Am nächsten Morgen wurde ich unsanft wach gerüttelt. Ich öffnete leicht die Augen und sah Sven. Ich war so müde. Plötzlich spürte ich, wie mich jemand hochhob. Im nächsten Augenblick saß ich in dem Van. Jason saß neben mir. Ryan fuhr und wir hielten gerade vor einer Schule. Sofort war ich wach. Wir stiegen aus. Ryan führte uns über das Gelände zum Sekretariat um uns anzumelden. Die Frau hinter dem Tresen sah sehr freundlich aus. Sie hatte langes, dunkles Haar und braune Augen. „Stella Jones“, stellte sie sich vor. „Miss Jones“, erwiderte Ryan, „Ich bin Collin Evans und das ist meine Nichte Mia und mein Neffe Jason Evans. Ich möchte sie bitte auf dieser Schule anmelden. Wir sind neu zugezogen.“

Etwa eine halbe Stunde später war dann auch der ganze Papierkram erledigt. Miss Jones gab uns unsere Stundenpläne und führte uns in unsere neuen Klassen. In der ersten Stunde hatte ich Mathe, bei Mr. Lennon.
'Ey nee, oder?!', dachte ich entnervt. Mathe!? Miss Jones klopfte und betrat das Klassenzimmer. Sie ging zu meinem neuen Mathelehrer und flüsterte mit ihm ein paar Sätze. Dann verließ sie die Klasse und Mr Lennon deutete stumm auf den freien Platz an einem Einzeltisch. Ich setzte mich. „Das ist eure neue Mitschülerin. Mia Evans.“,sagte er kalt zur Klasse. Dann setzte er seinen Unterricht fort. In der zweiten Stunde hatte ich Sport. Da ich keine Turnsachen besaß, musste ich am Rand sitzen und den anderen beim Fußball zugucken. Nach der Stunde war Pause. Ich ging in die Kantine und stellte mich in die Schlange. Viele Schüler/innen drehten sich neugierig zu mir um. Ich ignorierte sie. Es gab wichtigeres. Nachdem ich mir einen Apfel und einen Orangensaft genommen hatte, suchte ich einen Sitzplatz. Hinten in einer Ecke war noch ein Tisch frei. Zufrieden setzte ich mich. Hier war ich etwas abseits von den anderen. Das war gut. Ich war mir sicher, dass Ryan es merken würde wenn ich mich nicht an seine Anweisungen hielt. Ich ließ mir Zeit mit dem Essen. Ich hatte jetzt eine Freistunde. Ich blickte auf, als sich jemand zu mir setzte. Es war Jason. Er lächelte mich traurig an. „Ähm,Mia, kannst du mir bitte alles erzählen? Ich kann verstehen wenn du nicht reden willst, aber der Typ hat ja gesagt, dass du mir die 'Regeln' erklären sollst und so... Ich hab jetzt Freistunde.“ „Ich hab jetzt auch eine Freistunde.“ Ich seufzte. „Also gut.“, begann ich leise. „Der Typ mit den dunklen Haaren ist so etwas wie der Anführer. Er heißt Ryan. Die beiden anderen heißen Sven und Liam. Liam hat dunkle, Sven blaue Augen. Ich habe... etwas entdeckt und geschnüffelt. Sie haben mich gefangen.“ Ich stockte. „Dann haben sie mich mitgenommen. Ich wusste zu viel. Sie sind Schmuggler.“, füge ich traurig hinzu. Jason starrte mich sprachlos an. „Sie zwingen mich zu stehlen. Das ist jetzt mein 'Job'. Die Regeln? Einfach. Nicht auffallen. Niemanden ansprechen. Keinem etwas erzählen. Kein Kontakt. Kein Aufsehen erregen. Keine Fluchtversuche. Das oder ähnliches wird bestraft.“, erklärte ich bitter. Ich zwang mich den Kloß in meinem Hals hinunter zu schlucken. Als ich wieder zu Jason blickte, rang er mit sich. „Frag ruhig.“, sagte ich. Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder, gab sich dann aber einen Ruck. „Haben sie dich schon mal bestraft?“ - „Nicht direkt.“ Wieder rang er mit sich. „Nicht direkt?“, fragte er vorsichtig. „Sie haben mich zusammen geschlagen. Um herauszufinden wie viel ich weiß.“ ,flüsterte ich. Mit offenem Mund saß er vor mir. In seinen Augen blitzte Mitleid auf. Ich sah ihn nur an. Es klingelte. Die Schüler standen auf und verließen die Kantine. Nur wenige blieben sitzen. Sie starrten zu uns, steckten die Köpfe zusammen, flüsterten. Wir waren neu. Wir waren anders. Wir waren Freaks. Ich versuchte, einfach nicht darauf zu achten. Schließlich stand Jason auf. „Komm wir gehen.“, meinte er. Ich folgte ihm auf den Schulhof. Wir schlenderten nebeneinander her. Unsere Fingerspitzen berührten sich. Wir sahen uns an, lächelten. Ich war so froh, dass nicht alles allein durchstehen zu müssen. Wieder klingelte es. „Das ging ja schnell.“, murmelte ich. Jason grinste: „Bis dann.“ Er drehte sich um und ging in den Unterricht. Auch ich machte mich auf den Weg. Physik. Deutsch. Englisch. Geschichte. Dann hatte ich Schulschluss. Das kam mir alles sehr schnell vor. Ich wollte nicht zurück. Traurig blickte ich auf mein Armband. Ich hatte keine Wahl. Also verließ ich das Schulgelände und machte mich auf den Weg zum Bungalow. Dort angekommen, klopfte ich an die Tür. Ryan machte auf. Wortlos ging ich an ihm vorbei in mein Zimmer. Ich war gerade mit den Hausaufgaben fertig, als Sven hereinkam. „Komm. Du hast immer noch eine Aufgabe.“, sagte er. So fuhr ich mit ihm zum Supermarkt und stahl wieder. Ich fühlte mich furchtbar dabei. Abends kamen wir wieder heim. Ich bekam Abendessen. Danach ging ich schlafen.
Am nächsten morgen wurde ich wieder unsanft wach gerüttelt. Heute drückte mir Ryan einen Apfel und einen schwarzen Rucksack in die Hand. „Ihr werdet ab jetzt laufen. Und denk an die Regeln.“, sagte er kalt. Ich war erleichtert, dass ich meine Bücher nicht mehr schleppen musste. Ich öffnete den Rucksack und legte meine Bücher hinein. Im vorderen Fach entdeckte ich ein altes, schwarzes Mäppchen mit einem Füller, zehn Filzstiften und Tipp-Ex. Dafür war ich echt dankbar. Den Apfel verstaute ich in einer Seitentasche. Jason hatte auch einen alten, schwarzen Rucksack bekommen, einen Apfel und ein Mäppchen mit demselben Inhalt. Glücklich ging ich mit Jason in die Schule.

***Zeitsprung***

Abends lag ich erschöpft im Bett. Ich dachte nach. Meine Mitschüler ignorierten mich. Das war gut. Ich durfte nicht auffallen. Nur die Jungs pfiffen mir manchmal nach. Solange Ryan das nicht mitbekam, was alles gut. In meiner Klasse waren noch sieben weitere Mädchen und zehn Jungen. Fünf davon bildeten so eine Art „Bad-Boy-Gang“ (Josh,Kyle,Ivan,Damien,Justin). Ich fand diesen Namen mehr als kindisch. Sie sahen gut aus und pfiffen den Mädchen nach. Drei andere waren ganz normal (Ben,Finn,Georg). Sie nahmen mich kaum wahr. Und die letzten zwei machten alles zusammen. Sie waren die Streber der Klasse (Theo,Anton). Von den Mädchen gab es nur drei Zicken (Eva,Ina,Jessy). Die drei machten alles zusammen und fanden sich total toll. Die anderen vier waren normal (Joy,Kathi,Lucy,Sally). Aber auch sie beachteten mich nicht weiter. Unsere Klassenlehrerin war groß und mager. Sie hatte eine runde Brille und eine schiefe Nase, aber ansonsten war sie ganz nett. Der Mond schien hell durchs Fenster. Ich konnte nicht schlafen, deshalb stand ich auf und trat ans Fenster. Vor zwei Tagen hatte ich Geburtstag gehabt. An diesem Tag hatte ich in meinem Schrank plötzlich sechs hübsche Sweatshirts gefunden. Im Bad lag eine Bürste und Wimperntusche. Ich war echt froh gewesen. Seufzend sah ich auf mein Armband. Schließlich legte ich mich doch wieder ins Bett und schlief ein.
Diesmal weckte mich Liam. Müde stand ich auf und ging ins Wohnzimmer. Jason wartete schon auf mich. Er sah sehr müde aus. Diesmal bekam ich zum Frühstück eine Banane. Ich nahm meinen Rucksack und machte mich mit Jason auf den Weg. Wie jeden Morgen folgten wir der Straße bis wir den Wald verließen. Wir überquerten die Hauptstraße und folgten ihr ein Stück. Am Ortseingang bogen wir auf einen einsamen Waldweg ab. Er führte über eine schmale Brücke und an einem eingezäuntem Firmengelände vorbei. Die Firma stand wahrscheinlich schon seit Jahren leer und die Gitter waren mindestens zwei Meter hoch. Ich hasste es hier lang zu gehen. Alles wirkte so einsam, dunkel und furchterregend. Außerdem stand die einzigste Straßenlampe ca. zehn Meter entfernt. Wenn man an ihr vorbeilief, waren es nur noch 35 Meter bis zum Schulgelände. In der ersten Stunde hatte ich Mathe. Dann Sport. In der anschließenden Freistunde traf ich mich mit Jason in der Kantine. Wir aßen zusammen und redeten über die unterschiedlichsten Dinge. Die Zeit ging für mich viel zu schnell rum. Ich hatte noch Physik und dann Deutsch. In der Pause steuerte ich auf die Damentoilette zu. Dabei kam ich an der „Bad-Boy-Gang“ vorbei. Sie pfiffen und rissen ihre Witze. Erhobenen Kopfes schritt ich an ihnen vorbei. Sie riefen mir nach, aber ich ignorierte sie. Eva, Ina und Jessy hatten das Geschehen beobachtet und warfen mir giftige Blicke zu. Zum Glück hatte ich danach nur noch drei Stunden. Naturkunde, Chemie und Spanisch. Als es klingelte packte ich erleichtert meine Bücher in den Rucksack und ging gemütlich auf den Schulhof. Es dämmerte schon. Heute hatte ich lange Schule gehabt. Ich musste nicht lange auf Jason warten. Ein paar Minuten später kam er lächelnd auf mich zugerannt. Auch ich grinste. Schweigend verließen wir das Gelände. Wir gingen an der Straßenlaterne vorbei. Zu meiner linken fing der Zaun an. Die Firma warf lange Schatten. Ich fand das alles sehr unheimlich. Dann ging alles ganz schnell. Jason machte ein ersticktes Geräusch. Ich sah zu ihm. Messer. Jemand packte mich an der Schulter. Ich schrie auf. Kühle Finger pressten sich auf meine Lippen. Dann wurde ich gegen das Gitter geschubst. Die „Bad-Boy-Gang“ war uns aufgelauert. Josh hielt Jason fest. Kyle hielt ihm ein Messer an den Hals. Justin, Ivan und Damien standen mit einem breitem Grinsen vor mir. Ich wusste was sie vorhatten. Ivan und Justin kamen auf mich zu und hielten mich fest. Damien befestigte meine Handgelenke mit Kabelbindern am Gitter. Erst da wehrte ich mich. Ich versuchte ihn mit dem Knie zu erwischen, verfehlte ihn aber. Er lachte mich aus und zog die Kabelbinder noch etwas fester. Als ich mich wehrte schnitten sie mir tief in die Haut. Ivan stellte ich vor mich. Zärtlich strich er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Seine Finger glitten über meinen Hals, meine Arme, bis sie auf meiner Hüfte ruhten. Ich zappelte, aber er stoppte nicht. Sachte zog er mein Sweatshirt hoch. In seinen Augen lag ein wilder Ausdruck.
Da verlor Jason die Beherrschung. Er schlug auf Kyle ein. Diesem fiel das Messer aus der Hand. Jason wollte es greifen, aber Josh riss in im letzten Moment zurück. Justin kam schnell angelaufen und half Josh Jason fest zu halten. Kyle hob das Messer auf und drückte es Jason wieder an den Hals. Jason hatte gegen alle drei keine Chance. Ivan machte da weiter, wo er aufgehört hatte. Er legte seine Hände auf meinen Bauch. Seine Daumen glitten in meinen Hosenbund und zogen meine Jeans, samt Unterhose langsam runter. Ich verkrampfte mich. Ein Geräusch ließ ihn inne halten.
„Lass sie los.“
Drei Silhouetten tauchten aus dem Dunklem auf. „Ryan!“, entfuhr es mir. Verwirrt sah sich die „Bad-Boy-Gang“ an. Liam, Sven und Ryan kamen näher. Als die Gang sah, dass sie nur zu dritt waren, verschwand der ängstliche Ausdruck. Sie lachten. Ivan lächelte und griff nur noch gröber zu. „Warum sollte ich?“, fragte er süffisant. Es ging alles Blitzschnell. Sven und Liam schlugen Kyle und Josh nieder. Jason ging mit ihnen auf Damien und Justin los. Ryan stand nun direkt vor Ivan. Er packte ihn am Kragen und zog ihn auf seine Augenhöhe. Mit großen Augen starrte Ivan in sein Gesicht. Plötzlich war das Großmaul ganz still. Dann sagte Ryan zu ihm, ganz leise, drohend: „Weil sie mir gehört.“
Im Nu wurde auch Ivan beseitigt. Dann kam Ryan zu mir. Ich sah im emotionslos ins Gesicht. Es war eine merkwürdige Situation. Irgendwie hatte er mir ja geholfen, aber trotzdem hasste ich ihn für das was er mir angetan hatte. „Weil sie mir gehört“ hatte er gesagt. Bastard. Ich empfand keine Dankbarkeit, keine Erleichterung. Aber auch keine Angst. Vorsichtig löste er die Kabelbinder. Meine Handgelenke waren ein wenig blutverschmiert. Aber das störte mich nicht. Als ich Jason entdeckte, rannte ich auf ihn zu und umarmte ihn. Es war ein wunderbares Gefühl, in seinen Armen zu liegen. Leider mussten wir uns voneinander lösen und zurück zum Bungalow.

Am nächsten Tag war alles anders. Justin, Damien und Josh mieden mich. Es war als hätte ich die Pest. Sie riefen mir nicht nach und pfiffen mir nicht mehr hinterher. Genauso wenig beachteten sie Jason. Aber es gab zwei ausnahmen. Kyle machte den Eindruck, als ob er mit Jason noch eine Rechnung zu begleichen hätte. Sobald er ihn sah, wollte er auf ihn losgehen. Zum Glück hielten ihn seine Freunde zurück. Und Ivan war mein Problem. Er ließ mich einfach nicht in Ruhe. Sobald er mich sah, lag wieder diese wilde Ausdruck in seinen Augen. Aber ich würde Ryan nichts davon erzählen. In Geschichte lag plötzlich ein Zettel auf meinem Platz. „Ich will dich.“ stand darauf. Ansonsten war das Blatt leer. Ich drehte mich zu Ivan um. Er starrte mit gierigem Grinsen zurück. Schnell wandte ich den Kopf ab. In der Pause lief ich in die Mädchentoilette. Ich trat ans Waschbecken und betrachtete mich im Spiegel. Meine Augen waren nun von einem dunklem Türkis. Sie wurden von dichten schwarzen Wimpern eingerahmt. Meine Nase war abgerundet und klein. Ich hatte einen kleinen Mund mit voller Unterlippe. Kein einzigster Pickel zerstörte das Bild. Auch Muttermale hatte ich keine. Meine honigblonden Haare waren etwas stumpf, aber dafür glänzten sie im Sonnenlicht wie reinstes Gold. Ich war groß und schlank. Mein Bauch flach, meine Beine dünn. Allerdings war ich blass und hatte Augenringe. Trotzdem sahen mir die Jungs bewundert und die Mädchen neidisch nach, egal wo ich hinlief. Dass ich wie ein Model aussah, war für mich immer ein Segen gewesen. Bis jetzt. Es war sehr schwer nicht aufzufallen. Seufzend wusch ich mein Gesicht und ging in den Klassenraum. Ich musste aufpassen. An jeder Ecke lauerte mir Ivan auf. Immer wieder versuchte er mich zu packen und in irgendeine abgelegene Ecke zu ziehen. Ein Glück, dass ich jedes Mal schnell genug reagierte.
Schulschluss.
Auf dem Schulhof wartete ich auf Jason. Aber er kam nicht. Ich wartete 3 Minuten, 5 Minuten, 7 Minuten, 10 Minuten. „Jetzt reicht's“, dachte ich genervt. Ich ging zu seiner Klasse. Ich klopfte. Keine Antwort. Ich drückte die Türklinge runter. Abgeschlossen. Verwirrt lief ich durch das Gebäude. Die meisten Klassen hatten jetzt Schulschluss. Aber wo war Jason. Ich konnte nicht länger warten. Wahrscheinlich war er schon längst beim Bungalow. Also machte auch ich mich auf den Weg. Als ich an der Firma vorbeikam lief mir ein Schauder den Rücken hinunter. Schnell lief ich weiter. Beim Bungalow klopfte ich. Die Tür ging auf. „Mia, wir hatten uns schon gefragt wo du bleibst.“, flüsterte Liam. Ich legte meinen Rucksack auf den Boden. Ryan kam herein. Energisch kam er auf mich zu und drückte mich unsanft an die Wand. „Wo – ist – er??“, zischte Ryan. „Wer?“, fragte ich irritiert. Eine brutale Ohrfeige folgte. „Mia, ich warne dich! Du willst doch nicht dass ich härtere Maßnahmen ergreife, oder?“ Verängstigt sah ich zu ihm auf. „A-Aber..“ Er ballte die Hände zu Fäusten. „Jason!!!! WO IST ER?!“,raunte er zornig. „I-Ich weiß es nicht, Ryan. Ich schwörs dir. Ich weiß es nicht.“, wimmerte ich. Natürlich fürchtete Ryan, dass Jason geflohen war und die Polizei einschaltete.Wütend presste er die Lippen zusammen. „Also gut. Liam, halt sie fest.“, sagte er kalt. Liam zog mich von der Wand weg. Seine Finger schlangen sich um meine Oberarme. Ich war vor Angst ganz starr. Ryan ging ins Schlafzimmer. Kurz darauf kam er mit einer kleinen Fernbedienung wieder. Schlagartig wurde mir klar was sie vorhatten. Entgeistert starrte ich auf mein Armband. „Letzte Chance. Wo ist Jason?“, raunte mir Liam ins Ohr. „Das könnt ihr nicht machen!! B-Bitte...“, bettelte ich verzweifelt. Im nächsten Moment lag ich am Boden. Solche Schmerzen hatte ich noch nie verspürt. Ich vergaß alles um mich herum. Ich schrie wie noch nie zuvor. Überall an meinem Körper schmerzte es. Wie als würde ich verbrennen. Das Feuer war überall. Es gab kein Entkommen. Ich wollte nur noch dass es aufhörte. Ich würde alles dafür tun. Dann hörte es auf. Ich hörte auf zu schreien. Mein gesamter Körper bebte. Mein Gesicht war tränennass. Meine Fingernägel bohrten sich in den Fußboden. Erst jetzt merkte ich, dass eine angespannte Stille in der Luft lag. Vorsichtig setzte ich mich auf und sah mich um. Liam und Ryan starrten wütend in Richtung Haustür. Ich drehte den Kopf. Dort stand Jason. In der Hand hatte er eine Plastiktüte. Entsetzt starrte er von mir zu meinen Unterdrückern. „W-W-Wo warst du, v-v-verdammt?!“, schluchzte ich. Er schwieg. „Antworte ihr.“, kam der Befehl von Liam. „Ich hab dir Klamotten gekauft..“, sagte Jason schüchtern. Dabei sah er mir unentwegt in die Augen. „Und woher hattest du das Geld?“, fragte Liam scharf. „Ich hab es auf dem Schulhof gefunden. Und hier in der Nähe ist so ein Billigladen.“ antwortete Jason. Ryan warf ihm vernichtende Blicke zu. Dann nahm er im die Tüte ab und gab sie mir. Liam kam zu mir und zog mich auf die Füße. Ich konnte nicht stehen. Meine Beine fühlten sich wie Gummi an. Also stützte er mich. Er half mir in mein Zimmer. Dann schloss er die Tür ab. Ich setzte mich aufs Bett und schüttete die Tüte vor mir aus. Darin waren zwei Hotpants, zwei Paar Sneakers, drei Leggins und vier Oberteile. IcH sah auf die Klamotten. Sie waren wirklich schön. Ich legte alles zusammen. Dass Ryan mir die Sachen einfach so überließ, sollte wohl in Richtung Entschuldigung gehen. Ich war erschöpft und schlief deshalb bald ein.

Unsanft wurde ich wachgerüttelt. Als ich Liam sah zuckte ich kurz zusammen. Er verließ das Zimmer und ich stand auf. Glücklicherweise hielten mich meine Beine. Ich zog mir meine neuen Sachen an. Im Bad machte ich mich schnell fertig und ging dann ins Wohnzimmer. Ryan saß mit einer Zeitung am Tisch. Er sah auf. „Jason ist heute früher gegangen. Nimm dir eine Orange und geh auch los.“Ich tat was er sagte. Nach der 8. Stunde hatte ich Deutsch bei meiner Lieblingslehrerin. Mrs Schmidt war Soziallehrerin und dementsprechend freundlich und hilfsbereit. Nach der Stunde wartete ich bis alle meine Mitschüler gegangen waren. Zögernd trat ich na ihr Pult. Sie sah auf. Lächelnd fragte sie: „Was gibt es denn, Mia?“ Doch da verließ mich der Mut. Ich ließ mir eine Ausrede einfallen und ging dann auf den Schulhof. Jason wartete. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen. Sein Gesicht war blass und er wirkte mutlos. Ohne zu überlegen warf ich mich in seine Arme. Ich streichte über seinen Kopf, stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. Immer wieder. Als er lächelte fing ich an ihn auszukitzeln, bis ihm vor Lachen die Luft wegblieb. Dann nahm er meine Hand und wir schlenderten zum Bungalow. Sven machte uns die Tür auf. Jason musste in sein Zimmer gehen. Ich fuhr mit Sven wieder in den Supermarkt. Wir fuhren immer in denselben. Alles lief gut und wir waren schnell wieder zurück. In meinem Zimmer machte ich meine Hausaufgaben. Heute hatte ich nicht viel auf, deshalb war ich schnell fertig. Ich legte mich aufs Bett und starrte an die Decke. Mir wurde langweilig. Ich ging zum Fenster. Vor dem Bungalow stand ein Auto. Allerdings nicht nur der weiße Van, sondern dahinter auch ein blauer Kleinbus. Darin saß Ryan. Zu meiner Überraschung fuhr kurz darauf Liam in einem schwarzen Van aus der Garage. Ryan startete den Motor und fuhr mit Liam davon. 'Da ist doch was faul.', dachte ich bei mir. Leise öffnete ich das Fenster. Auf Zehenspitzen schlich ich zur Garage. Ich öffnete die Tür und trat ein. Es war staubig und kühl. Meine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Die Garage war riesig. Überall standen Kisten in den unterschiedlichsten Größen aufgestapelt an der Wand. Langsam trat ich an einen Stapel heran. Neugierig öffnete ich die oberste Kiste. Ich traute meinen Augen nicht. Entsetzt nahm ich die fünf Papiere in die Hand. Gefälschte Pässe!! Das Alter stimme aber. Die Geburtsdaten auch. „Wie sind die nur an Passfotos von mir und Jason gekommen?“, flüsterte ich geschockt. Ich konnte es nicht fassen. Mit zitternden Fingern öffnete ich die nächste Kiste. Revolver!? „Sie schmuggeln auch Waffen?!“, fuhr es mir durch den Kopf. Ich riss eine andere Kiste auf. Waffenersatzteile! Und in fünf weiteren war Munition. In meinem Kopf drehte sich alles. In vier anderen Kiste waren noch mehr Pistolen. In der nächsten Messer. In den Kisten darüber Heroin und Amphetamin. Weiter hinten fand ich kistenweise Kokain, Cannabis und Ecstasy. Dazu noch geschätzte 10 Schachteln mit weiteren gefälschten Papieren. Entsetzt stolperte ich zurück. Liam, Ryan und Sven waren nicht nur Sektschmuggler!! Sie waren Schwerverbrecher! Ein Wunder, dass uns das FBI noch nicht aufgespürt hatte! Benommen schwankte ich aus der Garage. Ich musste mich beeilen, damit Sven mich nicht sah. Leise schlich ich zum Fenster und kletterte in mein Zimmer. Ich legte mich ins Bett, schloss die Augen und versuchte an nichts zu denken. Es klappte nicht. Immer wieder tauchten die Waffen und die Drogen in meinem Kopf auf. Deshalb nahm Ryan das alles so ernst. Wenn die Polizei auch nur mich oder Jason finden würde, wenn irgendjemand herausfinden würde, dass ich gekidnappt worden bin , dann würde das FBI Ryan automatisch auf die Spur kommen. Zitternd lag ich da und starrte an die Decke, bis ich einschlief.
Am nächsten Tag hielt ich den Kopf gesenkt. Ich konnte keinem der Drei in die Augen sehen. Wahrscheinlich fand Ryan das etwas verdächtig, aber dagegen konnte ich nichts tun. Wie immer lief Jason an meiner Seite. Immer noch stand ich unter Schock. Meine Hände zitterten. Im Unterricht schweiften meine Gedanken ständig ab. Ich konnte mich einfach nicht konzentrieren. Ich hatte viel zu viel Angst. Doch zum ersten Mal fiel mir etwas auf. Lucy sah immer wieder zu mir. Als ich ihren Blick erwiderte, huschte ein Lächeln über ihr hübsches Gesicht. In der Pause saß ich alleine im Gang. Alle anderen waren auf dem Schulhof, doch ich hatte keine Lust die „Bad-Boys“ zu treffen. Ein Schatten fiel über mich. Er fuhr erschrocken zusammen. „Oh! Tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken.“, sagte Lucy. Daraufhin setzte sie sich neben mich. Ich sah sie nur an. Sie erwiderte meinen Blick, dann zeigte sie auf meine Hände. „Du zitterst ja.“,meinte sie. Schnell zog ich die Ärmel meines Sweatshirts darüber. „Das ist nichts.“, antwortete ich leise. Sie betrachtete mich besorgt. „Ich hab dich beobachtet. Du bist sehr schüchtern und wirkst oft verängstigt. Im Unterricht guckst du immer auf dein Armband. Wenn du Josh, Kyle, Ivan, Damien oder Justin siehst wirst du ganz blass. Außerdem guckst du dich immer panisch um.“, flüsterte Lucy. Überrascht sah ich sie an. Lucy ist echt aufmerksam. Dabei darf ich doch gar nicht auffallen! Sie darf nicht mehr erfahren. „I-Ich sollte jetzt besser gehen.“, stotterte ich und stand auf.










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(Lucy)

Mia stand auf. Traurig blickte ich ihr nach. Ich bemerkte, wie sie die Fäuste ballte, damit ihre Hände nicht mehr zitterten. Außerdem sah sie sich wieder so panisch um. Obwohl ich sie kaum kannte, tat sie mir leid. Keiner beachtete sie. Eva, Ina und Jessy lästerten immer nur. Aber eigentlich war Mia voll hübsch. Viele Jungs fanden das. Aber sobald ihr jemand zu Nahe kam, blockte sie ab. Nur mit ihrem Bruder traf sie sich. Sobald sie ihn sah, wirkte sie ganz anders. Dann fingen ihre Augen an zu funkeln und sie wirkte nicht mehr so zerbrechlich. Ich mochte sie irgendwie. Ich wollte ihre Freundin sein. Dieses Mädchen, berührte was in mir. Zum Teil Mitleid, zum Teil Bewunderung. Was hatte sie durchgemacht, dass sie immer Abstand nahm und ständig total panisch war?
Im Unterricht sah ich zu ihr, aber sie ignorierte mich. Anscheinend war sie mit ihren Gedanken ganz woanders. Wir hatten danach nur noch zwei Schulstunden. Mathe und Deutsch. Mr Lennon schien ein Problem mit Mia zu haben. Immer wieder nahm er sie dran - egal ob sie sich meldete oder nicht – und fragte sie ziemlich schwere Matheaufgaben. Doch Mia war sehr schlau. Sie antwortete immer richtig. Auch als Mr Lennon sie Aufgaben abfragte, die wir noch gar nicht durchgenommen hatten, wusste Mia die Antworten. In Deutsch war sie wieder still und abwesend. Es klingelte zum Schulschluss. Alle packten ihr Sachen und strömten aus der Klasse. Auch ich. Eigentlich wartete ich sonst immer mit meinen Freundinnen auf den Schulbus, aber heute nicht. Ich sah wie Mia in ein anderes Gebäude ging. Unauffällig folgte ich ihr. Als sie zurück kam, versteckte ich mich schnell hinter einer Mauer. Anscheinend suchte sie jemanden. Wahrscheinlich ihren Bruder. Zögernd lief sie vom Schulhof. Hinter den Gebäuden auf dem Schulgelände, waren ein paar Bäume, ein paar Büsche, Wiese und ein Zaun. Hinter dem Zaun schlängelte sich ein schmaler Weg in den Wald. Plötzlich hörte ich merkwürdige Geräusche. Schnell versteckte ich mich hinter einem dicken Baumstamm. Ich hörte eine verzweifelte Stimme, die abrupt abbrach. Ein Klatschen. Ein Schluchzen. Heilige Scheiße, was ging da vor?! Eine zweite Stimme wurde lauter. Und wütender... Meine Neugier war zu groß. Geduckt schlich ich mich zum nächsten Baum. Und noch ein Stück weiter. Entsetzt blieb ich stehen. Mia kniete auf dem Boden. Aus ihrer Nase lief etwas Blut. Zwei Männer standen hinter ihr, einer vor ihr. Sie mussten so um die 20 sein. Ihr gutes Aussehen fiel sofort auf, aber das war es nicht, was mich daran hinderte den Blick abzuwenden. Mia flüsterte irgendetwas. „Wie viel weißt du?!“ ,herrschte der Typ vor ihr. Mia zuckte verängstigt zusammen. Dann flüsterte sie etwas. Er schlug ihr ins Gesicht. Ihr Kopf flog zur Seite. Die beiden hinter ihr zerrten sie hoch. Der Typ vor ihr kam ihr bedrohlich nah. Ich sah wie sich seine Lippen bewegten. Mia schwieg. Zwei brutale Ohrfeigen folgten. „Willst du Jason wieder sehen oder nicht?!“, fuhr er sie an. Entsetzt hielt ich mir die Hand vor den Mund. Tränen stiegen mir in die Augen. Das war ja schrecklich! Ich musste etwas unternehmen! Aber ich blieb wie angewurzelt stehen. Mia gab auf. Leise erwiderte sie etwas. Dem Typ vor ihr schien gar nicht zu gefallen was er da hörte. Wütend machte er mit den Händen eine Geste. Der Mann hinter ihr fesselte Mia und schleifte sie mit! Mit großen Augen beobachtete ich das Geschehen. „Kidnapper!“, flüsterte ich. Geschockt lies ich mich auf den Boden gleiten. Ich konnte nicht glauben, was ich da gerade gesehen hatte. Ein Schauer nach dem anderen fuhr mir eiskalt über den Rücken. Jetzt ergab das alles Sinn. Schnell stand ich auf und lief zu meinen Freundinnen. Gerade rechtzeitig. Unser Schulbus fuhr gerade um die Ecke.
Ich beschloss, keinem etwas zu erzählen.


















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(Mia)

„Wie kann man nur so dumm sein?!“, schimpfte ich mich selber. Ich saß in meinem Zimmer. Türen und Fenster waren verriegelt. Meine Nase blutete immer noch leicht. Seufzend wischte ich mir das Blut ab. Ich war so dumm. Sie sind in die Garage gekommen und alle Kisten waren aufgerissen gewesen. Natürlich hatten die drei sofort gemerkt, dass ich geschnüffelt hatte. Daran hatte ich gestern Abend leider nicht mehr gedacht. Und jetzt war Jason weg. Es tat so weh ihn nicht mehr zu sehen. Ich vermisste sein Lächeln, seine Augen.
Morgen sollte ich nach der Schule wieder stehlen. Im Supermarkt. Sonst sind wir immer in den selben gefahren. Am anderen Ende der Stadt. Aber von jetzt an soll ich alleine gehen. In einen anderen. Dieser ist nur ein Block von der Schule entfernt. Also jeden Tag bis Nachmittags Schule und dann bis Abends stehlen. 'Ich werde tun was sie sagen. Ich werde alles tun.', dachte ich bei mir. Sie hatten jetzt schon zwei Druckmittel. Das erste war Jason und das zweite mein Armband... Langsam stand ich auf und ging zum Spiegel. Meine Nase war etwas rot und meine Wange leicht geschwollen, aber ansonsten sah ich gut aus. Ich unterdrückte ein Gähnen und beschloss ins Bett zu gehen. Also machte ich das Licht aus.
In der Schule sah ich Lucy wieder. Als sie mich sah, wurden ihre Augen ganz groß. Dann sah sie schnell weg. Im Unterricht sprach mich Mrs Schmidt plötzlich an: „Oh! Mia! Was hast du denn gemacht?“ Dabei zeigte sie auf meine Wange. Lucy sah auf. „Ich.. ähm... bin hingefallen.“ , sagte ich. Lucy runzelte die Stirn. Mrs Schmidt nickte nur und fuhr dann mit dem Unterricht fort. Die Pausen verbrachte ich allein, da Jason nicht mehr da war. Nach der 7. Stunde durfte ich endlich gehen. Ich ließ mir Zeit beim einpacken, dann schulterte ich meinen Rucksack und marschierte auf den Schulhof. Plötzlich tippte mir jemand auf die Schulter. Ich schrie leise auf. Doch es war nur Lucy. „Du hast mich erschreckt!“, sagte ich zu ihr. Meine Stimme zitterte. „Sorry.“, sagte sie. Dann sah sie mich ganz komisch an. „Was ist?“, fragte ich. Sie sah mir in die Augen als sie sagte: „Du bist nicht hingefallen!“ Mir stockte der Atem. Meine Stimme war nur ein Hauchen: „W-Was?“ Sie sah auf den Boden und schwieg. Ich wartete. Sie seufzte, sah mir ins Gesicht und flüsterte: „Ich hab dich gestern gesehen.. Wer sind die drei Männer die dich geschlagen haben?“ Fassungslos stolperte ich ein paar Schritte zurück. 'Nein! Nein!' hallte es in meinem Kopf. Oh nein! Ich sah nur einen Ausweg. „Du bist verrückt.“, rief ich und rannte weg. Einfach nur weg. 'Bitte, bitte. Hoffentlich wissen die drei nichts.', dachte ich mir. Nicht auch noch Lucy. Ich rannte immer weiter, doch als ich am Supermarkt ankam, verlangsamte ich meine Schritte. 'Nicht auffallen.', rief ich mir ins Gedächtnis. Ich atmete einmal tief durch, bevor ich den Supermarkt betrat. Dieser war mindestens dreimal so groß wie der andere. Da ich zum ersten Mal hier war, brauchte ich eine Weile um den Alkohol zu finden. Ich guckte mich um und als niemand in der Nähe war, packte ich schnell fünf Flaschen ein. Dann ging ich weiter. Ich stahl diesmal auch Drogen. Als meine Tasche voll war, ging ich zur Kasse. Mit einem freundlichen Lächeln ging ich am Kassierer vorbei. Bevor ich aus der Tür raus ging, entfernte ich wieder alle Sticker, Papiere oder ähnliches. Zufrieden durchquerte ich die Tür, als plötzlich der Alarm anging. Das Herz rutschte mir in die Hose und im nächsten Moment rannte ich. „Haltet sie!! Diebin!!! Ruft die Polizei!!!!“, brüllte der Kassierer. Ich kam gerade mal zwei Häuser weit, als ich die Polizeisirenen hinter mir hörte. Einen Block weiter lief ich in eine Sackgasse. Ich drehte um und wollte zurücklaufen, aber zwei Polizeiautos versperrten mir den Weg. Sechs Beamte stiegen aus und zielten mit ihren Waffen auf mich. „Hände hoch und Taschen fallen lassen.“ Langsam zog ich den Rucksack ab und lies diesen mit meiner Tasche auf den Boden gleiten. Dann nahm ich die Arme hoch. „Hände auf die Motorhaube!“, kam der nächste Befehl. Ich gehorchte. Zwei Beamten holten meine Taschen und zwei weitere tasteten mich ab. Dann legte mir einer Handschellen an und schob mich ins Polizeiauto. Wir fuhren aufs Revier. Dort führte man mich in einen Verhörraum. Die Wände waren weiß und in der Mitte befanden sich ein einsamer Tisch und drei Stühle. Zwei auf der einen und einer auf der anderen Seite. Sie bedeuteten mir, mich auf den einzelnen zu setzen. Ich gehorchte. Mir wurden die Handschellen abgenommen. Die Beamten verließen den Raum. Verzweifelt vergrub ich den Kopf in meinen Händen. Ryan wird das gar nicht gefallen. Die Angst war schlimmer als jemals zuvor. Lange Zeit rührte ich mich nicht. Doch dann hob ich den Kopf, da ich ein Geräusch hörte. Ich setzte mich gerade hin. Die Tür ging auf und zwei Männer kamen herein. Mein Blick streifte den ersten nur flüchtig und blieb dann an dem zweiten hängen. Liam?! Mir blieb der Mund offen stehen. 'Wie?....Was?...', in meinem Kopf herrschte Chaos. Die zwei setzten sich mir gegenüber. Mit großen Augen sah ich zu Liam. Doch dann erhob der erste das Wort: „Ich bin Hauptkommissar Andrew und das ist mein Kollege - Inspektor Brown. Ich komme am besten gleich zur Sache. Wir konnten weder in Ihrer Tasche, noch im Ihrem Rucksack jegliche Daten von Ihnen finden. Auch mithilfe unseres Computersystems konnten wir Sie bist jetzt noch nicht identifizieren. Sie wurden wegen Diebstahls festgenommen. Nun haben wir ein paar Fragen an Sie. Fangen Sie bitte einfach an mir ein paar Dinge über sich zu erzählen.“ Hauptkommissar Andrew war ein groß gewachsener Mann. Er hatte blonde Haare, die aber bereits leicht Silber-Weiß wurden. Ich schätzte ihn auf ende 30. Seine Augen waren klein und blau-grau. Seine Nase bog sich etwas, aber sein Mund war normal groß. Seine langen Finger hatte er ineinander geschlungen und ich konnte mir gut vorstellen, dass er ein großen Durchsetzungsvermögen besaß. Ich sah zu Liam. Kaum merklich nickte er. „Ich heiße Mia Evans.“, log ich. Ein leises Lächeln huschte über Liam's Lippen, verschwand aber rasch wieder. „Und weiter?“, drängte Andrew. Ich schwieg. „Dein Alter? Geburtsdatum? Wohnort? Auf welche Schule gehst du? Wer sind deine Erziehungsberechtigten? Wofür brauchtest du den Alkohol? Für wen sind die Drogen?“, bohrte der Kommissar. Meine Hände zitterten. Konnte ich ihm nicht einfach die Wahrheit sagen? Was will Liam schon tun?! Das war vielleicht meine einzigste Chance frei zu kommen. Liam sah mir in die Augen und augenblicklich verdüsterte sich sein Gesichtsausdruck. Ein eiskalter Schauder lief mir den Rücken hinunter. „Ich bin 16 Jahre alt.“ Und dann platzte es aus mir heraus: „Und ich wurde entführt.“ Im nächsten Moment durchfuhr mich ein derart schneidender Schmerz, dass mit kurz schwarz vor Augen wurde. Wie durch ein Wunder schaffte ich es nicht zu schreien. Durch das Feuer wurde mir heißer als bei Hochfieber und doch fror ich. Zitternd saß ich auf dem harten Stuhl. Meine Fingernägel gruben sich in den Sitz. Mein Atem ging stockend und mein Herz raste. Gequält sah ich zu Liam. Sein Gesichtsausdruck war mörderisch. Er hätte mich am liebsten geschlagen. Ich sah es in seinen Augen. Kommissar Andrew sagte zu mir: „Sie haben zu viel gesagt, Mrs Evans, nehme ich an?“ Ängstlich schüttelte ich den Kopf. „Sie müssen uns nur einen kleinen Hinweis geben. Wir können Ihnen helfen.“, versicherte er mir. 'Nein.. Das können Sie nicht.', dachte ich bei mir. Ich atmete einmal tief durch. Dann lächelte ich: „Helfen? Ich habe lediglich eine Wette verloren und sollte deshalb stehlen. Es war eine blöde Mutprobe. Ich wohne im Waldweg 4 und gehe auf die Johann-Peter-Schule fünf Blocks weiter. Ich wohne mit meinem Bruder bei meinem Onkel Collin Smith. Meine Eltern sind verstorben. Das ist alles.“ Hauptkommissar Andrew sah mich traurig an. Ich hielt seinem Blick stand. Doch ihm waren die Hände gebunden. Ich hatte ausgesagt und es gab niemanden der etwas anderes behaupten könnte. Außer Jason, aber von dem wusste der Kommissar nichts. „Nun gut. Wie Sie wollen. Das machte eine Geldstrafe von 500 Dollar. Sie können nach Hause gehen. Inspektor Brown wird Sie begleiten.“, sagte er schließlich. Liam ging mit mir raus. Man gab mir nur meinen Rucksack, die Tasche behielten sie. Dann stieg ich mit Liam in ein Polizeiauto. Er fuhr zum Bungalow zurück. „Ryan ist mehr als nur wütend, Mia. Ich will nicht in deiner Hau stecken.“, sagte Liam leise. Er hielt vor der Garage. Ich rührte mich nicht. Seufzend zog er mich aus dem Auto. Er schloss die Haustür auf und schubste mich ins Wohnzimmer. Dann fuhr er zurück aufs Revier. Ryan trat langsam auf mich zu. Ängstlich drückte ich mich gegen die Wand. Als er direkt vor mir stand, sagte er zornig: „Mia. Diesmal bist du zu weit gegangen. Du hast mich sehr wütend gemacht. Du hast zu viel gesagt. Viel zu viel.“ Unsere Körper berührten sich fast. Flehend sah ich hoch in seine dunkelblauen Augen. Er schlug mir ins Gesicht. Wieder und wieder. Ich biss mir auf die Zunge und schmeckte Blut. Dann rammte er mir sein Knie in den Bauch. Ich brach zusammen. Doch er zog mich unbarmherzig hoch und riss sein Knie zwei weitere Male hoch. Dann ließ er mich los. Schluchzend lag ich am Boden. Er verpasste mir einen heftigen Tritt. Ich heulte auf vor Schmerz. Wieder trat er zu. Er hörte auf. Und dann schleifte er mich in mein Schlafzimmer. Er warf mich aufs Bett und legte sich über mich. Hart und fordernd presste er seine Lippen auf meine. Ich wollte ihn wegschubsten, aber er fesselte meine Hände ans Bett und machte weiter. Mein Herz pochte laut. Ich wollte schreien, aber traute mich nicht. Er sah mir tief in die Augen und dann schob er langsam mein Oberteil hoch. Ich verkrampfte mich. Sachte strichen seine Finger über meinen flachen Bauch. Dabei fing er wieder an mich wild zu küssten. Plötzlich hörte er auf. Auf dem Wohnzimmer kamen Geräusche. Er zog mein Oberteil herunter und verließ den Raum. Ich hörte wie er sich mit Sven unterhielt. Kurz darauf kam er wieder. Er löste meine Fesseln und zog mich nach draußen. Dann schob er mich auf den Rücksitz des blauen Van's und schnallte mich an. Etwas später fuhren auch Sven und Liam mit den beiden anderen Autos vors Haus. Dann luden sie alle Kisten aus der Garage in die Kofferräume. Etwa eine viertel Stunde später waren dann auch unsere Klamotten verstaut und wir fuhren los. Ohne Jason. Wahrscheinlich über die Grenze.


© Lucy


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