Abends saßen wir am Lagerfeuer. Max hatte Gehölz aus dem umliegenden Wald gesammelt und zu einer Pyramide aufgeschichtet. Obwohl es für diese Jahreszeit schon sehr warm geworden war, rückten wir nahe an die Feuerstelle heran und die Hitze der Flammen legte sich wie Latex auf unsere Körper.
Bernd hatte eine Kiste Wein im Kofferraum seines Autos. Er war Händler oder so etwas ähnliches und die Flaschen dienten als Proben für seine Kunden. Genau wusste ich das aber nicht. Jedenfalls spendierte er ein paar von ihnen und erklärte, dass wir nun eine Weinprobe veranstalten würden. Uns war es egal, wie er das Verkosten bezeichnete; wir waren gestern so spät auf dem Campingplatz angekommen, dass wir keine Zeit mehr fanden, überhaupt irgendetwas zu kaufen und der Kühlschrank somit leer geblieben war. Nur das Sixpack, den Tommy auf der Hinfahrt besorgt hatte, war der einzige Alkohol, den wir besaßen. Aber der war schon lange leer und was machte es für einen Sinn, Pfingsten in Urlaub zu fahren, ohne etwas zu trinken zu haben?
Die Blockhütten standen kaum fünfzig Meter hinter der Feuerstelle im tiefen Schatten der Nacht. Der Schein der Flammen kratzte kaum an dem braunen Holz der Eingangstüren. Artenas Großmutter hatte sie uns für die Feiertage billig überlassen. Sie war die Besitzerin dieses Campingplatzes, aber wir lernten sie nicht kennen. In unserer Vorstellung war sie bereits ziemlich alt und Artena hatte nichts dazu gesagt. Wir nahmen es hin, so wie den Wein, den Bernd vor unseren Augen öffnete.
„Das ist ein Riesling“, erklärte er uns und beschrieb, wie sich der Geschmack entfaltete.
Aus den Blockhütten besorgten wir uns Tassen und ließen seine Erläuterungen über uns ergehen. Irgendjemand hatte ein Kassettenradio mitgebracht und Frank Zappa plärrte durch die Nacht. Wir saßen auf den Baumstämmen um der Feuerstelle und sahen in die Flammen. Sie loderten ungezügelt und Tommy neben mir stieß mit dem Tassenrand an meine.
Tommy war mein bester Freund, zumindest zu dieser Zeit und ganz bestimmt hier am Lagerfeuer.
„Runter mit dem Zeug!“ raunte er mich an.
Bernd brachte immer mehr Flaschen aus dem Kofferraum seines Autos hervor. Irgendwie schien es ihm Spaß zu machen, mit uns eine private Weinprobe zu veranstalten und heute war es sowieso egal. Wir waren gerade erst angekommen und die Feiertage lagen vor uns.
„Das ist ein Burgunder“, dozierte Bernd weiter. Ich konnte den Unterschied sehen, doch das war auch schon alles. Mir wäre ein Bier lieber gewesen oder ein Whisky. Ich wusste, dass es Tommy genauso ging. Aber in Anbetracht der Lage, war dies das einzige, was wir zu erwarten hatten und im Übrigen saßen wir hier zusammen am Lagerfeuer. Das war die Hauptsache.
Max grölte „Bobby Brown“ mit. Er besaß keine schöne Stimme, aber die hatte Frank Zappa auch nicht. Sie war hier nicht erforderlich. Artena warf weiteres Gehölz ins Feuer und Marlies zog ihre Jacke aus. Tommy trank den Burgunder in einem Zug leer.
„Du musst den Wein genießen“, mahnte Bernd und Tommy grunzte nur dazu.
Mir wurde bereits ein wenig warm. Ob es am Feuer oder dem Wein lag, wusste ich nicht. Jedenfalls hielt ich Bernd meine Tasse entgegen, als er wieder eine Flasche öffnete.
„Wir sollten etwas grillen“, meinte Max zwischen zwei Zappa Songs.
„Fangen wir einen Hasen“, schlug Artena vor und Marlies sprang auf.
„Im Wald werden wir sicher etwas finden“, sagte sie und lief fort. Bernd folgte ihr und auch die anderen, dass nur Tommy und ich sitzen blieben.
Tommy kramte nach Tabak und drehte sich eine Zigarette. Ich schenkte uns Burgunder oder Riesling in die Tassen.
„Blöde Idee, das mit dem Hasen“, murmelte Tommy.
Ich gab ihm Recht. Solange wir Wein hatten, brauchten wir nichts zum Grillen. Die anderen waren in den Wald verschwunden. Nur Frank Zappa hatte uns nicht verlassen.
Eine Stunde blieben sie weg. Dann kamen sie wieder. Artena mit Max und Marlies mit Bernd. Ohne Beute. Tommy und ich hatten derweil all die Flaschen geleert, die Bernd aus dem Kofferraum seines Autos geholt hatte.
„Na?“ fragte Artena.
„Wo ist der Hase?“ entgegnete ich.
„Noch im Gebüsch“, antwortete Artena.
Sie setzten sich wieder an das Feuer.
„Die Bestände sind leer“, sagte ich als Feststellung.
„Ich habe noch genug im Auto“, bemerkte Bernd und ging sogleich los, um es auch zu beweisen.
Mir war bereits übel von dem Wein. Trotzdem trank ich weiter, alles, was mir in die Tasse geschüttet wurde. Max begann wieder, Frank Zappa zu grölen und Artena legte Holz ins Feuer, welches schon fast heruntergebrannt war. Aber es machte keinen Spaß mehr.
Tommy war schon schwer angeschlagen. Aber er hörte nicht auf.
„Ich geh duschen“, nuschelte er mir zu und stand auf.
„Warum willst du jetzt duschen?“ fragte ich ihn.
„Ich gehe duschen“, wiederholte Tommy und verschwand hinüber zu dem Blockhaus, dass ich den Rest der Weinflasche für mich allein hatte. Die anderen tranken nicht mehr.
„Leg mal was anderes ein“, sagte Marlies zu Max.
„Ich habe nur die eine Kassette“, erwiderte er.
„Dann singen wir“, schlug Marlies vor.
Ich trank meine Tasse leer und mir wurde schlecht. Im Gebüsch suchte ich keine Hasen und auch keine Jagdgefährtin. Der Schein der Flammen erstickte in der Dunkelheit und ich hörte die leisen Stimmen vom Feuer herüberschweben.
Nachdem ich zurückgekommen war, ging es mir besser. Den sauren Geschmack im Mund spülte ich mit einer Tasse Wein herunter. Tommy kam zurück. Er schwankte bedenklich. Wir sahen zu ihm hinüber.
„Wie war´s?“ fragte ich.
„Ganz toll“, lallte Tommy.
Er hatte ein Handtuch um seinen Hals geschlungen, aber sonst deutete nichts darauf hin, dass er geduscht hatte. Seine Haare waren trocken.
„Hast du das Wasser angestellt?“
Tommy sah mich dumm an und dachte einen Augenblick nach.
„Ich wusste, dass ich was vergessen habe“, murmelte er schließlich schwer.
Ich hielt ihm eine Tasse entgegen und Tommy nahm sie. Max hatte wieder den Kassettenrekorder angestellt und grölte zusammen mit Zappa „Titties and Beer“.


© Mark Gosdek


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Kommentare zu "Der Tag, an dem Tommy trocken duschte"

Re: Der Tag, an dem Tommy trocken duschte

Autor: noé   Datum: 20.04.2014 3:12 Uhr

Kommentar: Auch das ein tolles Gemeinschaftserleben. Und auch dieses Mal sehr packend erzählt. Keine Sekunde gelangweilt, kein Wort zu viel.
Ein gesegnetes Osterfest wünsche ich Dir, Mark!
noé

Re: Der Tag, an dem Tommy trocken duschte

Autor: Mark Gosdek   Datum: 20.04.2014 4:55 Uhr

Kommentar: Vielen Dank, Noé. Es freut mich, dass es Dir gefällt. Ich habe mich bemüht, die Geschichte sparsam zu erzählen und nur die Stimmung wirken zu lassen. Ich wünsche auch Dir wunderbare und friedliche Ostern. Mark

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