Mein Leben ist ein einziges Chaos. Gestern rief mein Bruder Matt an. Er klang so verdammt glücklich. Matt wird in vier Monaten heiraten, weil er in neun Monaten Vater wird. Seine Freundin Lynn ist endlich schwanger. Sie haben es endlich geschafft. Nicht, dass ich es ihm nicht gönne, aber ich will einen verdammten Tag in meinem Leben glücklich verbringen, ohne dass ich oder Joey einen einzigen Gedanken an die Vergangenheit verschwenden. Aber Joey ist Gefangen in der Vergangenheit. Ihr Leben dreht sich nur um diese Tage. Jede Nacht wacht sie schreiend auf, tagsüber scheint sie in letzter Zeit immer wieder in Gedanken versunken zu sein. Ich muss sie wirklich schütteln, damit sie zu mir in die Gegenwart zurück kommt. Sie hat diesen Blick wenn sie in Gedanken ist. Ich kann die ganze Geschichte in ihren Augen sehen. Das macht mir Angst. Sie möchte zu keinen Psychologen der ihr helfen könnte. So versuche ich ihr zu helfen wo ich kann. Ich lenke sie ab, geh mit ihr aus und versuche ihre Gedanken an andere Dinge zu lenken. Heute scheint ein guter Tag zu sein. Joeys nächtliche Albträume blieben diese Nacht aus. Sie kommt mit einem grinsen im Gesicht aus ihrem Zimmer. Sie macht mir Frühstück und redet über die Uni. Heute hat sie ihren ersten Tag. Am Abend möchte sie bei der Bar wo ich arbeite vorbeikommen, um mir beim Arbeiten zuzusehen und ein Bier zu trinken. Sie liebt das Bier in der Bar. Zu Mittag hat sie zwei Vorlesungen und danach muss sie ihre weiteren Kurse planen. Ich höre ihr gerne zu. „Und wenn du dann fertig bist in der Bar, können wir doch gemeinsam nach Hause gehen. Wie findest du das?“, fragt Joey und blickt von ihrem Erdnusstoast auf. „Wenn du so lange bleiben möchtest, gerne“, antworte ich ihr und nehme meinen Teller mit zum Waschbecken. Ich reinige meinen Teller und mein Messer und lege es auf ein Geschirrtuch um es zu trocknen. Joey macht dasselbe und geht in ihr Zimmer. Fünf Minuten später höre ich, wie die Tür gegen die Wand knallt. „Verdammt, ich hab nichts zum anziehen“, schreit Joey in den Gang. Ich lache und geh zu ihr ins Zimmer. Wenn sie sagt, dass sie nichts zum Anziehen hat, ist es mein Stichwort in Action zu treten und ihr zu helfen. Auf ihrem Bett liegt ein Haufen Klamotten. Joey steht vor dem Spiegel und hält sich ein Kleid vor dem Körper. Dann verwirft sie es und nimmt ein anderes. Ich gehe zu ihren Schrank, suche ihre Lieblings Jeans heraus und ein einfachen weißes T- Shirt. Dann nehme ich noch eine rote Weste und lege es ihr auf ihren Sessel. „Auf dem Sessel liegt dein Outfit. Es ist ja nur die Uni, dafür musst du nicht wie die schönste aussehen“, sage ich ihr und gehe ins Wohnzimmer um Gitarre zu spielen. Musik ist meine Leidenschaft. Schon seit dem ich klein war, war ich von ihr besessen. Jede freie Minute des Tages verbrachte ich die Tonleitern auf der Gitarre zu spielen, bis ich richtige Lieder spielen konnte. Am liebsten spiele ich „Here Without You“ von 3 Doors Down und „Kiss me“ von Ed Sheeran. Manchmal singe ich auch dazu, aber darin bin ich noch nicht sonderlich gut. Aber die Melodie der Lieber bedeutet mir sehr viel. Joey kommt ins Wohnzimmer und trägt das Outfit das ich ihr hingelegt habe. Ich lächle ihr wissend zu. Sie lacht leise und geht in den Vorraum, wo sie sich ihre Schuhe und Jacke anziehen wird. Joey trifft sich vor der Uni mit ihrer besten Freundin Zoe. Zoe ist wie eine Schwester für sie. Sie kommt zurück ins Wohnzimmer und sieht mich Erwartungsvoll an. Ich setze die Gitarre bei Seite und stehe auf. Zwei Schritte dann kann ich sie in meine Arme nehmen und ihr einen schönen ersten Tag wünschen. Aber es fällt mir schwer. Es ist fast so, als müsste ich meine Tochter, ich habe ja keine, los lassen in die große, weite Welt. Ich schüttle dieses Gefühl schnell ab und gehe auf sie zu. Sobald ich ihren zierlichen Körper in meinen Armen spüre, atme ich tief durch und fühle wie sich mein Herzschlag normalisiert. Sie ist mein Ruhepol. Langsam geb ich sie wieder frei, schicke sie bei der Tür raus und wünsch ihr einen schönen Tag. Sie lächelt mich an und schließt die Tür als sie geht. Ich gehe zurück ins Wohnzimmer und beginne die ersten Noten von Ed Sheerans „Kiss me“ zu spielen. Heute singe ich auch dazu. Meine Stimme ist etwas zu tief für dieses Lied, aber mir gefällt es. Zu Mittag mach ich mir ein Sandwich und sehe mir das heutige Football – Spiel an. Mein Handy vibriert. Eine SMS.
Joey: „Hey, Uni ist super. Zoe hat schon einen neuen Verehrer. :)
Ich: „Hey, kann ich fast nicht glauben. ;) Freut mich, dass du einen tollen Tag hast.“
Ich lächle. Zoe ist wirklich unmöglich. Überall wo sie hingeht, verfolgen sie Männer. Sie zieht jeden in ihren Bann mit ihren großen rehbraunen Augen und ihrem Schmollmund. Aber von mir hat sie bis jetzt die Finger gelassen. Ich schalte den Fernseher aus und gehe in den Park. Im Park setzte ich mich auf eine Bank und beobachte ich die alte Frau, die die Tauben füttert. Die Sonne scheint durch die Baumkronen. Vögel zwitschern. Manchmal möchte ich ein Vogel sein. Dann wäre ich frei und könnte überall hin fliegen. Der Tag vergeht. Die Sonne senkt sich in Richtung Horizont. Das ist mein Stichwort, ich muss zurück in die Wohnung und mich fertig für die Arbeit machen. In meinem Zimmer angekommen, ziehe ich mir ein schwarzes Hemd an, kremple die Ärmel bis zu den Ellbogen auf und nehme mir eine blaue Jeans aus dem Kasten. Vor der Tür schlüpf ich noch in meine Lederjacke und mach mich auf den Weg in die Bar. Die Straßenlaternen sind schon an als ich an der Bar ankomme. Es ist viel los. Ich geh in den hinteren Raum, wo wir uns alle umziehen. Meine Lederjacke hänge ich in meinen Kasten und binde mir eine schwarze Schürze um. Dann gehe ich zum Chef und hol mir die Geldtasche mit dem Wechselgeld. „Hey, Brian!“, ruft mir George hinterher. Ich drehe mich um und warte. „Du musst heute alleine an der Bar arbeiten, Mary ist krank und ich habe keinen Ersatz“, teilt er mir mit und verschwindet wieder hinter seiner Tür. Na gut, das bekomme ich auch noch hin. An der Bar sitzen zwei Männer und drei Frauen. Es scheint als wären die Fünf in eine heiße Diskussion verwickelt. Jeder will lauter als der andere reden. Aber ich habe gelernt, es auszuschalten und einfach meinen Job zu tun. Eine junge Frau kommt auf die Bar zugeschlendert. Sie hat langes schwarzes Haar, ein hübsches Gesicht und sie trägt eine Bluse und einen Minirock, der ihre Beine noch länger wirken lässt. Ich stell mich an den Rand der Bar, lehne mich rüber und frage sie, was sie gerne trinken möchte. „Eine Margaritha, bitte“, sagt sie und lehnt sich mit den Ellbogen auf die Bar, sodass ihr Ausschnitt noch tiefer wird. Für einige Sekunden starr ich einfach in ihren Ausschnitt, bis sie sich räuspert. Ich schüttle meinen Kopf und spüre wie ich erröte. Gott, als wäre ich eine Jungfrau. Ihre Margaritha ist in einigen Sekunden fertig und ich stell ihn vor ihr auf die Bar. Sie bedankt sich, legt das Geld auf den Tresen und geht zurück zu ihrem Platz. Wobei sie verführerisch mit ihren Hüften wackelt. Wenn ich nur wegsehen könnte. Verdammt, ich liebe Frauen und ihre Körper. Was kann ich schon tun? Ich bin halt eben ein Mann. Zwei weitere ruhige Stunden vergehen, bis Joey und Zoe in die Bar kommen. Joey trägt noch die dieselbe Kleidung wie zur Uni, nur ihre beste Freundin hat sich vermutlich umgezogen. Zoe trägt ein enganliegendes rotes Kleid, das ihren makellosen Körper betont. Vermutlich will sie heute Nacht nicht alleine Schlafen. Typisch. Joey kommt hinter den Tresen und legt einen Arm über meine Schultern. Das sieht sehr komisch aus. Ich bin fast 1,90m groß und Joey nur kleine 1,63m. Lediglich ihr Unterarm legt sich auf meine Schulter. „Das ist mein bester Freund Brian. Brian das ist Zoe, meine beste Freundin“, stellt uns Joey vor. „Nett, dich wieder mal zu sehen Zoe. Und Joey, ich kenne deine beste Freundin“, sage ich ihr und nehme ihren Arm von meiner Schulter. „Ich muss jetzt weiter arbeiten. Also, was wollt ihr trinken“, frage ich und sehe die beiden an. Beide wollen einen Cocktail, Tequilla Sunrise. Ich mixe die Cocktails, als George von seinem Büro kommt. „Hey Brian! Du kannst jetzt Pause machen, ich übernehme“, ruft er mir zu. Ich mache die Getränke fertig und gehe mit den beiden Gläsern zu einem Tisch in der hinteren Ecke. Joey und Zoe folgen mir. Zoe setzt sich gegenüber von mir und Joey rutscht in die Bank neben mir. Ich atme tief ein und nehme den zarten Duft von Joey wahr. „Brian? Ich rede mir hier den Mund fusselig über meinen ersten Tag und du riechst an meinem Nacken! Sag mal, was ist in dich gefahren?“, Joey sieht mich mit großen Augen an. OH MEIN GOTT! Das hab ich jetzt nicht wirklich gemacht. SHIT. Ich sehe sie an und ein schiefes Grinsen breitet sich in meinem Gesicht aus. Ich schüttle den Kopf und geb George ein Zeichen das er mir ein Bier bringen soll. Joey und ihre beste Freunde reden über den Tag als ich an meinem Bier nippe. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist, als ich an ihren Nacken gerochen habe. Hätte Joey es nicht angesprochen, hätte ich gar nicht bemerkt, dass ich es getan habe.


© Marion Felber


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Kommentare zu "Momente, die bleiben/ Kapitel 3 Bryan"

Re: Momente, die bleiben/ Kapitel 3 Bryan

Autor: noé   Datum: 18.03.2014 22:03 Uhr

Kommentar: Das ist soo phantastisch!
noé

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