Wir wurden mit unseren Pferden in die Startboxen gebracht. Dieses Rennen war mein erstes, und meine allerbeste Freundin Tara stand sogar auch am Start, zwei Startboxen weiter.
Ich war sehr aufgeregt, und ich schaute Tara an. Sie blickte zurück, aber es war nicht der aufgeweckte, fröhliche Blick, den sie sonst hatte. Es war ein feindseliger, gemeiner Blick. Ich wusste sofort, was sie von mir wollte. Ich sollte sie gewinnen lassen.
Gleich startete das Rennen. Ich konzentrierte mich. Die Türen sprangen auf, ich schoss nach vorn. Tara war eine halbe Länge vor mir, sie hatte einen besseren Start. Doch ich hatte ein besseres Pferd.
Dann fiel mir Taras Blick beim Start wieder ein. Sollte ich sie gewinnen lassen? Oder sollte ich meine Chance selbst ausnutzen?
Tara und ich waren die besten Freundinnen. Sie wäre ohne mich allein, ich hingegen hätte noch viele andere Freunde. Aber mit Tara war ich am längsten und am besten befreundet. Ich wollte die Freundschaft zwischen uns nicht riskieren. Ich wollte aber auch gewinnen, was bei dem Rennen ja jeder wollte.
Von links drängten die anderen Reiterinnen. Die Kurve würde nach rechts fallen, also musste auch ich nach rechts. Ich zog an den Zügeln, und plötzlich galoppierte ich direkt neben Tara.
Ich blickte sie nicht an, aber ich merkte, wie sich ihr feindseliger Blick in meinen Kopf bohrte.
Wenn ich mein Pferd extra bremsen würde, dann wäre das Rennen für mich vorbei. Doch wenn ich mir einen anderen Plan ausdenken könnte, könnte Tara gewinnen. Doch sollte ich es wirklich riskieren?
Wir lagen beide vorn, auf gleicher Höhe. Gleich würde die Kurve kommen. Ohne Vorwarnung fing mein Pferd an zu lahmen. Ich zog am linken Zügel, und mein Pferd reagierte noch. Wir galoppierten an der linken Bande entlang und fielen extrem zurück. Mein Pferd hatte irgendetwas, doch ich wusste nicht, was. Anhalten durfte ich nicht. Ich konnte nichts tun, außer weiter zu reiten.
Erst jetzt fiel mir auf, dass mein rechter Steigbügel für die Kurve zu lang war. Langsam und vorsichtig beugte ich mich hinunter.
Gerade hatte ich den Riemen gelöst, trat mein Pferd in eine Kuhle. Ich schabte mit meiner Hand am Riemen entlang und riss ihn fast entzwei! Aber er hing noch an einem kleinen, dünnen Faden.
Ich erfasste einmal noch neuen Mut. Ich wollte nach vorne, das Rennen zu gewinnen! Ich trieb mein Pferd an, begann zu schreien.
Es half. Ich schaffte es, den letzten Reiter zu erreichen. Doch da machte ich einen entscheidenden Fehler: Ich ritt viel zu nah an ihn heran!
Der Bügel streifte den anderen, wurde nach unten gedrängt und … riss ganz!
Ich konnte mich nicht halten und stürzte nach rechts. Ich spürte die Hufe des anderen Pferdes in meinem Bauch.
Alle möglichen Menschen und Zuschauer kamen von der Tribüne herbeigerannt. Wahrscheinlich um mich zu begaffen. Unter all diesen Leuten erkannte ich meine Eltern, meine Mutter weinte. Ich wurde hoch gehoben und auf eine Trage gelegt. Das letzte, was ich wahrnahm, war der Schrei eines Raben.

Ich erkannte eine weiße Plane. Ich lag im Krankenzelt. Die anderen Reiter standen um mich herum und mit Entsetzen erkannte ich, dass meine Freundin nicht unter ihnen war. Ich hörte, wie jemand sagte, Tara sei direkt nach der Siegerehrung nach Hause gefahren. Sie hatte das Rennen gewonnen. Dank mir.
Mit diesem Schmerz schlief ich ein… und wachte nie wieder auf.


© mononk


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Beschreibung des Autors zu "Wie viel ist eine Freundschaft wert"

Zwei Freundinnen nehmen an einem Galopprennen teil. Doch für eine wird dieser Wettkampf zum lebensbedrohlichen Verhängnis ...

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