>> Bleib bloß weg von den Kindern! <<

zischt ihn die alte Magd an während er die Straße entlangläuft.

>> Alles gut ich gehe nur Lebensmittel besorgen<<

antwortet er mit gehobenen Händen während er die Straßenseite wechselt. Das macht Erich häufig. Er geht auf Abstand. Ziemlicher Alltag als sozial Geächteter. Nur schade dass Erich nichts falsch gemacht hat, er ist nur wie viele Pechvögel zur falschen Zeit am falschen Ort. Erich ist nämlich Mediziner mit einer ausgeprägten Begeisterung für Heilkräuter und dergleichen, allerdings wird das zu seiner Zeit eher als Hexerei angesehen weswegen er auch einmal fast den Scheiterhaufen aus der ersten Perspektive erlebte. Allerdings da er noch nie jemanden etwas getan hat, einigte sich das Dorf ihn mehr oder weniger zu verstoßen. Er lebt nun isoliert am Waldrand und darf das Dorf nur betreten wenn er Lebensmittel kauft oder Ware zu verkaufen hat. Allerdings nehmen ihn die Dorfbewohner aus wie eine Weihnachtsgans da er keine anderen Möglichkeiten hat um an Geld für Nahrung zu kommen. Deswegen muss er auch ständig darauf schauen wie er über die Runden kommt. Durch die Umstände ist er so abgemagert dass er auch zu schwach zum jagen ist. Es ist ein Teufelskreis und sein Zustand verschlechtert sich stetig. Endlich kommt er am Stand von Lise an. Oh ja die Lise. Schon seit dem er denken kann ist er in sie verliebt. Als Kind hatte er aber nicht Mut gehabt es ihr zur beichten und später war sie aufgrund seines sozialen Status ein unerreichbarer Stern. Vor allem da sie, wie jeder andere Einwohner, ihn verachtet. Besonders weil er jedes mal bei ihr einkauft. Aber sie hat eben alles was er braucht. Fleisch kann er sich nicht leisten. Brot auch nicht. Eigentlich kann er sich nichts außer Kartoffeln und das billigste Grünzeug leisten. Und das gibt es eben bei der Lise. Gepaart mit ein paar Beeren aus dem Wald gibt das schon eine Mahlzeit ab die ihn wenigstens nicht noch dünner macht.

>>Grüß dich Lise. Einen guten morgen wün...<<

>>Ja. Ja. Sag einfach was du willst.<<

Also alles so wie immer. Erich kauft sein Essen mit gesengtem Haupt.

>> Und jetzt zieh Leine du Spinner <<

Von der anderen Straßenseite beobachten ihn zwei Männer mit verachtenden Blicken. Einer kommt sogar rüber und spuckt ihm direkt vor die Füße.

>> Scher dich hier weg. Wieso bist du denn nicht schon längst verhungert. Von mir bekommst du kein Geld mehr. Ungeziefer wie dich sollte man auslöschen. Wenn's nach mir ginge hätten die damals Grillhähnchen aus dir gemacht<<

Ach ja der Edgar. Nett wie immer. Aber als rechte Hand des Bürgermeisters kann man sich schon einiges erlauben. Enttäuscht über die Ablehnung von Lise schlurft er davon. Rein in die morsche Holzhütte die er Zuhause nennt. Das Dach ist voller Löcher und die Dielen zu seinen Füßen zerfallen jeden Tag mehr. Aber was soll er tun. Kein Handwerker würde ihm helfen. Nach dem Essen legt er sich in seinem Schlafplatz. Er hat kein Bett nur ein Haufen Stroh und eine dünne Decke. Er friert jede Nacht. Er wird unter diesen Umständen auf keinen Fall den nächsten Winter überleben und dass weiß er auch. Eine Träne läuft über seine Wange. Dann eine zweite. Und obwohl es noch so früh am Tag ist weint er sich in den Schlaf. Doch ewig hält der Schlaf nicht, denn nach wenigen Stunden weckt ihn ein lautes Klopfen. Als er das zerfallene Ding was er Tür nennt öffnet und den Besuch erblickt möchte er am liebsten direkt wieder schließen. Es ist Edgar.

>> Mitkommen!<<

Edgar wirkt ziemlich aufgebracht und Erich will ihn ungern verärgern allerdings hat er auch Angst wohin er gebracht werden soll. Da er aber keine Wahl hat trottet er hinter dem beleibtem Edgar her. Die Reise endet vor der kleinen Kirche des Dorfes. Dort wird er vom Bürgermeister persönlich empfangen. Doch unüblicher weiße schwingt bei seinen Worten keine Abneigung mit.

>> Gut dass du es geschafft hast. Komm doch bitte mit es ist dringend. <<

Ohne auch nur eine Sekunde auf eine Antwort zu warten betritt er die Kirche. Erich folgt ihm und drinnen angekommen bietet sich ihm ein grausiger Anblick. Auf dem Boden der Kirche liegen auf dünnen Feldbetten hustende und röchelnde Menschen. Ihre Haut ist von großem Fleckigen Ausschlag bedeckt und der ein oder andere hustet Blut.

>> Die Lage ist sehr ernst. Heute hat es den ersten Toten geben. Wir sind überfragt und wissen nicht mehr weiter. <<

Erich kann sich denken worauf das Gespräch hinaus laufen wird, doch bevor er etwas sagen kann fährt der Bürgermeister fort.

>> Wir bitten dich hier um Hilfe. Natürlich wirst du reichlich entlohnt falls du dich als nützlich erweisen solltest. Zudem würden wir dich zum Ehrenbürger ernennen. <<

Ein ziemlich gutes Angebot. Kein Wort oder gar eine Entschuldigung wie mies man ihn behandelt aber das Zuckerbrot ist sehr verlockend.

>> Naja und solltest du dich weigern oder nichts bewirken, dann überlegen wir uns das mit dem Scheiterhaufen nochmal.<<

Und da ist sie. Die Peitsche. Der Bürgermeister würdigt ihn keines weiteren Blickes und verlässt die Kirche. Erich schaut sich die Patienten noch einmal gründlich an und macht sich dann wieder auf in Richtung Zuhause. Dort angekommen plündert er seinen Gesamten Vorrat an Heilkräutern und ähnlichem um damit scheinbar Medizin oder ein Gegenmittel herzustellen. Der Vorrat reicht allerdings nicht aus und so geht er auch neues Material im Wald suchen. Volle drei Tage verbringt er damit Materialien zu sammeln und diese, in für Außenstehende unverständlichen Prozessen, zu verarbeiten. Am vierten Tag bekommt er Besuch. Diesmal steht der Bürgermeister persönlich vor seiner Tür hinter ihm ein Mann mit einer großen Axt.

>> Darf ich dein Nichtstun als Ablehnung des Angebots wahrnehmen?<<

fragt ihn der Bürgermeister und zeigt auf die riesige Axt seines Begleiters.

>> Auf keinen Fall ich habe die letzten drei Tage damit verbracht um Medizin herzustellen. <<

>> Na dann komm mit und zeig dass du nicht nutzlos bist. Das ist deine einzige Chance <<

Oh ja das ist Erichs einzige Chance. Er hat sein ganzes Leben darauf gewartet dass er eine bekommt. Er wird den Winter eh nicht überleben deswegen hat er alles auf diese Karte gesetzt. Hastig räumt er sein Zeug zusammen und begibt sich dann wieder in die Kirche im Dorf. Dort angekommen muss er feststellen dass sich der Zustand der Leute enorm verschlechtert hat. Viele ringen nach Luft und sehen aus als wären sie kurz vor dem Zerfall. Unbeeindruckt beginnt Erich damit seine Medizin zu verteilen. Als er fertig ist nimmt er als letztes noch einmal selbst sein Produkt zu sich. Der Bürgermeister allerdings ist nicht zufrieden.

>> Da passiert ja gar nichts. Deine Versprechungen sind nur leere Worte. <<

>> Nein, Nein auf keinen Fall. Es bedarf eben nur ein wenig Zeit bevor die Medizin ihre Wirkung zeigt. <<

>> Wenn das so ist wirst du in den Kerker geworfen und wenn bis zum Morgengrauen sich nichts getan hat, dann wirst du hingerichtet. <<

Erich wird abgeführt vorbei an der Kirche und einem kleinen Leichenberg. Ungefähr ein halbes Dutzend toter Menschen liegt zusammengeworfen neben der Straße. Schrecklich. Man bringt ihn in ein Verlies am Rande des Dorfes wo ein Wächter sich vor dem Tor platziert. Jetzt heißt es warten und hoffen. Doch Erich wirkt zum ersten Mal selbstsicher. Der Tag vergeht und er legt sich auf der kleinen Pritsche schlafen. Am nächsten Morgen wird er von Musik geweckt. Der Wärter sperrt das Tor auf und gibt ihm ein Zeichen, dass er heraustreten soll. Die Morgensonne kitzelt sein Gesicht und vor dem Tor hat sich eine kleine Menschenansammlung gebildet welche seinen Namen jubelt.

>> Erich! Erich! <<

Die Leute umringen ihn und werfen ihn hoch in die Luft und Tragen ihn auf Händen. Wie ein Fluss aus Glück und Freude fließen sie weiter und Erich lässt sich einfach treiben. Die Menge macht vor dem Rathaus stopp wo der Bürgermeister auf einem Podest bereits wartet. Erich wird aufgefordert sich neben ihn zu stellen als feierlich verkündet wird, dass er von nun an ein Ehrenbürger sei. Doch dem Ganzen ist noch nicht genüge getan. Er wird zu einem Bankett geladen bei dem er reichlich zulangt. Fleisch und Rotwein bis zum abwinken. Erich genießt das Leben in vollen Zügen. Das erste mal seit dem er denken kann. Endlich wird er als ein Teil akzeptiert. Endlich hat er das was er immer haben wollte und noch viel mehr. Nach dem Essen feiern sie bis tief in die Nacht und kein Einziger verliert auch nur ein Wort über die Vergangenheit. Sie trinken und scherzen und verstehen sich alle ausgesprochen gut mit Erich. Und zum krönenden Abschluss darf er das Bett mit der wunderschönen Lise teilen. Nach der durchzechten und überwältigen Nacht geht Erich alleine zum Flussufer und setzt sich auf den Boden. Er schaut sich mehrmals um und als er sicher ist dass er alleine ist beginnt er zu lachen. So wie er noch nie gelacht hat. Es ist kein freudiges Lachen sondern ein hämisches und herabblickendes.

>> Was für naive Trottel <<

Erich hält sich die Hand vors Gesicht aber kann nicht aufhören zu lachen.

>> Lieber ein Spinner als ein Idiot. Und lieber ein paar von denen als ich. <<

Erich hört auf zu lachen und richtet sich auf. Dann begibt er sich wieder ins Dorf. Er wird sein Leben weiterleben aber als neuer Mensch. Und niemand wird je erfahren was er dafür tun musste.


© hauntu


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Beschreibung des Autors zu "Geächtet und gefeiert"

Erich ist ein sozial Geächteter in seinem Dorf. Doch eines Tages bekommt er die Chance sein Leben zu ändern

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