Die Seele ist meine materielose Einmaligkeit. In ihr befindet sich alles, was ich bin, was ich über mich weiß und was nicht. Seele muss also eine ganze Menge mehr sein, als Bewusstsein.
Für mich ist sie ein Gefecht aus Schwingungen, Strahlen, Wellen, kommt einem Gebäude gleich. Mit vielen Räumen, alle bewohnt: Erinnerungen, Ideen, Meinungen, Ansichten, Vorstellungen, Träumen, Phantasien, meine sämtlichen Eigenheiten sind hier hell, luftig, aufbewahrt. Ich habe ständig Zutritt zu den Zimmern.
Die Dunkelkammer der Seele ist etwas Besonderes. Dicht geflochtene, verwobene materielose Baumaterialien haben eine ausbruchssicher Zelle geschaffen, einen Hochsicherheitstrakt, sozusagen. Hier werden Ereignisse aufbewahrt, die zum Zeitpunkt ihres Geschehens unerträglich waren. Die hätten mich unaufhörlich, bis zur Verzweiflung, oder gar zum Suizid beschämt, verletzt, erniedrigt, geängstigt oder traurig gemacht. Die Seele schützt mich vorerst vor diesen Qualen und steckt sie ins Dunkle, ins Unerkennbare. Aber auch das Erkennen unangenehmer Eigenheiten wie Neid, Hass, Gier und so weiter hat der Kopf in die Dunkelkammer verwiesen. Ich kann sie problemlos leben.
Nichts, was sich in diesem Verlies befindet, ist mir bewusst.
Die Gefangenen sind nun zwar weggesperrt, aber es gibt sie. Sie leben und wirken. Wehren sich wie eingesperrte Tiere, rumoren, trampeln, rasen. Und ich bin getrieben, von Innen kommt Unruhe, bin zerstreut, lebe im ständigen Auf und Ab der Gefühle, der Stimmungen, bin launisch, aggressiv, unzufrieden. Je mehr Unrat in der Kammer gehortet wird, um so beherrschender wird das Toben.
Direkt neben der Dunkelkammer wohnt das Licht, das Gewissen. Ist so etwas wie Wächter, Schließer, Bevollmächtigter der Seele. Denn die Seele lebt ja, ein aktiv, handelndes Gebäude, sie bestimmt, entscheidet, leitet, mahnt aber beschützt mich auch.
Sie ist darauf aus, mich vom hysterischen Getöse in der Dunkelkammer zu befreien. Weiß genau, wann ich dieses oder jenes eingesperrte Ereignis aushalten kann und gibt dem Gewissen dann den Auftrag. Das leuchtet in die Dunkelkammer, sucht diese schlimme Tat. Wohl dosiert gelangt der Unrat, vom Gewissen geleitet, ins Bewusstsein: Die Qualen von einst werden existent! Ich winde mich, heule, könnte kotzen, im Boden versinken, aber halte durch. Das Grauen verliert sein Gewicht, das Getöse, zumindest dieser Untat, wird zum leisen Summen.
Je mehr Unrat das Gewissen aus der Dunkelkammer räumen darf, um so gelassener und zufriedener kann ich werden.
Das hatte der Mann damals im Wald gedacht. Die Tiere spürten seine Veränderung und zeigten wohlwollend was sie davon hielten.
So kann ich mir den inneren Frieden erklären, in dem ich lebe. Die Dunkelkammer scheint leer, oder zumindest sind die belastendsten Ereignissen durchgestanden, dachte er.

Er hatte geahnt, dass das gehen könnte. Natürlich war ihm klar, das er´s nicht muss. Das muss keiner. Er braucht das Öffnen der Dunkelkammer nicht zuzulassen. Argumente gegen Seele und Gewissen sind viel leichter zu finden, als den Dreck nochmals zu ertragen. Aber er wollte diesen Weg weil etwas dabei herauskam. Immer wieder hielt er die Schmerzen aus, erkannte seine Schuld ohne Wenn und Aber an, durchlitt alle Widerlichkeiten. Und das Alleinsein war beschützender Helfer.
Mit der Zeit schrumpften sogar Hass und Gehässigkeit, Neid und Gier, Aggressivität wurde beherrschbares Unwohlsein, selbst Unehrlichkeit ließ sich kontrollieren... Nein, diese Eigenheiten verschwanden nicht, verloren nur an Wert, wurden belanglos.
Glück und Fröhlichkeit brachte das nicht, aber eine Art von Aussöhnung mit sich..., und eine Art Frieden breitete sich in ihm aus, der alle Unwägbarkeiten ab-polsterte, wie weiches, schützendes Moos auf kantigem Geröll.


© grauschimmel


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Kommentare zu "Dunkelkammer der Seele"

Re: Dunkelkammer der Seele

Autor: Ree   Datum: 11.04.2014 13:05 Uhr

Kommentar: Diesen inneren Frieden strahlt dein Text aus .., und ich kann ein wenig davon auch in mir selbst erkennen, da er mit ihm in Resonanz kommt. Danke. :)
L.G. Ree

Re: Dunkelkammer der Seele

Autor: noé   Datum: 12.04.2014 9:19 Uhr

Kommentar: Nee, hatte ich noch nicht angeschaut, sonst hätte ich mich schon darauf gemeldet...
Der wichtigste Satz scheint mir dieser zu sein:
"...Und das Alleinsein war beschützender Helfer...."
Ich denke, an Deiner Einlassung ist etwas dran. Jeder hat so seine Art, das zu sehen (wenn er es überhaupt sehen will) und dann damit umzugehen. Es mag durchaus sein, dass Leute all' dies wegsperren und den Schlüssel wegwerfen. Es mag sogar Leute geben, deren Dunkelkammer fast leer ist. Dass es so etwas wie eine Dunkelkammer gibt, das halte ich durchaus für möglich und finde das von Dir gefundene Bild sehr passend.
Das mit dem Alleinsein scheint für mich ein wichtiges Argument deshalb zu sein, weil ich danach lebe und Unangenehmes gar nicht erst horte (das würde mir zuviel täglich benötigte Kraft abziehen). Ich führe ständig Sichtungen durch und gestatte nicht Vielem ein Bleiberecht...
Insgesamt ein überlegenswerter Textinhalt, Grauschimmel.
noé

(Schau mal hier nach Fehlern:
"...Für mich ist sie ein Gefecht..."
"...ausbruchssicher Zelle..."
"...sind die belastendsten Ereignissen ...")

Re: Dunkelkammer der Seele

Autor: grauschimmel   Datum: 12.04.2014 9:44 Uhr

Kommentar: Ach, ich Schusselkopf, das Gefecht ist natürlich ein GEFLECHT. Und dann ist da eine ausbruchssichere Zelle. Das Dritte?
Danke GS.

Re: Dunkelkammer der Seele

Autor: noé   Datum: 12.04.2014 9:50 Uhr

Kommentar: Bei "Ereignissen" ist das "n" zuviel...

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