Er stand am Fenster und blickte hinaus auf die Straße. Die Sonne hatte ihre letzten Strahlen über die Dächer ausgeschüttet und auch wenn sie noch warm glänzten, so hatten sie die Kraft der vergangenen Wochen verloren.
Der Mann betrachtete die Blätter an den Bäumen, dessen tiefdunkles Grün sich nun langsam in ein Braun verfärbte. Sie trugen jetzt eine schöne, stille Farbe des Verfalls. Bald schon würden sie zu Boden sinken und die Bäume kahl zurücklassen. Bald schon kam die Kälte.
So wie in den Fingern des Mannes. Langsam kroch sie seinen Körper hinauf und es war nur eine Frage der Zeit, wann sie sein Herz erfassen würde. Dagegen konnte er nichts tun.
Der Mann hieß Felix, doch er war es nicht. Er trug seinen Namen zu Unrecht, von jetzt an für immer.
Die Frau kam herein. Sie war blond und still und ging schnell quer durch das Zimmer. Der Mann drehte sich nicht um. Er kannte ihren Schritt und für einen Moment schloss er die Augen. Gleich würde sie den Fernsehapparat anschalten. Der Mann konzentrierte sich wieder auf die Bäume, doch wartete er auf das Geräusch des Fernsehers.
Die Frau setzte sich in den Sessel. Das Leder quietschte, so wie immer. Der Mann fühlte die Kälte weiter seine Finger hinaufgleiten. Er rieb sie aneinander, doch es half nicht.
„Machst du mir einen Kaffee?“ fragte die Frau.
„Sicher“, antwortete der Mann und ging hinüber in die Küche.
Er schaltete die Kaffeemaschine ein und legte die Hand auf den vibrierenden Korpus. Er spürte, wie sich das Wasser erwärmte. Dann, als es schließlich kochte, stellte er einen Becher unter die Ausgabe und drückte den Ausgabeknopf. Die Maschine knackte zweimal, dann lief der Kaffee durch den Ausguss in den Becher. Es war nun nicht mehr aufzuhalten. Der Mann hätte es auch gar nicht gewollt.
Mit dem Kaffee ging er zurück in das Wohnzimmer und stellte ihn auf den Tisch neben dem Sessel der Frau. Mit der anderen Hand strich er ihr über das Haar, welches sich über ihr linkes rechtes Ohr kräuselte. Doch nur für einen Augenblick, dann trat er zurück an das Fenster. Die Blätter an den Bäumen hatten sich noch an den Ästen gehalten. Aber es schien, als wären sie brauner geworden.
„Es wird bald regnen“, sagte der Mann.
Die Frau antwortete nicht.
„Herbstlicher Regen“, murmelte er.
Die Frau schaltete auf ein anderes Programm, das ihr vielleicht besser gefiel.
„Es ist Zeit dafür“, sagte der Mann.
Die Frau stand auf und wieder quietschte das Leder. Sie ging in die Küche und schmierte sich ein Käsebrot.
„Möchtest du auch etwas?“ fragte sie, als sie zurückkam.
„Nein“, entgegnete der Mann.
„Warum nicht?“
„Ich habe keinen Hunger.“
Mit der Kälte ging das Gefühl für Essen verloren. Der Mann konnte sich nicht vorstellen, jemals wieder etwas essen zu müssen. Die Frau setzte sich wieder in den Sessel und sah weiter fern.
Der Mann beobachte vom Fenster aus die Passanten auf der Straße. Sie trugen Mäntel und Einkaufstaschen und liefen zielstrebig auf dem Bürgersteig entlang. Jeder wollte irgendwohin.
„Sollen wir heute Abend ausgehen?“ fragte er.
„Ich bin müde“, antwortete sie.
Der Mann nickte.
„Okay.“
Es war in Ordnung. Alles war in Ordnung. Auch dass die Blätter von den Bäumen fielen. Das war nun einmal der Lauf der Dinge.


© Mark Gosdek


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Kommentare zu "Das Ende von Etwas"

Re: Das Ende von Etwas

Autor: ulli nass   Datum: 14.05.2014 20:54 Uhr

Kommentar: das sagt mir was und es berührt mich auch.
ulli

Re: Das Ende von Etwas

Autor: Mark Gosdek   Datum: 15.05.2014 5:33 Uhr

Kommentar: Prima, Uli, ich war mir nicht sicher, ob die Geschichte funktioniert.

Re: Das Ende von Etwas

Autor: Winnie   Datum: 15.05.2014 15:16 Uhr

Kommentar: Manchmal ist weniger mehr und das zeigt die Geschichte ganz klar.

Re: Das Ende von Etwas

Autor: noé   Datum: 15.05.2014 22:50 Uhr

Kommentar: Diese Geschichte kriecht mir ganz langsam, unmerklich unter die Haut. Jetzt, nachdem ich mit Lesen fertig bin, hat sie den Nacken erreicht und dort stellen sich die Härchen in Zeitlupe auf, eine Gänsehaut beginnt zu wachsen...
noé

Re: Das Ende von Etwas

Autor: Mark Gosdek   Datum: 16.05.2014 4:06 Uhr

Kommentar: Winnie, genau das habe ich hier versucht. So wenig wie möglich zu schreiben, fast nichts und dabei doch alles zu sagen (hoffe ich wenigstens).
Noe, Deine Reaktion auf die Geschichte ist natürlich wunderbar für mich. Die Sprachlosigkeit ist letztendlich die größte Bedrohung für uns Menschen. Solange wir Menschen miteinander reden, können wir alle Situationen meistern (auch wenn sie nicht immer positiv und schön für uns ausgehen). Vielen Dank Euch beiden. Mark

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