Sie hatte ihn zum Flughafen gebracht, lange am Gate gestanden und ihm nachgesehen. Es begann für ihn ein Auslandsemester in Nordamerika. Schon für sie war auf dem Heimweg klar: Es würde einsam werden.
Bestimmt würden einige ihrer Freundinnen sie einladen, weil sie jetzt alleine war. Aber der Alltag, der dauerte lange.
Judith atmete tief durch. Sie war schlaksig, hochaufgeschossen mit Sommersprossen und lebhaft. Sie wollte dieses halbe Jahr planen, irgendwie zurechtkommen mit dem, was andere Freiheit nannten.
Am anderen Tag ging sie ins Tierheim. Von außen sah man nur die Freiläufe. Innen waren die Zwinger mit etwa 20 Hunden verschiedenster Rassen. Große, kleine, laute, stille, manche kamen an das Gitter und schnupperten oder rieben ihr Fell am Zaun, in der Hoffnung, durch die Maschen gestreichelt zu werden. Sie hätte am liebsten alle mitgenommen. Wieder atmete Judith tief durch. Jetzt kam ein Hund in den Freilauf, der heiser ununterbrochen bellte. Sie fragte, was mit ihm sei. Eine Ehrenamtliche ging in den Freilauf und streichelte den Braunen.
-Die Besitzer sind in die USA in Urlaub gefahren. Er ist ein Pensionshund, muss hier noch einige Wochen auf die Besitzer warten. Und er trauert so. Er bellt schon so lange, dass er bereits ganz heiser ist. Trösten lässt er sich gar nicht.
-Kann ich mit dem Hund laufen?, fragte sie die Tierpflegerin.
-Nein, der war schon draußen. Hat seine festen Gassigeher, damit wir nicht noch mehr Unruhe hineinbringen. Aber sie können mit einem anderen Hund laufen, da gibt es noch einige, die noch nicht draußen waren.
Judith ging wieder vor das Tierheim und wartete. Nach einigen Minuten brachte ihr eine Tierpflegerin einen Mischling, etwa kniehoch, mit Schorf am Kopf.
-Er ist taub, aber sie können sich auch so mit ihm verständigen. Anfassen können Sie ihn, nur mit dem Ausschlag etwas aufpassen. In einer Stunde kommen Sie wieder. Es gibt gute Rundwege mit einer Stunde Laufzeit. Alles Gute.
Judith hielt die Leine von Charly in der Hand und schon machte der Hund einen Satz, freute sich, dass er laufen durfte und spurtete los. Die Lebensfreude und Energie des Hundes steckte an.
Sie war nicht mehr einsam und die Streicheleinheiten taten beiden gut.
Als sie zurückkam, standen schon andere Gassigeher mit ihren Hunden am Tor. Judith fiel die ältere Dame auf, die sich mit ihren etwa 80 Jahren ganz sportlich gab. Sie grüßte und sprach sie an.
-Wolpert mein Name, meinte die ältere Frau. Ich bin schon lange Gassigeherin. Früher war ich auch im Vorstand. Da gab es Zeiten….jetzt ist alles besser…in den 70ern, da wurden die Hunde einfach nach 3 Monaten eingeschläfert, wenn sie nicht vermittelt werden konnten. Diese Akten schaut sich heute niemand mehr an. Und die Freiläufe. Die gibt es erst seit dem 2000er Jahr. Vorher saßen die Hunde den ganzen Tag nur im Zwinger mit Ausnahme des Gassigehens. Ich habe die Hunde immer genommen zum Ausführen, und wenn es nur eine halbe Stunde war, damit jeder rauskam. Aber sie werden Ihre eigenen Erfahrungen sammeln.
Damit entließ sie Judith in die Freiheit. Das Gassigehen tat ihr gut und die sozialen Kontakte auch.
Am nächsten Tag war Charly vergeben. Auch andere Hunde, etwa ein Labrador, waren ausgebucht. Judith fragte nach Hunden, die niemand wollte.
-Ja, da haben wir Caro, meinte die Tierpflegerin. Der sitzt seit 5 Jahren bei uns fest. Ein altdeutscher Schäferhund. Damit brachte sie Caro.
Er war bildhübsch, aber nicht einfach. Judith wunderte sich über die lange Verweildauer des Tieres im Heim. Es wurde eine rauhe Gassirunde, mit Ziehen von Caro, und Judith stolperte öfters. Am Rücken patschnass geschwitzt kam sie nach der Runde zurück.
-Morgen nehme ich dich wieder und wir werden daran arbeiten, dass du vermittelt wirst, verkündete Judith dem Tier. Caro war bildhübsch.
Die nächsten Tage wurden stressig, manchmal wollte Judith einfach aufgeben, denn jeden Tag fing sie mit Caro bei Null an. Er zog immer an der Leine und machte, was er wollte. Es war mittlerweile Hochsommer und ein Termin beim Tierarzt stand an, zu dem Judith Caro begleiten sollte.
Nach der Blut- und Urinuntersuchung fragte der Tierarzt, ob er auch geschoren werden sollte, wegen der Hitze, und er hielt Judith den Rasierer hin. Wackelig stutzte sie ihm das Fell kürzer. Die wunderschöne Fellzeichnung löste sich auf in eine gestromte Maserung des Unterfelles.
Als sie mit dem Hund ins Tierheim zurückkam, war das Entsetzen groß.
-Was, das ist Caro?, fragte die Tierpflegerin. Ich habe ihn so noch nie gesehen.
- Er sieht jetzt so aus, wie er ist, richtig frech. Vielleicht wird er jetzt vermittelt. Schauen wir mal., meinte Judith.
Und tatsächlich, eine Interessentin sah Caro im Zwinger bei den Besichtigungszeiten und sie wusste, das ist der richtige Hund. Als Caro von ihr ein paar Tage später abgeholt wurde, weinte Judith. Sie nahm ihr rotes Halstüchlein ab und band es Caro als Erinnerung um den Hals. Dann war er weg für immer.
Einen Tag Urlaub gönnte sich Judith. Sie hatte ihre Sache gut gemacht und wollte weiter Hunde ausführen.
Während sie am nächsten Tag auf ihren neuen Hund wartete, sprach sie Gabi an.
-Ich war dabei, als Pascha gestorben ist, sagte diese.
Pascha war ein alteingesessener Rottweiler gewesen, der zu Außenstehenden bissig war und deshalb als nicht vermittelbar galt. Seit Jahren war sie seine Gassigeherin und die beiden bildeten zuletzt ein gutes Team.
-Es war sein Alter, und es ging ihm schlecht. Ich spürte, dass es diesmal ernst würde und ich wollte dabei sein, wenn er stürbe, sagte sie.
Sie war im Wagen mitgefahren, der Tierarzt konnte nichts mehr für ihn tun. Dann saß sie neben ihm, hielt ihn im Arm und er starb, friedlich und leicht. Sie war tief berührt von diesem Erlebnis.
-Das war immer mein Wunsch und immer meine Furcht, wenn er sterben würde, aber es war leichter, als ich dachte, erzählte Gabi.
Sie nahm wieder einen bissigen Hund als Gassigeherin, mit dem sie vorsichtig durch den Wald schlenderte, aber so ein Team wie mit Pascha waren sie noch nicht.
Judith bekam einen Malteser, der wieder andere Eigenschaften hatte als ein Altdeutscher Schäferhund und sie war glücklich, einen Freund zu haben.
Dann rückte der Tag heran, an dem ihr Partner aus Amerika zurückkam.
Aber das Gassigehen mit den Hunden behielt sie bei.


© Karin Schaffer


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