Als der Abend kam trafen sie sich am vereinbarten Ort auf dem Gallertberg. Von hier aus hatten sie einen schönen Blick über die Stadt. Tief unter ihnen duckte sich die Donau unter den unzähligen Brücken der Stadt hindurch und sie erkannten auf der Pester Seite den regen Verkehr des Nachmittags, der sich in nichts von der Betriebsamkeit in den anderen Städten der Welt unterschied. Einzig die Ausflugsdampfer lagen regungslos am Kai und schienen sich an dem Verkehr nicht zu stören.

Die Parkbank lag im Schatten der Bäume und sie bot eine angenehme Kühle in der Hitze des Nachmittags. Sie lehnte sich sanft an seine Schulter, während sie ihre Hände sittsam auf den Schoß zusammen gefaltet hatte.

Sie blickten einander nicht an. Doch auch so vergaß er ihre Augen nicht. Den Moment, das sie sich das erste Mal gesehen hatten, als er in der Altstadt unvermittelt um eine Straßenecke gebogen war und sie vor ihm gestanden hatte. Ihre baumkronengrünen Augen, die ihn ansahen und er, der einfach stehen geblieben war und sie anstarrte. Für eine Sekunde, dann einen Augenblick, der nicht ersterben wollte. Die Muskeln seines Gesichtes verzogen sich nicht zu einem Lächeln. Sie blieben starr, so wie die ihren und er wusste, dass er sie nie vergessen würde.
Sie hieß Maria. Jedenfalls nannte er sie so. Er befand, dass dies ein schöner Name sei, der zu ihr passte und zu ihm, denn er hieß Joe.
Es war schön, sie neben sich sitzen zu haben und Joe spürte ihren Atem durch die Schulter auf seiner Brust. Er horchte auch ihre flache Bewegung und dies war alles was einer Beachtung wert war.

Ansonsten gab es nur den blauen Himmel über ihnen und auch wenn Joe verleitet war, den Arm um Maria zu legen, so saß er doch nur ganz still, dass die Hand auf der Rückenlehne der Bank ruhte und betrachtete die Ausflugsschiffe.

Marias kurze Locken tanzten auf ihrer Stirn. Sie störte sich nicht daran, sah ebenfalls hinunter ins Tal und spürte auf der einen Seite die Wärme der Sonne und auf der anderen die Nähe von ihm.

„Wann fährst du?“ fragte sie schließlich und ihr Blick blieb dabei unverwandt hinunter zur Donau gerichtet.
„Morgen.“
„So früh?“
„Ich komme wieder.“
„Es wird nicht das gleiche sein“, entgegnete sie.
„Nein, das wird es nicht“, bestätigte er. „Es ist niemals das gleiche.“
Sie rückte näher an seine Schulter heran und er wünschte sich Morgen noch weit fort.

Joe begehrte Maria nicht. Jedenfalls nicht so, dass es nur ein Abenteuer gewesen wäre. Er dachte darüber nach, ob es ihr gut gehe und diese Augen, diese herrlichen grasgrünen Augen sollten niemals weinen.

Das taten sie auch nicht. Sie blickten hinunter auf die Stadt und Maria dachte an nichts. Wozu hätte es auch gut sein sollen? Die Zeit verging und mit ihr die Menschen. Das Leben war nicht immer so gut, wie es glauben machen wollte.

„Komm“, sagte sie schließlich und stand auf, „lass uns zur Zitadelle hinauf schlendern.“

Sie reichte ihm die Hand und Joe ergriff sie. Sie war viel zarter als die seine und er umschloss sie mit der trockenen Wärme seiner Finger.
Maria kniff die Augen gegen die Sonne zusammen und es sah so aus, als würde sie lächeln. Doch sie tat es nicht.

„In zwei Monaten bin ich wieder hier“, erklärte Joe.
„In zwei Monaten ist Herbst“, entgegnete sie.
Dann schwiegen beide und wanderten unter dem Schatten der Bäume entlang.

Oben an der Zitadelle standen eine Reihe von Ausflugsbussen und ein Strom Touristen ergoss sich über das Plateau, von wo aus der Königspalast gut zu betrachten war. Er lag inmitten der engen Häuserreihen von Buda und nur seiner Größe war es zu verdanken, dass er überhaupt bemerkt werden konnte.

„Am Abend ist es viel schöner“, sagte Maria. „Dann wird er von Scheinwerfern angestrahlt.“

Joe glaubte ihr jedes Wort. Es war ihr Königspalast und eine Zeit lang betrachteten sie die kleinen Türme, die sich so hoch es ging dem Himmel entgegen reckten. Sie lehnten sich über die Mauer und die langsam herabsinkende Sonne des Abends wärmte mit ihren letzten Strahlen ihre Körper.

Später saßen sie in Marias Wohnung. Drei Tage kannten sie sich nun und bisher hatte sie ihm ausschließlich die herrlichen kleinen Gässchen von Budapest gezeigt. Die Morgensonne, wie sie sich auf den Türmen der Kirchenspitzen spiegelte und die Donau, die die Stadt auf ihre ruhige, sichere Art in zwei Hälften zerschnitt. An den Abenden waren sie durch die Cafés der Stadt gezogen und Joe hatte Ecken der Stadt kennen gelernt, die er ohne Maria niemals erreicht hätte.
Dies war der letzte Abend und Maria befand, dass Joe auch ihr zu Hause kennen lernen sollte. Ihr kleines Refugium, in dem sie die Nächte verbrachte. Es war nicht sehr groß, fast nur ein Zimmer mit einer kleinen Kochnische und einem Bad, kaum dass sie sich darin zu bewegen vermochte. Aber es gehörte ihr.

Joe hatte sich ans Fenster gesetzt, vor das gusseiserne Balkongitter, das nun in stiller Dunkelheit vor sich hinschlummerte, am Tage aber im Sonnenschein glitzerte.

Maria hatte ihre Malstaffelei beiseite geräumt. Und auch ihre Bilder.
„Sie sind nicht gut“, befand sie.
„Sie sind von dir“, entgegnete er.
Maria lächelte Joe zu und kochte einen Kaffee. Dann kauerte sie sich mit der Tasse zu seinen Füßen und umklammerte das Gefäß mit beiden Händen.
„Es ist ein Fehler“, sagte sie schließlich nach einem Augenblick des Schweigens.

Joe schüttelte den Kopf, doch Maria wusste es besser. Denn morgen fuhr er und sie blieb allein zurück. Es gab immer einen Abschied.
Joe blickte hinaus zu den Sternen, die sich langsam am klaren Himmel der Nacht zeigten und Maria folgte seinem Blick. Dann wandte er den Kopf ihr zu, beugte sich vor und zog sie zu sich.

Später lagen sie auf dem nebeneinander auf dem Bett und Joe hielt Maria weiterhin im Arm. Sie blickten hinauf zur Decke, die in der Dunkelheit nicht mehr zu erkennen war und schwiegen. Noch spürte Joe das Zittern ihrer Haut und es verband sich mit seiner Vibration, die nur langsam nachlassen wollte.

Maria fühlte sich glücklich, aber sie wusste, dass es falsch gewesen war. Denn morgen fuhr er wieder nach Hause. Aber seine herrlichen Augen hatten es sie vergessen lassen. Und er sagte nichts zu ihr. Dann stand sie auf und ging ins Badezimmer.

Später hatte Maria Joe den Gefallen getan und ihre ungarische Tracht angezogen. Sie stand ihr gut. Alles stand ihr gut, doch die schwarze Weste mit den roten und grünen Ornamenten betonten ihre weiße Bluse und der lange, schwarze Rock verdeckte ihre Füße, dass sie sich wie eine Puppe bewegte.

„Soll ich für dich tanzen?“ hatte sie gefragt.
Joe nickte.
„Ich tanze nur für dich“, sagte Maria und sie ging hinüber zu dem CD Spieler. „Dies ist ein Tanz meiner Heimat“, erklärte sie weiter und als die Musik erklang, wusste der, das es ein Csárdás war. Doch drehte sich Maria nicht schnell. Sie hatte den Kopf auf die Seite gelegt und folgte nur langsam den Klängen, deren Feuer sie in diesem Augenblick nicht einzufangen vermochte.

Sie tanzte so langsam, dass die Stickereien auf ihrer Weste noch ganz deutlich zu sehen waren. Und die Farben, die herrlichen grünen und roten Farben, die so gut zu ihr passten.

In zwei Monaten komme ich wieder, dachte Joe und sah ihr träumend dabei zu.


© Mark Gosdek


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Kommentare zu "Csàrdàs in Moll"

Re: Csàrdàs in Moll

Autor: Ree   Datum: 21.06.2014 17:44 Uhr

Kommentar: So dezent beschrieben die keimende Liebe der beiden.., so behutsam, als ob du mit deinen Worten ihr aufgehenden, zerbrechlichen Zauber nicht zerstören wolltest. Mir gefällt es sehr!

L.G. Ree

Re: Csàrdàs in Moll

Autor: Mark Gosdek   Datum: 21.06.2014 23:30 Uhr

Kommentar: Vielen Dank, Ree. Ich denke, jede aufkeimende Liebe ist zart und es freut mich, dass Du die Geschichte auch so empfindest. LG Mark

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