Wir standen an der Reling und sahen hinüber auf die Stadt. Es war eine mondlose Nacht. Nur noch wenige Lichter brannten in den Fenstern und der Kai war menschenleer.
Sie hatten uns nicht bemerkt, wie wir mit der Destroy Star in die Bucht gesegelt waren. Das war ein Verdienst von unserem Cäpt´n. Er ist der verflucht gerissenste Pirat, mit dem ich jemals zusammen gefahren bin.
„Sie werden gar nicht wissen, was geschieht“, erklärte er und die Mannschaft hatte gejohlt. In der Stadtkammer standen die Truhen mit den Dukaten und auch die Handwerker hatten die Taschen voll. Wir würden sie ihnen leeren.
Snaily Smith gab mir den Rumkrug und ich nahm einen kräftigen Schluck. Später würde dann noch viel mehr folgen.
„Wird eine schöne Stecherei“, sagte Snaily Smith.
Ich nickte.
Dann gab der Cäpt´n das Zeichen. Wir schwangen uns über die Reling hinab in die Boote und ruderten zum Kai. Wir waren dreißig Mann. Das war für so eine kleine Stadt genug. Und wir waren Kerle. Piraten. Diese verweichlichten Landratten würden es nicht wagen, sich mit uns anzulegen.
Wir schlichen über den Hafenplatz hinein in die erste beste schmale Gasse, die vor uns lag. Alles blieb ruhig.
„Verflucht“, raunte Dickson neben mir.
Ich wusste was er meinte.
Wir kamen auf dem Marktplatz an. Die Kneipentür des goldenen Ankers öffnete sich und an Kerl schwankte heraus. Er blieb vor uns stehen und stierte uns an. Und dann schrie er.
„Piraten!“
Der Cäpt´n rammte ihm das Entermesser in die Brust. Wir zogen unsere Säbel. Drei von uns sprangen in den goldenen Anker herein und nun begann das Getobe. Krüge klirrten, Menschen schrien. Der Wirt flog durch das Wirtshausfenster hinaus auf die Straße. Ehe er noch aufstehen konnte, hatte der wilde Bill ihm mit dem Säbel den Schädel gespalten. Rings um den Marktplatz entzündeten sich Lichter in den Fenstern.
„Drauf!“ rief der Cäpt´n und wir brüllten was das Zeug hielt. Dickson, Snaily Smith und ich brachen die Tür zu irgendeiner Werkstatt auf. In solchen Häusern gab es immer was zu holen.
Der alte Mann trat uns mit der Kerze in der Hand entgegen. Snaily Smith hub mit dem Säbel auf ihn ein. Ich fegte mit einem Handstreich das Regal leer.
Eine Frau kreischte. Dickson zog sie hinter dem Verhang hervor und warf sie auf den Tisch. Dann riss er ihr den Rock herunter und brüllte dabei vor Freude.
Snaily Smith durchsuchte die hintere Kammer und ich den Vorderraum, während Dickson sich über die Frau hermachte. Ich fand keine Dukaten und wurde wütend.
Draußen schrie der Mob durcheinander. Unsere Mannschaft hatte die Türen der Häuser aufgebrochen und wütete darin herum. Sie trieben die Menschen hinaus. Schon loderten die ersten Flammen aus den Häusern, in denen es nichts zu holen gab.
Die Frau kreischte unter Dickson. Er schlug sie, dass sie ruhig wurde und nur noch wimmerte. Ich warf die Kerze in einen Haufen Kienspan, dass die Flammen sogleich emporzüngelten. Im Nu brannte das Haus.
Snaily Smith kam aus dem hinteren Raum.
„Nichts“, sagte er.
„Los kommt“, sagte ich. Dickson ließ von der nun bewusstlosen Frau ab und wir eilten aus dem Haus.
„Willst du das Luder darin verbrennen lassen?“ fragte ich Dickson.
„Hast Recht“, sagte er, wandte sich um, hob seine Muskete und feuerte auf die Frau.
Der Cäpt´n brüllte.
„Los zur Stadtkammer!“
Wir stiegen über die Leichen der Menschen und durch die Flammen wurde es heiß. Unser Zweimaster schickte eine Salve rüber. Die Kanonenkugeln barsten die Mauern. Stein flog über den Platz und Staub und Knochen.
Bill rannte voraus, hinter im der Cäpt´n. Dickson, Smith und ich am Schluss. Wir drei waren das verfluchteste Lumpenpack von dem ganzen Gesindel. Wir töteten die Überlebenden. Das war unser Job. Und das taten wir, dass sich unsere Säbel rot färbten und wir im Gesicht mit Blut bespritzt wurden. Snaily Smith leckte mit der Zunge darüber.
„Nur Rum schmeckt besser“, sagte er und grinste.
An der Stadtkammer war der Teufel los. Einige der Landratten hatten sich dort versammelt und traten uns entgegen. Wir warfen mit unseren Entermessern und wer nicht getroffen wurde, lag unter den Klingen der Säbel.
Die Tür der Stadtkammer war aus schwerem Eichenholz. Aber eine der Kanonenkugeln hatte ein Loch in die Mauern gesprengt. Wir kletterten über den Gesteinshaufen und krochen hinein.
In der Stadtkammer war es ruhig und leer. Niemand stellte sich uns in den Weg.
„Vorwärts“, sagte unser Cäpt´n und wies uns den Weg in die hinteren Räume.
Wir waren nur noch eine Handvoll. Der Rest von uns plünderte die Stadt. Unsere Beute teilten wir sowieso.
Hinten in den Räumen standen die Truhen und unser Cäpt´n grunzte zufrieden.
Als wir die Deckel öffneten hörten wir Lärm auf der Straße. Das Krachen der Musketen. Eine Salve von Schüssen. Das waren Soldaten.
Der Cäpt´n horchte auf. Und schon hörten wir das Geschrei am Kanonenloch. Wir konnten nicht mehr zurück.
Bill zündete eine Handgranate und warf sie in den vorderen Raum. Der Knall ließ das Gebäude erzittern. Wir hörten das Schreien. Die letzten Töne der Soldaten. Aber es waren noch genug von ihnen übrig.
„Los, hinten raus!“ rief der Cäpt´n.
Wir drängten weiter in den Raum und über die Küche auf den Hof zu den Schweinen. Sie quiekten und stoben auseinander.
Wir rannten zwischen ihnen durch und sprangen über den Zaun. Dickson blieb hängen und stürzte. Wir liefen weiter. Dickson erhob sich und in diesem Augenblick kamen Soldaten um das Haus gelaufen. Dickson hob seinen Säbel und stürmte auf sie zu. Ihre Musketen durchlöcherten seine Brust.
Wir rannten weiter die Straße hinunter zum Hafen. Von überall kamen Soldaten herbeigelaufen. Und die Stadtbewohner mit Heugabeln und Messern, die sie von irgendwo gepackt hatten.
Der Cäpt´n stürmte voran und schlug sich den Weg frei. Bill hieb auf einen Soldaten ein, der nieder sackte und wir über ihn hinweg eilten.
Auch einige der Mannschaft lagen auf dem Weg herum. Sie waren erschlagen worden. Wir kümmerten uns nicht weiter um sie.
Unten am Kai hatte sich eine Gruppe Soldaten versammelt. Wir blieben im Dunkel der Straße stehen.
„Verflucht“, sagte Bill. „Der Teufel hat sie hierher gebracht.“
Der Cäpt´n lachte leise.
Da schoss die Destroy Star die nächste Salve ab. Eine Kugel schlug am Kai ein und die Soldaten fielen wie die Ratten.
In diesem Augenblick stürmten wir über den Platz zu unseren Booten und sprangen hinein. Wir waren noch zehn Mann und die Dukaten hatten wir in der Stadtkammer zurücklassen müssen.
„Hol´s der Satan“, knurrte der Cäpt´n. „Los an die Riemen, ihr faules Gesindel!“
Wir ruderten so schnell wir konnten. Hinter uns am Kai versammelten sich die Soldaten und schossen ihre Musketen ab. Drei von uns sackten zusammen. Doch wir erreichten unser Schiff. Die Kameraden ließen Taue zu uns herab und wir hangelten uns empor.
„Setzt die Segel!“ befahl der Cäpt´n als er wieder auf der Brücke stand.
Snaily Smith und ich kletterten in die Wanten und schon nahm die Destroy Star Fahrt auf.
Hinter uns brannte die Stadt. Dunkle Gestalten am Kai schrieen hinter uns her. Wir aber segelten aus der Bucht um den Felsvorsprung herum.
„Jetzt brauch ich einen Rum“, knurrte ich.
„Warte bis wir auf dem offenen Meer sind“, sagte Bill.
Langsam zog die Destroy Star um den Felsen herum. Da sahen wir die
Fregatte. Sie lag seitlich und ihre Neunpfünder rissen ihre Mäuler auf.
„Das sind die Höllenhunde“, schrie der Cäpt´n. „Klar machen zum Gefecht!“
Wir richteten unsere Siebenpfünder aus und begannen zu laden. So traf uns die erste Salve. Sie brach einen der Masten und schlug ein Loch ins Vorderdeck.
„Richtet aus“, rief der Cäpt´n. „Feuer!“
Unsere Siebenpfünder blitzten, doch hatten wir sie nicht gut eingestellt. Die Kugeln fielen ins Wasser.
Die zweite Salve der Fregatte zerschlug unser Steuerrad. Dem Steuermann wurde ein Arm abgerissen und er hing über der Reling. Der Cäpt´n erstach ihn und warf ihn über Bord. Bevor wir unsere Kanonen wieder laden konnten, brach die dritte Salve aus den Neunpfündern hervor.
Sie traf unsere Pulverkammer. Ein riesiger Feuerstrahl schoss in den Himmel und die Explosion zerriss das Mittelschiff. So begann die Destroy Star zu sinken.
Der Cäpt´n hatte Feuer gefangen und sprang über Bord. Die Kameraden waren größtenteils bei der Detonation umgekommen. Mir waren beide Beine abgerissen und ich brüllte vor Wut und Schmerz.
Langsam neigte sich das Schiff. Die Fregatte hatte das Feuer eingestellt und wartete.
Das Meer zog unser Schiff hinab und mich mit. Ich sah den Strudel, der in der Mitte ganz schwarz geworden war und nun vermischte sich mein Blut darin.
Das Salz brannte wie das Feuer der Hölle. Und immer weiter zog unser Schiff hinab, bis zu meiner Brust, bis zu meinem Kinn.
Über mir wehte noch der Jolly Roger am verbliebenen Mast. Ich sah hinauf in den weißen Totenschädel. Denn wir sind Piraten.
Dann sank ich hinab in den Strudel.


© Mark Gosdek


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Kommentare zu "Ums Leben"

Re: Ums Leben

Autor: noé   Datum: 31.08.2014 21:51 Uhr

Kommentar: WOW! Als wärest du dabei gewesen. Das war wie Trailor im TV...
noé

Re: Ums Leben

Autor: Mark Gosdek   Datum: 01.09.2014 6:00 Uhr

Kommentar: Danke schön, noé. War ich im Kopf ja auch, hab ihn nur eingezogen, dass sie ihn mir auch nicht auch noch abschießen. Mark

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