dehnt, fast schon sprengt.
"Ja bitte." meldet sich endlich ein männliche Teilnehmer. "Maik?" fragt Bianca leise. Sie kann nicht lauter, sonst hört man sie von außen. "Hier ist kein Maik. Sie müssen sich verwählt haben. Hier ist der Anschluss der Familie Klinger."
In Bianca bricht eine Welt zusammen. Endlich hat sie jemanden in der Leitung und dann ist es auch noch der falsche Anschluss. Also wählt sie schnell die andere Nummer. Die stimmt aber 100 %ig. Ihr Körper ist so mit Epinephrin vollgepumt, daß ihr davon schlecht ist.

Amélie und Léon sind schon seit einiger Zeit wach. Der Sohn von Marco ist bereits von allein aufgestanden und läuft auf dem Gang umher. Eine weitere Tür geht auf und der Vater von Marco kommt heraus. Er hatte etwas Mittagsruhe gehalten. Schließlich ist er nicht mehr der Jüngste. Mit seinen 76 Jahren will er sich bald vom Geschäft zurückziehen und seinem Sohn die Herrschaft über das Anwesen und den Clan überlassen. "Was machst du denn so alleine auf dem Gang?" fragt er liebevoll seinen Enkel.
"Léon nicht mehr müde." antwortet dieser lachend.
"Komm, dann laß uns mal deinen Vater suchen." sagt der alte Herr Graziano und geht zum Zimmer seines Erstgeborenen. Dieser sitzt an seinem Schreibtisch vor einem Laptop. "Hier, dein Sohn läuft ganz alleine auf dem Gang herum. Er hätte leicht die Treppe runterfallen können. An deiner Stelle würde ich dieser Babysitterin mal kräftig in den Hintern treten."
"Das werde ich auch tun." sagt Marco erbost und verläßt sein Zimmer.

Fuchsteufelswild schreit er: "Bianca!" Ihr Bewacher antwortet von der unteren Etage her. "Die habe ich in ihrem Zimmer eingeschlossen. Ihr ging es nach dem Stich nicht gut. Sie schläft bestimmt." Wütend geht Marco dorthin, dreht den Schlüssel im Schloss herum und reißt die Tür auf. "Was denkst du eigentlich warum ich dich blöde Schlampe am Leben gelassen habe, damit du auf meinen Sohn aufpaßt! Und was machst du, du pennst seelenruhig während er auf dem Gang herumläuft!"
"Aber ich war doch einge...." versucht sie sich zu rechtfertigen.
Doch Marco will keine Entschuldigung hören. "Wenn ich rede, hast du deine Klappe zu halten!" brüllt er sie an. "Es hätte sonstwas mit meinem Sohn passieren können! Wenn er die Treppen hinuntergefallen wäre, dann hätte ich dich ebenfalls die Stufen runtergeschmissen damit du mal weißt, wie es sich anfühlt! Jetzt sieh zu, daß du zu ihm kommst, bevor ich dich grün und blau schlage!" Bianca ist in der Zeit bereits vom Bett aufgestanden. Das erzörnte Gesicht von Marco macht ihr Angst. Sie hält schützend ihre Hände über ihren Kopf und will so schnell wie möglich das Zimmer verlassen. Sich aus der Reichweite von diesem Gangster bringen. Doch Graziano bekommt sie zu packen und stößt sie brutal gegen den Türrahmen. Sie schlägt mit ihrer rechten Seite schmerzhaft dagegen. Als Léon jedoch mit seinem Opa um die Ecke kommt, ist Marco von einer Sekunde zur anderen wie ausgewechselt. Liebevoll lächelt er seinen Sohn an und sagt: "Keine Angst, Tante Bianca ist bloß hingefallen." Dabei hilft er ihr auf und flüstert ihr ins Ohr: "Wehe das kommt noch einmal vor, daß ich Léon unbeaufsichtigt antreffe." Bianca versucht ihre Schmerzen und ihre Angst vor dem Kind zu verbergen. Doch sie schafft es nur mit Mühe. Gott sei Dank hatte sie Marco kommen hören und das Telefon noch rechtzeitig verstecken können. Ein Gespräch mit Maik war leider nicht zustandegekommen. Sie hatte aber auf seiner Mailbox eine Nachricht hinterlassen. Was sie nicht wissen kann, Maiks Handy war bei dem Unfall noch in dem Auto gewesen als dieses explodierte. So wird er ihre Nachricht nie abhören können.

19.

Maik hatte den "ausgeliehenen" Transporter dieser Service-Crew in einer Seitenstraße abgestellt. Hier wird ihn die Polizei irgendwann finden. Nicht ganz ohne Grund hatte er diese Gegend dafür ausgewählt, denn hier ist die Werkstatt in der sein Silverado gerade repariert wird. Dieser ist endlich fertig und Maik damit wieder flexibler. Schließlich mußte nur eine neue Scheibe eingesetzt werden. Dem Werkstattchef hatte er gesagt, daß ihm ein Stein in die Frontscheibe geflogen war. Er hatte kein Wort über die Schießerei verloren. Wozu schlafende Hunde wecken. Wer weiß, wer noch zu dieser Bruderschaft gehört. Schließlich müssen die nicht unbedingt wissen, daß er noch am Leben ist. Aus diesem Grund hatte Maik die Rechnung auch bar bezahlt und nicht über Kreditkarte bzw. die Versicherung laufen lassen. Als er in seinem Auto sitzt, fährt er nicht gleich los, sondern greift in die Jackentasche seines Arbeitsanzuges. Heraus holt er eine von den über 20 SD-Karten die er aus dem Hause Graziano mitgenommen hatte. Er hält sie in der Hand, betrachtet sie nachdenklich und fragt sich, was wohl darauf gespeichert ist. Sobald er bei Lou ankommt, wird er sie sich ansehen und vielleicht eine Antwort bekommen, warum diese Bruderschaft ihm immer einen Schritt voraus ist.
Langsam fährt er los. Der Verkehr ist noch ziemlich ruhig. Kein Wunder, denn 15.00 Uhr arbeiten die meisten Münchner noch. Nur einige Reisebusse verstopfen die Straßen. An den Nummernschildern kann man sehen, daß sie aus ganz Europa kommen. Die bayrische Hauptstadt ist ein begehrtes Ziel. Der Marienplatz, das Schloss Nymphenburg, die Frauenkirche, das Hofbräuhaus und der Englische Garten sind beliebte Ausflugsziele. Wieder einmal hält einer dieser Reisebusse an einer öffentlichen Bushaltestelle und blockiert so den nachfolgenden Verkehr. Maik muß ebenfalls anhalten. Dem Fahrer des Busses mit der Aufschrift Di Tommaso stört es nicht, wenn er hier gar nicht halten darf. Seelenruhig läßt er seine Gäste aussteigen. Etwas genervt schaut Maik auf das Nummernschild: BE 705WT. Links unter dem Sternenkranz von Euro steht ein großes I. Der Bus kommt aus Italien. Sofort muß Maik an Marco Graziano denken. Dieses italienische Mafiasöhnchen hat binnen weniger Stunden sein Familienglück zerstört. Doch er wird dafür büßen. Nicht wenn seine Leute dabei sind, nein, Maik wird zuschlagen wenn er es am wenigstens erwartet. Aber erst einmal muß er herausbekommen wo sich der Hurensohn aufhält und das erfährt er nur, wenn er sich erneut einen von dieser Bruderschaft schnappt und ihn zum Reden bringt. Diesmal wird er nicht so zimperlich mit ihm umgehen wie mit diesem Maximilian. Heute Abend wird er sich wieder einmal vor dieser Gaststätte auf Lauer legen und bei einem geeigneten Subjekt zuschlagen. Maik wird so schnell sein, daß der Kerl erst zu spät begreift, wie ihm geschieht.
Endlich, der Bus ist leer und der Fahrer setzt den linken Blinker. Tayler legt schon den ersten Gang ein, da sieht er plötzlich Bianca und Amélie in der Reisegruppe. Sein Herz legt einen Sprint hin, wie ein Raketenauto beim Start. Von 0 auf 100 in weniger als 2 Sekunden. "Bianca!" ruft Maik ganz laut. Doch sie hört ihn nicht. Der Straßenlärm übertönt seine Stimme. Der ehemalige Polizist steigt aus seinem Auto. Ihm ist es völlig egal, daß ER diesmal den Verkehr blockiert. "Hey, was soll das?" fragt ihn ein wütendender Autofahrer. "Fahr gefälligst deinen Monstertruck an die Seite."
Maik beachtet ihn nicht, er darf Bianca und seine Tochter nicht aus den Augen verlieren. Er folgt der Gruppe aus dem italienischen Reisebus, stößt dabei mit anderen Passanten zusammen. Einer Frau reißt er die Handtasche von der Schulter. Ihr Mann bekommt diesen Verrückten jedoch noch an dessen Jacke zu fassen. "Was soll das? Entschuldigt euch wenigstens." blafft er Maik an. Dieser reißt sich los, stammelt ein schnelles: "Entschuldigung." und rennt weiter. Diese Sekunden haben gereicht, daß er Frau und Kind aus den Augen verloren hat. NEIN ! ! ! Das kann jetzt nicht wahr sein! schreit es in Maik. Soll er sie etwa schon wieder verloren haben. Panisch dreht er sich im Kreis, sucht mit seinen Augen die Gegend ab. Doch hier gibt es soviele Leute, daß es fast unmöglich ist eine bestimmte Person wiederzufinden. Er läuft einige Meter in die eine Richtung und dann wieder in eine andere. Maik kommt sich wie in einem Labyrinth aus Menschen vor. Ihre Blicke treffen ihn und jeder fragt sich, was dieser Mann wohl für ein Problem hat. Verzweiflung macht sich in Maik breit. Verzweiflung und unendliche Trauer. Dann endlich. Ganz hinten sieht er seine Frau, ihre schlanke Figur, ihre braunen langen Haare, das ist Bianca und sie hat Amélie auf dem Arm. Seine Tochter. Er läßt sie nicht mehr aus den Augen, folgt beiden rennend. Noch 10 Meter. "Bianca! Hier bin ich!" Doch wiederholt übertönen die vielen Stimmen seine Rufe. Endlich, er bekommt seine geliebte Frau an Arm zu fassen. "Bianca, ich dachte schon daß ihr ...." Seine Worte bleiben ihm im Halse stecken als sich die Frau mit dem Kind zu ihm dreht. Er schaut in ein fremdes Gesicht.
"Sono in grado di aiutarlie?" (Kann ich ihnen helfen?) fragt sie mit erschrockener Stimme. Maik fühlt sich wie von einem zentnerschweren Stein getroffen. Er ist unfähig klar zu denken, geschweige denn einen vernünftigen Satz herauszubringen. Seine Gesichtsfarbe ändert sich schlagartig und er wird kreidebleich. Er glaubt, daß seine Beine sein Körpergewicht nicht mehr tragen können.
"Non é bene per loro?" (Geht es ihnen nicht gut?) hört er die Stimme der Frau wie durch einen Schleier hindurch. Sein italienisch ist ziemlich eingerostet, aber er versteht sie. "Scuse. L´ho confuso con mia moglie." (Entschuldigen sie. Ich habe sie mit meiner Frau verwechselt.) Stammelt er. Mit einem freundlichen und verständnisvollen Lächeln quittiert die Frau seine Worte, dann schließt sie sich wieder ihrer Reisegruppe an.

Maik tut sein Herz so weh. Hatte er doch geglaubt seine beiden Engel zu sehen. Doch seine Augen hatten ihm einen Streich gespielt. Sein Sehnerv wurde noch zusätzlich von Hoffnung und Freude beeinflußt. Eine schlechte Kombination. Tayler legt die Hände an seinen Hinterkopf und schaut in den Himmel hinauf. In diesem blauen Meer gibt es nur wenige Wolken. 3 Kleinere schließen sich gerade zu einer Großen zusammen, werden aber gleich wieder vom Wind auseinandergerissen. Wie passend der Himmel doch die traurige Geschichte von Maik, Bianca und Amélie in die Weiten des Firmaments schreibt. Für jeden sichtbar, aber von den wenigstens gesehen und von noch wenigeren verstanden. Tränen laufen über das Gesicht des einsamen Ehemannes und Familienvaters Maik Tayler. Am liebsten würde er sogleich seinen Frust, seine Wut und seine Verzweiflung laut in den Himmel schreien. Doch seine Schreie hört nur sein Körper. Sein Herz zerbricht leise aber schmerzhaft in viele Einzelteile. Maik fühlt sich von seinem Glück im Stich gelassen, von der Hoffnung verhöhnt.




Es ist das Zärtlichste in mir was du gerade zerstört hast.
Ich bin fertig, hör schon auf !
Siehst du die Scherben in meiner Hand?
Doch du wirft Steine in mein Herz aus Glas.
Du schießt Pfeile, triffst mich innerlich.
Spürst du nicht, wie es zerbricht?

Dieses Herz aus Glas.
Es ist mein Herz aus Glas.





20.

Am Boden zerstört, innerlich ausgebrannt, kommt Maik kurz darauf bei Lou an. Eigentlich wollte dieser schon längst wieder zu Hause sein, doch sein grauer Lexus steht nicht vor dem Wohnhaus. Vielleicht ist er auf Arbeit aufgehalten wurden. Der ehemalige Polizist kennt diese Situation nur zu gut.
Maik parkt seinen Silverado einige Straßen weiter. Er möchte nicht, daß sein Fahrzeug direkt mit der Familie Bridges in Verbindung gebacht wird. Auf dem Weg zum Haus seines Freundes versucht er seinen Kopf frei zu bekommen. Komplett in Gedanken versunken, nähert er sich dem Anwesen. Dabei achtet er nicht auf einen weißen Nissan-Kleintransporter der wie zufällig vor Lou´s Haus steht. Erst zu spät erkennt er die Gefahr, die von diesem Fahrzeug ausgeht. Als er in gleicher Höhe ist, werden die Türen aufgerissen und 3 maskierte Männer springen heraus. Maik greift instinktiv nach seiner Waffe, doch sie wird ihm mit geübten Handgriffen entwendet. Mit ihr hätte er sowieso nichts anfangen können, denn er hatte alle Kugeln im Haus Graziano verschossen. Einer von den Männern schlägt mit der Handkante Maik kräftig ins Genick und sogleich erschlafft der Körper ihres Opfers. Sie stoßen ihn ins innere, steigen selbst ein und fahren los. Die ganze Aktion hat weniger als 2 Minuten gedauert.

Bianca spielt mit den Kindern in der oberen Etage Fanger. Sie hatte ihren Wachhund zuvor gebeten an der Treppe aufzupassen, nicht daß eins der Kinder hinunterfällt. Er versprach Obacht zu geben.
Schmunzelnd beobachtet er das ausgelassene Spiel der Drei. Die Kinder lachen herzhaft wenn sie gefangen werden. Diese Frau kann herrlich mit ihnen umgehen, denkt sich ihr Leibwächter. Doch er ist auch vorsichtig. Ständig achtet er darauf, daß Bianca nicht allzulange außer Sicht ist. Einmal verschwindet sie für einige Sekunden im Kinderzimmer, dann wieder in einem leeren Gästezimmer und auch in ihrem jetzigen Zimmer versteckt sie sich. Léon und Amélie jagen ihre große Spielkameradin mit kindlichem Eifer. Nach einer halben Stunde sind alle 3 völlig durchschwitzt und Bianca sagt, als sie aus ihrem eigenen Zimmer kommt: "Ich brauche mal eine Pause. Was haltet ihr von einer schönen kalten Limonade." Die Kinder sind begeistert und so gehen sie nach unten. Doch als Bianca mit ihnen in die Küche gehen will, stellt sich der Mann ihr in den Weg. "Netter Versucht." sagt er grinsend, öffnet die Tür einen Spalt breit und ruft hinein: "Valentina, una bottiglia di limonata." Bianca sieht ihn an und fragt keck. "Ihr habt wohl Angst, daß ich euren Don mit einem Kartoffelschäler umbringen könnte." "Sicher ist sicher." kontert dieser nicht unfreudlich. Die Frau lächelt, dreht sich zu den Kindern und sagt: "Kommt, wir warten vor der Terrasse auf unsere Limo." Gleich als sie sich von ihrem "Beschützer" abwendet, wird sie ernst und greift sich auf den Bauch. Dort hat sie wieder das Telefon versteckt. Jetzt muß sie es nur noch auf die Station stellen und fertig. Auf dem Weg zu dem Terrassenausgang sieht sie Marco und 2 seiner Leute im Garten stehen. Er telefoniert und das Gespräch scheint ihn aufzuregen, denn er gestikuliert heftig. Um was es geht kann Bianca nicht verstehen, sie kann kein italienisch. Graziano sieht seine Gefangene plötzlich an. Diese versteinert schlagartig. Sie glaubt zu spüren, daß dieser Kerl ihr bis auf die Haut sehen kann und weiß, daß sie etwas bei sich hat, was sie niemals haben dürfte. Genau in diesem Moment beendet er sein Gespräch und nähert sich mit seinen Männern der Terrasse. Was jetzt? Bianca fängt an noch mehr zu schwitzen. Sie kann das Telefon nicht unbemerkt verschwinden lassen, denn ihr Aufseher hat sie fest im Blick.
Amélie hüpft wild auf dem Sofa herum, dabei fällt sie hinunter und fängt sofort an zu heulen. Sie hat sich den Kopf am Tisch ziemlich angestoßen. Bianca geht zu ihr, nimmt sie tröstend in ihre mütterlichen Arme. Als sie sich umdreht, steht Marco bereits vor ihr. Seine Augen durchbohren sie förmlich. Die Frau muß schlucken und ihre Atmung wird schneller. Graziano bemerkt ihre plötzliche Nervosität. "Was hast du?" will er von ihr wissen? "Nichts. Ich habe mich bloß erschrocken, als ihr so plötzlich vor mit standet." Doch Marco glaubt ihr nicht. Er schaut sich in dem kleinen Vorbereich zur Terrasse um und sein Blick bleibt an der leeren Festnetzstation hängen. Wieder heftet sich sein Augenmerk auf Bianca. Seine eiskalten grauen Augen treffen wie eine Speerspitze ihr Herz. "Bist du wirklich so blöd? Denkst du ich merke es nicht?" will er von ihr wissen. "Ich weiß nicht was ihr meint." stellt sich Bianca dumm. "Ich habe dich gewarnt." sagt Graziano und dreht sich zu seinem Mann herum. "Antonio, bringt die Kinder ins Auto." "NEIN!" schreit Bianca. Doch Marco reißt ihr sogleich Amélie aus den Armen. Diese fängt an zu heulen, da sie nicht versteht, warum ihr die Mutter genommen wird. Nachdem er das Mädchen seinem Mann in die Hand gedrückt hat und dieser mit beiden Kindern wortlos in Richtung Parkplatz verschwindet, wendet er sich wieder Bianca zu. Diese wollte auf Graziano losgehen, aber seine beiden Personenschütze hatten sie davon abgehalten. "Laßt mir meine Tochter." bettelt Bianca und versucht sich zu befreien. Doch die beiden Männer halten sie nur noch stärker fest. "Ich habe doch gar nichts getan." sagt sie und heult. "Und wo ist dann das Telefon?" will Marco wissen. "Was für ein Telefon?" schreit sie ihn an. Graziano greift ihr in die Haare und zieht derb daran. Bianca jammert vor Schmerz. Die Leute lassen die Frau los. "Dieses Telefon!" sagt der Gangsterboss und stößt sie in Richtung der leeren Festnetzstation. Bianca fällt auf ein Sofa. "Ich weiß nicht wo es ist! Ich habe nichts mit dem Verschwinden zu tun!" lügt sie hartnäckig. "Das werden wir gleich sehen." sagt Graziano bösartig und geht zur Station. Er drückt den Knopf zum Suchen. Lange Zeit ist alles still, nur das Heulen von Amélie und Léon ist von draußen zu hören. Ihre zarten verängstigten Kinderstimmen und das Schluchzen von Bianca erfüllen den Raum. Dann geht der Rufton ab und wird von dem vermißten Telefon in einen Klingelton umgesetzt. Das Signal kommt aber nicht aus Biancas Richtung, sondern es kommt aus Richtung eines Sessels. Ein Angestellter schiebt ihn beiseite und darunter liegt das Telefon. Etwas überrascht über den Fundort läßt Marco von seiner Gefangenen ab.
"Vielleicht ist es heruntergefallen als die beiden Kinder auf dem Sofa herumgetobt haben." wirft einer von seinen Leuten in den Raum. Das klingt durchaus plausibel.
Marco kauert sich noch einmal zu Bianca hinunter. Sie liegt auf dem Sofa und heult. "Da hast du noch mal Glück gehabt." sagt er zu ihr, dann läßt er sie einfach liegen.
Das hätte wirklich gründlich schief gehen können, denkt sich Bianca als sie Marco und seinen beiden Männern nach sieht. "Was ist mit meiner Tochter?" will sie wissen. Doch ihre Frage bleibt unbeantwortet.
Als Amélie vom Sofa gefallen war, hatte Bianca blitzschnell das Telefon aus ihrem Gürtel gezogen und es unter den Sessel geschoben.

Kurze Zeit später hört sie ihre Tochter rufen: "Mama Mama." Aber zuerst taucht Léon auf. Er fällt ihr überglücklich um den Hals, dabei heult er. "Tante Bianca. Warum war Papa so böse zu dir?" will er von ihr wissen. Die Frau wischt sich ihre Tränen ab und sagt: "Er dachte, daß ich was verbotenes gemacht habe. Aber jetzt ist wieder alles gut. " Sie gibt ihm eine Kuss. Dann taucht Antonio mit ihrer Tochter auf. Er stellt sie auf den Boden und sagt gefühlvoll. "Da ist doch deine Mama. Komm, geht schnell zu ihr."

21.

Durch einen kalten Wasserguß wird Maik ungemütlich aus seinem Schlaf gerissen. Erst glaubt er ertrinken zu müssen, aber es dauert nicht lange und er kann wieder durchatmen, ohne zwangsläufig weiteres Wasser zu schlucken. Trotzdem bekommt er einen kurzen Hustenanfall. Als dieser vorbei ist spürt er, daß er mit Handschellen gefesselt auf einem Metallstuhl sitzt. Wie war er hierher gekommen? Achja, dieser Transporter vor dem Haus von Lou. Die Kerle hatten eindeutig auf ihn gewartet. Doch wer sind sie?
Langsam hebt Maik seinen Kopf. Sein Nacken tut ihm von dem heftigen Schlag in sein Genick noch weh. Schmerzvoll dreht er seinen Kopf im Kreis und fragt: "Außer dem Wasser, kann ich vielleicht noch eine Kopfschmerztablette bekommen?"
Seine Frage wird mit einem kurzen Lachen quittiert.
"Wer seid ihr?" will Maik wissen und schaut sich um. Doch er sieht kaum etwas. Eine Dedolight-Stehlampe strahlt ihn an und macht ihn so Nachtblind. Dieses Licht ist bis zu 150 Watt stark und kann extrem gebündelt werden.
Damit wird seinen Augen die natürliche Möglichkeit genommen, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. So weiß er weder wo eine Tür ist, noch wieviele Personen sich in dem Raum wirklich aufhalten. Eine typische Verhörszene. Auf der anderen Seite der Lampe wäre ihm jetzt eindeutig wohler.
"Hey, ich hab dich was gefragt? Bist du taub? Dann lies gefälligst von meinen Lippen ab."
Das Klicken eines Schalters ist zu hören, danach durchfährt Maik ein heftiger Stromschlag. Unwillkürlich muß er schreien und sein Körper bäumt sich auf. Als der Schalter wieder in Ausgangsstellung gebracht wird, glaubt er fast einen Herzinfarkt zu bekommen. Sein Herz rast und seine gebrochenen Rippen schmerzen bestialisch. Dagegen würde auch kein Flupirtin helfen.
Der Unbekannte in dem Raum bewegt sich. Maiks Herzfrequenz ist extrem hoch und seine Atmung rast. Trotzdem bekommt er den Stellungswechsel mit.
"Gut, lassen wir die Vorstellungsfloskel eben weg." sagt Maik. Dabei schließt er seine Augen und verzieht sein Gesicht.
"Du willst wissen wer ich bin?" wiederholt der Mann. Seine Stimme klingt dunkel und rauh. Maik kennt sie nicht, doch sie bereitet ihm unbehagen.
"Ich dachte, den Punkt wollten wir überspringen." sagt Tayler.
"Wenn du nicht kooperierst, werde ich in den nächsten Stunden dein Alptraum sein."
Diesmal lacht Maik kurz auf. "Irgendwoher kenne ich den Satz. Laßt mich mal überlegen. Ach ich weiß, aus Tom und Jerry."
Wütende Schritte sind zu hören, die sich wieder an die Stelle zurückbewegen wo der Kerl schon am Anfang gestanden hatte. Maik spannt seine gefesselten Hände und seine Muskeln an. Gefaßt auf einen weiteren Stromschlag, doch eine zweite Stimme kommt aus einer anderen Ecke. "George, laß ihn!"
Maiks Atmung ist schnell wie nach einem Marathonlauf. Die andere Person nähert sich und bleibt hinter der Lampe stehen, soviel kann Tayler erkennen.
"Seit ihr der Boss hier?" will er wissen. "Dann legt euren Folterknecht mal lieber an die Kette. Der ist ja gemeingefährlich und außerdem hat er nicht kapiert, wie ein richtiges klassisches Verhör läuft. Dabei wird einem Gefangenen eine bestimmte Frage gestellt, mir in diesem Fall. Leider. Und erst wenn darauf keine Antwort kommt, stellt man den Strom an. Nicht schon bei der Begrüßung."
"Mein Mann ist halt bisschen übereifrig." scherzt der Fremde.
"Das habe ich gemerkt." sagt Maik.
"Also, fangen wir noch mal von vorne an. Meine Name ist UNWICHTIG. Ich würde aber sehr gern euren wissen."
"Seht ihr, Herr Unwichtig. Mit etwas Freundlichkeit kommt man doch gleich viel weiter. Das solltest ihr auch mal euren Handlangern beibringen. Mein Name ist Maik Bauer. Damit dürfte entgültig feststehen, daß ihr den Falschen entführt habt. Jetzt macht mich los und laßt mich gehen. Ich habe was wichtiges zu erledigen."
"Und was wäre das? Vielleicht noch paar Geschäfte für den Herrn Graziano erledigen?"
Maik schaut den Mann verdutzt an.
"Ja, wir haben euch schon seit einiger Zeit beobachtet. Ihr wart vorletzte Nacht im Gasthof zur "Eiche" und vor paar Stunden im Haus von Marco Graziano. Was habt ihr mit den anderen beiden Männern so zu besprechen gehabt? Vielleicht wie ihr Graziano die SD-Karten zukommen lassen könnt. Eins würde mich aber noch brennend interessieren, warum habt ihr Sara Graziano getötet? Weil sie hinter euer Doppelleben gekommen ist. Ich nehme mal an, sie wollte es eurer Frau sagen, daraufhin mußtest ihr sie verschwinden lassen. Sie und ihre Tochter. Danach habt ihr einen kleine Selbstmord auf der B 13 inszeniert. War wirklich sehr nett eingefädelt."
Maik ist sprachlos. Woher weiß der Kerl das alles. Nie hatte er sich beobachtet gefühlt. Tayler kommt da eine aberwitzige Idee. "Sagt bloß, ihr seit der Boss dieser Bruderschaft oder dieses Ringvereins. Ich kann mir den Quatsch einfach nicht merken. Und Graziano hat euch mit den eigenen Waffen geschlagen. Er hat sich sein kleines Nebengeschäft aufgebaut, genau vor euren Augen." Maik lacht.
"Ihr liegt falsch. Wir sind eher vom Gegenverein."
"Was, etwa von den lesbischen Schwestern?"
"George." sagt der Mann und Maiks schmerzhafte Schreie dringen in jede Ritze des alten Gemäuers.
Wieder kämpft das Herz von Tayler gegen einen drohenden Stillstand an. Diesmal muß sich der ehemalige Polizist übergeben. Er braucht viel länger als beim ersten Mal um seinen Körper unter Kontrolle zu bringen.
"Kann ich fortfahren?" fragt sein Peiniger nach einiger Zeit.
"Von mir aus bis zur Hölle." sagt Maik. Noch einmal spuckt er das Erbrochene aus.
"Da lasse ich euch gern den Vortritt. Kommen wir noch mal auf die Frage zurück, wohin ihr die SD-Karten bringen wolltet, die wir in euren Taschen gefunden habe?"
"Ich weiß ja nicht mal was auf diesen Scheiß Karten gespeichert ist."
"Dann solltet ihr sie wohl nur übergeben? Wie heißt euer Kontaktmann?"
"Vielleicht Rumpelstilzchen. Ich weiß es nicht. Ich habe diese blöden Karten bloß geklaut, um Graziano am Arsch zu kriegen." schreit Maik fast.
"Warum? Hat er euch gelinkt?" fragt der Mann ganz ruhig und sachlich.
"Nein, weil dieser italienische Bastard weiß, wo meine Frau und meine Tochter sind. Er hat Sara töten lassen und hat es mir in die Schuhe geschoben. Mein Unfall auf der B 13 war nicht inszeniert wie ihr denkt. Der Kerl hatte einen Auftragskiller auf mich angesetzt. Doch der war nicht so gut wie er annahm. Ich will einfach nur meine Familie zurück haben. Alles andere ist mir so was von egal. Eure Geldschieberei oder was sonst noch in dieser Gaststätte abläuft."
Maik ist am Ende. Er kann einfach nicht mehr. Die letzten Tage waren zu viel für ihn. Dieser ständige Wechsel zwischen jagen und gejagt werden, haben seinen Körper und Geist geschwächt. Schließlich ist er keine 20 mehr. Tränen laufen ihm übers Gesicht.
Die beiden Männer verlassen den Raum und Maik bleibt allein zurück.

Als es 19 Uhr wird, ißt Bianca mit beiden Kindern im Spielzimmer zu Abend. Sie hat keinen richtigen Hunger. Ihr rechter Handrücken tut noch wahnsinnig weh, die Schwellung von dem Bienenstich ist kaum zurückgegangen. Antonio ihr Aufpasser bemerkt ihre Angeschlagenheit. Als sie fertig sind und Bianca aufsteht, sagt er zu ihr: "Ich helfe euch die Kinder ins Bett zu bringen." "Danke." sagt sie müde.
Als sie oben sind, müssen sie am Arbeitszimmer von Graziano Jr. vorbei. Die Tür steht offen und Marco sitzt wieder einmal vor seinem Laptop. "Bianca." ruft er. Sie kommt zurück, auch ihr Hüter dreht um. Er hat Amélie auf dem Arm. Sie schläft fast. "Antonio, bring die Kinder schon ins Zimmer." "Ja." sagt dieser und hält auch Léon die Hand hin. "Komm mein kleiner Hosenmatz. Das Bettchen ruft."
Graziano sagt zu Bianca: "Setz dich." Was will er jetzt schon wieder? fragt sie sich. Doch sie setzt sich ohne ein Wort zu verlieren. Marco greift in seinen Schreibtisch, holt etwas heraus und geht damit zu Maiks Frau. "Zeig mir mal den Bienenstich." sagt er unverhofft freundlich. Als Bianca ihm die Hand gibt, nimmt er sie sachte in die Seine und sagt: "Das sieht aber wirklich böse aus. Hier, ich habe eine Hydrocortisonsalbe für dich. Wenn du sie Nachts aufträgst, dürfte die Schwellung Morgen verschwunden sein. Die kannst du auch für dein Gesicht nehmen. Außerdem habe ich ins Zimmer der beiden Rabauken ein Bett für dich stellen lassen. So bist du in ihrer Nähe und Léon rennt nicht wieder allein auf dem Gang herum. Ich glaube, ihn kann man wirklich keine 5 Minuten aus den Augen lassen." Graziano lächelt. "Da du deinen Job doch ganz gut zu machen scheinst, habe ich dir aus der Stadt eine kleine Überraschung mitgebracht. Ich hoffe es gefällt dir. Jetzt geh schlafen, du siehst müde aus." Bianca nimmt die Salbe und steht auf. Die Freundlichkeit von Graziano verunsichert sie mehr, als dessen Wutausbrüche. Ohne einen Dank verläßt sie das Zimmer ihres Kidnappers. Dieser hatte auch nicht damit gerechnet. Als sie ins Zimmer der Kinder kommt, ist Antonio bereits dabei die Zwei auszuziehen.
Für Bianca steht ein schönes großes Bett im Zimmer. Darauf liegen verschiedene Anziehsachen. Alles teure Modestücke. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Will sich Marco etwa für seinen Jähzorn entschuldigen. Doch Bianca glaubt dem Frieden nicht.
Nach 20 Minuten sind die Kleinen im Bett und Antonio verabschiedet sich. "Schlafen sie gut." sagt er. "Danke. Sie auch." antwortet Bianca. Danach verläßt er sie und schließt die Tür. Aber ganz so sicher ist Graziano doch nicht, denn er läßt sie erneut einschließen. Doch Bianca ist es egal, sie will nur noch unter die Dusche und dann, ab ins Bett.

Maik weiß nicht, wielange sie ihn allein gelassen haben. Plötzlich geht die Tür auf und das Deckenlicht wird eingeschalten. Jetzt sieht der ehemalige Polizist, wo er sich befindet. In einem etwa 10 x 10 Meter großen gemauerten Raum ohne Fenster und nur mit einer Tür. Wer von diesen beiden Männern ist der Boss und wer dieser George. Aber eigentlich ist es auch egal. Viel wichtiger ist, warum sie auf einmal ihre Verhörtaktik geändert haben. Einer von beiden geht zu der Stehlampe und schaltet das Dedolight aus. "Kommen sie doch rein Doktor." sagt er in Richtung Tür. Maik erkennt die Stimme, das ist der Boss. In der Tür erscheint ein grauhaariger Mann der aber nicht älter als Anfang 50 ist. Jetzt weiß Maik auch, in welche Richtung seine Vernehmung nun geht. Ihm werden in der folgenden Zeit verschiedene Drogen verabreicht, wie z. Bsp. Midazolam, Scopolamin, Amobarbital und Propofol. Alles gängige Mittel um den Willen eines Menschen zu brechen. Doch am meisten Angst hat Maik vor einer "Aversiven Konditionierung". Das heißt der Gabe von Anectinen. Durch sie wird dem Opfer sein Tod simuliert. Es bewirkt eine Muskelentspannung bis zur völligen Bewegungslosigkeit. Dabei wird das Bewußtsein allerdings nicht beeinträchtigt. Der Betroffene bleibt voll wach und erlebt alles uneingeschränkt mit, was mit ihm geschieht. Schon nach 30 bis 40 Sekunden nach der Injektion beginnt die Lähmung. Zunächst sind die Finger betroffen, dann die Zehen, dann die Augen. Schließlich fällt die Atmung aus. Die Droge paralysiert die willkürliche Muskulatur für 2 bis 5 Minuten, endlose Minuten. Das Opfer wird von dem Gefühl zu ersticken oder zu ertrinken überwältigt. Es meint, mit rasender Geschwindigkeit in den Tod zu sinken. So stand es jedenfalls in den Lehrbüchern. Warum sich Maik auf einmal fast wortwörtlich an diesen Text erinnern kann, weiß er nicht. Er hat Angst, wahnsinnige Angst. Was soll er diesen Männern denn noch sagen. Sie kennen doch schon die Wahrheit.
"Bevor der Doktor sich um sie kümmern wird, habe ich noch eine Bitte. Beschreiben sie mir ihre Frau."
"Wozu?" will Maik wissen und beobachtet den Arzt, wie er seinen mitgebrachten Koffer auf einen Schreibtisch legt.
"Tuen sie mir einfach den Gefallen. Dann sind wir auch ganz schnell fertig." sagt der Boss des Trios.
"Einen Scheiß werde ich tun. Soll mir der Doktor doch irgendwelche Drogen verabreichen, aber ich garantiere euch eine lange Nacht." Maik rutscht nervös auf seinem Stuhl hin und her. Seine Handschellen schneiden ihm bereits tief ins Fleisch ein.
Der Boss holt sein Handy aus seiner Hosentasche und tippt auf einigen Tasten herum, dann nähert er sich dem Gefangenen. "Ist das eure Frau?" will er wissen. Maik schaut auf das Display. Er sieht Bianca und Amélie. Unten steht die Zeit wann das Bild geschickt wurden, vor 15 Minuten. "Wo sind sie?" brüllt er sofort los. "Wenn ihr Schweine ihnen auch nur ein Haar gekrümmt habt, dann mache ich euch alle. Einen nach dem anderen." Lächelnd wendet sich der Mann ab und sagt zu seinem Untergebenen: "George, mach ihn los." Dieser nähert sich dem Gefangenen und schließt doch tatsächlich die Handschellen auf. Verdutzt reibt sich Maik seine rotunterlaufenen Handgelenke. Erneut nähert sich der Befehlshaber dem ehemligen Polizisten. Er hält ihm die Hand hin. "Darf ich mich vorstellen. Mein Name ist Generalmajor Singer vom BKA." Maik trifft es wie ein Blitz. Er wurde von den eigenen Leuten gefoltert. Pfeilschnell rammt Tayler diesem Bastard seine Faust ins Gesicht. Der Schlag ist so hart, daß der Kerl gegen den Tisch stößt. George zieht einen Taser aus seiner Jacke und zielt auf Maik. Doch bevor er abdrückt sagt sein Chef: "Nein, laß ihn. Er hat ja Recht." Der Generalmajor dreht sich herum. Sein Nase ist voller Blut. Mit einem Taschentuch versucht er die Blutung zu stoppen. "Wir mußten sicher sein, daß sie nicht für diese Bruderschaft arbeiten." sagt er schließlich zu Maik.
"Ach, und das gibt ihnen das Recht mich zu foltern? Sie sind ja nicht ganz dicht! Lecken sie mich am Arsch!" Entrüstet geht Maik an dem Arzt vorbei der ihn aufhalten will. "Warten sie doch." "Nehmen sie ihre dreckigen Griffel von mir!" donnert Maik ihm entgegen, dann geht er in Richtung Tür.
"Ich kann ihnen helfen ihre Frau und ihre Tochter zurückzubekommen." ruft ihm Singer hinterher.
Das war genau das richtige Thema um Tayler zum hierbleiben zu bewegen. "Und wie?" will er wissen.
"Hören sie mir einfach zu, nur 5 Minuten. Wenn ihnen mein Vorschlag nicht gefällt, können sie unbehelligt gehen."
"5 Minuten?" fragt Maik nach.
"Ja, 5 Minuten. In der Zeit kann sie der Doktor untersuchen. Ihr Freund Lou hat uns gesagt, daß sie sich bei dem Unfall paar Rippen gebrochen haben."
"Er ist auch hier?"
"Ja, wir mußten ihn ebenfalls gefangen nehmen. Er hatte Recherchen über die Bruderschaft und Marco Graziano angestellt. Wir wissen nicht, wem wir noch vertrauen können. Überall haben die Kerle ihre Helfershelfer. Bitte, nur 5 Minuten." bettelt Singer.
Noch zögert Maik. "Also gut. Ihre Zeit läuft ab jetzt. Sie sollten aber eine anständige Entschuldigung für das hier haben, ansonsten bin ich weg. "
"Das garantiere ich ihnen."
Maik kommt zurück und setzt sich auf den Metallstuhl. "Dann machen sie mal Dok." sagt er in Richtung des Arztes. Dann wendet er sich noch einmal an George. "Und sie lassen schön die Finger von diesem Knöpfchen auf dem Schreibtisch." sagt Maik und meint damit den Schalter für die Stromzufuhr.
"Versprochen." sagt dieser und hebt versöhnlich seine Hände.

22.

Nach 30 Minuten dreht sich in Maiks Kopf alles. Seine Gehirnzellen wurden in der letzten halben Stunde mit so vielen Informationen überschüttet, daß sie kurz vor einem Systemabsturz stehen. Informationen die ihn aber nicht wirklich weiter bringen.

"Lassen sie mich noch einmal zusammenfassen." sagt Maik und schaut zu Lou, der ebenfalls dazugekommen war. Dann wendet er sich wieder an Singer. "Sie sind also schon seit 3 Jahren an diesem Ringverein mit Namen AEQUITAS dran. Diese Bruderschaft hat ihre Mitglieder in den höchsten Rängen von Wirtschaft und Politik sitzen. Bis jetzt haben sie bloß herausgefunden wo ihr *Umschlagplatz* für Informationen und Geldwäsche ist, in dieser Gaststätte. Wer so in etwa zu ihnen gehört." Bei dem letzten Satz macht Maik mit seiner rechten offenen Hand eine wackelnde Bewegung. "Und daß Marco Graziano WAHRSCHEINLICH . . ." Auch das Wort wahrscheinlich betont Maik ziemlich abfällig. ". . . . ein hohes Tier in diesem Clan ist. Soweit richtig?"
"Ja." sagt der Generalmajor Singer.
Maik lacht kurz auf und läuft im Raum umher. "Denken sie nicht, daß das für 3 Jahre Observationsarbeit bisschen wenig ist. Ich glaube kaum, daß sie mir bei der Befreiung meiner Familie eine große Hilfe sein könnten. Was sie in 3 Jahren herausgefunden haben, habe ich in 3 Tagen geschafft und sogar noch mehr." Maik nimmt eine von den SD-Karten die auf dem Schreibtisch liegen und die er aus dem Hause Graziano gestohlen hatte, in die Hand und sagt: "Ohne mich wüßten sie nicht mal mit was diese Kerle Staatsanwälte, Konzernchefs, Börsenmakler und so weiter erpressen. Nur mit meiner Hilfe wissen sie, wer genau zu dieser Bruderschaft gehört und daß einige ihrer Mitglieder durch schlüpfrige Privat-Bilder zur Mitarbeit genötigt werden."
"Sie müssen aber auch bedenken...." wirft Singer ein. ".... daß wir uns an die Gesetze halten müssen. Wir können nicht einfach so in ein Haus einbrechen wie sie es getan haben. Ebensowenig können wir angesehene Männer verhaften und verhören."
"Ach nein, aber mit einem Hanswurst wie ich es bin können sie es machen." sagt Maik entrüstet.
"Wie oft soll ich mich denn noch entschuldigen." will Singer wissen. "Es tut mir Leid, aber es sprach nun mal viel gegen sie."
"Sie haben eine Menschenkenntnis die mir meinen Magen umdreht. Ich habe ihnen die 5 Minuten gegeben um die sie mich gebeten hatten, doch sie haben ihre Chance in den Sand gesetzt. Sagen sie mir wo meine Frau und meine Tochter gefangen gehalten werden und ich ziehe die Sache allein durch. Mit ihrer Fachkompetenz dauert es mir einfach zu lange. Ich möchte meine Familie nicht erst wiedersehen, wenn ich Rentner bin."
"Ich sehe schon, mit ihnen können wir nicht rechnen. Eigentlich schade, denn sie scheinen einiges auf dem Kasten zu haben." sagt der Generalmajor respektvoll. "Ihre Frau und ihre Tochter werden auf einem Landsitz in der Nähe von Neapel gefangen gehalten. Das Anwesen gehört der Familie Graziano. Aber ich muß sie warnen, der alte Herr hat in dieser Region einen ziemlich großen Einfluß. Er ist Oberhaupt der neapolitanischen Camorragruppe *G5*. G 5 heißt, daß die Granzianos bereits seit 5 Generationen dieses Gebiet fest in ihrer Hand haben. Sein Sohn, Marco Graziano, tritt in die Fußstapfen seines Vater. Er duldet ebensowenig wie sein Padre Nebenbuhler. Wenn sie ihm unsympatisch sind, dann sind sie schon erledigt bevor sie *Guten Tag* sagen können. Sie werden nicht mal wissen, von wo die Kugel abgefeuert wurde, die sie niederstreckt. Und noch was, falls einer vom Graziano-Clan mitbekommt, daß sie ein persönliches Interesse an seinem EIGENTUM, sprich an seinem neuen Kindermädchen Bianca Bauer haben, dann wird es nicht nur für sie zum Fiasko, sondern auch für ihre Familie. Wir wissen aus sicherer Quelle, daß Don Marco Graziano, seinen letzten Geschäftspartner der ihn maßregeln wollte, an ein Pferd binden ließ. Dann hat er seinem Lieblingsgaul die Sporen gegeben und den Mann zu Tode geschleift. Er würde mit keiner Wimper zucken, dies auch einer Frau anzutun."
"Toll, jetzt fühle ich mich gleich viel besser." sagt Maik zwiespältig. Dann wendet er sich an Lou: "Kann ich auf deine Hilfe zählen?"
"Kannst du." sichert dieser ihm zu.
"Dann denke ich, ist unsere Unterhaltung an diesem Punkt beendet. Die SD-Karten lasse ich ihnen als Geschenk da." spricht Tayler zu Singer, dann geht er ohne sich zu verabschieden in Richtung Tür.
"Boss, sie sollten ihm auch noch den Rest erzählen." sagt George leise zu seinem Vorgesetzten.
Sofort bleibt Maik stehen und dreht sich herum. Er schaut den Generalmajor mißmutig an. "Welchen Rest? Was haben sie VERGESSEN mir zu erzählen?"
Singer schweigt. Er schaut seinen Mitarbeiter strafend an, doch dieser will nun alle Fakten auf den Tisch legen. "Was sie noch wissen sollten...." fängt er an. "Auch das FBI und der italienische Direzione Investigativa Antimafia, abgekürzt DIA, haben bereits ein Auge auf die Familie Graziano geworfen. Sie sind aber nicht gerade sehr auskunftsfreudig wenn man das so sagen darf. Anscheinend haben sie Angst, daß ihre Ermittlungen vorzeitig auffliegen. Wie sie bereits gemerkt haben dürften, haben die Grazianos ein weltweit ausgefeiltes Informationssystem. Nur aus diesem Grund konnten sie so lange unangetastet arbeiten. Wenn z. Bsp. der französische Präsident Nicolas Sarkozy sich am Morgen unwohl fühlt, kommen bereits zum Mittag Genesungswünsche aus Italien."
"Kommen sie mal zur Sache." fordert Maik den BKA-Mann genervt auf.
"Sie haben genau einen Monat Zeit um ihre Familie in Sicherheit zu bringen." sagt der Generalmajor. "Danach wird sie entweder Tod oder verschwunden sein."
"Ach, und diese Kleinigkeit wollten sie mir unterschlagen?" sagt Maik angriffslustig. "Haben sie vielleicht noch etwas UNWICHTIGES vergessen?"' will Tayler wissen. Gleichzeitig geht er wütend auf den Generalmajor zu. Lou kennt seinen Freund und weiß, daß dieser kurz davor ist, eine Dummheit zu begehen. So stellt er sich ihm in den Weg. "Maik, laß es sein! Das bringt doch nichts, diesen Kerl krankenhausreif zu schlagen."
"Danach würde es mir aber besser gehen." sagt Maik. "Also, laß mich durch und ich poliere dem feinen Generalmajor seine blöde Visage!"
Gott sei Dank hört Maik auf seinen Freund und läßt von dem Offizier ab. Wie ein Tiger der seine Beute bereits sieht, aber nicht an sie heran darf, läuft Maik auf 180 hochgeputscht im hinteren Teil des Raumes auf und ab.
Lou wendet sich an Singer: "Wieso hat mein Freund nur einen Monat Zeit um seine Famile zu retten?"
"Wir haben bei einem Briefing mit dem Federal Bureau of Investigation die eindeutige Anweisung erhalten, daß wir bis zum 25. Juni die Füße still zu halten haben."
"Warum ausgerechnet bis zu diesem Datum?"
Singer schaut zu George, nun spricht dieser weiter. "Weil am 18. Juni der alte Herr Graziano 77. Jahre alt wird. Und wie der Verbindungsmann vom FBI, den sie bereits in den Clan geschmuckelt haben gesagt hat, will er an diesem Tag seinen Erstgeborenen zum Clanchef ernennen."
"Und das ist Marco Graziano." sagt Lou.
"Richtig. Die Ernennung erfolgt während einer großen Feier. Zu der wie alljährlich neue Mitglieder aufgenommen werden. Sie müssen in einem Ritual auf die Omertá schwören, daß sie dem Clan treu ergeben sind."
"Und zu dieser Feier schlägt das FBI zusammen mit den Carabinieris von der DIA zu?"
"Nein, erst paar Tage später." sagt George, dann schweigen beide Männer vom Bundeskrimalamt.
"Und warum erst später?" fragt Lou, dabei läßt seine Geduld allmählich nach.
"Das hat der FBU-Agent nicht gesagt." erzählt Singer. "Wir vermuten aber, daß zu diesem Zeitpunkt eine große Lieferung Waffen oder Drogen nach Neapel kommt."
"Wie heißt der Spitzel vom amerikanischen Geheimdienst der bereits einen Fuß in der Tür zum Graziano-Clan hat?" will Maik wissen, der sich etwas beruhigt hat.
"Das haben sie uns natürlich nicht gesagt. Von diesem Mann hat das FBI vor paar Stunden erfahren, daß seit neuesten eine Frau mit einem kleinen Mädchen auf dem Anwesen lebt. Sie soll sich in Zukunft um Léon, den jüngsten Grazianonachfolger kümmern."
"War das jetzt wirklich alles?" fragt Maik.
"Ja." sagt der Generalmajor. "Aber von uns haben sie es nicht."
"Komm Lou, ich muß meine Familie retten." mit diesem Worten verläßt der Ex-Special-Agent Maik Tayler den Raum.

Draußen vor der Tür sieht er den weißen Nissan-Kleintransporter stehen mit dem er nach seinem Kidnapping hierhergebracht worden war. Es ist schon fast dunkel. 3 Männer stehen dort, reden und rauchen dabei. Anscheinend warten sie auf weitere Anweisungen. Maik geht zu ihnen. Lou schaut ihm gefrustet nach. Will sich sein Kumpel heute mit jeden anlegen? Die Männer haben doch bloß einen Befehl ausgeführt, mehr nicht.
"Ihr habt mir also die nette Einladung vom Generalmajor Singer überbracht, daß er mich sprechen will. Hättet ihr nicht einfach höflich fragen können ob ich Zeit habe, anstatt mir gleich eine Überzuziehen? Wer von euch Kasperköppen hat meine Waffe? Die hätte ich nämlich gern wieder." Einer von den Männern greift wortlos in das Handschuhfach des Autos und gibt Maik seine Sig Sauer zurück. "Danke." sagt dieser abfällig und geht zu Lou. Dieser ist erleichtert, daß sich sein Feund vernünftig verhalten hat. "Ich dachte schon." fängt er an, doch Maik grinst nur: "Was dachtest du? Daß ich mich nicht in Griff habe und meine Wut an Leute auslasse, die nichts für die Dummheit ihres Vorgesetzten können. Du müßtest mich besser kennen. Komm, laß uns zu dir nach Hause fahren. Ich muß mir was überleben, wie ich so schnell wie möglich an die Grazianos herankomme ohne daß mein Name auf deren Liquidierungsliste als number one auftaucht."

Die beiden ehemaligen Gefangenen steigen in Lou´s Auto in dem er mit einer Waffe am Kopf gezwungen wurde, hierher zu fahren.


F o r t s e t z u n g ! ! ! !



23.

Maik und sein Freund haben die ganze Nacht gearbeitet um alle Möglichkeiten durchzuspielen, wie Tayler am schnellsten und am unauffälligsten Kontakt zu Marco Graziano aufnehmen könnte. Zum Glück hatte der nie ein Wort mit Maik Tayler bzw. Maik Bauer gesprochen und er hatte ihn auch nie persönlich getroffen. Ein Pluspunkt für das riskante Unternehmen.

Gegen 6 Uhr stand dann der Plan zu 70 %. Bei den restlichen 30 % mußte Maik improvisieren, was ihm als ehemaliges Mitglied einer Spezialeinheit nicht schwer fallen dürfte.

Beide Männer sind völlig erschöpft als Lou´s Frau am Morgen aufsteht um auf Arbeit zu gehen. Sie gibt ihrem Mann einen Kuss. "Wollt ihr beide einen Kaffee?" "Sehr gern Liebling." sagt Lou und lächelt. Isabel fragt schon lange nicht mehr was ihr Mann so treibt, sie wußte es ja, daß sie sich mit einem deutschen James Bond eingelassen hatte.

1 Stunde später verläßt das Ehepaar gemeinsam das Haus. Isabel fährt in ihre Filiale und Lou ins Büro. Nur von dort aus kann er bestimmte Dinge erledigen, wie z. Bsp. die Legende von Mark Dukownik wieder aufleben zu lassen. Diesen Namen hatte Maik bei seinem letzten Undercovereinsatz geführt, als er einen Waffenschmuckler hochgehen lassen wollte. Leider war die Operation nach hinten losgegangen. Sein Freund wurde enttarnt und schwer verletzt. Schlimmer traf es jedoch dessen ehemalige Freundin. Sie wurde bei dem Einsatz getötet. Klar war es sehr riskant den alten Decknamen zu benutzen, aber auf die schnelle war keine neue Legende zu erstellen. Noch dazu ohne das Wissen vom SEK-Chef.
Außerdem war es ziemlich unwahrscheinlich, daß Mark Dukownik in Italien ein bekanntes Gesicht trifft, welches ihn als Ex-Bullen entlarvt.

Bianca wird von einem zarten Stimmchen geweckt. "Mama. Ämi aufstehen." Noch müde öffnet sie ihre Augen und schaut zu ihrer Tochter. Diese steht lachend und putzmunter in ihrem Bettchen. Léon schläft noch. Leise steht Bianca auf. "Komm, wir kuscheln noch bisschen." sagt sie liebevoll zu Amélie. Die Kleine freut sich auf die Streicheleinheiten im Bett ihrer Mutter und streckt sofort beiden Arme aus. Als sie liegen, zeigt die Kleine auf das Gesicht ihrer Mutter: "Mama Aua?" fragt sie. Bianca faßt sich unterhalb ihres linken Auges und zuckt sofort zusammen. Sie versucht zu lächeln. "Ja, Mama Auweh, aber das ist nicht schlimm. Komm, solange Léon noch schläft, erzähle ich dir eine Geschichte."

Während Bianca ihrer Tochter eine Geschichte erzählt, kommt Maik aus dem Bad. Er war duschen um sich seine Müdigkeit abzuspülen. Doch viel hat es ihm nicht genützt. Am liebsten würde er sich hinlegen und bis heute Abend durchschlafen. Aber er mußte seine Familie retten. Später war Zeit zum schlafen, jetzt mußte er versuchen sich wieder in die Figur Mark Dukownik hineinzuversetzen. Er hatte diese Person fast 7 Monate verkörpert und sie war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Nun war es an Lou, daß seine Legende auch einer Überprüfung durch die Grazianos stand hielt. Aber darüber machte sich Maik weniger Gedanken. Sein Freund hatte genug Erfahrung um jede Kleinigkeit zu bedenken.
Tayler legt sich wieder den Rippenbruchgürtel um, den er von diesem Arzt bekommen hatte. Der war viel praktischer als diese Elastikbinde, denn Maik konnte ihn alleine problemlos an- und ablegen. Auch das Schmerzmittel Metamizol schlug besser an, als das Zeug aus Lou´s Hausapotheke. Seine Knieverletzung hatte sich ebenfalls beruhigt, nachdem ihm der Doktor eine schmerzstillende Spritze unter das Kniegelenk injiziert hatte. Maik war fast wieder in Top-Form.

Es ist kurz vor 8 Uhr als Bianca Schritte hört. Amélie schaut ebenfalls in Richtung Tür, lacht und fragt: "Papa?" Die Kleine denkt, daß ihr Vater kommt. Doch mit ihm kann sie noch lange nicht rechnen. Hoffentlich hat Maik wenigstens seine Mailbox abgehört, betet Bianca. Aber was, wenn ihm wirklich etwas zugestoßen ist? Sie muß versuchen mit Lou Kontakt aufzunehmen. Vielleicht weiß er mehr über ihren Mann. Die Tür wird aufgeschlossen und Antonio erscheint. Er lächelt und sagt: "Guten Morgen Donna Bauer. Valentina ist mit dem Frühstück fertig. Wenn ihr wollt, könnt ihr mit den Kindern nach unten kommen." Auch die Frau lächelt. "Danke, aber bitte sagt doch Bianca zu mir." "Sehr gern." antwortet der Mann freudlich. "Ich werde draußen warten, bis ihr fertig seid." "Gebt mir eine halbe Stunde." sagt Bianca und lächelt. Als Antonio verschwunden ist, wird Maik´s Frau sofort wieder ernst. Diesen Kerl kann sie bestimmt beeinflussen und ihn um sein Handy bitten, damit sie ihre Eltern mal kurz anrufen kann um ihnen zu sagen, daß es ihr und ihrer Enkelin gut geht. Natürlich wird sie nicht ihre Eltern anrufen, sondern Lou. Hoffentlich versteht er und spielt das Spiel mit.

24.

Die neue Nanny im Hause Graziano geht mit den Kindern liebevoll um. Sie spielt und bastelt mit ihnen. Es ist eine Freude ihr zuzusehen. Antonio ist froh über seinen Job als Aufpasser.
Gerade als Bianca mit den Kindern etwas neues anfangen will, rennt Léon zur Tür und ruft: "Tante Bianca, du mußt mich fangen!" Und schon ist er verschwunden. Antonio hatte ihn anstandslos *flüchten* lassen. "Na warte!" ruft die Frau, dann wendet sie sich an ihre Tochter: "Komm, wir fangen Léon zusammen." Diese ist sofort hellauf begeistert. Als beide auf dem Gang sind, sieht Bianca wie Marco gerade von oben kommt und mit seinem Sohn zusammenstößt. "Hey, du Rabauke. Wohin willst du?" "Tante Bianca soll mich fangen." sagt der Kleine und rennt aus dem Haus. "Nicht Léon!" ruft Bianca. "Die Tante darf nicht nach draußen!" Dabei sieht sie Marco an. Dieser Grinst nur, anscheinend hat die Frau endlich kapiert, daß es ihr nur gut geht, wenn sie seine Befehle beachtet. Graziano sieht Antonio an. "Bring Léon zurück." sagt er zu ihm. Dieser rennt sofort aus dem Haus und dem Sohn seines Arbeitgebers hinterher. In der Zeit nähert sich Marco seinem Kindermädchen. Unter ihrem linken Auge ist ein Bluterguss zu sehen, der so langsam alle Farben annimmt. "Was macht der Bienenstich?" will er von ihr wissen. "Die Creme hat geholfen. Er ist zurückgegangen und tut auch nicht mehr weh." "Schön zu hören. Mein Vater erwartet heute Nachmittag wichtigen Besuch. Ich möchte, daß du dich bisschen schminkst. Unsere Gäste könnten sonst den Eindruck bekommen, daß Frauen im Hause Graziano schlecht behandelt werden. Und das wollen wir doch nicht?" Den letzten Satz sagt Marco so, daß es Bianca eiskalt über den Rücken läuft. "Wenn die Kinder schlafen, wird dir Antonio das Zimmer von Sara zeigen. Dort liegen noch ihre Schminksachen. Vielleicht könntest du dir auch was nettes anziehen. Meine Ex-Frau wird bestimmt was im Schrank haben, was dir passen könnte." "Wie ihr befehlt." heuchelt Bianca unterwürfig.
Antonio kommt mit Léon zurück. Dieser heult und versucht sich loszureißen. Marco kauert sich zu ihm hinunter und sagt: "Hör mal zu mein Sohn. Ihr könnt ja Fanger spielen, aber bitte nur hier im Haus. Tante Bianca verträgt die Sonne nicht so gut. Für sie ist es besser, wenn sie im Haus bleibt. Zumindestens die nächste Zeit. Später kann sie mit dir draußen herumtollen. Jetzt schnell, ich halte sie auf, damit du einen Vorsprung hast!" Marco sieht seinen Mann an und der läßt den Jungen los. Léon rennt sofort wieder los und verschwindet in einem Zimmer.

Irgendwann sind die Kinder vollkommen ausgepowert. "Wer will ein Eis?" fragt Bianca und beide sagen ICH. Die Frau schaut zu ihrem Aufpasser, dieser lächelt: "Ich sage Valentina Bescheid." Dann verschwindet er für wenige Sekunden. Zu wenig Zeit um etwas anzustellen. Doch das hat Bianca auch gar nicht vor.
Gleich darauf erscheint die Haushälterin mit 3 Eisschüsseln in denen Vanilleeis mit Schokosplittern ist. Als die Frau wieder gegangen ist, fragt Bianca ihren Wachhund: "Möchten sie meins? Vanille ist nicht gerade nach meinem Geschmack." Antonio lächelt. "Nein Danke, Donna Bianca. Ich mag kein Eis." Mit einem verführerischen Lächeln steht Bianca auf und geht zu dem Mann. "Würdet ihr dann bitte so nett sein und mir ein anderes holen. Vielleicht hat Valentina Erdbeer. Das mag ich besonders." "Ich werde mal sehen was ich für sie tun kann." sagt Antonio freundlich und geht mit der Eisschüssel aus dem Spielzimmer. Gleich drauf taucht ein anderer Angestellter von Graziano auf und beobachtet die Gefangene. Anscheinend hat Antonio noch die Hose voll vom letzten Anschiss seines Chefs. 10 Minuten später kommt er mit einer Schüssel Erdbeereis wieder. "Bitte schön." sagt er und gibt die Erfrischung Bianca. Dann nimmt er seinen Aufsichtsposten erneut wahr und der andere verschwindet. Doch Bianca stochert nur in ihrem Eis herum. Plötzlich fängt sie an zu heulen. "Was ist mit ihnen?" will Antonio wissen und auch die beiden Kinder sehen ihre Nanny fragend an. "Meine Eltern machen sich bestimmt Sorgen um mich und Amélie. Ich bin einfach so veschwunden. Sie wissen nicht mal, ob ich noch lebe. Mein Vater hat erst im letzten Jahr einen Herzinfarkt gehabt. Die Ungewißheit wird ihm nicht gut tun. Wenn ich ihnen doch wenigstens sagen könnte, daß es uns gut geht." Amélie steht auf und will ihre Mama trösten. Diese nimmt ihre Tochter in den Arm und heult herzerweichend. Das läßt auch Antonio nicht kalt. "Ich verstehe sie, aber ich kann nichts für sie tun." Bianca sieht ihn aus tränenunterlaufenen Augen an. "Bitte, sie haben doch bestimmt ein Handy. Lassen sie mich nur mal ganz kurz anrufen und ihnen sagen, daß sie sich keine Sorgen machen brauchen. Sie können von mir aus auch mithören." Antonio öffnet die Tür einen Spalt breit und schaut nach draußen. Er will sehen, ob das Gespräch evtl. von einem Wachposten belauscht wurden ist, aber niemand ist in der Nähe. Dann schaut er wieder zu Bianca. Noch ist er sich nicht 100 %ig sicher, ob die Frau ihn nicht bloß verarschen und mit jemanden ganz anderes telefonieren will. Vielleicht mit ihrem Mann. Nach einiger Zeit sagt er schließlich: "Gut, aber nicht jetzt. Wenn die Kinder ihren Mittagschlaf machen und auch die Familie Graziano Siesta hält, werde ich ihnen die Möglichkeit geben mal ganz kurz mit ihren Eltern zu reden. Aber ich möchte mithören." "Ja, ja. Das hatte ich ihnen zugesichert. Ich danke ihnen von Herzen." Bianca wischt sich ihre Tränen ab und strahlt. Sie ist von der einen auf die andere Sekunde wie ausgewechselt. Vielleicht etwas zu plötzlich.

25.

Kurz vor Mittag kommt Lou aus dem Büro zurück. "Ich bin´s" ruft er. Doch Maik antwortet nicht. Reflexartig zieht der Hausherr seine Waffe und entsichert sie. Leise schleicht er sich ins Wohnzimmer. Auf dem Tisch liegen noch immer die unzähligen Zettel auf denen beide Männer die ganze Nacht hindurch Szenarien für die Befreiung von Bianca durchgespielt hatten. Auch der Laptop steht an gewohnter Stelle. Bloß von Maik fehlt jede Spur. Hat diese Bruderschaft ihn etwa schon wieder aufgespürt? Möglich wäre dies nur, wenn sich unter den Leuten des Generalmajors ein Maulwurf befindet. Auszuschließen ist es nicht, wenn man bedenkt, welch weitverzeigte Machenschaften diese Bruderschaft hat. Da es nach keinem Kampf aussieht, müssen sie ihn völlig überrascht erwischt haben. Trotzdem kontrolliert Lou jedes Zimmer in seinem Haus. Als er ins Gästezimmer kommt, sieht er Maik auf dem dortigen Bett liegen. Er schläft tief und fest. Erleichtert atmet sein Freund auf und läßt seine Waffe sinken. Leise geht er zum Bett. Auf dem Boden liegt ein Foto von Bianca und Amélie. Beide lachen in die Kamera und winken. Lou muß schlucken. Wie würde es ihm wohl gehen, wenn irgendwelche Kerle seine Frau entführt hätten. Er würde sie ebenfalls suchen.
Auf dem Nachtischschrank liegt ein Streifen mit Metamizol-Tabletten. Von 10 fehlen bereits 6. Dabei hatte der Doktor Maik ausdrücklich gesagt, daß dieser nicht mehr wie 3 am Tag nehmen solle. Damit war klar, daß Maik doch mehr Schmerzen hat, als er zu gibt. Mit einem Lächeln legt Lou seinem Freund eine Decke auf den Körper und läßt ihn schlafen. Soll er sich noch etwas ausruhen. Sein Flieger nach Italien geht eh erst heute Abend 20 Uhr.

Endlich schlafen die Kinder. Bianca war in den letzten Stunden kaum noch bei der Sache. Sie hat nur noch einen Gedanken im Kopf, sie kann mit Hilfe von Antonio Kontakt mit Lou herstellen. Sie ist so aufgeregt.
Im Hause Graziano ist Ruhe eingekehrt. Zur Mittagszeit zieht sich jedes Mitglied der Familie in sein Zimmer zurück und hält Siesta. Biancas Aufpasser hatte die Kinderzimmertür diesmal nicht verschlossen und ihr gesagt, daß er sie in ihrem alten Zimmer erwarte. Dort könne sie für eine Minute ihre Eltern anrufen. Danach müsse sie aber wieder in das Zimmer der Kinder gehen und nie wieder so eine Bitte stellen. Ansonsten würde er es Marco sagen. Bianca versprach es.
Sie sieht noch einmal zu Amélie und Léon. Beide schlafen süß wie kleine Engel in ihrem Bettchen. Leise öffnet Maik´s Frau die Tür und sieht auf den Gang. Kein Mensch hält sich dort auf. So schleicht sie sich in ihr altes Zimmer. Antonio ist bereits dort. Er sitzt in einem Sessel und wartet. Sein Handy liegt auf einem kleinen Beistelltisch gleich neben ihm. "Wir müssen uns beeilen, ich weiß nicht, wielange die Kinder schlafen." sagt Bianca und geht zu dem Angestellten von Graziano. Als sie nach dem Telefon greifen will, nimmt der es wieder an sich und sagt grinsend: "Ich habe es mir anders überlegt."
Bianca sieht ihn entsetzt an. "Das könnt ihr nicht machen." sagt sie.
"Und es ist auch gut so, daß er es sich anders überlegt hat." sagt eine Stimme aus Richtung Tür, also hinter Bianca. Sie dreht sich panisch um und sieht Marco Graziano. Er hatte sich hinter der weit offenstehenden Tür versteckt. Bianca hat das Gefühl, daß ihr Herz stehen bleibt. Wie konnte sie nur so blöd sein zu denken, daß ein Mann von Graziano seinen Gebieter hintergeht. Leise schließt Marco die Tür, dann dreht er sich zu Bianca.
"Ich wollte doch bloß meine Eltern anrufen. Sie machen sich bestimmt Sorgen." sagt sie und Tränen laufen ihr übers Gesicht.
"So so, du wolltest also bloß deine Eltern anrufen und nicht etwa deinen Mann, diesen Sicherheitsheini?"
"Nein, er könnte mir eh nicht helfen." Bianca zittert vor Angst. Marco sieht es mit Genugtuung. Er nähert sich ihr mit langsamen Schritten, dabei schaut er auf seine Hände. Mit dem Daumen seiner linken Hand massiert er seine rechte Handfläche. "Du kleines Flittchen glaubst wohl jeden rum zu bekommen? Aber nicht mit meinen Männern. Die sind mir und meiner Familie loyal ergeben." Dann schlägt Graziano zu. Bianca fällt durch die Wucht des Schlages in eine Ecke. Sie heult und hält ihre Hände schützend vor ihr Gesicht. "Dir werde ich Gehorsam beibringen! Ich habe es im Guten versucht, aber anscheinend bist du gegen freundliche Worte resistent. Somit zwingst du mich, andere Seiten aufzuziehen. Steht auf." Doch Bianca bleibt heulend liegen. "Du Miststück sollst aufstehen!" brüllt Marco nun. Als sich die Frau aber wiederholt weigert seinem Befehl zu folgen, greift Graziano härter durch. Er faßt ihr in die Haare und zieht sie daran nach oben. Bianca schreit vor Schmerzen. Wieder schlägt der Mann zu, diesmal trifft seine Faust den Mund der Frau. Dann schleift er sie nach draußen und geht mit ihr in Richtung Treppe. "Nein! Bitte nicht!" schreit Bianca und versucht die Hand von Marco aus ihren Haaren zu bekommen. Doch dieser hält sie unerbittert fest. Sie hat keine andere Möglichkeit als sich seiner Wut zu unterwerfen. 6 Stufen bevor sie unten ankommen, holt Marco noch einmal aus und schlägt zum 3 x zu. Da er Biancas Haare losgelassen hatte, fällt diese die restlichen Treppenstufen nach unten. Brutal schlägt sie auf dem Boden auf. Dort erwarten sie bereits 2 Männer von Graziano. "Bringt die Schlampe in mein Spielzimmer!" sagt dieser, dann wendet er sich noch einmal um. Oben an der Treppe steht Antonio. Er sieht dem Treiben mit einem zufriedenen Lächeln zu. "Und du, kümmer dich um die Kinder." sagt Marco. Denn schon seit einiger Zeit hört man Amélie und Léon weinen.
Bianca wird von den beiden Männern über die Terrasse geschleift, vorbei an dem Pool und weiter nach hinten zu einem etwas entfernt stehenden kleinen Steinhaus. Die ganze Zeit schreit sie nach Amélie. Marco folgt ihnen mit einem versteinerten Gesicht. Einer von den Männern öffnet die Tür und der andere stößt die ungehorsame Frau ins Innere. Wieder fällt Bianca auf den Boden. Sie bleibt heulend liegen, doch die Kerle gönnen ihr keine Ruhe. Sie fassen sie an ihre Arme und ziehen sie nach hinten an die Wand, dort legen sie ihr Handschellen an, die an einer Kette hängend fest in der Wand verankert sind. Erst als sie damit fertig sind, lassen sie von der verängstigen Frau ab. Marco kommt dazu. Er hat eine Zeitung in der Hand die er wahrscheinlich aus dem Haus mitgenommen hatte. Diese legt er auf einen länglichen Tisch der an der Wand steht. Darauf befinden sich zahlreiche Dinge: verschieden große Messer, Scheren, Zangen, Nägel, Metallschlingen und weitere Sachen. An einigen klebt eine dunkle zähe Masse, Blut. Marco nimmt ein besonders langes und dünnes Messer in die Hand. Fies lächelnd sieht er zu Bianca. "Ich denke du weißt, warum ich diesen Raum liebevoll mein Spielzimmer getauft habe. Nimm z. Bsp. dieses Messer. Es ist ein Sushimimesser mit einer 21 cm langen und extrem scharfen Klinge. Damit kann man fantastisch Fisch filetieren. Aber auch die menschliche Haut läßt sich damit wunderbar in kleine Streifen vom Körper schneiden." Bianca sieht zu Marco. Ihre Augen sind voll mit Tränen, aber ihr Blick verrät Hass auf diesen Mann. Sie atmet schnell, da sie vom Kampf außer Atem ist. Aus ihrem Mund läuft Blut vom 2. Schlag von Graziano. Mit dem Messer in der Hand nähert er sich der Frau. Bianca rückt weiter nach hinten an die Wand, die Ketten verhindern, daß sie flüchten kann. Marco kniet sich vor sein Opfer, faßt ihr mit der linken Hand ans Kinn und drückt ihren Kopf nach hinten, dabei schlägt dieser hart gegen die Ziegelwand. Bianca stöhnt auf und schließt ihre Augen. Sadistisch lächelnd hebt Graziano das Messer und legt ihr die Spitze unterhalb ihres linken Auges. "Du möchtest doch nicht, daß ihr dir dein Augenlicht raube? Du hast so wunderschöne Augen, es wäre schade darum." Bianca ist kurz vor einem Kreislaufzusammenbruch. Ihre Atmung rast, ihre Brüste senken und heben sich in einem wahnsinnigen Tempo. "Warum willst du nicht begreifen, daß keiner nach dir sucht. Und auch niemand wird dir helfen." "Maik wird mich finden." sagt sie schließlich kleinlaut. Dieser Satz bewirkt jedoch nur, daß Graziano anfängt zu lachen. "Achja, dein Mann." sagt er und läßt von Bianca ab. Er geht zum Tisch, legt das Messer darauf und greift nach der Zeitung. "Ich glaube, der ist für immer verhindert." Dieser Satz trifft Bianca stärker wie 10 weitere Schläge von Graziano. Böse lächelnd wirft Marco der Frau die Zeitung vor die Füße. Es ist die deutsche Ausgabe der tz. Das ausgebrannte Auto was zu sehen ist, kennt sie genau. Es ist ihr Touran.


Tragischer Selbstmord auf der B 13.

Am gestrigen Nachmittag bekam die Polizei einen anonymen Anruf. Daraufhin fuhren mehrere Einsatzteams zu einer Wohnung die in der Nähe des Englischen Gartens lag. Dort habe der Anrufer Schüsse gehört. . . .



Je weiter Bianca liest, desto mehr verschwimmen die Buchstaben vor ihren Augen. Sie kann es schwarz auf weiß lesen, ihr Mann ist Tod. Am Ende des Artikels schaut sie verzweifelt zu Marco. Dieser hatte die ganze Zeit grinsend am Tisch gestanden. Nun sagt er: "Natürlich war es kein Selbstmord. Ich hatte einen Auftragskiller auf ihn angesetzt. Der Mann ist gut und fehlerlos. Wie du siehst, du bist ganz alleine auf der Welt. Kein Schwein interessiert sich für dein Schicksal. Aber ich bin kein Unmensch und gebe dir noch eine letzte Chance. Die solltest du lieber nicht vergeigen, ansonsten verkaufe ich dich und deine kleine süße Tochter an einen befreundeten Bordellbesitzer. Das möchtest du Amélie doch bestimmt nicht antun."
"Ihr seid ein verdammtes skrupelloses Dreckschwein." flüstert Bianca.
"Das werde ich mal großzügig überhören." sagt Marco. "Ich denke, das hast du nur gesagt, weil du noch etwas neben dir stehst. Damit du Zeit zum nachdenken hast, lasse ich dich für 2 oder 3 Tage hier. Danach werden wir sehen, ob Petro 2 neue Nutten oder du deinen alten Job als Nanny zurück bekommst. Es hängt nur von dir ab."
Zum Schluss wendet sich Marco an seine beiden Männer. "Andiamo." (Laßt uns gehen.)
Bianca bleibt allein zurück.

26.

Der Flug 253 aus München, landet soeben auf dem Aeroporto di Napoli-Capodichino. Die wenigen Passagiere die mit der Alitalia Fluggesellschaft mitgeflogen waren, gehen zum Zoll. Unter ihnen eine Familie mit 2 kleinen Kindern, ein Ehepaar auf Flitterwochen sowie 5 Rentnerpaare und eine jugendliche Gruppe bestehend aus 10 Personen. Sie wollen Italien auf eigene Faust erkunden. Die restlichen Mitreisenden sind 8 männliche Geschäftsleute. Einer nach dem Anderen verläßt die Zollkontrolle. Fast als Letzter passiert ein junger Mann die lästige Einreiseformalität. Er ist etwa 40 Jahre alt, schwarze Haare, grüne Augen und einen gestutzten 3-Tage-Bart. Auf der Innenseite seines rechten Unterarms kann man ein Tattoo mit einem verzierten Schriftzug sehen.
Der Beamte nimmt den Paß des Reisewilligen und fragt: "Sie kommen aus Deutschland, Herr Dukownik?"
"Ja, aus München."
"Was ist der Grund ihrer Einreise?"
"Ich habe paar geschäftliche Dinge zu erledigen."
"Also sind sie beruflich hier?"
"Ja."
Der Zollbeamte gibt die Personal-Daten in seinen PC ein und wartet auf das OK. Dieses kommt binnen weniger Sekunden. Er gibt dem Herrn Mark Dukownik seinen Reisepaß zurück und sagt: "Ich wünsche ihnen einen schönen Aufenthalt und viel Erfolg für ihre geschäftlichen Verhandlungen." "Danke." Danach nimmt der Mann seinen Paß und geht. Dessen nächster Gang ist zum Rollband für die Reisekoffer. Die Passagiere vom Flug 253 warten schon seit einiger Zeit auf ihr Gepäck. Doch noch steht das Förderband still. In der großen Halle ist viel los. Einige Leute rennen, um ihren Flieger nicht zu verpassen. Andere sitzen auf Bänken und warten auf den Aufruf ihres Fluges. Kinder toben und versuchen sich die Wartezeit zu vertreiben. Beamte der hiesigen POLIZIA laufen in schutzsicherer Weste und mit einer Maschenpistole über der Schulter im Airportgelände herum.
Ein Mann Mitte 30, in dunklen Jacket und Jeans steht hinter einem Pfeiler und beobachtet den Wartebereich. Sein Blick hat sich auf den Rücken eines erst vor einigen Minuten angekommenden Reisenden geheftet. Als dieser sich herumdreht, holt der Fremde ein Bild aus seiner inneren Jackentasche und vergleicht es mit dem Mann am Gepäckband. Das ist er, den sie erwarten, Mark Dukownik aus Germania. Zufrieden lächelnd, holt der Fremde sein Handy aus der Hosentasche und wählt eine Nummer. "Lui é arrivato. Jeans neri, manica corta camicia azzurra e Tatuaggio sul avambraccio destro." (Er ist eingetroffen. Schwarze Jeans, kurzärmliges blaues Hemd und Tattoo am rechten Unterarm.) Danach legt er gleich wieder auf.

Mark Dukownik bzw. Maik Tayler-Bauer greift nach seinem Gepäck. Es ist ein normaler schwarzer Reisekoffer mit Rollen.

Es ist bereits kurz nach 21.30 Uhr und die Sonne ist nur noch schwach am Horizont zu sehen, bald wird sie völlig untergehen. Vor dem Flughafen stehen etliche Taxis. Die gelben Fiat Unos warten in einer langen Reihe auf Fahrgäste. Da die Hauptreisesaison noch nicht begonnen hat, müssen sie erhebliche Wartezeiten auf sich nehmen. Soeben muß wieder ein Flieger angekommen sein, denn Fremde mit Koffern verlassen die Abflughalle. Einige werden von ihrem Reiseunternehmen abgeholt, Anderen sind auf die Taxis angewiesen. Eine Gruppe bestehend aus 10 Jugendlichen, teilen sich 3 Taxis. Doch nicht das, was an erster Stelle steht fährt vor, sondern die dahinter wartenden. Kaum sind die Jugendlichen abgefahren, verläßt Mark Dukownik die Halle. Jetzt fährt das erste Taxi vor und fragt: "Taxi?"
"Si."
"Dove dovrebbe andare?" (Wo soll es denn hingehen?)
"Verrei una visita guidata della dittá." (Ich hätte gern eine Stadtführung.)
"Con tutti gli extra?" (Mit allen Extras?)
"Si."
"Costa 1.200 Euro." (Das kostet 1.200 Euro.)
"Nessun problema." (Kein Problem.)
Der Taxifahrer steigt aus und legt das Gepäck des Reisenden in den Kofferraum. Dann fahren sie los. Maik sitzt auf der Rücksitzbank hinter dem Beifahrersitz. Sie verlassen wortlos das Flughafengelände. Kaum biegen sie auf die Hauptstraße ab, verläßt ein silberner Alfa Romeo einen Parkplatz und folgt dem Taxi. Der Fahrer ist der Mann aus dem Empfangsbereich, der auf Mark Dukownik gewartet hatte.
"Dove vengono?" fragt der Taxifahrer seinen Gast. (Woher kommen sie denn?)
"Germania."
"Oh, Germania." ruft der Mann hocherfreut. Dann spricht er in gebrochenen Deutsch weiter. "Wie ist Wetter dort?"
"Geht so. Mal warm, mal kalt."
Genau dies waren die Code-Sätze für seine Abholung.
Kein Tourist wäre so bescheuert, für eine Stadführung 1.200 Euro zu bezahlen.
Der Fahrer sieht immer wieder in den Rückspiegel. Maik registriert es sehr wohl. "Gibt es ein Problem?" will er wissen.
"Nein, alles in Ordnung." sagt der Fahrer und lächelt.

15 Minuten später verläßt das Taxi die Strada principale und biegt in eine kleine Seitenstraße ein. Es hält schließlich an einem unscheinbaren Parkplatz.
"Gehört der Zwischenstopp zur Stadtführung?" will Maik wissen und schaut gleichzeitig nach hinten. Er sieht, wie ein silberner Alfa ebenfalls abbiegt und ihnen folgt. Jetzt doch etwas nervös werdent, wendet er sich wieder dem Fahrer zu. Dieser zielt plötzlich mit einer Glock 20 auf ihn. "Schön ruhig bleiben." befielt er mit einem Grinsen. Tayler wird heiß und kalt. Ist der Kerl etwa ein Doppelagent und Maik schon am Anfang seiner Mission aufgeflogen? Das kann und darf nicht sein. Aber da diese Bruderschaft weitverzweigt ist, ist diese Option denkbar.
Der Mann aus dem Alfa nähert sich dem Taxi. Auch er hat eine Waffe in der Hand. Langsam öffnet er die hintere Tür, zielt mit seiner Beretta auf den Fahrgast und sagt: "Los, aussteigen!" Maik hat keine andere Wahl als sich zu ergeben. Bedacht darauf, keine hektische Bewegung zu machen, verläßt er das Taxi. Der Fahrer steigt jetzt ebenfalls aus. Er zielt mit seiner Waffe auf Maiks Kopf, ebenso wie der Fremde vor ihm. Dieser sagt jetzt: "Keinen Schritt weiter und umdrehen. Hände ans Autodach." Tayler gehorcht, was bleibt ihm auch anderes übrig. Da er ca. 1 Meter vom Wagen entfernt steht, hat er Mühe mit seinen Händen das Autodach zu erreichen. Die Kerle sind Pofis, das merkt Maik sofort. Also ist dies kein banaler Überall auf einen Touristen, sondern eine exakt geplante Operation. In einem unbequemen schrägen Winkel steht Maik da und wartet ab, was nun folgt. "Beine auseinander." befielt der Fahrer des Alfas. Nachdem Maik auch diesen Befehl befolgt hat, kommt der Taxifahrer um das Fahrzeug herum, damit er besser auf seinen Fahrgast zielen kann. Tayler schaut ihn an. Gleichzeitig wird er von dem zweiten Mann gründlich durchsucht.
"In meiner Geldbörse habe ich 500 Euro. Die könnt ihr behalten." sagt Tayler. Doch sein Angebot wird stillschweigend ignoriert, seine Leibesvisitation unbeirrt fortgesetzt. Nach wenigen Minuten kommt der Befehl: "Schön langsam umdrehen." Maik tut es und steht nun wieder vor diesen beiden Männern. Der Alfa-Fahrer hat den Pass in der Hand und fragt: "Ihr heißt also Mark Dukownik?"
"Ja. Der steht vor euch, wie er leibt und lebt."
Der Mann blättert in dem Paß, kontrolliert das Papier und die Stempel. Schließlich sagt er: "Das ist ne echt gute Fälschung."
"Wieso Fälschung?" fragt Maik überrascht. Lou hatte ihm doch hoch und heilig versichert, daß der Kerl der ihm den Ausweis "verschafft" hatte, ein Fachmann auf diesem Gebiet sei. Was wohl eine Fehleinschätzung war.
"Weil Mark Dukownik ein Pseudonym ist."
"Und wie nach eurer Meinung nach, ist dann mein richtiger Name?"
"Maik Tayler bzw. seit etwas über 2 Jahren heißt ihr ja Bauer. Verheiratet mit Bianca Bauer und ihr habt eine kleine süße Tochter namens Amélie. Beide sind gerade hier in Italien."
Jetzt doch völlig fassungslos, geht der ehemalige Polizist einen Schritt auf den Fremden zu. Dieser richtet erneut seine Waffe auf Maik. Auch der Taxifahrer zielt weiterhin auf ihn, so bleibt Tayler stehen.
"Was wißt ihr über meine Familie?" fragt Maik aufbrausend.
"Einiges. Aber ihr solltet nicht so viele Emotionen bei diesem Thema aufkommen lassen, das könnte euch sehr schnell zum Verhängnis werden. Aber mein alter Kumpel Lou hat mich schon gewarnt, daß ihr ziemlich explosiv seit." Als der Kerl das sagt, grinst er. Dann spricht er lächend weiter. "Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Oberleutnant Fink a.D. Euer Taxifahrer heißt Manuel. Er ist ein Freund von mir. Lou hat mich gebeten, euch bisschen zu unterstützen."
Von Maik fällt schlagartig jegliche Anspannung ab. Gleichzeitig fühlt er sich müde und erschöpft. Hatte er doch gedacht, daß vor ihm 2 von dieser Bruderschaft bzw. Getreue der Grazianos stehen. "Man, ihr habt mir vielleicht nen Schreck eingejagt. Das könnt ihr mit einem alten Mann nicht machen."
"Für einen alten Mann habt ihr euch aber gut geschlagen." Wieder grinst der Kerl und gibt Maik seinen Paß zurück. "Ich bin euch nur gefolgt um sicher zu gehen, daß ihr nicht beschattet werdet. Aber anscheinend hat sich kein Schwein für euch interessiert. Was unsere weiter Zusammenarbeit einfacher macht. Jetzt kommt, bevor es komplett Dunkel wird. Ich bringe euch zu meiner bescheidenen Hütte. Dort essen wir was. Manuel ist ein hervorragender Koch." Der Mann formt mit dem Zeigefinger und Daumen seiner rechten Hand ein O, hält die Spitzen an seinen Mund und entfernt sie nach einen Kußgeräusch wieder, was die wohlschmeckende Zubereitung erklären soll. "In der Zeit wo er uns eine leckere Pasta zubereitet, bringe ich euch auf den neuesten Stand meiner Ermittlungen."

27.

Bianca ist nun schon seit 2 Tagen in dem Folterhaus von Marco Graziano eingesperrt. Hin und wieder hatte sie Essen und Trinken bekommen, durfte auch einige Male einen dreckigen Eimer als Toilette benutzen. Dabei wurde sie jedoch niemals vollständig abgekettet.
Am Morgen des dritten Tages taucht Graziano jr. auf, zusammen mit 2 Leibwächter. Der elende Zustand der Frau bereitet ihm Vergnügen. Die langen Haare von Bianca sind völlig zerzaust, ihre Lippen vom Wassermangel aufgesprungen, die Stelle unterhalb des Auges hat sich lila verfärbt und auch ihre Handgelenke weisen Abschürfungen von den Fesseln auf. Bianca ist zu schwach, um ihren Kopf zu heben. Graziano tritt näher, kauert sich vor der Frau hin und fragt: "Na, wie geht es dir? Hast du dein aufmüpfiges Wesen endlich abgelegt und wirst in Zukunft alles tun, was ich dir Befehle?" Bianca antwortet nicht. So nimmt der Auftraggeber für ihre Entführung seine rechte Hand und hält sie der Frau unter das Kinn. Dann hebt er ihren Kopf an. Der Glanz in ihren Augen ist verschwunden, das lodernde Kampfesfeuer erlöschen. Marco sieht auf den ersten Blick, daß er die Frau unwiderruflich gebrochen hat. Er hat sein Ziel erreicht. Nie wieder wird ein Widerwort über ihre Lippen kommen. "Willst du zurück zu deiner Tochter und Léon? Die beiden Fragen ständig nach dir, oder soll ich Petro anrufen."
"Nein, bitte nicht." flüstert sie am Ende ihrer Kraft. "Ich werde alles tun, was ihr verlangt."
"Schön zu hören. Dann erlaube ich dir, die Stelle als Nanny wieder anzutreten. Das ist deine allerletzte Chance. Ich hoffe, du vergißt das nicht."
Bianca schließt geschwächt ihre Augen. Graziano steht auf, wendet sich an seine Männer und sagt: "Bringt sie ins Haus und ruft meinen Onkel an. Er soll sie gründlich untersuchen und schnellstmöglich hochpäppeln. Schließlich kann ich nicht noch länger meine Leute für die Betreuung der Kinder abstellen. Außerdem ist hier kein Wellnesshotel, sie kann sich ruhig ihre Unterkunft und Verköstigung erarbeiten." Mit diesen gefühlskalten Worten verläßt er das kleine Ziegelsteinhaus.
Die beiden Angestellten der Familie Graziano befreien die Frau von den Handschellen. Sie ist zu schwach um aufzustehen. So nimmt sie einer von den Männern auf den Arm und trägt sie ins Haus zurück.

* * *

Maik, Patrick Fink und Manuel hatten sich die letzten 48 Stunden auf den Tag X vorbereitet. Alles war geplant, der Köter ausgelegt. Jetzt kam die schlimmste Phase, sie mußten warten bis Graziano ihn samt Haken schluckt.

Patrick hatte mit Hilfe von Freunden die Nachricht verbreiten lassen, daß ein "Tedesca Man" (Deutscher Mann) in der Provinz Avellino aufgetaucht sei, um einige nicht ganz legale Geschäfte abzuwickeln.

Maik währenddessen war in einem Hotel der oberen Preisklasse in Avellino abgestiegen. Dort wollte er die Kontakaufnahme irgendeines Interessenten abwarten. Um eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, sollte ihm Patrick eine Angeberkarre versorgen. Damit man gleich sah, daß der Fahrer ein großer Fisch ist und mit Millionen um sich wirft wie andere mit Hunderten. Der Freund von Lou hatte Maik erzählt, daß Marco Graziano einen orangefarbenen BMW M 1 fahre, also mußte ein ebenwürdiges Auto her. Zuerst bot Patrick ihm einen Mercedes Benz SLR McLaren an. Doch dieser war Maik zu spießig. Er brauchte etwas, um mit Marco´s M 1 mithalten zu können, jedenfalls optisch. Dann fand Patrick das richtige Auto, einen zweisitzigen roten Lexus LFA Sport-Coupé. Maiks Augen strahlten beim Anblick dieses Fahrzeuges und sein Schrauberherz pochte.

28.

Gelegentlich läßt sich Maik mit dem Auto in der Stadt sehen. Ißt in teuren Gaststätten zu Mittag und trifft sich mit vermeintlichen Kunden. Doch diese bieten ihm nur kleine Mengen Drogen und Waffen an, Maik will jedoch an den großen Fisch Graziano herankommen. Dafür ist er hier und nur dafür. Aber dieser nimmt keinerlei Notiz von ihm. Anscheinend verhandelt er nicht mit "Sconosciuto" (Unbekannten).

Die Zeit verstreicht. Tage vergehen wie im Flug und Maik wird langsam unruhig. Noch eine Woche, dann hat der alte Herr Graziano Geburtstag und noch eine Woche später, wird das FBI zusammen mit der DIA zuschlagen. Danach ist seine Familie verloren. Maik muß sofort eine Großoffensive starten. Zusammen mit seinen beiden neuen Freunden entwirft er einen Plan, der einfach funktionieren muß.

An einem wunderschönen sonnigen frühen Nachmittag sitzt Maik in einem italienischen Straßen-Caffé und trinkt einen Espresso, dabei liest er eine deutsche Zeitung die man auch hier kaufen kann. Endlich, sein Handy klingelt. Er meldet sich: "Ja. . . . OK. Ich bin gleich da." sagt er, holt 5 Euro aus der Hosentasche und legt sie auf den Tisch. Danach geht er zu seinem Auto, steigt ein und läßt den V 10 Motor seines Lexus aufheulen. Zügig verläßt er die Stadt. Als er auf einem Berg ist, hält er am Straßenrand und wartet. Von hier aus hat er eine wunderbare Sicht auf die etwas tiefergelegene Straße die in Richtung Neapel führt. Er öffnet sein Handschuhfach, holt eine Sig Sauer heraus, entsichert sie und legt sie auf den Beifahrersitz. Anschließend greift er erneut in das Fach. Beim zweiten Mal fördert er ein Fernglas zu Tage. Damit schaut er in Richtung SS 7 die an Avellino vorbei geht. Kaum ein Auto ist zu sehen, viele sind noch mit ihrer Siesta beschäftigt. Da taucht ein orangefarbener BMW M 1 auf. Zügig schießt er über den heißen Asphalt. Plötzlich kommt er ins Schlingern. Es sieht so aus, als ob sich der Fahrer zuviel zugetraut hat und sein Auto nicht mehr unter Kontrolle hat. Irgendwie schafft er es zum Halten zu kommen. Maik beobachtet dies durch sein Fernglas, dabei grinst er zufrieden. Der Plan hat funktioniert. Hoffentlich auch in den folgenden Minuten.
Marco Graziano steigt aus und geht zu seinem linken Vorderrad. Dieses ist platt. Wütend tritt er gegen den Reifen. Danach greift er in seine Hosentasche und holt sein Handy heraus. Noch bevor er telefonieren kann, taucht zufällig ein Auto vom italienischen Automobilclub ACI auf. Graziano winkt und das Fahrzeug hält wenige Meter vor dem BMW. Gott sei Dank, denkt er sich. Er muß zu einem wichtigen Geschäftstermin und darf auf keinen Fall zu spät kommen. Doch anstatt der Gelben Engel steigen 2 maskierte Männer mit Waffen aus. Graziano ist vollkommen überrascht und hebt seine Hände. Seine Waffe hat er im Auto liegen, an die kommt er nicht heran. Noch immer beobachtet Maik den Vorfall lächelnd. Jetzt ist es Zeit für seinen Auftritt. Er verstaut das Fernglas wieder im Handschuhfach und rollt langsam los. Als er auf die SS 7 auffährt, kann er bereits die 3 Männer sehen. Graziano kniet auf der Erde, seine Finger hinter dem Kopf verschränkt. Einer von den maskierten Männern durchsucht das Auto und steckt alles ein, was er zu Geld machen kann. Der Zweite bedroht Marco in der Zeit mit einer Waffe. Patrick und Manuel spielen ihre Rollen gut, denkt sich Maik. Nun geht der Vorhang für seinen Akt nach oben. Zügig fährt er auf die 2 Autos zu, die Sig Sauer bereits in der Hand haltend. Noch während der Fahrt öffnet er das Seitenfenster auf der Beifahrerseite. Als er sich ca. 25 Meter hinter den Autos befindet, tritt er plötzlich auf die Bremsen und reißt sein Lenkrad nach Links. Der Lexus dreht sich um 90° und Maik schießt 2 x. Die Kugeln treffen mit einer Kraft von 5,5 kp den Mann bei Graziano. Dieser wird nach hinten geworfen und ist auf der Stelle Tod. Sein Partner kommt hektisch aus dem BMW und zielt auf den Lexus. Doch auch diesmal ist Maik schneller. Er steigt aus seinem Wagen und schießt erneut. Der Mann wird am Arm verwundet. Danach flüchtet er in Richtung Wald. Graziano hat sofort den Situationswechsel erkannt, greift zu der Waffe des toten Mannes und zielt auf den Rücken des Flüchtenden. 4 Schüsse bringen ihn zu Fall. Die Waffe noch im Anschlag, kommt Maik näher. Graziano steht auf und sagt: "Das waren alle. Man, sie haben mir meinen Arsch gerettet. Wie kann ich ihnen bloß danken."
Tayler lächelt. "Das war doch Ehrensache. Außerdem hatte ich Bedenken, daß ihr schicker Wagen einen Kratzer abbekommt."
Jetzt lächelt auch Graziano und hält Maik seine Hand hin. "Darf ich mich vorstellen. Mein Name ist Marco Graziano."
Überrascht zögert Maik. "Etwa der Graziano vor dem hier alle so einen großen Respekt haben."
"Ich denke schon." sagt Marco und lächelt geschmeichelt. "Aber die Leute reden von meinem Vater. Doch ich werde demnächst seine Geschäfte übernehmen. Also, wie kann ich ihnen für meine Rettung danken. Sagen sie mir, was sie haben wollen und sie bekommen es."
Maik versucht cool zu bleiben, doch in ihm brodelt es. *Ich will meine Frau und meine Tochter zurück.* Dies ist sein einzigster Wunsch, doch den kann er nicht aussprechen. So sagt er: "Ich wäre schon froh, wenn sie mir paar Geschäftskontakte vermitteln könnten. Ich bin nämlich hierher gekommen um etwas Geld dazulassen, damit ich mein Geschäft in Deutschland ankurbeln kann."
"Womit handeln sie denn?" will Graziano wissen.
2 Autos nähern sich der Stelle. Doch beide fahren nach einem kurzen Blick weiter. Jeder kennt die Grazianos und möchte nicht mit ihnen Bekanntschaft machen.
Maik sieht den verängstigten Augenausdruck der Fahrer. Ein unangenehmes Kribbeln breitet sich in seinem Magen aus. Aber er kann nicht zurück. So beantwortet er mit aller Ruhe die er aufbringen kann, die Frage von dem Mafiasohn. "Wissen sie, ich bin ein großer Fan von Schusswaffen. Um mein Hobby mit anderen zu Teilen, verschaffe ich SAMMLERN hin und wieder paar Exemplare." Maik lächelt und zwinkert mit seinem rechten Auge.
Grazinano versteht die Doppeldeutigkeit und fragt: "Wieviel Stück kaufen denn ihre treuesten Kunden bei einem Ankauf?"
Maik schaut sich um. Doch wer soll sie hier belauschen? Dann flüstert er. "Meine Stammkäufer kommen locker auf eine Rechnungssumme von 300.000 bis 500.000. Natürlich liefere ich nur gegen bar aus." sagt Maik abschließend.
Graziano hat bei der Summe seine Augenbrauen noch oben gezogen. "Sie scheinen gute Gewinne zu erzielen. Wie war gleich noch mal ihr Name?"
"Oh, wie unhöflich von mir. Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Mark Dukownik." Maik reicht Graziano die Hand. Dabei schaut dieser auf das Tattoo was sein Retter auf seinem rechten inneren Unterarm trägt. In einer verzierter Schrift steht dort: Familie & Freunde. "Was hat das zu bedeuten?" will Marco wissen.
"Naja. Für mich hat die Familie und die Freundschaft oberste Priorität."
Wieder lächelt Graziano. "Für mich steht an erster Stelle famiglia e I´onore, also Familie und Ehre."
"Wirklich ein komischer Zufall." sagt Maik, denkt aber innerlich. *War mir ja klar, schließlich habe ich dein Haus in Deutschland gesehen.*
"Ich werde mal sehen, was ich für eure Geschäfte tun kann. Jetzt müssen wir aber die Leichen verschwinden lassen."
"Darum kümmere ich mich schon. Sie haben es doch bestimmt eilig."
Klar doch, sein Geschäftstermin. Marco sieht auf seine Rolex. "Shit, den Termin hätte ich doch glatt vergessen. Wir sehen uns auf alle Fälle wieder und noch mal, vielen Dank." Schnell geht Marco zu seinem Auto, doch dann sieht er seinen platten Reifen.
"Warten sie." hilft Maik erneut. Zügig wendet er sich dem Auto vom Pannendienst zu, öffnet es und sucht darin. Nach wenigen Sekunden hat er etwas gefunden. Es ist ein Pannenspray. "Damit bekommen wir das Loch dicht." sagt er. "Aber allzulange sollten sie mit dem kaputten Reifen nicht herumfahren."
"Nein, das mache ich nicht."
Maik setzt den kurzen Schlauch von der Dose auf das Ventil auf und schon ist ein Geräusch zu hören. Langsam pumpt sich der Reifen auf.
"Ich möchte bloß wissen woher die Kerle wußten, daß ich einen Platten bekomme." fragt Marco und schaut ungläubig zu den beiden toten Männern.
"Da habe ich eine Vermutung." sagt Maik. Als das Rad wieder gefüllt und das Loch mit einem speziellen Kleber versehen ist, fühlt der ehemalige Polizist im Radkasten. Er holt eine kleine Sprengladung mit Fernzünder heraus. Diese gibt er Marco. "Damit haben die euren Reifen gezielt platt gemacht."
Erstaunt fragt Graziano: "Woher wußte sie das?"
"So etwas ist einem Freund von mir auch schon mal passiert. Das war allerdings in Spanien. Sie haben ihn komplett ausgeraubt."
Die Rolex von Graziano piept. "Verdammt, ich muß jetzt wirklich los. Also, noch einmal vielen Dank und ich melde mich." Marco steigt in seinen BMW und fährt mit Vollgas los. Maik hebt zum Abschied noch einmal die Hand. Dann verschwindet das orangefarbene Fahrzeug schnell am Horizont.

"Er ist weg. Ihr könnt von den Toten wieder auferstehen."
"Wird auch Zeit." sagt Patrick. Er hatte Graziano bedroht. Schnell reißt er sich seine Maske vom Gesicht und öffnet seinen Overall. Mit geübten Handgriffen entfernt er die schusssicher Weste in der 2 zerbeulte Projektile stecken. Er wirft sie auf den Boden, zieht sein Overalloberteil aus und hüpft wie wild herum. "Man, ich habe die ganze Zeit in einem beschissenen Ameisenhaufen gelegen. Konntest du deine Konversation mit diesem Kerl nicht etwas abkürzen."
Maik lächelt. "Tut mir leid." Dann wendet er sich zu Manuel um. Auch dieser kommt zu ihnen. Anders als Patrick wurde er tatsächlich von einer Kugel getroffen. Tayler hatte ihn am Arm erwischt. Gott sei Dank war es nur ein Steifschuss. "Daß du mich triffst, das stand aber nicht im Plan." schimpft er.
"Sorry. Aber wieso ballerst du auch auf mich. Wir hatten ausgemacht, daß wenn ich Patrick umgelegt habe, daß du dann im Wald verschwindest."
Manuel kratzt sich am Kopf. "Echt." fragt er.
Maik lacht. "Ja, echt. Komm, zieh dein Oberteil aus, ich sehe mir die Verletzung mal an."
Beide Männer gehen zu dem Pannenwagen. Tayler sucht den erste Hilfe Kasten. In der Zeit legt Manuel die Weste ab, in der auf dem Rücktenteil 4 Geschosse stecken. Dann setzt er sich auf die Ladekante und läßt sich verarzten. Patrick kommt dazu. "Wenn du mit dem Doktorspiel fertig bist, vielleicht hast du auch noch was für mich." fragt er und kratzt sich unaufhörlich seinen Oberkörper. Die Insektenstiche sind ganz deutlich zu sehen. Sie sind rot angeschwollen und brennen wie verrückt.

Der Vorfall wurde von allen Beteiligten unbemerkt von einer funkferngesteuerten Drohne vom Typ General Atomics MQ-1 Predator aufgezeichnet und die Bilder zeitgleich in das J. Edgar Hoover Building in Washington D.C., der Zentrale des FBI, überspielt. Dort sitzen hochrangige Offiziere an einem Tisch und haben das Schauspiel von Anfang an beobachtet. "Wer sind diese Kerle?" fragt schließlich ein Federal Agent.
"Keine Ahnung?" anwortet ein Unterstellter.
"Dann sorgen sie dafür, das sie Ahnung bekommen. Ich möchte nicht, daß durch diese Kerle die ganze Aktion auffliegt."
"Jawohl, ich werde mich sofort darum kümmern." sagt der Mann, salutiert und verläßt eilig den Raum.

Zwischenzeitlich hat Maik die Verletzung seines Freundes versorgt. "War nur ein Kratzer."
"Aber der Kratzer tut ganz schön weh."
"Hab dich nicht so oder wollen wir tauschen. Man, was für ein scheiß Gift haben die Ameisen bloß in sich?" fragt Patrick und kann nicht aufhören sich zu kratzen.
"Warte, vielleicht finde ich auch was für dich." sagt Maik und steigt in das Pannenfahrzeug. Nach einigen Sekunden fragt er: "Es fühlt sich an, als ob deine Haut brennt?" will er wissen.
"Ja, genausso."
"Dann habe ich das passende für deinen Körper." sagt Maik und steigt mit einem Autofeuerlöscher aus.
"Aber sonst geht es dir danke?" will Patrick wissen. "Das nächste Mal tauschen wir die Rollen und dann Lache ich, wenn du dir die Haut vom Leib kratzt."

Am Ende doch zufrieden über ihren Erfolg, verlassen beide Fahrzeuge den Standstreifen. Maik kehrt in sein Hotel nach Avellino zurück. Auf der Fahrt muß er noch immer über Patrick lachen.
Seine Freunde fahren zum Anwesen von Patrick Fink zurück.
Jetzt müssen alle 3 wieder warten, bis Marco Graziano Kontakt mit den angeblichen Waffenhändler Mark Dukownik aufnimmt.

29.

Die Schatten der Citrus-Bäume werden länger, der Tag neigt sich dem Ende entgegen. Bianca liegt in einem seperaten und verschlossenen Zimmer. Der Onkel der Grazianos der Arzt ist, hatte sich die Frau angeschaut. Anscheinend war er den Anblick mißhandelter Menschen auf diesem Anwesen gewöhnt, denn er hatte seine Untersuchung emotionslos durchgezogen. Am Schluss stand seine Diagnose fest, Biancas Körper und Geist waren infolge der dreitägigen Isolationshaft in einem desolaten Zustand. Durch die Verweigerung von menschlichen Grundbedürfnissen wie ausreichend Wasser, Nahrung, Schlaf und Kontakt zu anderen, zeichneten sich bei ihr deutliche Mangelerscheinungen ab. Daher hatte ihr der Arzt einen Venenkatheter gelegt und durch diesen intravenösen Zugang eine aufbauende Elektrolytlösung injiziert. Marco war während der Untersuchung im Zimmer geblieben. Am Ende fragte er seinen Onkel, ob Bianca am nächsten Tag die Arbeit als Babysitterin wieder aufnehmen könne. Alles andere ließ ihn kalt.

Maik war nach der erfolgreichen ersten Kontaktaufnahme mit Graziano Junior in sein Hotel zurückgekehrt. Dort muß er nun warten, bis sich Marco irgendwann bei ihm meldet. Jeglicher erneuter Versuch ihn persönlich zu treffen, würde sein Mißtrauen erwecken.
Biancas Mann kann den Luxus des 5 Sterne-Hotels jedoch nicht so richtig genießen. Er muß ständig an seine Frau und Tochter denken. Wie es ihnen wohl geht? Wenn Graziano einen von beiden auch nur ein Haar gekrümmt hat, dann wird er es bitter bereuen, das hat sich Maik geschworen.
Kontakt zu seinen 2 Helfern hält Tayler, indem er sich zwischen 19 und 20 Uhr in der hoteleigenen Club-Lounge einfindet. Manuel hatte dort eine Stelle als Barkeeper angenommen. Darin war er richtig gut. Maik war etwas neidisch, wie er mit Getränkeflaschen jonglieren und das Publikum durch seinen Tricks unterhalten konnte.
Heute geht Maik eher in die Bar, bereits 17 Uhr. Das schlimmste an seinem Job war und ist für ihn immer das Warten. Die Zeit des Nichtstuns, des hilflos herumsitzens. Dafür ist er einfach nicht geboren. Er braucht Action und den Überschuss an Adrenalin in seinen Adern. Es ist fast schon eine Sucht. Doch z. Zt. fühlt er sich wie ein Junkie auf Entzug. Sein Gehirn braucht eine bestimmte Menge dieses Streßhormons, ansonsten ist es unterfordert. Maik muß seine Nerven beschäftigen, anderenfalls dreht er durch. So spielt er ein Spiel aus seiner früheren SEK-Zeit, was ihm bei Einsätzen immer die nötige Ruhe und Konzentration verschafft hatte. Er fragt die Bedienung nach einem Stift und einen Zettel. Beides bekommt er anstandslos. Auf dem Blatt skizziert er aus seinem Gedächnis die Umrisse der Lounge. Mit einem Kreuz kennzeichnet er die Stellen, wo sich Gäste bei seinem Eintreffen befunden hatten. Die Gehirnbeschäftigung tut ihm gut, bringt ihn von dem schrecklichen Gedanken ab, daß es Bianca und Amélie nicht gut gehen könnte. Nach 5 Minuten fragt ihn die hübsche Bardame, was er da mache. Maik lächelt sie an und erklärt: "Wissen sie, ich habe Morgen einen wichtigen Geschäftstermin, aber das ist noch nicht 100 %ig sicher. Damit ich bis dahin vor Langeweile nicht verrückt werde, beschäftige ich meine grauen Zellen."
"Und womit?" fragt die Frau. "Kreuze auf einen Zettel zu malen?"
Tayler schiebt das Blatt zu der Bedienung und sagt: "Das müßte der Umriss der Lounge sein, jedenfalls was mir mein Gedächtnis sagt und an den Stellen mit den Kreuzen befinden sich Menschen. Gleich am Eingang sitzt z. Bsp. ein älterer Herr. Ich würde schätzen Anfang 60. Graue Haare, ziemlich übergewichtig. Er trägt einen dunklen Anzug von Armanie, weißes Hemd mit dunkelroter Krawatte. Am rechten Mittelfinger steckt ein Wappen-Ring. Auf dem Tisch vor ihm liegt sein Hotelschlüssel mit der Nr. 33. Außerdem trinkt er einen blauen Cocktail, ich tippe mal auf Blue Curacao oder Blaue Lagune."
"Das ist ja Wahnsinn!" sagt die Frau begeistert. "Was ist mit dem Pärchen das schräg hinter ihnen sitzt?"
Maik schließt seine Augen, konzentriert sich und versucht die Personen in seinem Gedächtnis zu rekonstruieren. Es dauert nicht lange und sie tauchen vor seinem inneren Auge auf. "Die beiden scheinen auf Hochzeitsreise zu sein, denn auf ihrem Tisch liegen Rosenblätter und eine Kerze brennt. Außerdem sehen sie sich unentwegt an, wie 2 frisch Verliebte. Als ich rein kam, hielt er ihre Hand. Ich nehme mal an, das tut er immer noch."
"Und was trinken die beiden?" will die Frau wissen.
Maik überlegt einige Sekunden. Schließlich sagt er: "Einen roten Cocktail. Wenn sie wirklich kürzlich geheiratet haben nehme ich mal an, trinkt er dasselbe wie sie. Es könnte Sex and the Beach sein. Das mögen Frauen."
Die Dame hinter der Bar applaudiert leise. "Sie sind richtig gut. Wie machen sie das bloß?" fragt sie entzückt.
"Naja, ich muß oft warten und habe mir somit diese Fähigkeit angeeignet." Doch in Wirklichkeit gehörte dieses Gedächtnistraining zu seiner SEK-Grundausbildung. Sehen-Merken-Gefahren erkennen.

Zur selben Zeit nähert sich ein schwarzer Alfa Romeo 159 dem Anwesen der Grazianos. Auf der Seite steht in großen weißen Buchstaben CARABINIERI. Ohne Kontrolle am Tor darf das Fahrzeug passieren. Am Haus wird das Auto von 2 Leibwächtern erwartet. Die Vorgehensweise kennt der italienische Polizist bereits. Er parkt seinen Alfa und steigt aus. Einer von den muskulösen Leibwächtern hält sein Hand hin und der Unteroffzier der hiesigen Polizeistation legt seine Dienstwaffe hinein. Erst danach tritt der 2. Bodyguard beiseite und läßt den Mann passieren. Er sagt: "Der Pate ist mit seinem Sohn auf der Terrasse." Dann folgen beide Angestellte dem Polizisten. Dieser kennt den Weg und geht unverzüglich zum Oberhaupt der Familie Graziano. Marco und sein Vater sitzen gemütlich auf der Terrasse und genießen eine Toscani, eine italienische Zigarre. Vor ihnen auf dem Tisch steht jeweils ein Glas mit einer braunen Flüssigkeit und einem Eiswürfeln zum Kühlen des Getränks. Der Polizist geht sofort zu Marcos Vater, kniet sich vor ihm hin und küßt ihm den Siegelring mit dem Wappen der Grazianos den er am linken Ringfinger trägt. "Vi saluto Godfather." sagt er unterwürfig.
"Ihr kommt spät Corporal Sciutto." rügt ihn Graziano Senior.
"Ich weiß. Es wird nicht wieder vorkommen." entschuldigt sich der italienische Unteroffizier und steht auf.
"Wollen sie einen Drink?" fragt Marco.
"Danke, nein. Ich muß dann gleich noch zu einer Besprechung in die Guardia di Finanza nach Neapel."
Godfather Graziano zeigt auf einen freien Stuhl, damit sich der Corporal Sciutto setzen kann. Anschließend schaut er zu den beiden Leibwächtern. Diese verstehen, gehen zurück ins Haus und stellen sich vor die Terrassentür, damit die Herrschaften nicht gestört werden. Ihre Rücken weisen in Richtung der 3 Männer. Sie können zwar die Konversation verfolgen, würden sich aber nie getrauen mit einer weiteren Person über das Gehörte zu reden.
Das Familienoberhaupt fragt den Corporal: "Ist für den 25. alles in die Wege geleitet?"
"Si. Die entsprechenden Zollbeamten die an diesem Tag in Porto di Napoli Dienst haben, schauen diskret weg. Es wird keine Kontrolle auf ihrem Frachtschiff stattfinden. Die Formalitäten erledigt der Generale di Brigata persönlich. Sie müssen uns nur noch den Namen und die Ankunfszeit ihres Frachters mitteilen."
"Das werde ich tun. Bis es jedoch soweit ist, werde ich es für mich behalten. Wir wollen doch nicht, daß die DIA von der Sache Wind bekommt. Die sollen erst davon erfahren, wenn die Waffen und Drogen sicher in meinem geheimen Lager eingetroffen sind."
"Ich garantiere ihnen, daß ihr Auftrag wie immer zu ihrer vollsten Zufriedenheit erledigt wird."
"Etwas anderes habe ich auch nicht angenommen." sagt Graziano und lächelt. "Wie geht es eigentlich der Familie?"
Nun lächelt auch der Carabinieri: "Danke der Nachfrage, sehr gut. Die Medikamente die sie meiner Frau versorgt haben, haben wunderbar angeschlagen. Sie schafft es sogar schon wieder, sich um unseren Sohn zu kümmern."
"Das freut mich. Grüßen sie die Beiden von mir."
"Das werde ich tun." sagt der Corporal und sieht Graziano erwartungsvoll an.
"Oh, das hätte ich doch glatt vergessen." sagt dieser und schaut zu seinem Sohn. "Marco, würdest du dem Corporal bitte seine Bezahlung geben." Der Juniorchef greift in seine Jackentasche und wirft einen dicken Umschlag auf den Tisch. Die abwertende Geste soll dem Polizisten zeigen, daß er weit unter der Familie Graziano steht, auch wenn er einen hohen Posten bei der Finanz- und Zollpolizei ausübt. Wenn er nicht das macht was die Familie Graziano will, dann wir er von seinem Posten enthoben. Als Todesursache wird in der Akte stehen: Erschossen im Einsatz. Tatsächlich aber wird er von einem Sicario, einem Auftragskiller aus dem Staatsdienst entfernt. Es wäre nicht das erste Mal, daß ein Posten neu besetzt werden muss. Ohne zu zählen steckt der Polizist den Umschlag ein. Er weiß, daß sich darin 10.000 Euro befinden. Davon wird er seiner Frau einen elektrischen Rollstuhl kaufen und einen Platz in einer der besseren Reha-Kliniken in Neapel besorgen. Dort wird sie vielleicht wieder laufen lernen. Er würde es sich von Herzen wünschen. Vor 3 Jahren wurde seine Frau bei einem Unfall schwer verletzt. Ein Auto hatte sie angefahren und einfach liegen lassen. Natürlich war kein Zeuge zu finden, der eine Aussage machen wollte. Nach einer NOT-OP die Graziano bezahlt hatte, bekam sie eine Infektion die seit dem nicht richtig abheilte. Erst durch ein Medikament was ihm Don Graziano versorgt hatte, schlossen sich die Wunden. Doch die Lähmung ihrer Beine war seither geblieben.
Als sich der Corporal erhebt um zu gehen, fragt Marco: "Könnten sie mir evtl. einen Gefallen tun?" Überrascht sieht ihn der Mann an. Was will die Familie Graziano denn noch von ihm? Er setzt doch eh schon seinen Posten aufs Spiel. Wenn die Direzione Investigativa Antimafia von seinen illegalen Machenschaften erfährt, dann ist er weg vom Fenster und seine Familie obdachlos. Trotzdem sagt er höflich: "Sehr gern." Sciutto weiß nicht, vor wem er mehr Angst hat, vor der Familie Graziano oder vor der DIA?
"Würden sie für mich einen gewissen Mark Dukownik aus Germania überprüfen. Er muß vor paar Tagen mit dem Flieger angekommen sein."
"Und wann genau?" will der Corporal wissen.
"Das weiß ich nicht. Aber sie bekommen es schon heraus und auch, in welchem Hotel er abgestiegen ist. Ich erwarte ihren Anruf morgen Früh um 8 Uhr."
"Si, aber jetzt muß ich wirklich los, der Generale di Brigata wird schon auf mich warten."
"Ich bin mir sicher, daß sie pünktlich in Neapel ankommen. Schließlich sind sie Carabinieri und müssen sich nicht an die Geschwindigkeit halten. Grüßen sie den Brigadegeneral Bertani recht herzlich von mir. Ich werde ihm in der nächsten Zeit seinen Wunsch erfüllen." sagt Graziano Senior. Dann nickt er zum Abschied und widmet er sich wieder seinem Drink.
"Addio Don´s" sagt der Corporal Sciutto, verbeugt sich respektvoll und geht. Ein Leibwächter folgt ihm, der andere bleibt vor der Terrassentür stehen. Marco schaut sich noch einmal um, um zu sehen, ob der Polizist außer Hörweite ist, dann wendet er sich seinem Vater zu. "Was denkst du wird er machen wenn er erfährt, daß du vor 3 Jahren den Befehl gegeben hast, seine Frau anzufahren. Danach den barmherzigen Samariter gespielt hast um seine Dankbarkeit zu bekommen." Der alte Herr grinst, zieht an seiner Zigarre und sagt: "Wenn er das erfährt, werde ich es auch erfahren. Dann lasse ich ihn aus Sicherheitsgründen liquidieren, ihn und seine geamte Familie."
Der Wachmann hat dies auch gehört, doch er verzieht keine Miene. Schließlich arbeitet er schon seit einigen Jahren für diese Mafiafamilie und kennt ihre brutalen Praktiken.
"Wer ist eigentlich dieser Mark Dukownik an dem du interessiert bist?" will Marcos Vater wissen.
"Ach niemand. Ich habe ihn zufällig heute Mittag kennengelernt als er mir geholfen hat, einen Überfall zu überleben."
Sein Vater sieht ihn überrascht an. "Was für einen Überfall. Davon hast du mir gar nichts erzählt."
"War auch nicht so wichtig. Aber vielleicht haben wir einen neuen Kunden. Dieser Kerl scheint in Deutschland ein kleines Waffengeschäft zu betreiben. Zwar nur im unteren Gewinnbereich, aber ich denke, das könnte man für uns erträglich ausbauen. Wenn er der Überprüfung stand hält, stelle ich ihn dir demnächst vor. Falls nicht, werde ich mit ihm einen kleinen Ausflug ins Grüne machen."

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Nächsten Dienstag erfolgt keine Einstellung. Deshalb war diese heute etwas länger. Es geht erst am 30.12. weiter.

Ich wünsche meinen Lesern ein schönes Weihnachtsfest.


© sylvi


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Beschreibung des Autors zu "Wenn das Gestern zum Heute wird."

In meiner 2. Geschichte geht es wieder um Maik Tayler. Diesmal wird seine Familie entführt und er legt sich mit der Mafia an.

Spannung ist vorprogrammiert.

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