Ich habe mich immer Sicher gefühlt. Meine Mutter und mein Vater sind seit meinem 12. Lebensjahr geschieden, aber für mich hat sich nichts geändert, außer dass ich jetzt bei meinem Vater wohne, weil meine Mutter eine neue Familie gegründet hat. Viele denken vielleicht, dass sich sehr viel geändert hat, aber ich bin nie mit meiner Mutter so richtig klar gekommen. Mein Vater, Joseph, kümmert sich liebevoll um mich bis zum heutigen Tag. Heute ist mein 18. Geburtstag. Im ganzen Haus laufen meine zwei jüngeren Halbgeschwister durcheinander, meine Mutter und Stiefvater schreien durcheinander und mein Vater steht am Herd und macht das Abendessen fertig. Ein ganz schönes Chaos. An der Tür klingelt es. Ich verlasse meinen Platz am Tresen und öffne die Tür. Davor steht Noah, mein bester Freund, den ich auch eingeladen habe. Er ist vor sechs Jahren in das Haus neben an eingezogen. Seit dem ersten Tag sind wir unzertrennlich. Noah ist zwei Jahre älter als ich. Er hat schwarze, in allen Richtungen abstehende Haare und blaue Augen. Er sieht aus, als wäre er gerade erst aufgestanden. Was vermutlich auch so war. Gestern war er mit seiner festen Freundin noch Essen, weil es der zweite Jahrestag war und er ist am Abend nicht nachhause gekommen. Das weiß ich daher, weil mein Fenster genau gegenüber seinem ist. Manchmal sehe ich zu ihm rüber und wünschte mir, wir könnten wie früher gemeinsam in einem Bett schlafen. Ich gehe auf ihn zu und umarme ihn. Er drückt mich fest an sich und flüster in mein Ohr: „Alles Gute, Vanessa.“ „Danke, Noah. Aber nenn mich bloß nie wieder bei meinem ganzen Namen“, flüstere ich zurück. Noch immer in seinen Armen höre ich ein Räuspern. Noah lässt mich los und gibt meinen soeben an der Tür erschienen Vater die Hand und bedankt sich, dass er kommen durfte. Mein Vater nickt und geht zurück in die Küche. Ich folge ihm und decke den Tisch auf. Für meine zwei Halbgeschwister, Melanie zwei Jahre alt und George dreieinhalb Jahre alt, stelle ich die mitgebrachten Hochstühle an den Tisch. Ich rufe alle an den Tisch und helfe meinem Vater die Gerichte auf den Tisch zu tragen. Nach dem chaotischen Essen bekomme ich meine Geschenke. Von meiner Mutter und meinem Stiefvater bekomme ich einen Gutschein für den Frisör, was vermutlich bedeutet ich sollte wieder einmal gehen. Mein Vater macht mir das beste und größte Geschenk, ein Auto. Ich umarme ihn ganz fest und bedanke mich tausend fach. Es ist ein schwarzer Audi A3, mein Traumauto. Leider kann ich noch nicht damit fahren, weil meine praktische Prüfung erst in einem Monat ist. Aber dennoch freue ich mich sehr. Wir stehen alle draußen im Garten und bewundern mein Auto, als sich Noah hinter mich stellt. „Ahm, Nessi? Können wir zu mir gehen?“, sagt Noah leise. „Ja, klar. Warum?“,frage ich genauso leise zurück. „Dein Geschenk liegt dort“, antwortet er mir. Er nimmt meine kleine Hand in seine große und zieht mich hinter ihm her. Ich schreie meinem Vater noch zu das ich gleich wieder zurück bin. Sein Haus ist etwas kleiner als unseres, aber groß genug für ihn und seine Mutter. Das oberste Stockwerk gehört ihm. Seine Mutter ist fast nie zuhause. Sein Zimmer ist riesig und auch sein Bett. Ich setzte mich im Schneidersitz in die Mitte seines Bettes und warte bis er mein Geschenk aus der Kommode holt. Langsam dreht sich Noah mit einer kleinen vom Samt überzogenen Schachtel in seinen Händen um. Er setzt sich vor mich und überreicht mir wortlos die kleine Schachtel. Ich bin nervös und meine Hände zittern. „Noah, ich kann das nicht annehmen“, sage ich bevor ich die Schachtel aufmache. Ich sehe von ihr auf in sein Gesicht. Dort begegnet mich ein spitzbübisches Grinsen. Meine Hände öffnen langsam die Samtschachtel. Darin liegt ein Lederarmband mit zwei kleinen silbernen Buchstaben. Ein V für Vanessa und ein N für Noah. Ich grinse von einem Ohr bis zum anderen. Mit dem Lederarmband in der Hand stürze ich mich auf Noah. Vor Überraschung fällt er nach hinten und ich liege somit auf ihm. Seine Arme legen sich um meine Taille und er drückt mich fest an sich als er lacht. Ich lache mit ihm. Mein Gesicht drücke ich seitlich in seinen Hals und atme seinen männlichen Geruch ein. Plötzlich spüre ich etwas Hartes an meinem Oberschenkel. Ich hebe mein Gesicht und sehe Noah fragend an. „Tut mir leid“, sagt er einfach und schiebt mich von sich runter. Er setzt sich auf und zupft an seiner Hose, bis wieder alles passt. Ich setzte mich neben ihn und stoße meine Schulter gegen seine. „Danke für das tolle Geschenk. Ich hoffe, damit vermisse ich dich im Herbst ein bisschen weniger wenn du weggezogen bist“, flüstere ich und lege meinen Kopf auf seine Schulter. Ich versuche die Tränen zurückzuhalten, aber es gelingt mir nicht. Noah streichelt mir über meinen Rücken. „So weit bin ich nicht weg, Nessi. Ich komm dich ganz oft Besuchen und du kannst auch zu mir kommen. Wir werden uns so oft sehen, da fällt es dir gar nicht auf“, sagt Noah ruhig und drückt mir einen Kuss auf den Scheitel. Die Tränen rollen weiter meine Wangen hinab. Ich lege mich auf sein Bett und rolle mich zusammen. Noah legt sich hinter mir und drückt mich mit seinem Arm an sich. Im Oktober zieht Noah zu seinem Vater, weil er dort einen Job hat. Sein Vater wohnt nur zwei Stunden von hier entfernt aber dennoch vermisse ich ihn jetzt schon. Je mehr ich daran denke, desto mehr muss ich weinen. Noah fängt leise an zu singen und seine raue Stimme hilft mir, mich zu beruhigen. Langsam drifte ich in einen traumlosen Schlaf.


© Marion Felber


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Kommentare zu "Sicher"

Re: Sicher

Autor: noé   Datum: 19.03.2014 14:21 Uhr

Kommentar: Stimmungsvolle Situationsbeschreibung.
noé

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