Drecksviecher! Benedikt versucht die Mücke zwischen seinen Handflächen zu zerdrücken lässt es aber nach dem dritten Versuch gut sein. Seit drei Tagen schon wandert er mit diesem, aus seiner Sicht Idioten, durch die Pampa. Benedikt befindet sich nämlich auf einem Selbstfindungstrip wie er es nennt. Er hat eine Reise gebucht bei der er mitten im Urwald gemeinsam mit Scharmanen einer Ayahuascazeremonie beiwohnt. Ayahuasca ist vereinfacht gesagt ein Gemisch aus Pflanzen des Urwaldes welches starke Halluzinationen und unvorstellbare Geisteszustände auslösen kann. Aus der westlichen Welt benutzen viele es für Selbstfindung oder ähnlichem. So auch ein bekannter von Benedikt, welcher ihn auf diese Idee brachte, da er nach solch einer Reise ihm wie ein Erleuchteter vorkam. Doch dass man dafür 3 Tage durch den Dschungel stampfen müsste hat ihm zuvor niemand gesagt. Nun gut er hatte auch das billigste vom billigsten gebucht, da er nicht gerade gut betucht ist, aber er will um jeden Preis sein Leben ändern. Benedikt hat nämlich nicht ein gerade spaßiges Leben. Er ist 36 und arbeitet in einer Tankstelle. Zudem ist er übergewichtig und hat kaum soziale Kontakte. Das alles gefiel ihm noch nie aber als ihn seine Freundin verlässt, welche seine einzige echte Bezugsperson und all die Jahre sein sicherer Hafen war fällt er in ein tiefes Loch. Er fühlt sich im Stich gelassen, nicht nur von ihr. Von allem und jeden. Auch von ihm selbst. Für das erste Mal möchte er sein Leben selbst in die Hand nehmen. Und deswegen ist er jetzt hier. Zwischen Mücken, Spinnenweben, Lianen, einem feuchten Dschungel, der ständigen Angst vor giftigen Tieren und einem Reiseleiter der auf einer ihm nicht bekannten Sprache flucht. Bronco ist derjenige der sie durch den Dschungel zu einem verborgenem Dorf bringen soll und eigentlich ein netter Kerl. Aber er wirkt immer so aufgesetzt freundlich. So als würde er eine Rolle spielen in einer billig produzierten Sendung. Aber manchmal bricht es aus ihm heraus. So wie jetzt. Bronco ist über eine Wurzel gestolpert und hat sich somit unfreiwillig komplett in den Schlamm gelegt. Jetzt flucht er seit weiß Gott wie vielen Minuten auf seiner Muttersprache und Benedikt steht nur daneben und hofft dass diese unangenehme Situation endlich vorbeigeht. Doch neben ihm sieht das jemand ganz anders. Kenneth der dritte im Bunde lacht den Reiseleiter eiskalt aus. Benedikt hasst diesen Kerl und diese Schadensfreude passt genau in das Bild das er von ihm hat. Kenneth ist ein extrem Dürrer Typ mit fast schulterlangen, schwarzen Haaren die er offen trägt. Er hat einige schlecht gestochene Tattoos unregelmäßig über den Körper verteilt und zudem raucht er Kette. Über die drei Tages Wanderung hat er so viele Zigaretten geraucht dass sich Benedikt fragt wie seine Lunge den Marsch überhaupt noch mitmacht. Ein echter „Assi“ eben. Auch macht er das Ganze nicht um im Leben voran zu kommen sondern zu seiner Belustigung. Benedikt empfindet nichts als Unverständnis und Ablehnung für ihn. Kenneth dreht sich eine Zigarette und zündet sich diese genüsslich an.

>>So genug mit dem Scheiß ich hab nicht vor mir hier die Beine in den Bauch zu stehen. <<

Bronco hat sich ein wenig gereinigt und hat aufgehört zu fluchen. Mehr oder weniger.

>>So ein Dreck. Und dass ausgerechnet kurz vor dem Ziel<< sagt er.

Und er sollte recht behalten. Noch bevor Kenneths Zigarette fertig geraucht ist erblicken sie ein kleines Dorf inmitten einer kleinen Lichtung komplett umgeben von Urwald. Dieser Ort hat schon etwas fast magisches. Licht strahlt von oben genau auf die kleinen Holzhütten als wären sie von Gott persönlich herabgelassen worden und die Geräuschkulisse von singenden Vögeln und summenden Insekten macht den Ort noch edylischer. Die Ankömmlinge werden von einer kleinen Menschentraube empfangen. Besonders Benedikt begrüßen sie extra herzlich. Überwältigt von der Gastfreundschaft lässt er sich vom Strom der Dorfbewohner mitreißen und begleitet diese in die Mitte des Dorfes, wo bereits ein kleines Feuer entfacht wird. Da er ihre Sprache nicht versteht muss Bronco für ihn übersetzen. Da die Zeremonie am Abend stattfindet und auf leeren Magen abgehalten werden muss, darf Benedikt nichts essen, aber bis dahin bleibt noch ein wenig Zeit um mit den Einwohnern des Dorfes um das Feuer zu tanzen. Benedikt ist etwas schüchtern und überlässt Kenneth den Vortritt. Dieser beginnt ohne einen Hauch Selbstzweifel herumzuzappeln als hätte er einen Zitteraal in der Hose. Benedikt muss sich das Lachen verkneifen, stürzt sich dann aber nach wenig Zeit selbst ins Getümmel als er bemerkt, dass die Dorfbewohner nicht über Kenneths Schlaganfallsimitation urteilen. Benedikt tanzt so wie er noch nie getanzt hat. Gefühlsvoll. Hemmungslos. Hier wo niemand über ihn herzieht wie er ist, fühlt er sich plötzlich frei. Nicht so wie da draußen. In der Welt außerhalb des Dschungels. Nach einiger Zeit zieht sich Kenneth zurück doch davon lässt sich Benedikt nicht verunsichern. Er tanzt weiter mit den Einwohnern des Dorfes, trinkt hin und wieder Wasser aus Holzschalen mit ihnen und führt Konversation mit ihnen über Bronco. Einmal erblickt er Kenneth wie er oberkörperfrei aus einer Hütte kommt um ein paar Zigaretten hintereinander zu rauchen. Am Abend finden sie sich dann nebeneinander kniend vor den zwei Dorfschamanen wieder. Diese überreichen den beiden Angereisten jeweils ein Schälchen mit einer braunen und streng riechenden Flüssigkeit. Sie würgen beide dass eklige Gebräu hinunter und lehnen sich zurück. Benedikt ist so aufgeregt. Ob er nun einen Richtungsweiser für sein Leben bekommt? Oder eine Erkenntnis die alles verändert? Doch nichts dergleichen passiert. Stattdessen wird er nur müde. Sehr müde. Neben sich sieht er nur wie Kenneth bereits im Land der Träume ist, bevor er selbst die Reise an das selbige Ziel antritt. Am nächsten Morgen bekommt er kaum die Augen auf, aber nach der dritten Backpfeife von Kenneth ist er langsam wieder da.

>>Wach auf du Schlafmütze. Oder willst du dein ganzes Leben verschlafen? <<

Jetzt bekommt er eine so starke Schelle dass bei ihm alle Lichter leuchten. >>Verdammte Scheiße ich bin wach. Was stimmt nicht mit dir<<

knurrt Benedikt Kenneth an während er sich langsam im Raum umsieht. Sein gegenüber lacht aber nur und beginnt eine Zigarette zu drehen. So langsam realisiert Benedikt wo er ist. Sie befinden sich zu zweit in einer Höhle die aber am Ende zuläuft und eine kleine Mulde bildet. Es gibt also nur einen Weg nach draußen, doch dieser wird von einem stabil wirkenden Holztor geschützt.

>>Sieht so aus als wären wir ziemlich am Arsch<< kommt es von hinten. >>Na immerhin haben sie mir den Tabak gelassen. << sagt Kenneth während er sich seine Zigarette anzündet.

>>Was zur Hölle was soll das! Wir haben doch nix getan. Was haben die mit uns vor? << platzt es aus Benedikt vor lauter Angst heraus.

>> Wer weiß das schon. Kann sein dass sie unsere Organe wollen oder uns an Menschenhändler verkaufen. Oder wer weiß vielleicht wollen sie uns ja auch essen. <<

Kenneth lacht laut wobei ihm die Kippe aus dem Mundwinkel fällt. Während er sie vom Boden fischt fährt ihn Benedikt an

>> Hör auf mit der Scheiße, wie kannst du nur so ruhig bleiben? Oh Gott ich werde vielleicht sterben.<<

>>Ganz ruhig Großer<<

Kenneth nimmt einen letzten Zug und schmeißt den glühenden Stummel in die Ecke.

>>Ich hab mir das Tor mal angeschaut links ist das Ding ein wenig morsch. Mit deinem Gewicht sollte das klappen. <<

>>Was meinst du denn damit? <<

>> Na du rennst so oft dagegen bis es bricht und ich bete dass uns niemand hört derweil<< Kenneth beginnt direkt die nächste Zigarette zu drehen.

>> So auf geht’s! << befiehlt er Benedikt und zeigt auf das Tor. Benedikt hasst es herumkommandiert zu werden, aber in dieser Situation ist es notwendig denkt er sich. Er läuft immer und immer wieder gegen das Holztor während von Kenneth nur Rauchzeichen kommen. Mit jedem Mal aber knirscht das Tor mehr und gibt auch ein Stück mehr nach. Benedikt hätte längst aufgegeben aber Kenneth ermahnt ihn ständig, bis Benedikt plötzlich durch das Holz bricht. Im ersten Moment kann er sein Glück kaum fassen, doch im zweiten Moment merkt er, dass sein Bein auf einen riesigen Holzsplitter zurast. Und wie das Pech will fällt er genau darauf. Das Teil bohrt sich in seinen Oberschenkel und ihm bleibt vor Schmerz die Luft weg. Verkrampft liegt er am Boden während Kenneth über ihn drüber steigt. >>Okay das wird jetzt ein wenig wehtun<<

sagt er bevor er Benedikt das Holz aus dem Bein reißt. Diese schreit kurz auf vor Schmerz bekommt aber sofort eine Watschen.

>>Nicht so laut wir können froh sein dass die nicht das Gepolter gehört haben.<<

Benedikt beißt die Zähne zusammen und humpelt hinter Kenneth her. Sie folgen der Höhle bis zum Ausgang, wo sie vorsichtig nach außen schauen. Die Höhle befindet sich am Rande des Dorfes und ist von dort aus kaum zu sehen. Doch plötzlich erblicken sie zwei Junge Dorfbewohner mit Steinäxten bewaffnet auf die Höhle zulaufen

>>Fuck! Das ist schlecht. Jetzt oder nie Großer<<

sagt Kenneth und beginnt zu laufen. Raus aus der Höhle direkt in den Dschungel. Benedikt bekommt Panik und versucht es ihm gleich zu tun aber humpelt deutlich langsamer in Richtung Urwald. Die zwei Dorfbewohner haben die beiden Flüchtigen natürlich bemerkt und die Verfolgung aufgenommen. Sie kommen immer näher. Verdammte scheiße! Ist das ein schlechter Scherz? Denkt sich Benedikt während er realisiert dass eine Flucht in seinem Zustand unmöglich ist. Nur wenige Sekunden später bekommt er einen dumpfen Gegenstand auf den Rücken und bricht zusammen. Anstatt Kenneth zu verfolgen stellen sich die beiden Männer um Benedikt herum und begutachten ihn kurz bevor der erste ausholt und gegen seinen Schädel schlägt. Benedikt ist so unter Schock, dass er kaum Schmerz wahrnimmt. Blut tropft vor ihm auf den Boden. Verdammte Scheiße war es das? Er war doch gekommen um sein Leben zu ändern nicht um es zu beenden. Kenneth dieser feige Hund hatte ihm nicht eine Sekunde zur Seite gestanden. Naja wer kann ihm das schon verübeln? Ob er wohl schaffen wird zu entkommen? Und wenn ja wie soll er zurück finden und den Dschungel ohne Führer überleben? Dass wird Benedikt allerdings nie erfahren. Auch nicht was die Einwohner mit ihm vor hatten oder wie es sich wohl anfühlt auf der Gewinnerseite im Leben zu stehen. All das wird er nie erfahren. Denn er wird hier und jetzt sterben. Über ihm richtet sich eine Axt auf und schnellt herab. Diesmal wird alles schwarz. Für immer.


© hauntu


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Beschreibung des Autors zu "Für mich oder andere"

Benedikt ist auf einem Selbstfindungstrip. Doch die Dinge laufen nicht nach seiner Vorstellung.

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