Im Städtchen Z… war wieder einmal Jahrmarkt und wer je Gelegenheit gehabt haben mag, an solch einer Festlichkeit in Z… oder einem der umliegenden Dörfern beizuwohnen, der wird ganz sicher nicht zögern, mir zuzustimmen, dass es an solchen Tagen gar hoch hergeht und jeder in dem Städtchen, ob Mann oder Frau, Bursche oder Maid in freudiger Ungeduld auf die Vergnüglichkeit, die solch ein Jahrmarkt mit sich bringt, wartete.

Bereits des Morgens wurden das Fahrgeschäft eröffnet, dass sich schon früh die Kinder mit glänzenden Augen und aufgeregtem Gekreische an dem Karussell versammelten, um auf dem Rücken der hölzernen Pferde oder als stolze Reisenden in farbenprächtigen Kutschen eine, ach so begrenzte, Fahrt hinaus in die kleine Welt der Phantasie zu erhaschen. Bei den Erwachsenen sorgte tagsüber so manch eine Wurfbude für angemessene Erheiterung, welche solch ein Zeitvertreib mit sich bringt. Doch obwohl diese Vergnüglichkeiten die Einwohner von Z… somit bereits im mild lächelnden Glanze der Sonne erheiterten, so war es hauptsächlich den Abendstunden vorbehalten, sie zur Gänze auf die kleine Wiese neben dem Kirchplatz zu locken.

Dann unterhielten sie die Gaukler mit ihren wundersamen Kunststücken, welche von dem staunenden Volk mit reichlich „Ah´s“ und „Oh´s“ entlohnt wurden und darüber hinaus gar mancher Taler den Weg in die Hüte fanden, welche die Kinder der Schausteller bei den Darbietungen durch die dicht gedrängten Reihen des Publikums trugen und mit forschem Gehabe auf sich aufmerksam machten.

All dies konnte jedoch nicht mit dem Augenblick verglichen werden, wenn die Musikanten den Kirchhof entlang auf den Jahrmarkt einzogen. Die langen Fasanenfedern der Spielmannshüte tanzten zu den heiteren Klängen der Lauten und Flöten fröhlich im Winde und bahnten sich den Weg durch das Gemenge all der Besucher mit ihrem Klatschen und Jauchzen bis hin zum Festplatz der Nacht. Und auch der Herr Pfarrer, ein strenger Hirte auf der Kanzel, im Herzen jedoch immer noch mehr Schäfchen dem Allmächtigen gegenüber, als er es sich selber eingestehen mochte, ließ sich von dem lockenden Spiel des fahrenden Volkes verleiten, eine Weile über den Jahrmarkt zu flanieren, ohne dass es ihm in den Sinn kam, dass er hierbei dem Herrn womöglich nicht wohl gefallen mochte.

Am Abend, wenn die Sonne sich müde hinter die Dächer des Städtchen Z… senkte und Fackeln ihre nächtliche Pflicht übernahmen, wurden die klobigen Bierfässer angeschlagen und gar mancher Zecher leerte seinen Krug bis in die frühen Stunden des schläfrigen Morgens. Die Musikanten spielten zum Tanze auf und die Burschen griffen die Maid ihres Herzens bei der Hand, stoben über die hölzernen Dielen und juchzten dabei so herzerfrischend, dass es gar eine Freude war, ihnen dabei zuzusehen. Die Honoratioren von Z… saßen auf den Bänken und folgten dem wilden Treiben in seliger Erinnerung an ihre eigene Jungend, die nun für einen Abend wieder aufzuleben schienen.
Und während der Ochse, welcher zu so einer Gelegenheit gern von einem der reichen Bauern gespendet wurde, sich gemächlich am Spieße wie auf dem Kinderkarussell drehte, wurden nach und nach die hölzernen Fässer des köstlichen Bieres angeschlagen, dass selbst die Bedienung, welche die Krüge zu den Tischen schleppten, im Geist und Fleisch zu schwach wurden, um dieser Versuchung zu widerstehen. So kam es, dass nicht nur das Volk mit der Zeit in selige Laune geriet, auch all die Kellner, welche nach anfänglichem Zögern nun bei jeder Rückkehr an das Bierfass ebenfalls kräftig mitzechten und somit nicht allein das Toben auf der Tanzfläche wilder wurde.

Als nun der Ochse am Spieß so knusprig geriet, dass es ratsam erschien, es dem Volke zum Verzehr darzubieten, schliff der Metzger seine Messer und schnitt die saftigen Streifen von den Rippen, dass die Teller unter ihnen fast erstickten. Der Kellner, welchem die Aufgabe oblag, das verlockende Mahl auf den Tischen zu verteilen, hatte derweil jedoch so eindringlich dem Biere zugesprochen, dass es ihm schwerfiel, sich auf den Beinen zu halten, geschweige denn, die endlosen Wege zwischen den Tischen zurück zu legen. So schob er die schweren Teller auf den ersten Tisch, den er erreichen konnte und gerade der Herr Pfarrer, welcher dort mit dem Bürgermeister verweilte, war verwundert und doch erfreut, eine so gläubige Gemeinde zu besitzen, dass dem Herrn das erste Stück des Ochsen gewährt wurde.
Wie erstaunt aber war er, als nun Teller auf Teller vom Kellner an ebendiesen Tisch gebracht wurde, sie sich gar übereinander stapelten und selbst die Musikanten ihr Spiel unterbrachen, um mit hungrigem Blick zu den Honoratioren herüber zu starren. Der Kellner brachte die knusprige Seite des Ochsen und die Schenkel und schwankte dabei bedenklich in seinem unsicheren Schritt, dass es ihm nur mühsam gelang, den unter der Last ächzenden Tisch zu erreichen.

Das Volk murrte nun vor sich hin. Ein Knurren und Grollen, dass der Herr Pfarrer den Herrn anflehte, er möge den vermaledeiten Kellner in seligen Schlummer versetzen und kaum, dass er voll Sorge hinüber zu seinen Schäfchen schielte, sprang ein junger Bursche auf sie zu und griff nach einem Stück des dampfenden Fleisches, dass sowohl der Pfarrer als auch der Bürgermeister erschrocken auf ihren Sitzen zurück wichen.

Wer die Verwegenheit des Burschen sah, war für einen Augenblick erstaunt, bedachte aber dann, dass er womöglich der einzige dieser lustigen Gesellschaft sei, der, falls er nun nicht ebenso forsch handelte, hungrig nach Hause gehen müsse und da alle dieser Gedanke ergriff, stürmte nun die gar nicht mehr so fröhliche Runde, sogar die Musikanten und auch die Kellner und der Metzger, hinüber zum Tisch. Welch ein Gedränge und Gestoße! Ob Mann oder Frau, sie alle versuchten mit den Händen die Teller zu erreichen und nach dem Stoßen kam das Zerren, dass sich der Frauen türmende Haarpracht löste und Strähnen ihnen über ihre gierigen Gesichter fielen.

Die jungen Burschen aber begnügten sich nicht mit dem Zerren. Sie schlugen lustvoll mit den Fäusten aufeinander ein, dass der andere auf gar keinen Fall einen Vorteil erringen mochte. In ihrer jugendlichen Art doch gar behände, sprangen die Burschen jedoch so manches Mal flink beiseite, dass die Schläge auch die Bauern, sogar die Honoratioren von Z… trafen und es nicht lange dauerte, bis die schönste Keilerei im Gange war. Der Tisch mit dem Fleisch zerbarst unter dem Druck und das Volk, welches sich dicht an ihn gedrängt hatte, stürzte auf die klirrenden Teller, wälzte sich übereinander, dass kaum ein Leib von dem anderen zu unterscheiden war.

Ein Kreischen und Schreien, ein Hauen und Zerren und selbst Herr Pfarrer, nun vollkommen Schäfchen der Herde, gab freigiebig zurück, was ihm so ungebeten gespendet wurde. Der Kellner jedoch, welchem dieses Ungemach zu verdanken war, schlief am Bierfass selig seinen Rausch aus.

Am Sonntag predigte der Pfarrer mit seinem immer noch lädierten Antlitz Demut von der Kanzel und die Gemeinde senkte in stiller Furcht die Köpfe. Doch schon nachdem sie die Kirche verlassen hatten und sich dem sonntäglichen Stammtisch zuwandten, waren alle darüber einig, welch wundervoller Jahrmarkt es gewesen sei und es doch zu lange dauerte, bis die Musikanten wieder in die Stadt zogen.


© Mark Gosdek


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Kommentare zu "Jahrmarkt"

Re: Jahrmarkt

Autor: axel c. englert   Datum: 01.05.2014 11:03 Uhr

Kommentar: Ja, Mark!

LG Axel

Re: Jahrmarkt

Autor: noé   Datum: 01.05.2014 21:49 Uhr

Kommentar: Als wärest Du dabei gewesen...
noé ;o))
Schau mal hier:
"...des Morgens wurden das..."; "...womöglich nicht wohl gefallen..." (wohlgefallen); "...jugendlichen Art doch gar..." (Art, doch);

Re: Jahrmarkt

Autor: Mark Gosdek   Datum: 02.05.2014 5:54 Uhr

Kommentar: Vielen Dank, Noé und Axel. Ich wollte unbedingt eine Geschichte mit einem anderen Erzählstil schreiben und das geht am Besten beim Biere :-) Ich guck auf die beiden Stellen, danke für den Hinweis, Noé. Mark

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