McCoy stand auf der Straße und wartete. Das tat er öfter. Manchmal wartete er, dass die blutrote Sonne hinter der offenen Ebene unterging und manchmal wartete er, dass Lizzy ihre Schicht im Saloon beendet hatte. Doch nicht an diesem Abend. Dieses Mal wartete er auf Fay und nur einer von ihnen beiden würde später wieder an die Theke gehen können und einen Whiskey bestellen.

Daran war Fay selber Schuld. Oder vielleicht McCoy. Oder vielleicht beide. Jedenfalls war Fay ein Gunman, das wusste McCoy. Einer der schon ein Dutzend Männer auf dem Gewissen hatte. Aber das war unerheblich. Hätte er sich doch einfach nicht an Lizzy herangemacht. McCoy konnte das nicht vertragen und hatte den Gunman einen Schwinger verpasst. Wahrscheinlich wäre er jetzt schon tot, wenn Lizzy Fay nicht in die Schusshand gefallen wäre. Aber darüber hatte McCoy nicht nachgedacht und nun musste er sich einem Duell stellen.

Das konnte er nicht verhindern. Jeder hätte ihn für einen Feigling gehalten und ganz besonders Lizzy sollte das nicht von ihm denken. Vielleicht hatte er ja auch eine Chance. Er konnte ganz gut mit einem Revolver umgehen und vielleicht schoss Fay ja vorbei.

Trotzdem war McCoy nervös. Gleich würden die Türen des Saloons aufschwingen und der Gunman in die Dämmerung heraustreten. Seine Sporen würden auf dem Holz klirren und die silbernen Knöpfe des Revolvergurtes in dem Licht der Lampen glänzen. Fay würde eine Zigarette rauchen und sie in den Staub der Straße schnippen. Dabei würde er grinsen und dann wäre es soweit.

Jetzt aber stand McCoy allein auf der Straße und wartete. Er war kein Feigling. Er war ein Mann. Er war jemand, der sich töten lassen würde. Aber das war okay, denn er kniff nicht.

Lizzy hatte gesagt, dass sie ihn mochte, weil er nicht mit dem Revolver herumfuchtelte. Aber sie hatte auch keine Ahnung, wie es wäre, wenn er einfach abhauen würde und als Feigling weiterleben musste. Niemand würde ihn mehr beachten und alle würden über ihn lachen. Zuletzt auch Lizzy. Er musste es also riskieren und wenn er Fay umbrachte, war immerhin er es, der den gefürchteten Gunman zur Strecke gebracht hatte. Das würde sich überall herumsprechen und alle hätten Respekt vor ihm. McCoy, der Mann, der Fay zur Strecke gebracht hatte. Den gefährlichsten Mann in Arizona.

Sie würden kommen, nur um ihn zu sehen. Er würde berühmt werden und manche würden kommen, nur um sich mit ihm zu messen. Bald schon wäre sein Name gefürchteter als der von Fay und niemand würde sich mehr in einem Saloon vor ihn drängen. Das würde auch Lizzy stolz machen.
McCoy rückte seinen Revolvergurt zurecht und wartete. Der Wind strich durch die Straße und wirbelte den Staub auf. Er fiel auf sein Haar und McCoy schüttelte ihn ab wie eine lästige Fliege. Der Staub konnte warten. Nur noch einige Augenblicke, dann lag ein Körper in ihm. Dann war der Gunman tot. Oder er.

Doch konnte er nicht verlieren. Er war kein Feigling und falls er siegte, war er sogar ein Held. Fay würde kommen und McCoys Leben ein für alle Mal ändern. Mit der Hand streichelte er den Knauf des Revolvers. Noch fühlte er sich leblos an. Noch schlummerte der Drache. Doch bald schon würde er entfesselt sein und nie mehr schweigen.

Die Sonne senkte sich unter die Ebene und Dunkelheit kroch durch die Straßen. Doch McCoy stand weiter dort und wartete. Fünf Minuten hatte Fay gesagt. Die Minuten waren um. Sogar schon zehn. Doch Fay war kein Feigling. Er hatte zwölf Männer umgebracht. Fay würde kommen und McCoy ihn töten.

Als erstes würde er sich einen neuen Revolvergurt kaufen. Auch mit silbernen Beschlägen, die so schön im Licht der Lampen glänzten. Und natürlich einen neuen Hut. Groß und schwarz, dass die Menschen ihn sogleich erkannten. Vielleicht war es gut, später nach Abilene zu reiten. Dort sollte momentan eine Menge los sein. Die richtige Stadt für McCoy, der Fay getötet hatte. Und dann würde er Lizzy zu sich holen. Lizzy, die unheimlich stolz auf ihn sein musste. McCoy, der Gunman oder Crazy Ben. Irgendetwas würden sie sich schon für ihn ausdenken, es hing nur davon ab, wie viel Männer er tötete. Und jetzt sollte er damit beginnen. Aber dieser verdammte Fay zeigte sich nicht. Vielleicht hatte er tatsächlich Angst. Die anderen, die er getötet hatte, waren doch nur Kinder. Doch nicht McCoy und wahrscheinlich wusste Fay das. Dieser Feigling machte ihm seine Zukunft noch kaputt.

Aber McCoy wartete weiter. Immerhin war er der Mann, vor dem der Gunman kniff. Das war im Grunde doch viel mehr Wert. Fay wusste einfach, dass McCoy besser war und auch das würde sich herumsprechen. McCoy, vor dem die Besten kniffen!

Der Mond ging über der Savanne auf und schimmerte silbern auf die Straße. McCoy wartete. Und wenn es bis morgen früh dauern sollte! Er hatte gesagt, dass er kommen würde und nun lag es an Fay. Doch er kam nicht und Lizzy musste furchtbar stolz sein.

Da stürmte jemand aus dem Saloon und fast hätte McCoy seinen Revolver gezogen. Aber es war nur Smitty, ein Cowboy der C-Ranch. Er rannte über die Straße hinüber zum Doktor.

„Fay hat es erwischt!“ rief er McCoy dabei zu, kaum dass er Zeit hatte, den Kopf zu wenden.
McCoy eilte in den Saloon. Wer hatte es gewagt, ihm den Ruhm zu nehmen? Sicherlich aus dem Hinterhalt. Außer ihm konnte es hier niemand mit Fay aufnehmen! Egal, wer es gewesen war, er musste sich vor McCoy verantworten.

Als er eintrat war es still im Raum und nur der Barkeeper wies mit dem Kopf die Treppe hinauf in den ersten Stock. McCoy stieg die Stufen empor. Sie knarrten unter seinen Stiefeln. In der oberen Etage stand eine Tür offen und ein paar Cowboys bildeten davor einen Halbkreis. Es war die Tür zu Lizzies Zimmer. McCoy schob die Menge beiseite und trat ein.

Lizzy saß auf ihrem Stuhl am Ankleidespiegel. Auf dem Bett lag Fay. Er lag auf dem Bauch und war nackt. Am Knauf des Bettgestells hing der Revolvergurt mit dem silbernen Besatz. Das Licht des Raumes ließ ihn funkeln.

Lizzy trug ihren Bademantel. Sie sah McCoy an, der Mann sagte nichts.
„Das habe ich für dich getan“, sagte Lizzy.
McCoy sah hinüber zu den reglosen Fay.
„Hast du ihn getötet?“ fragte er.
„Er hatte einen Herzinfarkt.“

McCoy wandte sich um und verließ das Zimmer. Die Gäste des Saloons sahen ihn an, als er die Treppe herunterkam und zur Schwingtür ging. Er trat auf die Straße und schritt sie entlang bis die Stadt endete und die Savanne begann. Im silbrigen Mondlicht reckten sich die Kakteen wie Finger in den Himmel. McCoy drehte sich eine Zigarette und zündete sie an.

Er begann zu warten. Er musste nur noch entscheiden auf was.


© Mark Gosdek


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Kommentare zu "Silberne Zukunft"

Re: Silberne Zukunft

Autor: axel c. englert   Datum: 08.12.2014 20:17 Uhr

Kommentar: Dieser Western gleichfalls strahlt!
Bilder, Stimmung: wie gemalt....

LG Axel

Re: Silberne Zukunft

Autor: possum   Datum: 09.12.2014 0:33 Uhr

Kommentar: Tolle Sache in diesen Zeilen ...! LG!

Re: Silberne Zukunft

Autor: Mark Gosdek   Datum: 09.12.2014 6:01 Uhr

Kommentar: Der einzame Cowboy am Rande der Prairie, immer schon ein anregendes Bild. LG Mark

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